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Eine Rose im Winter
von Fran Henz

Crossvalley Smith Crossvalley Smith
© http://www.crossvalley-design.de
„Dimitri, du bist ein Narr.“
Juris Stimme klang verächtlich, doch Dimitri ließ sich davon nicht beirren. Seine Hand zitterte nicht, als er den zarten Stängel der Rose mit einem scharfen Messer durchschnitt.
„Wie willst du sie nach Sankt Petersburg bringen, der Frost draußen lässt die Luft klirren. Deine Rose ist Abfall, sobald du auch nur einen Schritt nach draußen machst.“
„Juri, du hast mich auch einen Narren genannt, als ich dir gesagt habe, dass ich mitten im Winter eine Rose ziehen werde.“ Dimitiri lächelte versonnen. „Du siehst, es ist mir gelungen.“
„Aber um welchen Preis.“ Juri sah sich um. Noch im Frühjahr waren unzählige Regale mit Büchern und einige wacklige Möbel in diesem Zimmer gestanden. Aber jetzt gab es außer einem Bett und einem Tisch nichts mehr – nur die seltsame Konstruktion seines Freundes, eine Art Ofen, der ohne Unterlass über ein Gestänge Wärme und Licht in einem gläsernen Kegel erzeugte. Und in diesem Kegel war bis vor wenigen Minuten ein Topf mit einem kleinen Rosenstock gestanden.
Der Raum selbst war so kalt, dass der Atem in dichten Wölkchen von Mund und Nase hing. Aber das bekümmerte seinen Freund Dimitri nicht. Dimitri sah nicht die Opfer, die er gebracht hatte, die verbrannten Bücher, die zerhackten Möbel. Er sah nur die Rose, die aus all dem entstanden war. Und die er heute Abend seiner großen Liebe überreichen wollte.
Ivana Perikowa, die berühmte Sopranistin. Sie hatte am Zarenhof gesungen und vor dem französischen König. Ihre Stimme rührte die Herzen der Menschen, ihre Schönheit öffnete ihr alle Türen. Heute Abend gab sie ein Konzert in der Oper von Sankt. Petersburg. Dort wollte Dimitri ihr seine Rose überreichen und kleines Billet mit einem selbstverfasstem Gedicht als Ausdruck seiner Verehrung. Sie würde die Bedeutung dieses Geschenks erkennen, das so einzigartig war wie sie selbst. Eine Rose im Winter.
„Ich trage sie an meinem Herzen, Juri. Siehst du?“ Dimitri schob sein Hemd zur Seite und bettete die Rose an seiner Brust. Darüber legte er die Hälfte eines geflochtenen Weidenkörbchens und zog das Hemd wieder an seinen Platz. „Hilf mir in die Jacke meines Anzugs, Juri, und bring mir den Mantel. Ich muss mich sputen, wenn ich die Postkutsche noch erreichen will.“
Sobald er angezogen war, riss er die Türe der Kate auf und stapfte ins Freie. Juri folgte ihm kopfschüttelnd. Die Luft klirrte vor Kälte, der Himmel leuchtete in mitleidlosem Blau.
Dimitri stieg in die Postkutsche und winkte Juri zu. „Wünsch mir Glück, Freund!“
Juri brummte etwas Unverständliches in seinen Bart und machte sich auf, seine eingefrorenen Knochen in Pjotrs Schankstube zu wärmen.
Szenentrenner

Am späten Nachmittag erreichte die Postkutsche Sankt Petersburg. Dimitri beschloss, die Zeit bis zum Abend im Bahnhof zu verbringen. Zwar war auch hier nicht geheizt, aber der Frost schnitt nicht so scharf in sein Gesicht wie auf den Straßen der Stadt.
Eine Teestube aufzusuchen konnte er sich nicht leisten. Seine letzten Münzen hatte er für die Kutschenfahrt ausgegeben, er machte sich keine Gedanken darüber, wie er zurück zu seiner Kate kommen würde. Nur das Hiersein zählte. Behutsam berührte er seine Brust. Unter den Schichten seiner Kleidung spürte er die Wölbung des Weidenkörbchens und einer sanften Liebkosung gleich die Blätter seiner Rose.
Er schloss die Augen und erinnerte sich, wie er Ivana Perikowa das erste Mal gesehen hatte. Es war bei einem Sommerfest des Fürsten Vaskerian gewesen. Er durfte dort als Stallknecht aushelfen und Ivana hatte mit ihrer wunderschönen Stimme ein altes Volkslied gesungen. Sie war auf der blühenden Wiese gestanden, die Sonnenstrahlen hatten ihr blondes Haar zum Leuchten und die Juwelen an ihrem Hals zum Funkeln gebracht.
Er hatte wie verzaubert gelauscht, Ivanas Stimme berührte sein Herz. Und seine Seele. An diesem Tag war es ihm nicht gelungen, mit ihr zu sprechen. Aber seitdem war er von dem Gedanken besessen, ihr ein kleines Geschenk zu machen, das seine Verehrung zum Ausdruck brachte.
Natürlich wusste er, dass seine Zuneigung – Liebe wagte er es nicht zu nennen – nicht erwidert wurde. Nicht erwidert werden konnte. Zu unterschiedlich waren die Welten, in denen sie sich bewegten. Aber ein Lächeln, ein Wort des Dankes aus ihrem Mund, mit ihrer Stimme - das war alles, was er sich wünschte.
Szenentrenner

Bei Anbruch der Dämmerung machte er sich auf den Weg. Einem Märchenschloss gleich lag das Opernhaus schließlich vor ihm. Helles Licht strömte durch die hohen Fenster nach draußen. Als er zum Bühnenausgang ging, hörte er leise Musik, die Ivanas Stimme wie ein kostbarer Rahmen umfing. Er lehnte sich an die Wand der Oper. Das Paradies konnte ihm keine größeren Freuden bereiten.
Applaus und Jubel mischte sich in die Musik und Dimitri verließ seinen Platz, um sich beim Bühnenausgang zu postieren, damit er Ivana Perikowa sein Geschenk überreichen konnte. Zu seinem Bedauern musste er feststellen, dass er nicht der Einzige war. Ein gutes Dutzend Männer drängte sich bereits vor der Tür zusammen. Dimitri sah Mäntel aus teurem Stoff mit Fuchskrägen und dicke Stiefel aus glänzend poliertem Leder. Er blickte an sich hinunter, sah seinen alten, schäbigen Umhang und die Fellstücke, die er um seine dünnen Schuhe gewickelt hatte. Dann straffte er sich. Es war nicht wichtig. Wichtig war sein Geschenk. Keiner der feinen Herrschaften hatte so ein wunderbares Kleinod.
Er zog das Billet aus seiner Tasche und bereitete sich darauf vor, die Rose aus dem Körbchen zu nehmen, sobald sich die Tür öffnen würde. Mittlerweile drängten auch hinter ihm Neuankömmlinge, die ebenfalls einen Blick von Ivana erhaschen wollten.
Endlich ging die Türe auf. Dimitri sah hochgetürmtes blondes Haar, in dem Edelsteine funkelten. Dann ein Gesicht von überirdischer Schönheit, das über einem Zobelpelz zu schweben schien.
Hastig zog er die Rose aus seinem Hemd. Einer von Ivanas Begleitern bahnte ihr einen Weg durch die Schar ihrer Bewunderer, die klatschten und immer wieder ihren Namen riefen. Dimitri hielt seine Rose mit dem Billet in der ausgestreckten Hand hoch und rief „Ivana, Ivana Perikowa.“ Sie lächelte und ihr Blick glitt über die Menge, ohne jemand bestimmten zu sehen.
Dimitri drängte sich weiter nach vorne, seine Stimme wurde lauter, verzweifelter.
Die Begleiter schleusten Ivana Perikowa zu der wartenden Kutsche. Dort drehte sie sich noch einmal um und warf eine Kusshand in die Menge.
Ungestüm stieß Dimitri die Umstehenden beiseite, um zur Kutsche zu gelangen. Er sah nichts anderes mehr als Ivana, seine wunderschöne Prinzessin, nur wenige Meter von ihm entfernt.
Der Boden war glatt, aber Dimitri achtete nicht darauf. So lag er plötzlich auf dem Bauch, die Menschen um ihn trampelten ohne Rücksicht auf seine klammen Finger. Auf seine Rose.
Ungläubig starrte Dimitri auf die roten Blätter, die sich aus dem Kelch lösten und an den Sohlen der über ihn stolpernden Männer hängen blieben.
Schnell wölbte er seine Hand darüber und zog sich auf den Ellbogen weiter, um die Rose mit seinem Körper zu schützen. So blieb er liegen, bis er hörte, dass sich die Kutsche entfernte und die Menge sich verlief.
Tränen strömten über seine Wangen und sein Körper bebte. Die Kälte des Bodens fraß sich durch seine Kleider. Aber es war ihm egal. Alles war egal. Ob er lebte oder nicht.
Jemand berührte ihn an der Schulter. Unwillig schüttelte er die Hand ab und rollte sich zusammen. Doch die Hand gab nicht auf, sondern packte ihn nur fester, zerrte mitleidlos an seinem Mantel.
„Dimitri, komm. Vasilij hat seine Pelze ausgeliefert und ich hab’ ihm dabei geholfen. Wir können mit ihm zurückfahren. Meine Nadenka hat ein heißes Süppchen auf dem Ofen, das wärmt dich wieder auf. Und Alexej hat mich gefragt, ob man mit deinem Apparat nicht auch Bohnen ziehen kann. Du musst dich unbedingt mit ihm unterhalten. Gleich morgen. Dimitri, steh auf.“ Juri griff nach seinem Arm und zog ihn hoch. „Komm, Freund, gehen wir nach Hause.“
Szenentrenner

Vielleicht muss man Liebe gefühlt haben, um Freundschaft richtig zu erkennen
(Nicolas Sébastien de Chamfort, französischer Schriftsteller, 1741-1794)

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11. Nov. 2007 - Fran Henz

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