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Freaks

FREAKS
FREAKS

Adrian Doyle
Roman / Mystery

Bastei

VAMPIRA: Band 12
Heftroman, 64 Seiten

Okt. 2011, 2. Auflage, 1.60 EUR

Es war Mittag, und eine seltsame Stimmung schwebte über dem Platz.
Joey Grimaldi, der Direktor der Freak-Show, stieg die Treppe zu seinem Wagen hinauf und stellte fest, dass Fee nicht da war. Das allein war bereits ungewöhnlich, denn die Vampirin mied eigentlich die Gesellschaft anderer. Meist hielt sie sich innerhalb der vier Wände des Wohnwagens auf und ging nur zu den Vorstellungen unter die Leute.
Sie war eine Außenseiterin, aber Grimaldi hatte im Umgang mit diesem Menschenschlag Übung. Obwohl er sich alles andere als sicher war, ob Fee überhaupt ein Mensch war.
Seit sie zu seiner Truppe gestoßen war, florierte das vormals eher träge Geschäft. Ganz aus der Mode war seine Abnormitätenschau nie gekommen. Aber seit sich die Leute jede gewünschte Geschmacklosigkeit auf die heimische Mattscheibe zaubern konnten, war das Interesse doch spürbar zurückgegangen.
Fee hatte alles geändert.
Die Mundpropaganda bescherte ihnen seit Fees Mitwirken traumhafte Besucherzahlen. Grimaldi kam es auch vor, als hätte ihr Erfolg die anderen Freaks aus ihrer Apathie gerissen und würde sie zu eigenen Höchstleistungen beflügeln. Noch nie in den letzten Jahren waren alle mit so viel Engagement bei der Sache gewesen.
Oder – anders und weniger prosaisch ausgedrückt – mit so viel Futterneid.
Das war die Kehrseite der Medaille.
Fee war nicht überall gern gelitten. Es gab Strömungen unter den Freaks, denen ihre "Begabung" (Grimaldi wusste nicht, wie er es anders nennen sollte) einfach zu weit ging.
Auch der Direktor des "Fahrenden Volkes", wie das Unternehmen zu Zeiten seines Vaters und Großvaters genannt worden war, hatte Fees Erscheinung zunächst für gekonnte Maskerade, später dann einfach für unheimlich gehalten.
Aber er hatte Fees wahres Wesen schnell durchschaut. Seither liebte er sie, wie er noch nie zuvor einen Menschen (Menschen?) geliebt hatte.
Sie hörte zu, wenn er redete.
Sie redete, wenn ihm nur nach Zuhören war.
Und sie war die perfekteste Geliebte, die ein Mann sich vorstellen konnte.
Er goss sich einen noch heißen Kaffee aus der Kanne in eine bereitstehende Emailletasse und schlürfte ihn in Gedanken an die bevorstehenden letzten beiden Vorstellungen. Eine Woche an einem Ort genügte. Zudem sehnte sich Fee nach dem Meer, wie sie ihn hatte wissen lassen. Und Joey Grimaldi hatte ebenfalls Verlangen nach der Brandung.
Kurz setzte er die Tasse ab und sah sich innerhalb des Wagens um. Er wusste nicht, was, aber irgendetwas fehlte. Seit einiger Zeit schon beschlich ihn mitunter eine unerklärliche Leere. Nicht nur hier – überall auf dem Platz, den die Wagen eingenommen hatten.
Vielleicht, dachte er, sollte ich allmählich wirklich ans Aufhören denken.
Aber was würde dann aus all den verkrachten Existenzen werden?
Hin und wieder fochten Überzeugung und Zweifel gegeneinander, um herauszufinden, ob das, was er tat, moralisch überhaupt vertretbar war. Er zog den Leuten das Geld aus der Tasche, indem er bemitleidenswerte Entartungen ins Rampenlicht zerrte, wo sie gegen Eintrittsgeld bloßgestellt wurden. Zugleich aber bot er diesen Außenseitern ein Zu Hause und eine Zukunft...
Vertraute Schritte signalisierten Fees Rückkehr.
Als sie hereinkam, sah Grimaldi sofort, dass etwas vorgefallen sein musste.
"Wo warst du?"
Sie antwortete nicht auf die Frage.
"Wir brechen morgen in aller Herrgottsfrühe auf", fuhr er schließlich fort. Sein Blick wurde schwärmerisch. "Wir werden das Meer sehen!"
Um Fees Lippen bildete sich ein zurückhaltendes Lächeln. "Ich freue mich."
Sie kam auf ihn zu, um ihn in die Arme zu schließen. Er war selig. Und doch wieder nicht. (Etwas fehlte...)
Innerlich zerrissen, räkelte er sich schutzsuchend unter die ihn umgarnenden Schwingen.
Die Augen, die ihm dabei zusahen, bemerkten weder er noch Fee...

Szenentrenner


Aus sicherer Distanz warteten sie das Ende der laufenden Vorstellung und die Zerstreuung des Besucherstroms ab. Erst als sich die zum Parkplatz umfunktionierte Wiese geleert hatte, stieg Lilith aus.
Der Festplatz erhob sich auf einem kleinen Hügel außerhalb der Stadt. Selbst aus der Entfernung verströmten die im Kreis angeordneten Holzwagen einen merkwürdigen Charme, dem Lilith sich nicht einmal angesichts der Lage entziehen konnte.
Beth war im Auto geblieben.
Bei Tom.
Die Fahrt hierher war ein Alptraum gewesen. Alle Gespräche, alle Gedanken waren um den toten "alten Jungen" gekreist.
Als Lilith den Eingang zwischen den Wohnwagen erreichte, verstellte ihr ein seltsamer Mann den Weg. Er trug die blaue Latzhose eines Arbeiters, aber er war mehr. Lilith war sicher, dass er zu den "Attraktionen" gehörte. Aber offenbar war dies ein Selfmade-Zirkus, wo auch die "Stars" mit Hand anlegen mussten, um den Betrieb in Gang zu halten.
"Sie kommen zu spät", sagte der Mann mit rauchiger Stimme. Seine Haut war großporig, und seinen Kopf verunstaltete etwas, das aussah wie ein feuriger "Hahnenkamm": ein dicker, stark durchbluteter Hautwulst mit den ungefähren Umrissen eines aus Zeitungspapier gefalteten Schiffchens. Unzweifelhaft war es mit der Kopfhaut verwachsen. Und ebenso unzweifelhaft hatte sich Liliths Gegenüber noch immer nicht damit abgefunden. Gerade die Konfrontation mit einer außergewöhnlich attraktiven Frau schien schlagartig alle Komplexe in ihm hochzuspülen. "Gehen Sie und kommen Sie heute Abend wieder. Um acht läuft die letzte Vorstellung. Morgen ziehen wir weiter!"
Sie ließ ihn ausreden. Aber danach schüttelte sie den Kopf. "Ich komme nicht, um die Zeit totzuschlagen. Ich suche den Chef."
"Wollen Sie sich bewerben?"
"Das hat mich schon einmal jemand gefragt. Muss ich darauf antworten?"
"Was wollen Sie von Grimaldi?"
"Es geht –", Lilith zögerte, "– um seinen Sohn."
Der Mann mit dem unfreiwilligen Kopfschmuck wirkte sehr bestimmt, als er erwiderte: "Das muss ein Irrtum sein, Lady. Grimaldi hat keinen Sohn. Nie gehabt!"
Lilith versuchte sich ihre Verblüffung nicht anmerken zu lassen, obwohl die Äußerung ihr Gehirn ankurbelte. "Ich muss ihn trotzdem sprechen!"
Offenbar schien sich bei ihrem Gegenüber die Erkenntnis durchzusetzen, dass es bequemer war, wenn er Grimaldi selbst sich mit der Unbekannten herumschlagen ließ.
"Wo finde ich ihn?", fragte Lilith, ehe er sich anders besann.
Der Mann zeigte auf einen Wagen, der keine Idee nobler aussah als alle übrigen. "Dort müsste er um diese Zeit sein. Nach der Vorstellung legt er sich immer ein bisschen lang..."
Sein anzügliches Grinsen deutete Lilith so, dass Grimaldi sich offenbar nicht allein langlegte.
Es war ihr egal. Sie hatte andere Sorgen.
Und diese Sorgen vertieften sich, als ihr Blick eher zufällig eine der Tafeln streifte, auf denen eine Übersicht über die Attraktionen der Schau gegeben wurde.
Ein kalter Schauer rann über ihren Rücken.
Fee, die Vampirin...
"Diese... Fee", sagte sie belegt, ehe sie ihren "Wegweiser" stehenließ, "gibt es die wirklich?"
"Uns gibt es alle 'wirklich'", grunzte er.
Und ließ sie stehen.
Nein, dachte Lilith, während sie sich zur angegebenen "Adresse" aufmachte. Sie kann unmöglich echt sein! Eine Vampirin, die sich in aller Öffentlichkeit präsentiert!? Oder...?
Sie hatte kaum noch einen Blick für die überall herumlaufenden Abnormitäten. Ihre Augen, ihre Sinne suchten nach der typischen Ausstrahlung, mit der sie Vampire aus jeder Menschenmenge heraus erkennen konnte.
Sie fand keinen Hinweis, außer einem vagen Gefühl, dass hinter den Kulissen dieser Freak-Show ein seltsames Missverhältnis an sichtbarem Tohuwabohu und geradezu drückendem Schweigen herrschte. Etwas Lähmendes lag über dem nur oberflächlich umtriebigen Geschehen. Etwas Lähmendes in den Köpfen...
Sie erreichte den Wagen des Direktors – verfolgt von Blicken, die sie anstarrten, als sei sie eine Entgleisung der Natur.
Was sie – genaugenommen – auch war.
Lilith klopfte gegen die verglaste Tür, hinter der ein Vorhang die Sicht nach innen verwehrte.
Grimaldi hat keinen Sohn, wisperte es in ihren Schläfen, als Schritte erklangen und die Tür geöffnet wurde.
Lilith war überrascht von der stattlichen Erscheinung. Der Vater hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Sohn.
Die Worte, die sie sich vorher zurechtgelegt hatte, wollten ihr nicht von der Zunge. Schließlich erklärte sie eher unbeholfen: "Tom ist... tot."
Er sah sie an, als erwarte er einen Nachsatz. Als dieser nicht kam, sagte er mit sonorer Stimme: "Das tut mir leid. Wer ist Tom?"

Szenentrenner


Fee betrat die Aservatenkammer ohne Joeys Wissen.
Teilweise martialische Accessoires, die in den Vorstellungen Verwendung fanden, wurden hier aufbewahrt.
Fee hätte nicht zu sagen vermocht, was genau sie hierher trieb. Seit sie zu dieser Wanderschau gestoßen war, litt sie unter dem eigenartigen, manchmal regelrecht bedrohlichen Gefühl, beobachtet zu werden.
Belauert.
Anfangs hatte sie geglaubt, es handele sich um einen der Freaks, die ihr vom ersten Tag an mit Neid und Misstrauen gegenübergetreten waren.
Fee war der Star der Show geworden, ohne viel dafür tun zu müssen. Joey hatte sie es zu verdanken, dass sie ihre "Natur" weitgehend ausleben konnte und dennoch eine Zuflucht mitten in der Menschenwelt gefunden hatte.
Eine Zeitlang war alles gut gewesen. Doch inzwischen fand sie nicht einmal mehr nachts ihre Ruhe. Ob allein oder in Joeys Gesellschaft, sie konnte die Gefahr, in der sie schwebte, beinahe greifbar spüren!
Genaugenommen hatte diese Eskalation mit Toms Verschwinden begonnen. Vor knapp zwei Wochen.
Was Fee bei der Suche nach dem Vermissten in einem Tal nahe Mallwyd entdeckt hatte, hatte ihr schier den Atem stocken und das schwarze Blut in ihren Adern gerinnen lassen.
Noch immer überfiel ein Zittern ihren Körper, wenn sie an die Geburtsenergie dachte, die sie dort in gebündelter Form vorgefunden hatte.
Ein grauenhafter, für menschliche Augen aber vollkommen unsichtbarer Schlund hatte sich mitten in der Heidelandschaft aufgetan.
Etwas anderes als dieser Schlund konnte nicht hinter Toms Verschwinden stecken. Die Lange Paula hatte ihn zuletzt in unmittelbarer Nähe des schrecklichen Phänomens gesehen. Seither wurde er vermisst. Wenn auch nur noch von Fee. Allen anderen, auch seinem Vater, hatte sie die Erinnerung an Tom Grimaldi genommen.
"Hier ist auch nichts", murmelte sie und wandte sich wieder dem Ausgang zu.
Sie wollte den Fuß bereits auf die erste Stufe setzen, als ihr Blick zu Joeys Wagen schweifte – und sie entsetzt zurückzucken ließ.
Einen Moment verlor sie fast den Halt unter den Füßen. Die Wände der Aservatenkammer schienen sprunghaft auf sie zuzukommen, und als sie sich wieder unter Kontrolle bekam, beherrschte nur noch ein Gedanke ihr Denken:
Sie haben mich gefunden! Es gibt kein Entkommen!
Ihr Blick haftete an einem Gegenstand, den sie vorher unter all den Requisiten nie bemerkt hatte, der ihr aber jetzt wie gerufen kam.
Wie gerufen, echote es in ihr, während die Angst sich zur Hysterie steigerte.
Sie griff zu.

Crossvalley Smith
Crossvalley Smith
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