— it’s hell to pay when the fiddler stops —
Liebe Freunde des Postamtes von und zu Kangerlussuaq,
einmal mehr habe ich es nicht verstanden, dann aufzuhören, wenn es am Schönsten ist. Ich entschuldige mich dafür, dass Ihr nun schon eine Weile knöcheltief in Essig watet, und bedanke mich zugleich für diese rührende Treue. Der teure Wein ist ausgesoffen, zugeschüttet mit billigem Bier, und Ihr habt nicht gemerkt, dass ich vor einer Weile aufgehört habe mitzubechern … Denn aufräumen muss ich schliesslich allein. Seit Wochen habe ich hinter den Kulissen mit der Abrissbirne gewütet, und es hat mir noch einmal in aller Deutlichkeit bestätigt: gute dreieinhalb Jahre sind mehr als genug. Irgendwie, dem unvergleichlichen Elend zum Trotz, mag ich den Kater und den Mief nach Schweiss und Alk und Pisse und Saurem und kaltem Rauch. Jeder verdammte Knochen schmerzt, während man die Stühle in die Ecke stapelt und auf Knien hinter dem Fegbesen herrutscht, was sagt uns das?, genau: so fühlt sich das Sterben auf der Zunge an (Kater auf Französisch: gueule de bois), jetzt leben wir aber noch ein bisschen weiter mit diesem Schädelbrummen. Die nächste Party kommt bestimmt!
Selbstverständlich bräuchte ich keine Gründe, um mich zu entnetzen. Ich habe jedoch derer viele und triftige, vorwiegend literarische, aber auch persönliche, theoretische, technologische, monetäre. Ausbreiten werde ich sie hier nicht. Eins der Dinge, gegen die ich netzliterarisch eine starke Abneigung hege, ist gerade der Metaismus. Ich gebe zu, dass ich gern in anderer Schriftsteller Nähkästchen hineinspannere, bin jedoch nicht bereit, meine eignen Fingerhüte dem öffentlichen Büchsenschiessen zur Verfügung zu stellen. Vielleicht ist es dumm, ausgerechnet jetzt auszusteigen, da Netzliteratur gerade zunehmend seriös rezipiert, literaturtheoretisch fundamentiert und technologisch immer wildmöglicher wird. Dann wiederum erscheint mir dieser Zeitpunkt erst recht logisch. Einmal muss man eine Entscheidung treffen. Alls oder nix, ich mache keine halben Sachen. Ich, die ich die Erst- bis Drittfassungen stets mit Tinte auf Papier schreibe, bin retro bis ins Mark. Dass die Götter meine gedruckte Zukunft mittelfristig gesichert haben, dass sogar der eine oder andere honorierte Papier-Auftrag hereintropft, zeigt mir umso mehr, dass die Richtung stimmt. Auf die Winke der Götter muss man achten und ihnen Folge leisten.
Einen Roman im Lektoratsofen ausbacken, einen nächsten im Teigkessel anrühren, die hier entwickelte Kleine Form in andere Kalamitäten überführen, stilles Studium, lange Spaziergänge. Noch längere Briefe. Zwei Liebhaber oder auch vier. Ausflüge zu Orten, an denen höchstens Einer vor mir war. Hin und wieder ein heimliches Besäufnis. Das ist mehr, als ich mir je gewünscht habe. Ich freue mich auf das kommende Jahr. Der Blogentzug der letzten Wochen verlief komplikationslos, jetzt bin ich nicht einmal mehr wehmütig.
Ich danke zuallererst meinen Lesern, den bekannten und unbekannten, den bunt Kommentierenden wie den Stillschweigenden und denen, die es vorzogen, mir ihre Kommentare persönlich zu schicken. Ich danke für Eure Gedanken und Ideen, für Eure guten Wünsche, für das aufrichtige Lob (es fällt mir kein Zacken aus der Krone, wenn ich zugebe, dass mir das gutgetan hat) und mindestens ebenso für den fundierten Tadel (der mich nachhaltig weiterbrachte).
Ich danke den Litblogs-Herausgebern Christiane Zintzen, Hartmut Abendschein und vormals Markus A. Hediger für ihre riesige und grossartige Arbeit.
Und ich danke denjenigen schreibenden Netzkollegen, mit denen ich in intensivem oder sporadischem Austausch stehe oder stand. Ich wage es nicht, sie aufzuzählen, aus lauter Angst, es könnte mir der eine oder andere mir teure Name unters Eis gehen. Das war (und ist hoffentlich weiterhin) literarisch überaus fruchtbar, aber wichtiger noch: menschlich. Menschlich. Menschlich. Schön!
Zigilliardenmal DANKESCHÖN! Ich verbeuge mich vor Euch. Wünsche allen das Blaue vom Himmel herunter und die Sterne (diese alten Schweine, denen wir Schnuppe sind), das Beste für 2010 und überhaupt. Bevor jemand losweint, ich kann das nicht ertragen!: tschüss, and thanks for all the beef!,
allzeit Eure treue Dienierin: La Tortuga
Leonard Cohen: Closing Time
Addendum, die Logistik:
1) Bis die geplante archaisch-simple Netzseite steht, bleibt das Postamt vorerst offen. In aller Stille werde ich noch verkleckerte Tischtücher wegräumen, volle Aschenbecher leeren und soweit nötig Bio und Biblio aufdatieren.
2) Mein (sehr) unregelmässiger Niusledder “Karavelle aus Svalbard” kann nun selbstverständlich auch von Postamt-Freunden abonniert werden. Die Karavelle richtete sich bisher an Verwandte und Freunde und war deshalb persönlich gefärbt. Dies möchte ich gern fürderhin so halten und bitte daher jene Leser, die ich nicht in natura oder durch langjährigen Schriftkontakt kenne, Klarnamen und Adresse anzugeben.
Postfach: conrads punkt harlequin at gmail punkt com