Hans Olde: Radierung nach der Fotoserie
“Der kranke Nietzsche“, 1899 ( CC )
Als Friedrich Nietzsche das Gedicht “Narr in Verzweiflung” 1882 der “fröhlichen Wissenschaft” als “Vorspiel in deutschen Reimen” beigab , konnte er freilich nicht wissen , dass er sich kaum sieben Jahre später in der Jenaer Nervenklinik Otto Binswangers wiederfinden würde .
Diagnostiziert wurde progressive Paralyse ( Syphilis ) mit dem Effekt starker bipolarer Störungen und fortschreitender Demenz . Legendär sind seine “Wahnzettel”: offensichtlich wirre Worte , welche er an Freunde wie Franz Overbeck oder Jacob Burckhardt übersandte .
Friedrich Nietzsche : Narr in Verzweiflung
Ach! Was ich schrieb auf Tisch und Wand
Mit Narrenherz und Narrenhand,
Das sollte Tisch und Wand mir zieren ?Doch i h r sagt: “Narrenhände schmieren, -
Und Tisch und Wand soll man purgieren,
bis auch die letzte Spur verschwand!”Erlaubt! Ich lege Hand mit an, -
Ich lernte Schwamm und Besen führen,
Als Kritiker, als Wassermann.Doch wenn die Arbeit abgethan,
Säh’ gern ich euch, ihr Überweisen,
Mit Weisheit Tisch und Wand besch …
Angesichts der in der Krankenakte immer wieder protokollierten Verhaltensauffälligkeiten wie “Koth geschmiert” ( 1. 4. 1889 , 16. 7.) , “Beschmiert s[ich] mit Koth” ( 27. 4. , 3. 8. ) sowie von Kritzeleien an der Wand muss der “Narr in Verzweiflung” als peinsame Prophetie erscheinen .
Noch im selben Jahr wird Friedrich Nietzsche zu Jena gerichtlich entmündigt .
Die hier dargelegte Engführung von Krankheit und Werk zählt freilich zu jenen ( und oft trügerischen ) Methoden der Spurensuche , welche retrospektiv das Werk nach vorausflimmernden Indizien durchkämmen . Gerade dieser philologische Wahnsinn hat im Hinblick auf Geisteskrankheiten grosser Gestalten ungebrochen Methode : Im pathetischen Paradigma der Psychiatrie ist keine Unschuld vorgesehen .
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- von Christiane Zintzen
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