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![]() Der Kult
Rani öffnete die Augen. Zuerst glaubte er, ein Mondstrahl habe seine Nase gekitzelt. Lücken im Dach gab es genug, und die silberne Sichel hing majestätisch über dem Schattenkranz der Siebentausender. Doch dann wiederholte sich das Geräusch, das er noch nie zuvor in seinem Leben gehört hatte. ![]() Er kam aus den Schatten. Und war selbst nicht viel mehr als ein Schemen, die Illusion eines Mannes. Doch mit jedem Schritt, den er näherkam, wurden seine Konturen deutlicher, gewann sein nackter Körper an Substanz. Die junge Frau blickte ihm erwartungsvoll entgegen. Auch sie war bar jeder Kleidung – und nicht nur das. Ebenso nackt waren ihre Gedanken. Sie war ohne jede Erinnerung... ja, sie wusste nicht einmal, wer sie selbst war. Ihr ganzes Denken war vollständig auf die hochgewachsene, schlanke Gestalt fixiert, den Mann, der sie nun erreichte, den rechten Arm hob und über ihre Wange strich. Sie ließ es geschehen. Sie hatte keinen eigenen Willen. Sie existierte nur für den Augenblick. Er lächelte. Sein feingeschnittenes Gesicht spiegelte einen enormen Erfahrungsschatz wider. Besonders auffällig war ein fingerlanges, kreuzförmiges Stigma auf der linken Wange, das wie rohes Fleisch schimmerte. Sie fuhr mit einem Finger darüber, während seine Hand tiefer glitt, ihren Hals entlang, hinab zu einer ihrer vollen Brüste. Sie stöhnte auf, als er die Brustwarze berührte, sie zwischen zwei Finger nahm und sanft massierte. Auch seine zweite Hand ging jetzt auf Entdeckungsreise, fuhr über ihren Bauch und erreichte ihr Schamhaar. Hitze wallte in ihr auf, als seine forschenden Finger noch tiefer glitten und sie im Zentrum der Lust berührten. Ein Prickeln wie von kochendem Blut erfüllte ihren ganzen Körper. Blut... Ein Erinnerungsfragment tauchte in der Leere auf, die ihren Geist ausfüllte, doch sie war nicht fähig, danach zu greifen und es festzuhalten. Sein Gesicht war jetzt ganz dicht vor dem ihren. In seinen Augen schien ein Feuer zu brennen, das sie bannte. Das Sehnsüchte in ihr erweckte, die sie nie gekannt hatte. "Nona", flüsterte er heiser, und seine Lippen näherten sich den ihren. Nona? Ihr Name? Irgendetwas war falsch, ohne dass sie hätte sagen können, was. Es war nicht ihr Name. Sie wusste es mit einer Bestimmtheit, die keinen Zweifel zuließ. Trotzdem erwiderte sie seinen leidenschaftlichen Kuss. Sein kundiger Finger drang weiter in sie ein und weckte neue, schwindelerregende Gefühle. Seine andere Hand lag über ihrer Brust und presste sie zusammen. "Schließ die Augen und liefere dich mir aus. Ich will deine Alpha-Herrin sein – wie immer, wenn wir uns begegnen..." Erst im nachhinein kam ihr zu Bewusstsein, dass die Worte aus ihrem Mund gekommen waren. Worte, die ihr fremd waren, deren Sinn sie nicht begriff. Es schien, als habe etwas Fremdes in ihr gesprochen, nicht sie selbst. Der Mann löste sich von ihr und ließ sie behutsam auf den Boden sinken. "Du darfst alles", sagte er. "Nur nicht enttäuschen. Was habe ich zu tun?" Er breitete die Arme aus, wies die leeren Handflächen und demonstrierte unmissverständlich, dass er sich ihr – zumindest symbolisch – ergab. Ihr Blick wanderte an ihm empor und verharrte auf seinem hochgereckten Glied. Es war gewaltig. Zu der unbändigen Lust gesellte sich ein neues Gefühl. Würde er sie nicht verletzen, wenn er...? Falsch. Eine falsche Sicht. Wieder blitzte eine Erinnerung vor ihrem geistigen Auge auf. Das Gefühl, dies alles schon einmal erlebt zu haben. Aber aus einem anderen Blickwinkel. Nicht aktiv, sondern... passiv? Der Mann ließ sich vor ihr auf den Boden nieder, drehte sich und legte die Handgelenke hinter dem Rücken aufeinander. "Ich werde meine Zelte hier abbrechen, zumindest vorübergehend", sagte er wie beiläufig, während sie (nein, nicht sie: ihr Körper!) nach einem dünnen Schleier griff, der neben ihr lag, und damit seine Handgelenke kunstvoll zusammenflocht. "Es könnte fatale Folgen haben, noch mehr Zeit zu verschwenden. Das Balg läuft mir nicht fort. Sollen sich einstweilen andere an ihr versuchen..." "Von wem redest du ständig?", fragte ihre Stimme ohne ihr Zutun. Anscheinend verspürte er keine Lust auf Diskussionen. Trotz der Fesselung schnellte er sich ihr entgegen und riss sie mit sich zu Boden. Seine Lippen bedeckten ihren Körper mit unzähligen Küssen. Sie tastete nach seiner Männlichkeit und umschloss sie mit ihrer Hand. Kalt. Leblos. Der Gedanke ließ die Lust in ihr verpuffen. Er fühlte sich... tot an, nicht wie ein lebendes Wesen. Und plötzlich empfand sie auch seine Küsse nurmehr wie die Berührungen toten Fleisches. Ihr Körper hingegen kümmerte sich nicht um die Empfindungen. Sie wand sie laut stöhnend unter ihm. Sein Glied drängte gegen ihren Schoß, begehrte Einlass. Doch sie wollte es auf ihre Weise. Nach den Gewohnheiten ihrer Art. Sie drehte sich auf alle Viere und presste ihren Oberkörper zu Boden. Seine Fingernägel fuhren schmerzhaft über ihren Rücken und fachten die Begierde nur noch weiter an. Dann war er hinter ihr. Und obwohl sie ihn in dieser Position gar nicht sehen konnte, glaubte sie doch, ihn vor sich zu haben. So als wenn sie gar nicht am Boden läge, sondern... Hinter ihm wäre, einige Meter entfernt. In einem... Schrank!? Im gleichen Moment konnte sie spüren, wie er in sie eindrang. Der plötzliche Schmerz zerriss den Schleier um ihre Erinnerungen. Der Mann war... "Landru!" Sie schrak mit einem Schrei hoch. Um sie herum war Dämmerlicht. Und vor ihr... eine Sessellehne? "Ganz ruhig", klang neben ihr eine Stimme auf. Eine Hand legte sich schwer auf ihre Schulter, und im ersten Moment zuckte sie panisch unter der Berührung zusammen. "Was ist mit dir, Lilith?" Endlich gelang es ihr, die Verwirrung abzuschütteln. Sie wandte den Kopf. Neben ihr saß Duncan Luther und lächelte sie beruhigend an. Um sie herum herrschte die gedämpfte, schläfrige Atmosphäre eines großen Passagierflugzeugs auf Nachtflug. Lilith erinnerte sich jetzt. Die Anspannung fiel von ihr ab. Sie atmete tief ein und versuchte das Lächeln zu erwidern. Es gelang ihr nur schlecht. "Ist schon wieder in Ordnung." Ihre Stimme klang heiser und zitterte leicht. "Ich hatte einen... bösen Traum." Doch tief in ihr meldete sich eine gehässige kleine Stimme. War es das wirklich: nur ein Traum? Sie erinnerte sich nur allzu deutlich an die Szene: Als sie in Landrus Kammer in der entweihten Kirche eingedrungen war und ihn und die Werwölfin aus einem Versteck heraus beim Liebesspiel beobachtet hatte.* Nur – im Traum hatte sie sich nicht als Beobachterin erlebt. Sie war Landrus Geliebte gewesen. Das schien zu bestätigen, was sie schon bei ihrer ersten Begegnung mit den Mächtigsten der Vampire zu fühlen glaubte und was sie schon damals in Verwirrung gestürzt hatte: Landru war nicht nur ihr größter Gegner, der verhasste Feind, dessen Pläne sie durchkreuzen und den sie vernichten musste. Ebenso wie er sie abstieß, faszinierte er sie auch. Etwas in ihr, ein dunkler Teil ihres Erbes, fühlte sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Und das erfüllte sie mit einem tieferen Schrecken, als dass sie es einfach nur als Traum abtun konnte... [Zurück zum Buch] |
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