Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Übersicht
Neu hinzugefügt
Autoren
Genres Magazine Verlage Specials Rezensionen Interviews Kolumnen Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Kurzgeschichten > Daniela Knor > Fantasy > Jäger und Gejagte

Jäger und Gejagte
von Daniela Knor

Crossvalley Smith Crossvalley Smith
© http://www.crossvalley-design.de
Erduin von Walraun ist eine Nebenfigur aus dem Roman „Nachtreiter“ der Autorin. Diese Geschichte spielt einige Jahre vor den Ereignissen, die im Roman erzählt werden.

„Herr! Herr, wacht auf!“
Für einen verwirrenden Augenblick zwischen Traum und Wachen wähnte sich Erduin zurück auf Gut Walraun. Wie konnte der verfluchte Diener es wagen, ihn mitten in der Nacht zu stören? Knurrend drehte er sich auf die Seite. Etwas Hartes, das ihm trotz der polsternden Tunika schmerzhaft die Glieder des Kettenhemds in die Rippen bohrte, erinnerte ihn daran, dass er nicht in seinem Bett lag - dem Bett in einem Zuhause, das es nicht mehr gab.
Unwirsch schnaubend, sank er wieder auf den Rücken und öffnete die Augen. Über ihm leuchtete die Sichel des roten Mondes wie poliertes Kupfer. Es musste spät in der Nacht sein, denn auf seinem Filzumhang glitzerten Tautropfen.
„Der Späher ist zurück, Herr“, erklärte Herke in demselben nüchternen Tonfall, mit dem er auf Walraun einst die Ankunft eines Gastes verkündet hatte.
Es versetzte Erduin einen Stich, der ihn die Stirn runzeln ließ. Vielleicht sollte er Herke zum Totensammler jagen, um nicht ständig an die Vergangenheit erinnert zu werden. „Ich will hoffen, dass er etwas Brauchbares zu berichten hat.“ Er stand auf und sah sich nach dem jungen Mann um, den er am Abend als Kundschafter ausgesandt hatte. Vertrocknete Tannennadeln rieselten dabei von seinem Umhang. Die Bäume, von denen sie stammten, ragten wie stumme, schwarze Riesen in den Nachthimmel auf. Erduins Männer lagen zu ihren Füßen, als hätten die dunklen Ungetüme für eine Rast ihre Habe am Boden verstreut. Schnarchen und gemurmelte Fragen waren die einzigen Geräusche im Zwielicht unter den Zweigen.
„Auf die Beine, ihr faules Pack!“, rief Erduin. „Wollt ihr hier liegen bleiben, bis sie euch finden?“
„Heut Nacht werden sie nich’ kommen, Herr“, behauptete der Späher, der aus dem Schatten einer Tanne hervortrat.
„Habe ich dich nach deiner Meinung gefragt?“, fuhr er ihn an. „Es ist besser, ihnen zuvorzukommen, solange sie noch nicht wissen, dass wir hier sind.“
Der junge Mann, gerade alt genug für die Schwertreife, senkte rasch den Blick. „Ja, Herr.“
In Walraun war er Stallbursche gewesen. Erduin fragte sich, ob der Junge geahnt hatte, worauf er sich einließ, als er dem neuen Herrn des Guts davongelaufen war. Er ertappte sich dabei, von so viel Treue gerührt zu sein, und wischte das Gefühl zornig weg. „Sag mir lieber, wo sie lagern und ob du etwas Neues herausgefunden hast!“
„Sie sin’ knapp drei Meilen östlich von hier auf ’nem Hügel. Un’ sie haben ’ne Wache aufgestellt. Deshalb konnt’ ich nich’ näher ran.“
Ob Werengar etwas ahnte? Erduin konnte das verhasste Gesicht des ergrauten Burgherrn vor sich sehen, als hätten sie sich erst gestern gegenüber gestanden. Der falsche Hund! Nie würde er Werengars hämisches Grinsen vergessen, als das Urteil des Königs verlesen und sein Leben zerstört worden war. Etliche vornehme Herren hatten an jenem Tag mit zufriedenen Mienen in der Halle des Fürsten gesessen, aber gegen Werengar nährte Erduin den ärgsten Groll, denn ihn hatte er für einen Freund gehalten. „Also hat dich niemand gesehen?“, vergewisserte er sich.
„Nein, Herr, bestimmt nich’.“
Vielleicht bin ich zu misstrauisch. Jeder vernünftige Anführer würde in diesen Wäldern Wachen einteilen und das Lager auf einem Hügel aufschlagen, wo es sich leichter verteidigen ließ. Vor allem, wenn er etwas mit sich führte, das die wahren Herren dieses Forstes dermaßen herausforderte. Schon beim Gedanken an sie lief es Erduin eisig den Rücken hinunter.
„Herke, mein Schwert!“ Er hätte es selbst aufheben können, aber weshalb sollte sich ein Ritter bücken, wenn ein Diener zur Hand war? Denn ein Ritter war er noch immer. Sie mochten ihm sein Land und seine Familie genommen haben, aber sein Titel würde ihm bleiben – bis in den Tod.
Die zusammengewürfelte Schar, die sich ihm angeschlossen hatte, versammelte sich um ihn. Erduin nahm den Schwertgurt von Herke entgegen und legte ihn schweigend an. Es tat gut, die erwartungsvollen Blicke auf sich zu spüren. Mochten seine Feinde ruhig glauben, dass er besiegt war. Heute Nacht würde er Werengar eines Besseren belehren. Dieser Wald war jetzt seine Zuflucht, und er würde keine Handbreit mehr weichen.
„Wir werden ihr Lager einkreisen und von allen Seiten zugleich vorrücken.“ Er ließ den Blick über die Männer schweifen und verglich sie im Stillen mit Werengars gut ausgerüstetem Jagdtrupp. Die Wildnis hatte aus seinen Walrauner Getreuen innerhalb kurzer Zeit ebenso abgerissene Gestalten gemacht wie die Geächteten, die er unterwegs aufgelesen hatte wie streunende Hunde. Sie besaßen nur eine Handvoll Schwerter, dafür Messer und Dolche aller Art, selbstgeschnitzte Stäbe und krude Knüppel. Zwei von ihnen konnten auch leidlich mit Pfeil und Bogen umgehen, doch das würde ihnen im Nahkampf nichts nützen. Erduin setzte seine Hoffnung darauf, dass auch Werengars Männer weder gerüstete Ritter noch erfahrene Waffenknechte waren. Sie führten Jagdspieße und Bögen mit sich und erwarteten einen Gegner, der mit Zähnen und Klauen kämpfte. „Ihr dürft ihnen keine Zeit lassen. Kommt über sie, bevor sie zu den Waffen greifen können!“
„Aber die Wache ...“, warf der Späher ein.
„Wiger!“ Erduin winkte einen der Geächteten zu sich. Der Kerl hatte sich offenbar nicht mehr rasiert, seit er vor dem Henker geflohen war, weshalb ein dichtes graubraunes Gestrüpp in seinem Gesicht wucherte. Darüber blitzten kleine Augen unter dicken Brauenwülsten hervor. Die Männer munkelten, Wiger habe eine Frau aufgeschlitzt, und seine Gegenwart flößte selbst Erduin so viel Unbehagen ein, dass er kaum Zweifel an der Wahrheit dieser Geschichte hegte. „Du wirst dich an diese Wache anschleichen und dafür sorgen, dass sie niemanden warnen kann!“
Der Geächtete entblößte grinsend eine Reihe fäulniszerfressener Zähne.
„He, Wiger, dann halt aber das Maul, sonst riecht er dich schon eine Meile gegen den Wind!“, feixte ein anderer Vogelfreier.
„Ist doch gut“, meinte ein Dritter. „Der Gestank wird sie alle in die Flucht schlagen.“
Wigers Grinsen verwandelte sich unter dem Gelächter der Männer in eine wölfische Grimasse.
„Schluss jetzt!“, donnerte Erduin. „Dem nächsten Scherzbold stopfe ich das Maul mit seiner eigenen Faust!“
Die beiden Männer zogen missmutige Gesichter, doch sie wagten nicht, ihm zu widersprechen. Er starrte sie noch einen Augenblick an, bevor er sich wieder dem Späher zuwandte. „Du wirst Wiger die Wache zeigen und sie von ihm ablenken, indem du ein wenig im Gestrüpp raschelst, als ob da ein Tier wäre. Schaffst du das?“
Der Junge nickte mit vor Aufregung geweiteten Augen.
„Gut. Wiger, kannst du den Ruf einer Eule nachmachen?“
Der Gesetzlose zuckte die Achseln. „’n Eichkauz krieg ich hin.“
„Dann gib uns damit ein Zeichen, wenn die Luft rein ist! Hat das jeder verstanden? Wir umzingeln den Hügel, und sobald ihr den Kauz hört, greift ihr an. Aber leise! Je später sie uns hören, desto überraschter sind sie.“ Zufrieden nahm Erduin das zustimmende Gemurmel und Nicken um ihn herum zur Kenntnis. „Nehmt nur eure Waffen mit! Wir brechen auf.“
Er wies dem Späher mit einer Geste voranzugehen und folgte ihm tiefer in die Schatten des nächtlichen Waldes. Altes Laub und Dickicht verrieten raschelnd seinen Weg, herabhängende Zweige streiften ihn, und vermodernde Reste umgestürzter Bäume zerfielen knirschend unter seinem Gewicht. Taunasse, mit Moos überzogene Steine und Wurzeln zwangen ihn, seine Füße bedacht zu setzen, doch nichts davon konnte seinen Schritten die Entschlossenheit rauben. Die heiseren Schreie der Mondhäher und das Fauchen der Marder, die ihn als Kind geängstigt hatten, beflügelten ihn nun, denn er hatte die Seite gewechselt, war ein Teil der Gefahren geworden, die in der Dunkelheit lauerten. Mit einem grimmigen Lächeln begrüßte er das bleiche Gesicht des weißen Mondes, als es sich über den Bäumen zu seinem roten Zwilling gesellte und sein kaltes Licht den Schatten undurchdringliche Schwärze verlieh.
„Herr“, ertönte Herkes Stimme leise hinter ihm, „ist es wirklich nötig, dieses Wagnis einzugehen? Herr Werengar jagt hinter Haulern her, nicht hinter Euch.“
Erduin fuhr zornig herum. „Bist du so ein Feigling, oder willst du dich jetzt gegen mich stellen? Wärst du lieber in Werengars Diensten auf einer schönen Burg? Strohmatratzen, dunkles Bier, willige Mägde. Ist es das?“
Herke wich mit abwehrend erhobenen Händen zurück und schüttelte den Kopf. „Nein, Herr.“ Doch in seinen Augen stand mehr Trotz als Furcht. „Wenn ich das wollte, hätte ich längst gehen können.“
Ich wünschte, du würdest es tun, dachte Erduin, aber die Worte wollten nicht über seine Lippen kommen. „Dann machst du dir also einfach nur in die Hosen, weil es ans Kämpfen geht?“
„Ihr seid der Ritter, nicht ich“, gab der Diener mit ausdrucksloser Miene zurück.
Erduin wandte sich voller Verachtung ab und marschierte weiter. Werengar mochte aufgebrochen sein, um Hauler zur Strecke zu bringen. Sie hatten den mit schütterem Fell bedeckten Kadaver gesehen, den der Jagdtrupp auf einem der Packtiere mit sich führte. Es gab keinen besseren Köder für diese Bestien als deren eigene tote Sippschaft. Wut und Rachedurst siegten dann über ihre Vorsicht. Doch was für Hauler galt, traf auch auf Menschen zu. „Wenn Werengar unsere Spuren findet, wird er sich einen Dreck um ängstliche Bauern und verschwundenes Vieh scheren“, sagte Erduin laut genug, dass es Herke hinter ihm hören konnte. „Dann wird er stattdessen uns verfolgen, und ich bin schon viel zu lange geflohen. Ich habe es satt, hörst du? Ich werde nicht mehr davonlaufen!“
Ein fernes Heulen stieg wie zur Antwort in den Nachthimmel auf, ein Wehklagen, dunkler und rauer als das eines Wolfes. Nie zuvor hatte Erduin einen ähnlichen Laut gehört, doch er wusste, welchen Kehlen er entsprang, und schauderte. Werengar hatte die Jäger zu Gejagten gemacht, aber das Blatt würde sich wenden – noch in dieser Nacht.
„Wir sin’ fast da“, brach der Späher die angespannte Stille, die sich über die Männer gelegt hatte.
Erduin nickte. „Sag weiter, dass ich ab jetzt nicht mal mehr ein Flüstern hören will!“, raunte er Herke über die Schulter zu. „Wiger soll sich bereithalten.“
Sie setzten ihren Weg fort, und Erduin achtete noch sorgsamer darauf, wohin er trat. Er nahm an, dass sich auch seine Männer Mühe gaben, aber es gelang keinem von ihnen, sich lautlos durch das Unterholz zu bewegen. Knacken, Knistern und Rascheln hüllten sie in ein Gespinst kleiner Geräusche.
Plötzlich hielt Erduin inne. War da nicht seitlich von ihm etwas durch den Farn gehuscht? Er hatte Schritte und Schatten mehr geahnt, denn wahrgenommen, und spähte stirnrunzelnd in die Dunkelheit. Nichts. Misstrauisch ging er weiter. Er musste sich getäuscht haben. Die Geräusche hallten so seltsam von den Bäumen wider, dass sich manchmal sogar seine eigenen Schritte wie die eines Verfolgers anhörten. Vielleicht hatte er Herkes ... Da ist es wieder! Er hielt so abrupt an, dass ihm Herke gegen den Rücken prallte.
„Was ...“
„Schscht!“, zischte Erduin. Die ganze Schlange seiner Männer kam zum Stehen. Er lauschte angestrengt, doch es war nichts zu hören. Hol’s der Zornige!, fluchte er im Stillen und schlich weiter. Geschichten tauchten aus den hintersten Winkeln seiner Erinnerungen auf, geflüsterte Warnungen vor den unheimlichen Haulern. Stimmte es womöglich, dass sie sich unsichtbar machen konnten, um ihre Beute zu überraschen? <>Ich führe mich auf wie ein abergläubischer Bauer. Es gibt keine Zauberei!
Entschieden schüttelte er das Gefühl ab, dass sie nicht allein waren, und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Gelände vor ihnen. Das weite Tal, dem sie gefolgt waren, hatte sich so weit verengt, dass er nun die Hänge zu beiden Seiten ansteigen sah. Auch der Talboden gewann an Höhe. Erduin vermutete, dass sie auf einen Sattel zwischen zwei Hügeln zuhielten. Der Späher blieb stehen und deutete schweigend die Anhöhe zu ihrer Linken hinauf. Der Wald versperrte ihnen die Sicht auf die Hügelkuppe, doch Erduin glaubte dem Jungen, dass ihre Gegner dort oben lagerten.
Wiger trat an seine Seite und sah ihn fragend an. Erduin nickte. Mit einer knappen Kopfbewegung forderte der Gesetzlose ihren Späher auf voranzugehen. Der Junge warf einen letzten zögerlichen Blick zurück, dann pirschte er sich den Abhang hinauf, mit Wiger auf seinen Fersen, wie ein Schatten. Erduin sah ihnen nur kurz nach, bevor er den verbliebenen Männern bedeutete, nach zwei Seiten auszuschwärmen. Selbst den widerstrebenden Herke scheuchte er kopfschüttelnd davon und blieb allein im Licht der zwei Monde zurück. Es war beängstigend, wie schnell sich seine Begleiter in der Nacht verloren hatten, als wären sie nie an seiner Seite gewesen. Es fiel ihm mit einem Mal schwer, sich nicht danach umzublicken, was hinter ihm lauern mochte. Beim ersten Sonnenstrahl! Er zog das Schwert. Dort oben schlief Werengar, nicht ahnend, dass der Baum für sein Totenfeuer bereits gefällt war. Das war der Mann, der sich Sorgen machen sollte – nicht er!
Die Zeit, die er erwartungsvoll lauschend am Fuß des Hügels stand, dehnte sich. Die Waffe wog immer schwerer in seiner Hand, sodass er sie senkte, um den Arm nicht zu verausgaben, bevor er gebraucht wurde. Warum dauerte das so lange? Kam Wiger nicht an die Wache heran? Sein Körper spannte sich in der Erwartung eines lauten Alarmrufs, der seinen Plan durchkreuzte. Wieder beschlich ihn das Gefühl der nahen Gegenwart eines anderen lebenden Wesens. Argwöhnisch drehte er sich um. „Herke? Bist du das?“
„Huouh huuuouh“, erklang es leise hinter ihm von der Anhöhe herab. Erduin fuhr fluchend herum und rannte den Hang hinauf. Sein Ärger darüber, dass er wegen einer vagen Ahnung beinahe Wigers Zeichen überhört hätte, verlieh ihm Flügel. Er eilte mit großen Schritten zwischen den Bäumen hindurch, setzte über querliegende Stämme und brach durch widerspenstiges Unterholz. Über seinen schwerer werdenden Atem hörte er plötzlich einen fragenden Ruf vor sich, dann einen Schrei. Sein Herz raste, als er das letzte Stück des Abhangs überwand und das Lager des Jagdtrupps vor ihm auftauchte. Die um ein erloschenes Feuer liegenden Gestalten warfen ihre Decken von sich. Zwei waren bereits aufgesprungen, eine von ihnen rang mit Wiger, die andere riss gerade einen im silbrigen Licht blitzenden Spieß vom Boden und schrie eine Warnung. Erduin erhaschte einen Blick auf seinen Späher, der wie versteinert unter den Bäumen stand. Stallburschen und Kammerdiener, ging es ihm durch den Kopf. Was sollte man auch von ihnen erwarten? Doch seine restlichen Männer stürzten sich nun mit Gebrüll in den Kampf.
Erduin sprang mitten unter die sich erhebenden Gegner, trat den Spieß zur Seite, der auf Wigers Rücken zielte, und trieb dem Besitzer das Schwert in den Leib. Seine Waffe fallen lassend, riss der Verwundete die Augen auf. Einen Lidschlag lang starrte Erduin zurück. Dieser Mann war nur ein Knecht und wusste nicht, wie ihm geschah. Wieder wallte Zorn in Erduin auf. Er zog die Klinge mit einem Ruck heraus und verschloss seine Ohren vor dem Aufschrei des Mannes. Wo steckte Werengar?
Rasch blickte er sich nach dem Burgherrn um. Drei an ihren Stricken zerrende Mulis standen an einer Seite des Lagers angebunden. In der Nähe der stinkenden Tiere hatte sich der Ritter wohl kaum zum Schlafen gelegt.
Erduin wirbelte gerade herum, als hinter ihm ein Dolch aufblitzte. Hastig stieß er den angreifenden Jäger von sich und spürte, wie dessen Klinge über seine Rüstung kratzte. In diesem Augenblick entdeckte er am anderen Rand des Lagers eine vertraute Gestalt, an deren Armen das ansonsten durch Umhang und Waffenrock verdeckte Kettenhemd glänzte.
„Werengar!“, brüllte Erduin und stürmte auf den Verräter zu, ohne auf einen der Gesetzlosen zu achten, der neben ihm mit einer Elle Stahl in der Brust zusammenbrach. Der Burgherr wandte ihm überrascht das Gesicht zu. Die Lippen im ergrauten Bart formten stumm seinen Namen. Erduin holte aus vollem Lauf zu einem Hieb aus. Rasch hob sein Feind das Schwert, um ihn in die vorschnellende Klinge laufen zu lassen, doch damit hatte Erduin gerechnet. Anstatt auf Werengar zu zielen, schlug er dessen Waffe zur Seite und rammte ihn mit der Schulter. Die Wucht warf den weniger kräftig gebauten Ritter rücklings zu Boden, während Erduin - vom eigenen Schwung weitergetragen - mit seinem Gleichgewicht rang. Er stolperte gegen den schmalen Stamm einer jungen Drudenbuche und richtete sich hastig daran auf. Gerade als er sich umdrehte, rappelte sich auch Werengar wieder auf. Erduin griff an, bevor der Burgherr wieder sicher auf den Beinen stand. Hektisch parierend taumelte Werengar rückwärts.
Plötzlich mischte sich lautes, schrilles Heulen in den Kampflärm. Erduin war, als schnitten die Laute wie Klingen in seine Ohren. Die Augen zusammenkneifend, als könne er das Geräusch damit aussperren, drang er weiter auf Werengar ein, dessen Blick unstet zwischen ihm und dem Geschehen in seinem Rücken hin- und herzuckte. „Das wird dich nicht retten!“, fuhr er seinen Gegner an und zwang ihn mit schnellen Hieben, Schritt für Schritt zu weichen. Hinter ihm gellten die Schreie sterbender Männer im Chor mit dem Geheul der Bestien.
Ein Baumstamm hielt Werengars Rückzug so abrupt auf, dass dem Ritter ein entsetztes Keuchen entfuhr. Erduins Schwert fand wie von selbst den Weg über das Kettenhemd hinweg in die Kehlgrube des Mannes. Blut sprudelte schaumig hervor, als sich Werengars Mund öffnete. Doch die Augen des Sterbenden waren nicht auf seinen Widersacher gerichtet, sondern blickten über dessen Schulter hinweg. Einer Ahnung gehorchend, riss Erduin die Klinge zurück und fuhr herum.
Der Kampflärm wich einer bedrückenden Stille. Erduin erhaschte einen flüchtigen Eindruck zurückweichender Männer, aber die Kreatur vor ihm duldete keine Ablenkung. Er sah direkt in ein dunkles, verstörend menschliches und doch raubtierhaftes Gesicht. Nase und Mund waren zu einer kurzen, schmalen Schnauze verwachsen, in der Reißzähne unter schwarzen Lefzen hervorblitzten. Haut und schütteres Fell schienen von der gleichen dunklen Farbe, nur die Augen leuchteten hell daraus hervor. Die schlanke, fast hagere Gestalt stand leicht geduckt, wie zum Angriff bereit, doch aufgerichtet mochte sie kaum kleiner sein als er. Erduin bemerkte die langen Krallen, die wie Messer aus den Fingern des Haulers hervorragten. Blut tropfte von ihnen herab. Er schluckte unwillkürlich.
Sein Blick kehrte zu dem der Bestie zurück. Sie starrten sich an, ohne dass er einen klaren Gedanken fassen konnte. Die Lefzen bewegten sich und gaben ein wenig mehr Sicht auf die tödlichen Zähne frei. Erduins Griff um das Schwertheft spannte sich. Ohne ihn aus dem eindringlichen Blick zu entlassen, hob und senkte sich der Schädel des Haulers beinahe unmerklich, bevor sich die Bestie abwandte, um wie ein Geist mit dem nächtlichen Wald zu verschmelzen.

30. Okt. 2008 - Daniela Knor

[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

Heutige Updates

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info