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Der Wächter des Weihers
von Abo Alsleben

Crossvalley Smith Crossvalley Smith
© http://www.crossvalley-design.de
Funkelnd glitzerte das Wasser des Weihers an diesem kalten Februarmorgen. Die noch kraftlose Sonne stand tief hinter den noch blattlosen Baumkronen entlang des ersten der vier hintereinander angelegten Fischteiche. Die Gaststätte am gegenüber liegenden Ufer wirkte geschlossen, nur das Licht im Inneren kündete von der Anwesenheit einiger Gäste. Das kraftlose Gras auf der schmalen Landzunge zwischen den ersten beiden Weihern glänzte vom noch gefrorenen Tau und fiel, von frostigen Nächten gemartert, halb gefroren, halb saftlos zur Seite. An den nassen Rändern der Grasbüschel klebten kleine weiße Daunenfedern, die vom Wind zart gestreichelt, unbeirrbar im kalten Wind flatterten, so als würden sie noch immer zittern vor Angst; als würden sie noch immer vom Schrecken dessen gepackt, der sich hier vor wenigen Augenblicken zugetragen hatte. Es sind diese vier Personen, die als einzige von jenem Unheil berichten könnten, doch sie entfernen sich schnellen Schrittes und suchen das Weite. Es sind zwei kleinere und zwei größere Umrisse, die nun langsam wegen der grauen Nebelschwaden die Konturen verlieren und in einer Waldbiegung verschwinden; sich ein letztes Mal umsehen um sicher zu gehen, dass es keine Zeugen gab...

Schon von weitem hörte Holger Laube das Schreien des Kindes, und als er das Ufer des Fischweihers erreicht hatte und kein Baum mehr die Sicht versperrte, sah er auf der Landzunge den ungleichen Kampf. Ein Junge um die sieben Jahre rannte auf dem schmalen Landstück in Richtung des rettenden Waldes; hinter sich ein hoch aufgerichteter Schwan, den Hals empor gereckt, die großen schillernden Flügel ausgebreitet und den Schnabel in den Rücken des Jünglings stoßend. Der Schwan überragte das Kind um mehr als einen Menschenkopf und hetzte das Kind vor sich her. Aus dem Schnabel des Tieres wäre ein gemeines Zischen zu vernehmen gewesen, hätten die angsterfüllten Schreie des Kindes nicht laut über das Gewässer gehallt. Dies war das Land des Schwans und kein Mensch hatte hier etwas zu suchen!

Holger Laube kannte das Tier, dem man den Namen Kampfschwan gegeben hatte, weil es mit allen Menschen und Tieren Krieg führte, die sich dem Weiher näherten. Sogar ausgewachsene Schäferhunde hatte er winselnd hinter ihren Besitzern davon rennend flüchten sehen vor dem Wächter des Weihers. Doch bei Kindern hörte für Holger Laube der Spaß auf. Die Landzunge war nur wenige Meter breit, leicht könnte dieser Junge ins Wasser geraten und unbemerkt ertrinken. Holger Laube rannte dem Kind schreiend und mit den Armen rudernd entgegen, er wollte dem Vogel signalisieren, dass ein größerer Gegner in den Kampf einträte und er besser von diesem Jungen abließe. Doch noch vor Erreichen des Landstücks erkennt Holger Laube, dass der Junge mit letzter Kraft den rettenden Waldrand erreicht und das Revier des Tieres verlassen hat. „Das hätte leicht ins Auge gehen können, kannst Du überhaupt schwimmen?“ fragt Laube das schreckerstarrte, weinende und nach Luft schnappende Kind. Dieses schüttelt nur den hochroten Kopf und schleicht in die tröstenden, warmen Umarmungen der Mutter, die rauchend in der Gaststätte sitzt. Holger Laube betritt das Landstück und senkt den Blick zu dem Tier, welches nun seine aufgeregten Kreise in Ufernähe zieht und murmelt die Zähne nur einen Spalt auseinander: „Eines Tages bist Du dran, gib mir nur einen Grund dazu!“

Dieser Grund kommt an besagtem kalten Februarmorgen in Gestalt seines achtjährigen Sohnes bei einem Spaziergang. Zum ersten Mal im Jahr scheint die noch kraftlose Sonne, schafft es aber nicht über die blattlosen Baumkronen entlang des Weihers. Sein Sohn schlendert neben ihm, Frau und Tochter gehen hinterher. Sie betreten die Landzunge und setzen sich auf die hölzerne Bank, um die ersten Sonnenstrahlen mit geschlossenen Augen zu genießen. So bemerken sie auch nicht, wie der Junge die Bank verlässt und sich in Ufernähe begibt. Er will mit kleinen Steinen die spiegelnde Wasseroberfläche brechen. Doch was auch das Kind nicht bemerkt, im zweiten Weiher nähert sich der Schwan geräuschlos, betritt unbemerkt eine vertiefte Fläche auf der Landzunge und schleicht von hinten zu dem spielenden Kind. Auch auf der Bank die sich Sonnenden bemerken nichts vom sich anbahnenden Unheil. Holger Laube schrickt erst beim Schrei des Sohnes auf und ist im ersten Moment geblendet. Das Tier steht mannshoch aufgerichtet vor dem Kinde, in dessen Rücken das Wasser des Weihers glitzert. Der Schwan drängt den Sohn dem Wasser immer näher und versucht diesem Vorhaben mit seinem harten Schnabel Nachdruck zu verleihen, indem er auf den Jüngling einhackt, der schützend seine Hände vor das weinende Gesicht hält. Schon steht das Kind mit den Füßen im Wasser. Holger Laube springt auf, gerade war er noch der friedlichste Mensch auf Erden, doch nun sammeln sich die Gefühle der Generationen seiner männlichen Vorfahren in der bebenden Brust; Gefühle von knietiefem Blut auf gottverlassenen Schlachtfeldern, von Rache, Zorn und Hass und dem Recht des Stärkeren; Gefühle von Heldenmut und dem Schwur den er leistete am Bett seiner gebärenden Gattin, dass er Zeit seines Lebens die schützende Hand des Vaters über das Haupt seines Sohnes halten würde; und Holger Laube eilt schreiend seinem Fleisch und Blut zu Hilfe. Der angreifende Schwan bemerkt dies aus den Augenwinkeln, erkennt, dass er das Menschenkind nicht mehr schafft ins Wasser zu hetzen und entkommt flügelschwingend in den rettenden Weiher. Doch der Zorn und die Wut des Vaters sind so groß, dass dieser dem Tier hinterher ins kalte Nass springt. Diesen Kampf aber nimmt das geflügelte Tier nicht auf und umkreist in sicherem Abstand den hüfthoch im klirrenden Wasser stehenden Vater, der, die Fäuste geballt und mit den Zähnen knirschend, den Angriff des Schwanes erwartet. Nach einigen Augenblicken erkennt Holger Laube die Feigheit des Tieres und steigt als Gewinner aus dem Wasser zu seinen Lieben. Doch da bemerkt er das schreckverzerrte Gesicht seiner Frau und vernimmt die warnenden Rufe der Kinder. Gerade hat er das kalte Wasser mit nassen Hosen am Weiherrand stehend verlassen; da nimmt er in den Augenwinkeln wahr, dass sich das Tier ihm lautlos genähert hatte und der Kampf mit Nichten vom Schwan beendet war. Dieser wartete nur auf eine bessere Gelegenheit, den Menschen anzugreifen. Nun im Rücken des fluchenden Mannes sah er die Chance gekommen, hob sich flügelschwingend empor und hackte dem Vater in den Hals.
Wenn der Mann nun ganz ehrlich gewesen wäre, gäbe er zu, auf diesen Moment schon lange gewartet zu haben. Denn der erneute Angriff des Schwanes sprach ihn von aller Schuld frei. Nun war er selber zum Opfer geworden, zum Angegriffenen und hatte die von Gott auferlegte Pflicht jedes Erdbewohners, sein Leben mit allen Mitteln zu schützen.

Der ungleiche Kampf war schnell beendet. Markus Laube packte mit beiden Händen den Hals des Schwanes, zog das flügelschwingende Tier aus dem Wasser - wobei er sich über das geringe Gewicht des ausgewachsenen Vogels wunderte; oder lag dies nur an seiner eingeschränkten Wahrnehmung; standen doch nun alle männlichen Vorfahren mit geballten Fäusten, die fleckigen Schwerter ihrer Siege vor sich in den Boden gerammt im Kreise um ihn herum und beobachteten mit zornigen Blicken und wütendem Knurren den Kampf ihres Nachfahren, dessen Blute auch ihres einst war – und knallte das Vieh über seine Schultern wirbelnd auf den gefrorenen Boden, drei ganze mal. Dann schleuderte er den leblosen Körper auf die glänzende Oberfläche des zweiten Weihers. Dort trieb der Körper des Schwans auf der Oberfläche und bildete kleine glitzernde Wellen.

Nur der Kopf blieb diesmal unter Wasser.

18. Jun. 2008 - Abo Alsleben

Bereits veröffentlicht in:

WUNSCHKINDER
A. Alsleben
Roman - Kurzgeschichten - Edition PaperONE - Mai. 2008

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