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Ich, Creanna
Ich erinnere mich an den Schmerz der ersten Tage. An das Ziehen in meinen Gliedmaßen und in den Knochen, die fühlbar wuchsen, Tag für Tag und Nacht für Nacht. ![]() Viele Monde später, Deutschland Als wir Nürnberg erreichen, ist es Schlag Mitternacht. Ich brauche kein Uhr, um mir sicher zu sein. Ich bin eine Uhr. Ich bin so vieles, von dem ich selbst noch nichts ahne... Mutter hat erzählt, dass diese Stadt von einer riesigen Mauer umfasst würde. Aber als ich sie jetzt mit eigenen Augen vor mir aufwachsen sehe, spüre ich eine Beklemmung, wie ich sie nicht erwartet hätte. Menschen sollen diese Feste gebaut haben? Gegen andere Menschen? "Haben Sie denn keinen Kodex?", frage ich. "Manche behaupten, einen zu haben", erwidert sie ruhig und gelassen. Ich habe noch keine Frau unter den Menschen gesehen, die Mutter an Schönheit und Ausstrahlung auch nur nahe käme. Ihr Haar im Mondlicht ist von betörend kupferfarbenem Glanz. Keine Sonne vermag es besser in Szene zu setzen. Ihre Lippen sind voll (sinnlich?), und ihre Augen sind die einer unbezwingbaren Raubkatze. Ich habe Mutter einige Male nackt oder fast nackt gesehen. Sie hat große, schwere Brüste, deren Höfe fast so rot sind wie ihr Haar, nur von stumpferem Ton. Sie ist schlank und besitzt doch an den rechten Stellen die Üppigkeit des geborenen Weibes. Überall, wo wir hinkommen, entfacht ihr Anblick Bewunderung und Begehren. Wenn diese närrischen Menschen wüssten. Wenn sie wüssten, in welche Kriegerin sich Mutter jederzeit verwandeln kann...! Ich zügele den freien Lauf meiner Gedanken. Mutter fordert nicht zu Unrecht immer wieder Disziplin von mir. Disziplin... Ich verehre Mutter, aber ich hasse dieses Wort. Zwei Torwächter verstellen uns den Weg, als wir einen der vier Haupttürme inmitten der steinernen Stadtummantelung erreichen. "Hehda, wer kommt so spät...?" Die Stimme klingt furchtlos. Der Mann, der spricht, ist jung und stark, und er hält jetzt seine Laterne hoch, um uns in die Gesichter zu leuchten. Unsere Pferde scharren nervös. Mutter und ich sehen auch ohne künstliches Licht. Uns genügen ein paar Sterne - und weniger. "Lasst uns durch, wir suchen Unterkunft. Ein langer Weg liegt hinter uns." Schon Mutters Stimme lässt beide zusammenzucken. Dabei ist dies ihre nette Art, etwas zu fordern. "Kennt ihr jemanden in der Stadt?", fragt der weniger attraktive Wächter, der sich im Hintergrund hält und dessen Knochen mit so feistem Fleisch umhüllt sind, dass es einem jegliche Lust nimmt, ihn in Stücke zu reißen. "Ja, und jetzt lasst uns durch!" "Wen?" Sein Ton wird trotziger. "Nennt mir den Namen!" Er hat schwarzes, widerspenstiges Haar. Es passt zu ihm, aber es ändert nichts daran, dass er fett und unansehnlich ist. Vielleicht beschließt Mutter erst in diesem Moment, ihr Spiel mit beiden zu eröffnen. Rauchig sagt sie: "Er führt die Herberge am Tugendbrunnen bei der St. Lorenz Kirche. Karl Ortlieb der Name..." Er blickt immer noch zweifelnd, obwohl ihm der Name etwas zu sagen scheint. "Habt ihr Papiere?" Er ist bewaffnet mit einer Hellebarde. Ein lächerliches Spielzeug. Aber dies, sagt Mutter, soll auch die Stadt der Spielzeugmacher sein. "Steigt herab! Weist euch aus!" Geschmeidig gleitet Mutter aus dem Sattel. Ich verstehe nicht, warum sie sich dazu herablässt, dem Fetten das Gefühl zu geben, wichtig zu sein. Als ich ihr folgen will, fange ich den Blick des anderen auf. Zum ersten Mal sehe ich, dass jemand nicht allein gefangen ist von Mutters Erscheinung. Die Blicke dieses Jünglings haften an mir. Ein wohliger Schauder durchfährt mich. Hitze, die sich tief in meinem Unterleib sammelt. Ich wusste nicht, dass ich schon so weit bin, obwohl die Schmerzen in meinen Knochen schon seit Würzburg nicht mehr rumoren. Nach kaum merklichem Zögern stehe auch ich neben meinem rassigen Hengst. Mutters Stute tändelt nervös. Die Nacht ist kalt. Weiße Nebelfahnen lösen sich von den Nüstern der Tiere. "Du willst also", sagt Mutter zu dem Fetten, "dass wir uns ausweisen?" Sie trägt einen weiten Mantel über dem eng geschnürten Kleid. Ihr Haar ist hochgesteckt. Kleidung und Frisur ähneln der meinen. Dennoch komme ich mir plump ihr gegenüber vor. Sie hat eine unnachahmliche Grazie, sich zu bewegen, selbst wenn sie tötet. Der Fette nickt. "Es ist ungewöhnlich, dass zwei schöne Frauen nächtens ohne Schutz reisen." Mutters schallendes Lachen irritiert ihn zutiefst. Röte zieht sich über das weiche, von Bier und Schnaps aufgedunsene Gesicht. "Was gibt es zu lachen?", fragt er wütend. "Wer sagt, dass wir schutzlos sind? Du armseliger Bastard! Komm her!" Er kommt. Seine Haltung ist schlagartig devot geworden. So unterwürfig, dass es dem Jüngling, der in meiner Nähe steht, auffallen muss. Mutter hält plötzlich einen Dolch in der Hand. Der Fette glotzt ihn an. Mutter fasst die Dolchklinge vorn zwischen Daumen und Zeigefinger und hält dem Wächter den Schaft entgegen. "Nimm!" Er nimmt. Er stellt die Laterne auf den gepflasterten Boden. Seine schwieligen Hände schließen sich um den Griff des Dolches. Neben mir stöhnt der zweite Wächter, als müsste er einen bösen Traum abschütteln. "Und jetzt", befielt Mutter, ohne die Stimme zu heben, "zeig mir die Farbe deines Blutes." Der Fette zögert keine Sekunde. Er hebt den Arm und stößt sich die Spitze des Dolches dicht neben dem Kehlkopf in den Hals. Als der Stahl eindringt, scheint ein dunkler Funke von einem Auge ins andere zu springen. Dann röchelt er und lässt die Hellebarde, die er mit der anderen Faust immer noch gehalten hat, fallen. Neben mir wandelt sich leises Stöhnen zum wilden Aufschrei. Ich sehe, wie sich Grauen ins Gesicht des Jünglings malt. Wie hübsch er ist! Ich fange Mutters Blick auf. In diesem Blick liegt ein Befehl an mich. Ich begreife. Sie hat den Fetten aufgefangen, als wiege er nicht mehr als ein Sack Daunen. Nun presst sie ihre Lippen gegen die Wunde, aus der das Blut wie aus einem Quell schießt. Der Wächter lebt noch, sonst würde der köstliche Saft nicht so machtvoll aus dem Gefäß gepumpt. Der Jüngling neben mir hebt erneut die Stimme. Diesmal - ich ahne es -, um Alarm zu schlagen. Zugleich bringt er die Hellebarde in Anschlag, um sie in Mutters Rücken zu stoßen. Ich aber fühle es. Fühle den Zwang, Mutter beizustehen. Ein dunkler Laut aus meiner Kehle lässt den Jüngling einhalten und zu mir blicken. Seine Augäpfel treten aus den Höhlen. Ich weiß nicht, was er sieht. Aber es lähmt ihn. Ich gleite auf ihn zu, ohne dass er die geringsten Anstalten macht, mir auszuweichen. Sein Mund klafft wie die von einer Axt in einen Baum gehauene Kerbe. Aus dem Spalt dringen Töne, die mich anfeuern. Die mich - zusammen mit dem Geruch des guten Blutes, das von dem Fetten herüberströmt - in einen Rausch der Sinneslust verfallen lassen. Meine Arme umschlingen den Hals des Jünglings. Ich rieche die Ausdünstung, die sich in seinen Kleidern gesammelt hat. Ich rieche seine Angst und wage immer noch kaum zu glauben, dass Mutter mir erlaubt, es selbst zu tun. Das erste Mal kommt völlig unvorbereitet. Aber alles gelingt, als hätte ich es hundert Mal getan. Sein Hals ist muskulös, aber meine Zähne finden den Weg. Das Klopfen der prallen Ader zieht mich an. Es ist der unwiderstehliche Magnetismus des Blutes. Ich umklammere den Oberkörper meines Opfers, dass es keine Möglichkeit der Gegenwehr gibt. Laterne und Hellebarde sind auch ihm entglitten. Er spürt nur noch mich in seinen Händen, und ich spüre ihn. Spüre die Härte seiner Muskeln und den herben Duft seiner Haut. Noch fester presse ich meine knospenden Brüste gegen ihn. Er wird schwer und schwerer in meiner unüberwindlichen Umarmung. Längst schon schweigt er. Ich aber trinke und trinke, als hätte Mutter mir nicht erst gestern reichlich von dem Elixier geschenkt. Mein Durst wird erst durch einen abgründigen Gedanken gestoppt. Ich flüstere ins Ohr des Jünglings und lasse ihn zu Boden gleiten. Mutter ist auch fertig. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie dem Fetten das Gesicht auf den Rücken dreht. Dann nimmt sie seinen Hut und legt ihn dem Toten über die starren Züge. Rasch bücke ich mich und tue es ihr gleich. Unsere Pferde stehen noch dort, wo wir die Zügel losließen. In Mutters Augen funkelt es, als sie sagt: "Von nun an wirst du dir das, was dein Körper zum Leben braucht, selbst besorgen müssen. Du bist alt genug..." Ihre Worte bringen eine nie gehörte Saite in mir zum Klingen. Alt genug... Wie viele Wochen oder Monate sind das? Mein Körper ist in dieser kurzen Spanne voll erblüht. Mein Geist war es schon vorher. Mein Blick schweift zur Satteltasche von Mutters Stute. Ich weiß, was das matte Leder verbirgt und was es ausbeult. Ich weiß, was ich dem Kelch "Ist er tot?", fragt Mutter, ohne hinzusehen. "Ja." Die Lüge geht mir glatt von der Zunge. Ich säubere meinen Mund. "Dann komm..." ![]() Hinter Tor und Graben liegt die Stadt in bleiernem Schlaf. Das Schlagen der Hufe auf dem nassglänzenden Pflaster ist weithin das einzige Geräusch. Wir reiten durch enge Gassen, und über allem hängt der Gestank von Unrat. Nur der Mond erhellt die Straßen und die armseligen Fassaden der Häuser. Neugierig wandern meine Blicke über die Schilder der Gerber, Färber und Grobmetall verarbeitenden Handwerker. Schweigend erreichen wir die - ebenfalls dunkle - Herberge am Tugendbrunnen. Leises Plätschern lenkt meinen Blick auf steinerne Frauenbrüste, die Wasser in das runde Auffangbecken speien. Immer wieder hält Mutter kurz ein und lauscht in die Nacht, als könnte sie für mich unhörbare Schwingungen wahrnehmen. Ich weiß, dass wir vorsichtig sein müssen, denn schlimmer als die Menschen, die zu dieser Stunde in ihren Betten liegen, ist unsere Art. Sind jene, für die die Nacht zu den bevorzugten Zeiten der Jagd und der Ausschweifungen gehört... Mutter scheint einen siebten Sinn entwickelt zu haben, ihnen nicht zu begegnen. Mitunter glaube ich fast, sie steht in stummer Zwiesprache mit dem Kelch, der sie rechtzeitig vor Begegnungen mit Vampiren warnt. Das Herbergstor steht offen. Wir führen die Pferde in den verlassenen Innenhof. Hier erst hebt Mutter wieder die Stimme: "Warte", sagt sie. "Ich suche Karl." Sie huscht eine steile Außentreppe hinauf und verschwindet in der ersten Etage des dreistöckigen Hauses. Ich zurre die Zügel beider Pferde an einen Balken und laufe unstet durch den Hof. In der Nähe des Durchgangs, durch den wir gekommen sind, entdecke ich Vorrichtungen zum Besteigen und Entladen einer Kutsche. Überall züngelt Efeu die Fassade empor. Hühner gackern. Schritte signalisieren mir Mutters Rückkehr. In ihrer Begleitung ist ein gutgekleideter, etwa vierzigjähriger Mann mit markanten Zügen, dessen saubere Erscheinung nicht unbedingt den Sitten der Zeit entspricht. Die meisten Menschen, denen ich bisher begegnet bin, kennen Wasser nur zum Trinken. Sich damit zu waschen käme den wenigsten in den Sinn... "Das ist Karl", sagt Mutter und nickt in meine Richtung. "Und das ist meine Schöne, meine Hässliche: Creanna..." Er macht eine Verbeugung. Er gefällt mir. Ich ahne, dass ihn und Mutter mehr verbindet als eine flüchtige Bekanntschaft, der sie sich vorhin am Tor erinnert hat. Mit keinem Wort hat sie mir den Grund unserer Station in Nürnberg verraten. Aber ich brenne auch nicht gerade vor Neugier, es zu erfahren. Für mich ist alles, was ich sehe und erlebe, so unbeschreiblich neu und spannend, dass es mich fast erschlägt. "Ihre schöne Seite ist offensichtlich", lächelt Karl und zwinkert mir zu. "Aber wo finde ich ihre hässliche...?" Auch Mutter lächelt. Es ist ein Lächeln, das jedem anderen Menschen das Blut in den Adern erfrieren lassen könnte. "Bete, dass du es nie herausfindest." Karl lächelt ungerührt und führt uns nach oben. Er weist uns zwei getrennte Zimmer zu, die mich kaum mehr interessieren als ein Lager unter freiem Himmel. Für eine Herberge ist es auffallend still. Hinter keiner Tür dringt ein Geräusch zu uns. "Sind wir die einzigen Gäste?", frage ich. Er bleibt kurz stehen und mustert mich, als wollte er sichergehen, ob ich wirklich nicht weiß, wie es um sein Haus bestellt ist. Schließlich entblößt er wieder seine hellen Zähne. Auch sie sind gepflegter als alle, die ich von seinesgleichen bisher erblickte. "Nein. Aber sie schlafen. Man schläft prächtig Als er und Mutter gehen, zögere ich nicht, mich auf die harte Matratze des Bettes zu legen. Ich kleide mich nicht aus. Ich liege auf dem Rücken, verschränke die Arme hinter dem Kopf und lasse die Stationen unserer Reise von England hierher noch einmal Revue passieren. Darüber schlafe ich tatsächlich ein. Als ich die Augen aufschlage, ist es heller Morgen. Die Herberge ist erwacht. ![]() Nachdem ich noch eine Weile gelegen und den Geräuschen gelauscht habe, stehe ich auf. Durch die Ritzen der Fensterläden fällt Licht. Ich beuge mich vor und stoße die Klappflügel auf. Morgenkühle fächert mein Gesicht. Ich fühle mich etwas benommen, und in meinem Mund schwelgt der Geschmack einer Blutmahlzeit, die besser mundete als jede zuvor. Die Straße und der Platz um den Brunnen sind voller Menschen, und einen Moment ist mir, als sei dieser Tisch nur für mich ganz allein gedeckt. Laute Stimmen aus der Herberge lenken mich ab. Ich drehe mich um, gehe zur Tür und trete auf den düsteren, fensterlosen Gang hinaus. Als ich die Treppe erreiche, die sich bis hinauf in den dritten Stock windet, halte ich verblüfft inne. Die Treppe ist belagert von aberwitzigen Gestalten. Die meisten stehen, einige sitzen auf den ausgetretenen Stufen – es sind solche, die sich ihrer Gebrechen wegen nicht mehr für längere Zeit auf den Beinen halten können. Niemand hockt da, der es nicht müsste, denn es herrscht rauer Ton und Umgang unter den Wartenden. Dauernd schreit jemand auf, weil ihm ein anderer zu dicht auf den Pelz gerückt ist oder ihn getreten hat. Mein Unverständnis wächst, als einige der Gestalten meinen Blick erwidern. Eine besonders penetrante Musterung erfahre ich von einem dürren Tattergreis, bei dem abwechselnd das linke Augenlid und dann wieder der rechte Mundwinkel zuckt. Dieses Zucken muss ihn verrückt gemacht haben – so wie es mich nun binnen einer Minute nervös macht. Ich würde es besser ertragen, wenn nicht neben, hinter und über ihm andere stünden, die ebenfalls zuckten. Bei einem ist es das Bein, beim nächsten der Arm oder der ganze Kopf. Am komischsten wirkt ein schütterhaariger Mann, dessen beide ohnehin extrem abstehende Ohren ständig auf und ab hüpfen. Oder eine Frau, deren Kehlkopf dieselbe Bewegung vollführt... Erste boshafte Stimmen richten sich gegen mich. "Wo hat es dich erwischt, mein blondes Täubchen?", fragt der Lid-Mund-Zuckende. "Heb das Kleidchen, damit wir es sehen können...!" Hinter mir taucht Mutter auf und zieht mich weg. Ich bin mehr fasziniert als abgestoßen. "Karl wartet", sagt sie. Ich schweige, bis wir über die menschenleere Außentreppe den Hof erreichen. Karl Ortlieb lehnt gegen die überdachte Zahlstelle der Kutschstation. Er beißt auf einem Strohhalm und schleudert ihn von sich, als wir zu ihm treten. Ehe er das Wort erheben kann, frage ich: "Wer sind all die seltsamen Leute?" Er weiß sofort, wen ich meine. Sein Lächeln ist eine Spur zu arrogant. Dennoch gefällt er mir heute fast noch besser als bei unserer späten Ankunft. Er nimmt eine Tabakdose und tippt sich etwas von dem Inhalt auf den Handrücken. Geübt zieht er das Pulver durch die Nase ein und wiederholt den Vorgang, ehe er antwortet: "Im dritten Stock logiert derzeit ein Quacksalber, der sich auf Zuckungen spezialisiert hat." Er lächelt nun vage, sodass nicht erkennbar ist, was er von solcher Wissenschaft hält. "Er bat mich um Erlaubnis, für die Dauer seines Aufenthalts Kundschaft zu empfangen. Ich gab sie ihm." "Hat er schon jemanden geheilt?", frage ich, Mutters stillen Tadel ignorierend. "Er heilt nicht. Er deutet – und gibt Ratschläge", antwortet Karl Ortlieb. Dann löst er sich und tritt auf Mutter zu, deren Blicke sich von mir getrennt haben und nun über seinen in sauberes Tuch gehüllten Körper streicheln. Ich begreife, was die beiden auf jeden Fall verbindet. "Karl", sagt Mutter in diesem Augenblick, "wird sich deiner annehmen, solange ich fort bin." Ihre Worte lösen klamme Leere in mir aus. Mit keinem Gedanken kam mir bislang in den Sinn, Mutter könnte mich je allein lassen. Und sei es auch nur vorübergehend. Sie scheint meine Reaktion vorausgesehen zu haben. "Es muss sein", unterstreicht sie. "Gestern hast du bewiesen, dass du gut in der Lage bist, dich selbst zu versorgen. So lange habe ich abgewartet. Nun erfordern Zwänge, über die ich nichts Näheres sagen kann, meine Anwesenheit an anderem Ort. Aber ich kehre so bald wie möglich zurück. Karl –", sie blinzelt ihm eine Spur zu vertraulich zu, "– hat genaue Instruktionen. Er wird dir ein guter Lehrmeister sein. Nicht wahr, Karl?" Er wirkt sehr überzeugend in seiner Versicherung, nichts läge ihm mehr am Herzen. Nun, sein Herz interessiert mich. Besonders der Inhalt desselben... "Karl", liest Mutter meine Gedanken, "ist ein Freund. Ein Verbündeter. Richte dich danach bis zu meiner Rückkehr!" Ich nicke. "Versprich es!" "Ich verspreche es", sage ich – und weiß noch nicht, ob dies Wahrheit oder Lüge ist. [Zurück zum Buch] |
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