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Beitrag vom 2. April 2010 | Rubrik: Hörbücher, Literarisches Leben

Argon Verlag verschenkt ein Hörbuch von Cory Doctorow – für 9.000 Euro

Hörbuch: "Little Brother" - Demnächst ungekürzt und kostenlosEs ist erfreulich, dass es dem us-amerikanischen Science-Fiction Autor Cory Doctorow immer wieder gelingt, dass auch seine deutschen Verlage neue und nicht nur kommerzielle Wege des Buchvertriebs gehen.

Bereits sein Werk »Upload« konnte neben der normal käuflich im Handel zu erwerbenden Taschenbuchversion kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Jetzt will der zum Holtzbrinck-Konzern gehörende Argon Verlag die Hörbuchversion von Doctorows jüngstem Werk »Little Brother« in der ungekürzten Fassung kostenlos zum Download anbieten. Das Hörbuch wird gesprochen von Oliver Rohrbeck, der vielen als »Justus Jonas« der drei Fragezeichen-Hörspiele bekannt sein dürfte.

Einzige Bedingung des Argon Verlags: Vom 26. April bis zum 16. Mai 2010 müssen für die Produktion Spendengelder in Höhe von 9.000 Euro eingehen.

Netz-Aktivist und Buchautor Cory Doctorow kämpft gegen die Gängelung der Verlage

Buchautor Cory Doctorow setzt sich schon seit Jahren u.a. vehement dafür ein, dass Leser im Zeitalter der elektronischen Bücher von den Verlagen und Buchhändlern nicht über den Tisch gezogen werden.

Cory Doctorow ist einer der energischsten Kämpfer gegen das Digitale-Rechte-Management (DRM). Diese »digitalen Fußfesseln« von Dateien wie Musik-Downloads oder eBooks schränken die Nutzung der Produkte in unterschiedlichster Form ein. So kann das Abspielen oder Lesen auf eine bestimmte Anzahl von Geräten beschränkt sein oder im Kleingedruckten ist zu lesen, dass der Käufer das Produkt nur »mietet«. Eine digitale Bibliothek löst sich in Luft auf, wenn der Leser seine Monatsgebühren nicht mehr zahlt.

Auf Konferenzen rund um den Globus streitet Doctorow für alternative Lizenzformen wie Creative Commons. Wer ein Produkt kauft, der muss damit machen dürfen, was er will und darf nicht durch Verlage oder digitale Wiederverkäufer gegängelt werden.

Und Cory Doctorow beweist durchaus, dass es kein Widerspruch ist, dass ein Buch in der kommerziellen Form auf der New-York-Times-Bestsellerliste stehen kann, während es gleichzeitig legal und digital im Netz erhältlich ist – ohne DRM-Einschränkungen.

Sein Buch »Little Brother«, in dem die USA unter dem Deckmantel der Terrorabwehr zum totalen Überwachungsstaat geworden ist, kann kostenlos in den unterschiedlichsten Formaten heruntergeladen werden, von der einfachen Textfassung bis zum epub-Format für elektronische Lesegeräte.

Diese Form der so genannte Creative-Commons-Lizenz erlaubt es auch, das Werk weiter zu bearbeiten, wenn dies zu nicht kommerziellen Zwecken und unter Nennung des Original-Urhebers geschieht. Außerdem muss das Ergebnis ebenfalls wieder der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich gemacht werden.

Was eine solche Lizenz vermag und welche Auswirkungen sie auch auf den deutschen Markt hat, kann im Netz wunderbar nachverfolgt werden. Christian Wöhrl übersetzte das Werk ins Deutsche. Die PDF-Version ist selbstverständlich kostenlos herunterzuladen. Fabian Neidhardt wiederum machte sich daran und sprach das Hörbuch auf Basis dieser Übersetzung ein. Diese ungekürzte Hörbuchfassung ist ebenfalls frei im Netz erhältlich.

Kommerzielle und nicht-kommerzielle Buchversionen sind kein Widerspruch

Damit erfüllt sich Doctorows Credo. Der sagte in einem Interview mit jetzt.de: »Mein Problem ist nicht Piraterie, sondern Unbekanntheit: Wenn Leute meine Bücher nicht kaufen, liegt es wahrscheinlich daran, dass sie noch nie davon gehört haben und nicht daran, dass ihnen jemand eine elektronische Version umsonst gegeben hat.« Doctorow bringt daher lieber selbst kostenlose Versionen in Umlauf.

Doch auch auf dem deutschen Buchmarkt gibt es neben der kostenlosen Version eine kommerzielle Taschenbuchausgabe im Rowohlt Verlag, die nicht als CC-Lizenz verfügbar ist und an der der Autor verdient. Rowohlt fertigte hierfür eine eigene Übersetzung an.

Auf Basis dieser »kommerziellen« Übersetzung hat der Argon Verlag ein ebenfalls kommerzielles und professionelles Hörbuch mit Profi-Sprecher Oliver Rohrbeck produziert. Als gekürzte Hörbuchfassung ist diese Version ab dem 12. Mai 2010 auf CD zum Preis von 19 Euro 95 im Handel erhältlich.

Und nun beginnt das Experiment: Argon beabsichtigt eine ungekürzte Version des Hörbuchs kostenlos für alle zum Download bereitzustellen. Im Blog zu dieser Aktion gibt Argon an, dass die Mehrkosten für die ungekürzte Fassung inkl. Produktions-, Personal und Lizenzkosten bei 9.000 Euro liegen. Kommt dieser Betrag durch Spenden zusammen, so wird es diese ungekürzte Fassung zum kostenlosen Download für jedermann geben. Kommt das Geld nicht zusammen, so bleibt es bei der gekürzten Fassung auf CD.

Ein Widget informiert über den aktuellen Spendenstand

Argon betont, dass die 9.000 Euro selbstverständlich nicht die Gesamtkosten der Produktion seien. Die gekürzte Fassung und die Kosten hierfür bringe man als Verlag in die »freie« Version mit ein (siehe auch Kommentar des Verlags).

Ein Experiment, über das der Argon Verlag schreibt: »Die Idee dieses Vorgehens entstammt der Open Access Bewegung und nennt sich Street Perfomer Protocol. Es ermöglicht die Produktion kostenintensiver kreativer Werke, die dann der Allgemeinheit kostenlos und ohne jegliche Restriktionen zugänglich gemacht werden sollen.«

Der aktuelle Spendenstand lässt sich dabei auf folgendem Widget ablesen.

Aber was ist, wenn die 9.000 Euro nicht erreicht werden? Ist das Spendergeld weg? Wird es einem guten Zweck gespendet?

Nein – es passiert gar nichts.

Realisiert werden die Spenden über den zu eBay gehörenden Bezahldienst PayPal. Indem man eine Spendensumme angibt, wird das Geld nicht gleich vom eigenen Konto eingezogen. Bis zum 16. Mai 2010 erteilt man PayPal lediglich die Option, dies zu tun. Übersteigt die Gesamtsumme die 9.000 Euro, wird das Geld eingezogen und das ungekürzte Hörbuch produziert. Wird diese Summe bis zum 16. Mai 2010 nicht erreicht, verbleibt das Geld auf den Spenderkonten, die Einzugs-Option verfällt und es gibt kein ungekürztes und für jedermann erhältliches Hörbuch.

Theoretisch reicht es, wenn 9.000 Leute nur 1 Euro spenden. Oder entsprechend wenige Leute entsprechen mehr.

Oder anders: Wenn 452 Menschen, anstatt die ungekürzte Version auf CD zu kaufen, die 19,95 Euro spenden, profitieren sie stattdessen von der ungekürzten Fassung – und sie stellen das Werk gleichzeitig der Allgemeinheit zur Verfügung.

Doch egal, wie das Experiment ausgeht, interessant ist es allemal und es wird sich zeigen, ob das Prinzip einer freiwilligen Zahlung funktioniert.

Wir vom literaturcafe.de haben uns im Kalender den Beginn des Spendenzeitraums, den 26. April 2010 eingetragen. Dann werden wir für das Projekt 19,95 Euro spenden.

Nachtrag: Kilian Kissling vom Argon Verlag hat unseren Bericht kommentiert.

Nachtrag vom 26.04.2010: Ab heute darf gespendet werden. Die 19,95 Euro von literaturcafe.de sind per PayPal angewiesen.

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10 Kommentare zu diesem Beitrag lesen

  1. DRY schrieb am 2. April 2010 um 20:31 Uhr

    Ja, ein sehr spannendes Konzept, welches der Argon-Verlag hier ausprobiert.

    Ein kleiner Hinweis am Rande: ihr schreibt einmal von einem Hörspiel. Es handelt sich allerdings um eine Lesung, kein Hörspiel.

  2. Redaktion schrieb am 3. April 2010 um 00:30 Uhr

    Vielen Dank für den Hinweis. Ist korrigiert

  3. Peter schrieb am 4. April 2010 um 13:12 Uhr

    Ich finde die Idee von Doctorow sehr gut, gerade was Creative Commons angeht. Leider scheint es in Deutschland im Bereich der Prosa da noch kaum was zu geben. Oder kennt jemand von euch entsprechende Bücher ?

  4. Peter schrieb am 6. April 2010 um 00:04 Uhr

    Ich habe mich, nachdem hier bislang keine Antworten eingetroffen sind, mal auf die Suche nach Prosa unter einer CC Lizenz gemacht und bin, abgesehen von Doctorows Werken, so gut wie nicht fündig geworden.
    Auf Englisch gibt es einiges, zum Beispiel das wunderbare Buch von Benjamin Rosenbaum: The Ant King and Other Stories (2008)
    http://smallbeerpress.com/books/2008/08/05/the-ant-king-and-other-stories-hc/

    Auf Deutsch ist mir nur der Prosaband von Arthur Missa: Formenverfuger/Formenverfüger (2008) in die digitalen Hände gefallen, der allerdings nur teilweise online zu lesen ist.
    http://www.archive.org/search.php?query=creator%3A%22Arthur%20Missa%22
    Ansonsten Fehlanzeige. Bisher.

  5. fabian Neidhardt schrieb am 9. April 2010 um 15:45 Uhr

    @Redaktion: Vielen Dank für die Erwähnung!
    @Peter: Ich würde mich auch über mehr deutsche CC-Bücher freuen, suche noch ein gutes für das nächste Hörbuchprojekt :)

  6. Kilian Kissling (Argon Verlag) schrieb am 13. April 2010 um 10:03 Uhr

    Liebe Leute,
    vielen Dank für diesen tollen Eintrag! Ich muss im Moment an allen Ecken und Enden erklären, was wir da machen und es tut gut, wenn jemand ohne meine Zutun unser Projekt mal korrekt und dann auch noch so positiv beschreibt.
    Ich habe noch ein paar winzige Anmerkungen:
    1. Zu den 9.000 €: Wir erhalten davon nur 4.500 €. Das entspricht unserer Investition. Die anderen 4.500 € gehen an den Verlag (Rowohlt) und Autor (Cory).
    2. Es ist mir wichtig, festzuhalten, dass die Idee für dieses Projekt nicht von Cory kam sondern von uns selbst. Natürlich war Cory sofort begeistert.
    Ansonsten: Helft uns weiter, indem Ihr von unserem Projekt erzählt!
    Beste Grüße
    Kilian

  7. Kilian Kissling (Argon Verlag) schrieb am 13. April 2010 um 10:06 Uhr

    @fabian: Empfehlung für ein neues Fanhörbuch: http://ebooks.contumax.de/03-duennes-eis.pdf
    Beste Grüße
    Kilian

  8. Ilja Braun schrieb am 13. April 2010 um 19:25 Uhr

    Hallo,
    mich würde interessieren, welche Länge das ungekürzte Hörbuch in etwa haben wird. Oder anders: Um wieviel Prozent ist denn die gekürzte Fassung gekürzt?
    Beste Grüße
    Ilja Braun

  9. Kilian Kissling (Argon Verlag) schrieb am 14. April 2010 um 10:08 Uhr

    @Ilja Braun: Die gekürzte Fassung ist um etwa 40% gekürzt. Ungekürzt hat das Hörcuh eine Dauer von ca. 11 Stunden

  10. ello schrieb am 26. Juni 2011 um 16:28 Uhr

    Crowdfunding scheint immer populärer zu werden. Richard Diamond, Terra Mortis, nun lese ich von dieser Aktion. Ist das wirklich die Zukunft des Hörspiels? Sollte man dann nicht lieber neue Wege suchen, etwas Hörspielähnliches zu produzieren?

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