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hima­laya : 6.10 — Im Win­ter des ver­gan­ge­nen Jah­res, an einem win­dig kal­ten Tag, besuchte ich in Brook­lyn einen alten Herrn, Mr. Tomas­z­weska und seine Frau Eli­sa­beth. Sie woh­nen nahe der Clark Street in einem sechs­stö­cki­gen Haus mit Blick auf die Upper Bay von New York. Ich hatte den alten Mann wäh­rend einer Fahrt auf einem Fähr­schiff zufäl­lig ken­nen­ge­lernt. Er beob­ach­tete wie ich Fahr­gäste foto­gra­fierte, die ihre Namen heim­lich in die höl­zer­nen Sitz­bänke des Schif­fes ritz­ten. Er sprach mich freund­lich an, wollte mir einen Schrift­zug zei­gen, den er selbst drei Jahr­zehnte zuvor an Ort und Stelle in der glei­chen Weise wie die beob­ach­te­ten Pas­sa­giere ein­ge­tra­gen hatte. Stolz war der alte Mann gewe­sen. Wir führ­ten ein kur­zes Gespräch über die New Yor­ker Hafen­be­hörde, Eisen­bah­nen und Flug­zeuge, weiß der Him­mel, wie dar­auf gekom­men waren. Als wir das Schiff ver­lie­ßen lud Mr. Tomas­z­weska mich ein, ein­mal zu ihm zu kom­men, darum stieg ich nur wenige Tage spä­ter in den sechs­ten Stock des schma­len Hau­ses auf den Höhen Brook­lyns. Die Tür zur Woh­nung stand offen, warme Luft kam mir ent­ge­gen, die nach süßem Teig duf­tete, nach Zimt und Früch­ten. Die Räume hin­ter der Tür waren ver­dun­kelt. Ich hatte sogleich den Ein­druck, dass ich viel­leicht träumte oder ver­rückt gewor­den sein könnte, weil in die­sem Halb­dun­kel an den Wän­den, auch auf dem Boden, Lam­pen, Dioden­lich­ter, glüh­ten. Modell­ei­sen­bahn­züge fuh­ren auf schma­len Gelei­sen herum. Ich höre noch jetzt das leise Pfei­fen einer Dampf­lo­ko­mo­tive, das mei­nen Besuch beglei­tete. Es war eine rasende Zeit, Stun­den des Stau­nens, da in der Woh­nung des alten Herrn eine sehr beson­dere Modellan­lage gas­tierte, ja, ich sollte sagen, dass die Woh­nung selbst zur Anlage gehörte, wie der Him­mel zur wirk­li­chen Welt. Alle Züge fuh­ren auto­ma­tisch von einem Com­pu­ter gesteu­ert, die Luft über den Gelei­sen roch scharf nach Zinn. Wir spra­chen indes­sen nicht viel, Mr. Tomas­z­weska und ich, son­dern schau­ten dem Leben auf dem Boden in aller Stille zu. An einem Fens­ter, des­sen Vor­hänge zuge­zo­gen waren, saß Mr. Tomaszweska’s Frau Eli­sa­beth. Sie beach­tete mich nicht, starrte viel­mehr lächelnd auf eine kleine Klappe, die in die Wand des Hau­ses ein­ge­las­sen war. Manch­mal öff­nete sich die Klappe und ich konnte für Momente das Meer erken­nen, das an die­sem Tag von grün­grauer Farbe gewe­sen war, wun­der­bare Augen­bli­cke, denn immer dann, wenn das Meer in dem klei­nen Fens­ter erschien, lachte die alte Frau mit glo­cken­hel­ler Stimme auf, um kurz dar­auf wie­der zu erstar­ren. Ein­mal setzte sich Mr. Tomas­z­weska neben seine Frau und füt­terte sie mit war­mem Oran­gen­ku­chen, den er selbst geba­cken hatte. Und wie wir uns wie­der auf den Boden setz­ten, um ein Modell des Ori­ent­ex­press durch die Zim­mer der Woh­nung krei­sen zu sehen, erzählt der alte Mann, dass sie gemein­sam hier oben sehr glück­lich seien. Er könne mit sei­ner Frau zwar nicht mehr spre­chen, er könne sie nur noch strei­cheln, was sie irgend­wie ver­ste­hen würde oder sich erin­nern an die Spra­che sei­ner Hände. Ver­stehst Du, sagte er, sie ver­gisst immer sofort, alles ver­gisst sie, auch wer ich bin, aber sie ver­gisst nie­mals nach den klei­nen Engeln zu sehen, die uns besu­chen, sie kom­men dort durch die Klappe, siehst Du, schau genau hin, es ist schon ein Wun­der, sagte der alte Mann, wie schön sie lacht, mein jun­ges Mäd­chen, nicht wahr, mein jun­ges Mäd­chen. — stop

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