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Engelswesen
von Melanie Metzenthin

Tanja Meurer Tanja Meurer
© http://www.tanja-meurer.de/
„Glauben Sie wirklich, ich sollte das tun?“ Unschlüssig blickte ich Dr. Ring an. Ich hatte mich ihm schon oft anvertraut, in vielerlei Situationen, ich kannte seinen Charme, sein Können, seine Innovation, aber diesmal war ich mir unsicher. Gewiss, ich wusste, was ich meinem Status schuldig war. Wer zu den Stars gehört, muss glänzen, selbst wenn man den Sprung über eine drittklassige Fernsehshow geschafft hatte. Meine genetisch erzeugten Haustiere sprachen für sich, der kleine Drache in der Größe eines Cockerspaniels und mit diesen treuen Augen, sowie mein geflügeltes Teufelskätzchen – aber war es wirklich notwendig, diesen Schritt zu tun?
„Es wird Sie wahrlich zur Göttin machen. Zu einem Engel, dem sich niemand entziehen kann.“ Dr. Ring lächelte mich mit seinem makellosen Gebiss an, seine blauen Augen strahlten und raubten mir jeden Widerspruchsgeist. Wie konnte man sich einem solchen Mann nicht hingeben? Leider wünschte er meine Hingabe nur auf dem OP-Tisch …

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Die Operation an sich überstand ich gut, nach nur drei Stunden war es vollbracht. Zwei wundervolle, weißgefiederte Flügel ragten aus meinem Rücken und waren mit den Schulterblättern verbunden. Der neueste Schrei, mit ein bisschen Training konnte man damit sogar richtig fliegen. Bislang hatten sich nur elf Frauen und drei Männer (die Herren selbstverständlich mit rabenschwarzen Flügeln) zu diesem Schritt entschlossen. Ihre Fotos zierten Kataloge und Werbewände. Sie waren Gäste in jeder Talkshow und ihre Flugshows Publikumsmagneten.
Allerdings erwies sich die Handhabung meiner neuen Körperteile als deutlich schwieriger. Zum einen war da der Wundschmerz. „Keine Sorge, der wird vergehen“, hatte Dr. Ring mich getröstet. Aber viel schwerwiegender war die Koordination zwischen Armen und Flügeln. Als ich mir das erste Mal in der Klinik ein Brötchen schmieren wollte, wirbelten die Flügel hoch und fegten das Kopfkissen hinter mir aus dem Bett. Kurzerhand bestellte ich mir eine Pizza, auch wenn das sicher keine dauerhafte Lösung war. Pizza hatte zu viele Kalorien und meine Flügel waren genau auf mein OP-Gewicht ausgerichtet. Ich behalf mir mit dem Gürtel meines Bademantels und presste die Flügel fest an den Rumpf.

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In den folgenden Tagen erhielt ich spezielle Krankengymnastik. Arm hoch, Flügel runter, Flügel hoch, Arm zur Seite. Es war anstrengend, aber als ich es schaffte, mich erstmals durch drei Flügelschläge wenige Millimeter vom Boden zu erheben, fühlte ich mich unendlich leicht. Und als ich einen Monat später die Klinik verließ, erwarteten mich Scharen von Reportern, die mich auf Schritt und Tritt begleiteten. Natürlich erwähnte ich, dass ich sehr auf meine Privatsphäre bedacht war, aber zugleich genoss ich es, vor ihren Augen mit den schwanenweißen Flügeln zu wedeln. Selten zuvor hatte ich so viel Aufmerksamkeit erhalten. Man nannte mich den „weißen Engel“, weil meine blonden Haare so gut zu meinen weißen Flügeln passten und ich schon immer einen sehr hellen Teint gehabt hatte.

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Leider musste ich schon am ersten Abend zuhause erfahren, dass Flügel auch Nachteile haben. In der Klinik hatte ich ein Spezialbett mit entsprechend geformten Flügelmulden mein Eigen genannt. Normale Betten taugten nur noch bedingt. Ich bestellte mir gleich am nächsten Morgen ein Spezialbett.
„Vier Wochen Lieferzeit“, hieß es. Was glaubten die denn, wie ich bis dahin schlafen sollte? Wie eine Fledermaus unter der Decke?
Der nächste Schock: All meine teuren Kleider waren auf einmal untragbar geworden. Selbst die rückenfreien, denn ein einziger Ruck der Flügel reichte, sie zu zerreißen. Und Nacktfliegen war nicht nur aufgrund der Kälte in bestimmten Höhenlagen wenig empfehlenswert.
Nun, wozu hat eine Frau von Welt Geld? Also ließ ich mir binnen kürzester Zeit eine neue Garderobe anfertigen, um mich den schönen Seiten meiner Flügel hinzugeben. Das Gassifliegen mit meinen kleinen Freunden war so eine Sache. Vollkommene Freiheit und auch wesentlich schneller als mit dem Auto. Apropos Auto – mit den Flügeln passte ich nicht mehr in meinen Porsche. Und vermutlich auch in keinen anderen Sportwagen mehr. Auch Flüge mit dem Flugzeug stellten mich vor ein Problem, da meine Flügel nicht als Handgepäck durchgingen.
Von den Schwierigkeiten, die ich beim Duschen hatte, ganz zu schweigen. Ich blieb in der Duschkabine hängen und brauchte eine Stunde, bis ich mich unter dem Verlust mehrer Federn befreit hatte.

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Drei Monate nach meiner OP war ich die Flügel leid. Mochte Dr. Ring noch so viel Charme haben, was gut ist, ist gut. Und für mein Image hatte ich genug getan. Zudem würde mich ein Fernsehteam bei der Explantation der Flügel begleiten und die Kosten übernehmen.
Dr. Ring war erstaunt. „Sie wollen sich wirklich von diesen Kunstwerken trennen?“
Ich nickte. „Sie ahnen nicht, wie viele Schwierigkeiten ich seither hatte.“
„Meine Liebe, glauben Sie nicht, dass sie es sich nicht noch einmal überlegen sollten? Möchten Sie jemals wieder auf das Gefühl, frei wie ein Vogel zu schweben, verzichten?“
„Wenn ich dafür wieder Autofahren und Duschen kann gern.“
„Wenn das alles ist.“ Wieder dieses bezaubernde Lächeln und das Strahlen seiner blauen Augen. „Dafür gibt es eine Lösung. Fledermausflügel. Nicht so elegant, aber durchaus praktisch und zusammenfaltbar. Nun, was halten Sie davon?“ Er hielt mir einen Hochglanzprospekt unter die Nase. „Sie wären die Erste. Denken Sie nur an den Ruhm.“
Ich schaute ihn nachdenklich an. Eigentlich wollte ich ablehnen, aber wer konnte diesem Mann schon etwas abschlagen …

14. Apr. 2009 - Melanie Metzenthin

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