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Tod einer Puppe von Nina Horvath
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Natürlich war es schlimm, wenn Puppen sprachen, Angst und Schmerzen simulierten. Der Schauer, der mir dabei über meinen Rücken rann, erinnerte mich an gut gemachte Horrorfilme.
Auch wenn ich gelegentlich davon Alpträume bekam, brannte ich geradezu auf diese Empfindung. Man konnte sich wie ein Gott fühlen! Wie wunderbar war doch die Präzision, mit der mein Skalpell durch das scheinbar lebende Fleisch glitt, wie sich Blutstropfen an dem exakten Schnitt bildeten! Man konnte die Körper von oben bis unten auseinander nehmen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Puppen starben nicht.
Zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Denn um einen gewissen Realismus aufrechtzuerhalten, konnte man an den Anzeigen sehen, wann einen echten Menschen der Tod ereilt hätte. Meine Kollegen und ich pflegten das Ganze in solchen Situationen mit schwarzem Humor zu kommentieren, der einzige Weg, die sich dann doch einstellenden Schuldgefühle hinwegzuwischen.
Dabei waren diese Puppen die beste Lösung. Mir erschien es unvorstellbar, dass noch vor fünfzig Jahren Mediziner in ihrer Ausbildung nur an Leichen üben konnten, ein paar Mal bei einem erfahrenen Arzt zugeschaut hatten und daraufhin gleich auf echte Patienten losgelassen wurden. Heute kam bei den ersten, tollpatschigen Versuchen niemand zu Schaden.
An den Vorteilen dieses Systems gegenüber der barbarischen früheren Vorgehensweise hatte ich nie gezweifelt und dabei war ich schon fast am Ende meiner Ausbildung angelangt. Alles änderte sich, als ich bei einer Prüfung eine neue Puppe vorgesetzt bekam. Ich trat in den Übungsraum und mir stockte der Atem, als ich sie auf dem Tisch liegen sah. Sie wirkte so ungeheuer lebendig. Ich dachte zuerst, dass eine Kollegin sich einen makaberen Scherz erlaubt hatte. Zwar hatte sie die übliche porzellanfarbene Haut, die allen Puppen eigen war, aber da war etwas an ihr, das sie menschlich wirken ließ. Zuerst dachte ich, es wären die Augen. Doch diese wirkten zu groß und hatten einen unnatürlich gläsernen Glanz und ich kam zu dem Schluss, dass es doch etwas anderes sein musste. Mein Blick glitt über die mageren Arme und den teilweise zugedeckten Körper, ehe er wieder bei ihrem Gesicht ankam. Es lag ein seltsam kindlicher Ausdruck darin.
Der Professor kam herein und fragte mich, ob ich bereit sei. Ich war zu abgelenkt, um zu verstehen, dass er die Prüfung meinte, und es dauerte eine Weile, bis ich ein zögerliches Ja zu Stande gebracht hatte.
Zuerst sollte ich die Krankheit die natürlich nur simuliert war , unter der sie litt, diagnostizieren. Ich stellte der Puppe ein paar belanglose Fragen, wie sie das Lehrbuch vorsah. Sie antwortete darauf, dass sie Anna Frei heiße, die einzige Kinderkrankheit, die sie gehabt hätte, die Windpocken gewesen wären und sie an keinen chronischen gesundheitlichen Beschwerden litt. Der Professor nickte zufrieden und ich begann mit der Untersuchung. Die verschiedenen lateinischen Begriffe wirbelten in meinem Kopf herum. Als sich meine Zeit dem Ende zuneigte, sagte ich auf gut Glück, was mir noch am wahrscheinlichsten erschien.
Der Professor sah mich auf eine seltsame Weise an. War es falsch gewesen? Wollte er mich absichtlich verunsichern oder wartete er darauf, dass ich noch etwas hinzufügte? Ich wusste gar nichts mehr, wollte die Sache nur so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich füllte eine Ampulle mit einem Betäubungsmittel und verabreichte sie ihr. Zuerst geschah gar nichts, dann begann sie sich wie wild zu gebärden, als hätte ich ihr ätzende Säure gespritzt. Vielleicht hatte ich das auch. Nach einiger Zeit beruhigte sie sich scheinbar, aber dann merkte ich, dass sie ohnmächtig geworden war. Die Werte sahen gar nicht gut aus, was mich dazu trieb, mich mit der Operation zu beeilen. Dabei hatte alles ohnehin keinen Sinn mehr. Mir fiel eines der Werkzeuge zu Boden, so sehr zitterte meine Hand. Meine Nerven ließen derartig nach, dass ich das nun nicht mehr sterile Gerät einfach weiterverwendete. Kurz und gut, mir passierte jeder Anfängerfehler, der nur möglich war. Überflüssig, zu erwähnen: Anna Frei starb.
Mit steinernem Gesicht registrierte ich mein Scheitern: Ich war durchgefallen. Zu diesem Zeitpunkt war mir das egal. Bei der ersten Gelegenheit rannte ich nach draußen. Mein Mund war voll mit süßlichem Speichel und mir war übel. Es fiel mir unsagbar schwer, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten.
Beunruhigende Gedanken ergriffen Besitz von mir. Dieselbe Ursache hatte dieselbe Wirkung hervorgerufen. Wer konnte mir tatsächlich garantieren, dass eine Puppe nicht auch dasselbe dabei empfand?
Und vielleicht war eines sogar schlimmer: Ihr Tod war nicht endgültig, da die ganze Prozedur sie dazu verdammte, immer wieder von Neuem zu sterben.
Es dauerte lange, bis ich den Mut fand, die Prüfung zu wiederholen. Ich hatte eine andere Puppe auf dem Tisch, die kaum Empfindungen in mir auslöste. Als wäre ich selbst ein Roboter, führte ich jede nötige Bewegung mit Perfektion aus und bestand mit einem Sehr Gut. Kaum war der Professor zur Tür raus, nahm ich ein Skalpell und schlitzte die Puppe von oben bis unten auf. Ich hielt erst inne, als ungeheuerlich echt wirkende Gedärme aus dem Bauchraum hingen, betrachtete mein Werk mehrere Minuten, ehe mich dann doch ein gewisser Ekel überkam und ich die Flucht ergriff. Ich weiß bis heute nicht, warum ich das getan habe.
24. Nov. 2008 - Nina Horvath
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