Heroinrauchen

In der Szene, in der ich mich bewegte, fixte kaum jemand. Eine Spritze war ein Apparat, der einen verletzte, der einem ein Loch in den Arm machte, wir hatten keine Lust mit einem Loch im Arm durch die Gegend zu rennen. Wir wollten unsere Ruhe haben. Die meisten Heroinkonsumenten wollen ihre Ruhe haben, wenn sie in die Jahre kommen. Vielleicht ein bißchen Euphorie, ein bißchen nett sein zu den Leuten, mit denen man abhängt,  aber die wilden Sachen, die man mit 20 auf Droge macht, finden schon zehn Jahre später nicht mehr statt.

Zu dieser Zeit, Ende der 80er, grassierte eine neue Mode, die mir sehr gelegen kam. Die Leute begannen Heroin plötzlich zu rauchen und sich damit die Lunge zu ruinieren. Da lag weniger am gepanschten Stoff, dessen Wirkstoffgehalt selten 15 % überstieg, es lag an der beschichteten Aluminiumfolie, auf der das Pulver erhitzt wurde.

Zwar flämmten die gewissenhaften unter den Heroinrauchern die Folie vor dem Rauchen ab, doch die meisten User hatten dazu weder Lust noch Muße. Sie waren einfach zu geil aufs Breitwerden, um zuvor solch eine Lahme Enten-Aktion einzuschieben, die eine halbe Minute in Anspruch nahm. Eine halbe Minute weniger breit war eine halbe Minute weniger breit.

Noch Fragen.

Es gab Blower, die sich gleich ein halbes Gramm aufs Blech packten, einen richtig kleinen Hügel bauten. Sobald das Pulver heiß wurde und sich verflüssigte und zur dunkelbraunen, nach bitteren Mandeln oder aufgekochten Wundpflastern riechenden dampfenden Pampe geworden war, liess man es über die Alufolie hin und her rollen, von links nach rechts, wie eine Schiffsschaukel auf der Kirmes, immer verfolgt vom Mundröhrchen, durch das der Heroinrauch angestrengt eingezogen wurde: Ein Ritual, das weltweit als „den Drachen jagen“ bekannt wurde.

Drachenjäger sind geduldige Leute. Je nach Menge, die man sich aufs Alu streut, kann eine Prozedur zwanzig Minuten dauern bis nur noch ein letzter öliger Klecks Heroin samt Streckmittel übrigbleibt, der in einer gewaltigen Orgie von Qualm aufgeht und sich in die Lunge frisst, ein wilder zügelloser Moment, ein ultimatives Zumachen. Allein das Schreiben darüber und die Erinnerung lässt mich nach hinten wegkippen und lang aufschlagen.

Dann gibt es noch die Punktraucher. Ringo war ein Punktraucher. Ringo hatte gerade 2 Jahre Haft hinter sich und jobbte in einem Elektronikfachmarkt. Ich traf ihn spätabends bei einem gemeinsamen Bekannten, von dem ich bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung hatte, dass er ein gemeinsamer Bekannter war.

Alles war schon bereit zum Aufbruch, als mir diese Bahn Alufolie in die Hand fiel, über und über mit rußig-schwarzen, kaum nagelkopfgroßen Punkten bedeckt. Sie lag direkt vor Ringo auf dem Tisch.

„Was hast du denn da fabriziert?“ fragte ich. Es sah nach einer ungeheuren Fleißarbeit aus. Vor lauter schwarzen Punkten war kaum noch das Alu darunter zu entdecken.

„Der Ringo ist Punktraucher“, meinte Kilian krächzend. Er lag schon auf der Matratze, die er sich aus dem Schlafzimmer rübergeschoben hatte, um nichts zu verpassen, jetzt wartete er nur noch darauf, dass wir endlich die Biege machten. Es ging ihm nicht gut. Er war schwer erkältet. Es war fast ein Witz: da war man bis zum Kragen voll mit Morphin, fing sich aber einen Schnupfen, der einen umhaute. Schon am Tag zuvor, als Kilian vor mir die Treppe hinaufgestiegen war, kam er mir wie ein alter Mann vor, wie er sich da bewegte, ein krummschnabeliger lahmer alter Papagei, der dem Käptn auf der Schulter hockte.

„Hat der Glumm mal wieder nichts mitgekriegt, wah?“ tönte Ringo und erklärte mir kurz das Wesen der Punktraucherei. Hierbei streute man nur wenig Pulver aufs Blech, gerade mal eine halbe Messerspitze. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Beim Blowen größerer Mengen passierte es immer wieder, dass man den aufsteigenden Heroindampf nicht zu 100 % erwischte, dass etwas daneben geriet, wenn man den Drachen jagte. Das war doppelt ärgerlich. Zunächst geriet es natürlich nicht in die Lungenbläschen, wo es hingehörte, zum anderen nicht ins Röhrchen, das selbst aus Aluminiumfolie angefertigt wurde, um das dort abgefangene, sich ablagernde Heroin nochmals rauchen zu können.

Die Punktraucherei war anstrengend. Anstatt die Schore auf dem Blech fröhlich hin und herlaufen zu lassen, musste man immer wieder nachlegen. Es war die reine Fließbandarbeit. Etwas für Stoiker. Ringo war tatsächlich der einzige konsequente Punktraucher, der mir je unter die Augen kam, und er gab es nach einer Weile ebenfalls auf. Genau wie ich stieg er bald vom Blowen aufs altbewährte Sniefen um.

Sniefen hatte den Nachteil, dass die Schleimhäute das Material erst verarbeiten und weiterreichen mussten, bis es endlich im Zentrum der Sucht andockte, und bis dahin vergingen gut 20 Minuten. Sniefen war eine langsame altmodische Geschichte. Der Vorteil: Die Wirkung hielt länger an. Wenn die Blower schon wieder an ihren Vorrat mussten, hingen wir Nasenzieher noch ganz entspannt im Fernsehsessel, mit dem Schädel auf die Lehne geknallt.

Ach Kinder, Sniefen war eine herrliche Angelegenheit. Schade, dass ich es kotzeleid bin.

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Die Leute wissen gar nicht, was das für eine scheiß Arbeit ist, Junkie zu sein. Das ständige Geldauftreiben, das ständige Auf-Achse-sein, das Warten und Leuten hinterhertelefonieren, denen du Geld mitgegeben hast, das ständige Abgezocktwerden und selber Leute abzocken, der ewige Schiss vor den Bullen und der Untersuchungshaft – und wofür? Nur, um nicht von jetzt auf gleich aus dem Himmel zu fallen und dir die Seele aus dem Bauch zu kotzen.

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