Roman
Innsbruck, Wien: Haymon, 2014
352 Seiten; geb.
22,90 Euro
ISBN 978-3-7099-7028-7
Autorin
Leseprobe
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Dieses Buch fängt fulminant an. Schauplatz der Handlung ist ein herrschaftliches Anwesen in Sievering, das "aus dem Besitz einer vertriebenen Familie" stammt, und in das der junge Leon mit seiner Mutter einzieht. "Die fossilen Riesenzypressen umringten den mächtige Bau der Jugendstilvilla [...] Es wimmelte nur so vor Urzeit in diesem seltsamen Park, wo die Zeit an- und abebbte, ganz nach dem botanischen Gesetz der Pilze und Myzelien, Flechten und Moose." In diesem über-sinnlichen Garten betreibt Leons Tante Agnes, die Besitzerin des in der NS-Zeit enteigneten und angeeigneten Hauses, ein Altersheim für die besseren Kreise. Seine alleinerziehende Mutter, von ihm "Mamu" genannt, übernimmt in der Villa Aurelia eine Tätigkeit als Pflegerin.
Schon bald jedoch erweisen sich die Verschlingungen in diesem Buch als eher menschlicher und weniger vegetabiler Natur. Denn der launische und steinreiche Giovanni, ein Heimbewohner, wünscht sich aus unklaren Gründen auf seine alten Tage ein kleines Mädchen an seiner Seite. Und weil der alte Mann, der eine zwielichtige Vergangenheit als Faschist hat, ein zu erbendes Vermögen in Aussicht stellt, wird Leon nach anfänglichen Protesten von Tante und Mamu ein Schottenröckchen angezogen, seine Füßchen werden in Lackschuhe gestopft. Dann muss Leon mit Giovanni Tango üben. Die Szenen, die sich um die geheimen Gesetze der Anziehung und Abstoßung, die Drehungen und Windungen des Tango drehen, gehören zu den gelungensten des Romans.
Doch wenig ist eindeutig in Vom Gebrauch der Wünsche, auch nicht eindeutig böse - und so entspinnt sich trotz aller Zwielichtigkeit ein irgendwie herzliches Verhältnis zwischen dem Jungen und dem borstigen alten Mann. Dazu trägt auch die Anwesenheit der geheimnisvollen Irmgard bei. Leon verliebt sich unsterblich in die grazile 20-Jährige, die im Leben Giovannis eine nicht genau zu definierende Rolle spielt, und strebt an, sie eines Tages durch die Erbschaft, nun ja, kaufen zu können. Doch alles kommt ganz anders. Giovanni wird eines Tages in einer Blutlache gefunden, Leon erbt gar nichts, und Irmgard verschwindet spurlos. Der offensichtliche Mord wird niemals aufgeklärt. Unterdessen geht es mit der Villa Aurelia bergab, nicht nur, weil niemand mehr in die Räume des Ermordeten einziehen will, sondern auch, weil Tante Agnes keine glückliche Hand für das Geschäft hat.
Leon wird erwachsen, avanciert zum erfolgreichen Astrophysiker und Erfinder, heiratet eine gewisse Elsbeth, die sich ob ihrer Fixiertheit auf ihre erfolglosen Schreibprojekte nicht gerade einfühlsam um die drei gemeinsamen Kinder kümmert. Auf die erkaltete Liebe zur makellosen Elsbeth folgen Amouren mit einer gewissen Gudrun, einer gewissen Paula und gewissen anderen Frauen. Leons Leben bleibt von Halbheiten geprägt, in der Familie fungiert er als Hausmeister und später auch als liebevoller Vater - aber erst, nachdem eines seiner Kinder als Frühchen zur Welt gekommen ist. Die Wünsche aller Protagonisten bleiben unerfüllt, entpuppen sich als Hilfskonstruktionen, um das Leben zu ertragen. Meist werden sie noch nicht einmal klar artikuliert. Alle Beziehungen sind unterentwickelt und von Zufällen bestimmt, sowohl die verwandtschaftlichen wie auch die Liebesbeziehungen. Weil Leon seiner schwangeren Elsbeth ein Paar süße Babyschühchen von Nike schenkt, entscheidet sie sich für ihn und das Kind.
Lydia Mischkulnigs Sprache ist teilweise überbordend sinnlich und spielt gern mit Worten. Die Psychologie ihrer Figuren ist nicht stringent - dem mag man folgen, wenn man zugrunde legt, dass ihre Charaktere sich mit den Wellen des Zufalls mitbewegen wie die Algen auf dem Meeresgrund, ihre Handlungen deshalb keine besondere Konsequenz besitzen. Der Besitz des "arisierten" Hauses hat ebenso wenig Fortüne wie der Wunsch, Menschen besitzen zu wollen. Trotz seiner durchschlagenden Erfolge bei der Optimierung technischer Gegenstände und betriebswirtschaftlicher Prozesse und trotz seiner fortlaufenden erotischen Aktivität landet Leon am Schluss doch wieder beim Tango - der ihn allerdings näher an die Lösung seines Lebensrätsels führt, als er zunächst denkt.
Judith Leister
März 2014
Originalbeitrag
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