Ich muss gestehen, im letzten Jahr sind dank der “Wanderbibel” viele Entwicklungen in der zeitgenössischen Lyrik an mir vorbei gegangen. Vielleicht bin ich aber einfach mit Mitte Vierzig zu alt, um noch mithalten zu wollen und alle neuen Entwicklungen wahrzunehmen. Nein, ich möchte auch viele Gedichte und Autoren nicht mehr lesen. Ich möchte beim Lesen von Gedichten nämlich Vergnügen haben und nicht den Eindruck, dass alle angesagten und/ oder neuen Dichter das gleiche Gras geraucht haben. Es gibt wichtigere Dinge im Leben als die Zeit mit scheinbar oder angeblich guten Gedichten zu verschwenden.
Falls Hellmuth Opitz beim Dichten Gras rauchen sollte, dann ist es ein verdammt gutes Gras. Gerade ist sein neues Buch erschienen, mit dessen Titel ich nicht ganz glücklich bin. “Die Dunkelheit knistert wie Kandis” ist mir ein klein wenig zu dick aufgetragen. Dafür sind darin wunderbare Gedichte, wie sie nur Hellmuth Opitz schreiben kann: Federleicht, heiter, melancholisch, voller lebenspraller Bilder und Metaphern. Und selbstverständlich habe ich schon alle Gedichte meiner Frau vorgelesen.
Danke, Hellmuth Opitz für:
Distanzen. Stimulanzen
Je tiefer die Dunkelheit, desto wacher im Cockpit
dieses Audi A 6 auf der A 7 nordwärts, die Nacht knistert
wie Kandis, dem man Tee zufügt oder Geschenkpapier,
in das Sterne verwickelt sind, überhaupt: eine Nacht,
durch die man gleitet wie durch einen Ärmel schwarzer Seide,
vorbei an polnischen Einsamkeitspiloten in ihren 40-Tonnern,
an russischen, tschechischen, dänischen, rumänischen
Lastkähnen und Mautseglern vorbei und Kilometer fressen,
Entfernungen schlürfen wie den Tee, natürlich schwarz,
natürlich nur kurz aufgebrüht, genau das Richtige
für dieses Überwachsein, es könnte immer so weitergehen,
immer schneller, keep the car running, auf einmal
dieser kristallklare Moment der Unbesiegbarkeit:
Wer ohne Dunkelheit ist, der werfe den ersten Stern,
dann wieder volles Augenmerk auf die Fahrbahn und sich
den Mittelstreifen reinziehn wie eine endlos lange Linie Kokain.