Rupert Spiegelberg – Rupert an den Toren der Morgendämmerung

Gleich pfeift er die Winde los, das hat er versprochen, vorher will er noch den Kompost nach draußen tragen. Die Hitze hier am Ende der Welt macht aus einem beim essen übriggebliebenen Blumenkohl einen entsetzlich stinkenden Nachtisch, um den die Fliegen kreisen, in dem sie auch geboren werden. Schlecht ist es um mich bestellt, sagt sie Rupert alle zweieinhalb Tage, schnappt das schlanke Körbchen mit dem organischen Zerfall und verlässt für einen der wenigen Momente die Höhle der Guanchen. Das ist auch schon genug der Flucherei, “Schlimm ist es um mich bestellt”, nachdem ihm Graf Philipp von Spiegelberg im Traum erschienen ist. Da lag er wie angewurzelt in seinem Bett, die Augen – das wettet er noch heute – aufgerissen wie unter dem Einfluss von Atropin – um ihm zu sagen, dass er selbst zwar 1557 in der Schlacht bei Saint-Quentin gefallen sei, aber das mitnichten bedeute, dass damit derer von Spiegelberg der Erdscheibe abhold geworden seien. “Eingemündet sind wir in derer Von der Lippe, die unser Hab und Gut, und die Stühle und das Silber und das alles wiederum nach derer Von Nassau verschacherten, oder was glaubst du, warum unser Hirsch in deren Wappen gepfercht ist, häh?”
Rupert, der ohnehin kaum etwas glaubte, hatte überhaupt keine Vorstellung von einem Wappen, Wappen waren ihm richtig richtig egal. “Wer … was …?” Philipp wartet, er hat im Jenseits den Vorteil bequemer Zeitempfindung, aber es wird kein Satz. “Du träumst nicht! Du denkst doch nicht etwa im Traum daran, dass du mich hier erträumst! Ich habe dir etwas wichtiges mitzuteilen. Ich bin so etwas wie dein achtmalgrößter Ahn. Sagt dir das etwas?”
Rupert ächzt, fühlt sich schwer, sein Lufthunger nimmt zu im Angesicht des Wesens, das Müttern die Milch zu stehlen im Stande sein könnte. Aber immerhin war das sein erster Traum von einem maximilianischen Riefelharnisch-Typen, vielleicht lohnte es sich schon aus diesem Grund, morgen eine Imperium-Flasche Sekt aufzutun und damit den Namen des Grafen zu gurgeln. Im Moment wüsste er nur zu gern, wie er dieses Gespenst verscheuchen sollte. “Aufwachen!” Der Ritter ist verblüfft, verschränkt die Arme, steht da wie Tempora auf Elfenbein und wartet, bis Rupert sich noch einmal zum Erwachen ruft. “Rupert, das ist hier keine Gaudi. Morgen schon musst du dich und deine Flöte packen, um mir auf die Kanarischen Inseln zu folgen. Dort wirst du nicht weniger zu tun haben, als die Winde loszupfeifen.”
Als er am nächsten Tag erwachte, war der Keim der großen Schicksalsnacht bereits durch Wasser, Wärme, Sauerstoff und Alptraum zu einer Sprossachse geworden.

Wandern, ach Wandern weit in die Fern
Wandern, ach Wandern all über all,
weiter nur eilen durchs ganze Land,
nie lange verweilen, von niemand gekannt.
Nicht Heimat, nicht Liebe beward mir zuteil,
nur immer Wandern rastlos in Eil.

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