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Die Zeitdämonen von Rena Larf
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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RENA LARF
A. Bionda
35 Beiträge / 7 Kurzgeschichten / 1 Artikel vorhanden |
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Manfred Lafrentz © http://www.literra.info Sagt euch der Name Sir William Reynolds etwas?".
"War das nicht der geniale Erfinder der Zeitmaschine?", fragt ihr zurück, "jener, der angeblich nach einer Zeitreise verschollen ist?"
Ja, so ist es!
Stellt euch vor, wir Dämonenjäger haben heute diese Zeitmaschine wiederentdeckt. Hier mitten in der dunklen Zeitspur unserer Convention. Mit ihrer Hilfe bewegen wir uns in der vierten Dimension - der Zeit. Atemberaubend schnell transportiert das Gerät uns Wanderer zwischen den Welten in das Jahr 2174, damit wir den Wissenschaftler Leonard Hedgenson vor einem bestialischen Tod bewahren können.
Denn nur er ist es, der verhindern kann, dass die gefährlichen Zeitdämonen am Ende siegen und die Menschheit vernichten.
Aber, um zu verstehen, wie alles begann, lasst uns gemeinsam in die Vergangenheit reisen, damit die Zukunft neu beginnen kann
..
Der Felsen von Lambosine 1374
Dort, wo jetzt die Trümmer der Ruine ragten, stand einst die stolze Burg der Malascienser. Hier hauste in alten Zeiten ein starkes Rittergeschlecht und herrschte für viele Jahre über die Ländereien von Malascia. Die Burg wurde wie eine Festung auf dem Felsen von Lambosine erbaut.
Die Sage erzählte von dem Burgfräulein Peonie, die in den Garten hinunter ging, um sich beim Schein der Mondsichel mit dem Ritter Ivo zu treffen, den sie liebte.
Just in dem Moment, als sich ihre Lippen bei der weißen Bank im hinteren Teil des Gartens von Burg Malascia treffen sollten, fielen die Horden der Meruda ein. Zumindest behaupten das die Chroniken.
Die Merudaner kamen aus der felsigen Einöde von Angetua.
Die Ritter von Malascia wehrten sich mit großer Ausdauer gegen sie. Doch die Schlacht schien aussichtslos, weil die Horde übermächtig und von grausamer Härte war. Sie johlten und schrieen, schlugen mit ihren Lanzen an die Haustore und feierten nach drei Tagen ihren Sieg mit einem gnadenlosen Besäufnis, nachdem sie allen Rittern den Kopf von den Schultern geschlagen hatten. Die abgeschlagenen Köpfe wurden zur Abschreckung aufgespießt. Den Burggrafen von Malascia mauerten sie bei lebendigem Leibe ein.
Peonie entkam nur knapp einer Vergewaltigung durch einen der Besatzer und weinte Tag und Nacht um ihren Vater - den Burggrafen - und um Ivo, dessen abgeschlagenes Haupt auf einer Stange neben den Köpfen der anderen getöteten Ritter thronte.
Der Felsen von Lambosine 2174
Als die Universität von Angetua Leonard Hedgenson den Auftrag erteilt, eine historische Abhandlung über die Vergangenheit des Großreiches Meruda zu verfassen, macht er sich auf den Weg zum Felsen von Lambosine.
Es ist eine große Ehre für ihn, aus der Vielzahl der Historiker auserwählt zu werden, um eine Arbeit zur 800-Jahr-Feier zu verfassen. Wie kann er ahnen, dass es kein Zufall ist, dass die Wahl auf ihn fällt? Die Historie um die Merudaner ist gut belegt, nur die Schlacht um den Felsen von Lambosine besteht aus einer Fülle von Angaben, die sich teilweise widersprechen.
Auf der Burg von Malascia herrscht inzwischen starke Verwilderung. Ein leichtes Lüftchen weht ständig vom Meer herüber und die Sonne versengt heftig Leonards nackte Oberarme. Er und sein Helfer Myers brennen mit Macheten - Koitoren einen Einstieg zum Burgtor frei.
Der Wissenschaftler hat weitere Helfer vor Ort, die mit der Vermessung der gesamten Burgruine betraut sind und ihm ihre Ergebnisse zur Erstellung eines Grundrissplanes übermitteln, der nicht mit den historischen Angaben übereinstimmt.
Es gibt versteckte Kammern und Gänge, wie in den großen ägyptischen Pyramiden.
Der Grundrissplan dient Hedgenson für weitere Ausgrabungen und auch der Eintragung von Fundstellen, Grabungsquerschnitten und der Zuordnung von Mauerresten. Eine ordentliche Dokumentation ist unerlässlich, um Meruda und seine historische Vergangenheit darzulegen. In den Kammern findet man hinter falschen Wänden einen goldfarbenen Helm und eine konkave Linse, die unmöglich aus der Zeit der Kämpfe um Lambosine stammen können.
Trotz eingehender wissenschaftlicher Analysen kann man nicht eindeutig feststellen, in welche Zeit die Funde gehören, weil sie aus keinen auf der Erde bislang bekannten Materialien stammen.
Durch die Arbeit auf der Burg kann Hedgenson viele interessante Kontakte zu den einheimischen Familien knüpfen.
Sie erzählen Geschichten aus der mündlichen Überlieferung, auch über Peonie und Ivo. Je mehr er von ihnen hört, desto mehr entwickelt er eine eigene Deutung der Dinge.
Zumindest erfährt er, dass Ivo eigentlich kein Ritter aus Malascia war, sondern ein Meruda-Prinz, der die verbotene Verbindung zur Tochter des Burggrafen nicht aufgeben wollte und deshalb bei seinem Volk in Ungnade fiel. Dies erklärt dann auch, warum er vor 800 Jahren mit abgeschlagenem Kopf neben den anderen Rittern endete. Oder hat die Zeit ein anderes Geheimnis, was sich noch offenbaren wird?
Eine junge Frau aus einer Adelsfamilie wird die Vertraute des Wissenschaftlers.
Sie heißt Symbola und erzählt ihm viele Sagen, die historisch bislang nicht belegt sind.
Symbola ist eine Schönheit, ihre ausgeprägten Reize bestehen in den Augen und der leicht adlerförmigen Nase der Malascienser. Wenn sie spricht, tut sie das mit einem leichten, angenehmen Akzent.
Sie zeigt Leonard die Schwerter der Ritter, die in einer abgelegenen Katakombe untergebracht sind. Diese sind von schlichter Eleganz, ein jedes ein Meisterstück, scharf und geschmeidig. In alle ist ein Name eingeritzt. Der Name der Ritter von Malascia. Nur das Schwert von Ivo fehlt.
Symbola ist es auch, die ihm von dem Gerücht erzählt, dass angeblich Dämonen aus einer Zeit weit vor der unseren nach Lambosine gekommen seien und den Lauf der Geschichte verändert haben, um hier ihre Brut der Finsternis zu deponieren. Sie sollen damals im finsteren Mittelalter in Malascia eingefallen sein und nicht die Merudaner. Angeblich sollen in den Kammern unter den Gewölben, Waben mit Millionen von Dämonenembryos lagern und auf ihren Einsatz warten, um die Herrschaft über die Welt zu übernehmen. Aber bis heute, fast 800 Jahre später laut unserer Zeitrechnung, schlafen sie wohl noch immer. Irgendetwas hat ihre Erweckung bis jetzt verhindert. Hedgensons Suche nach den Waben bleibt vorerst ergebnislos.
Zum ersten Mal merkt er, dass er nicht auf der Suche nach der Vergangenheit des Großreiches Meruda ist, sondern eigentlich auf den Spuren von Peonie und Ivo und der angeblichen Zeitdämonen, deren Existenz er als Wissenschaftler streng in Frage stellen muss.
Zeitreisen sind im 22. Jahrhundert noch nicht möglich, auch wenn seit Generationen von Gelehrten über nichts anderes geforscht und geredet wird. Aber woher kommen die Materialien aus den Kammern, aus welcher Zeit?
Nächtelang wälzt Hedgenson sich in absurden Albträumen, schweißgebadet.
Er träumt von Peonie, wie sie zart und unschuldig auf der weißen Bank sitzt und auf Ivo wartet. Wie die Wirklichkeit sie einholt, als ihre Lippen die seinen suchen und die Feindesmacht ihr den Geliebten entreißt. Leonard spürt ihren tiefen Schmerz, die Dunkelheit um sie herum. Sieht ihre Wunden.
Eines Morgens wacht er auf und ihm wird klar, dass er ihre Bank finden muss. Sie ist der Schlüssel zum Tor der Erkenntnis!
Er rennt wie ein Irrer über die Zugbrücke und klopft Symbola aus dem Bett.
Du musst mir sagen, wo die Bank von Peonie und Ivo stand, Symbola!
Die junge Frau sieht ihn an und zieht sich ohne Scheu ihr Gewand über. Symbola lächelt, so, als wenn sie diese Reaktion von ihm längst erwartet hätte. Sie scheint nicht im Mindesten überrascht.
Komm mit, flüstert sie leise, um ihre Eltern nicht zu wecken.
Ich zeige dir den Weg.
Hedgenson ist durcheinander. Ein feuchter Film überzieht seinen Körper. Er weiß nicht, ob es Schweiß ist oder die feuchte Kühle des Herbstmorgens. Sein heißer Atem hängt wie ein leichtes Schleiertuch vor seinem Mund. In seiner Hosentasche umklammert er die Linse aus der Geheimkammer und spürt in seiner Handfläche einen brennenden Stich wie von einem Brennglas. Aber er hält sie fest, so als wäre sie mit seiner Hand zu einer Einheit verwachsen.
Symbola geht mit kleinen Schritten voraus zur Burg. Weit hinten im Garten steht die Bank, dort, wo mit den Erkundungen noch nicht weiter begonnen wurde, weil die Kammern größere Entdeckungen versprachen.
Erst kann der Wissenschaftler sie kaum erkennen, weil sie ganz mit Efeu zugewachsen ist.
Dann findet er im Gestrüpp ein reich verziertes Schwert, blutbefleckt, aber weder rostig noch stumpf. Es ist das fehlende Schwert des Merudaprinzen Ivo.
Mit ihm befreit Leonard die Bank von dem Gewächs. Etwas blitzt auf der weißen Bank silbrig auf. Es ist wie eine glänzende Spiegelung der aufgehenden Sonne, die sich einen Weg durch den Herbsthimmel sucht. Symbola lächelt.
Als Hedgenson näher tritt, erkennt er den schimmernden Gegenstand. Es ist eine konvexe Linse, das Gegenstück zu jener, die er in seiner Hosentasche trägt.
Erstaunt sieht er die junge Frau an. Seine Rechte greift wie von einer fremden Macht geführt nach der Linse, und er lässt sich auf die Bank nieder. Dann fügt er die beiden Hälften zu einer Einheit zusammen.
Sein Blick fällt auf das Relikt aus einer anderen Zeit und Hedgenson entdeckt eine kleine weiße Bank, mit dem Blick auf einen Weiher, in den ein Wasserfall plätschert.
Er will Symbola aufgeregt davon berichten.
Doch das silbrige Etwas in seiner Hand beginnt zu zittern, zu glühen und zu beben.
Und als er wieder einen klaren Gedanken fassen kann, strandet er im 14. Jahrhundert in der Dunkelheit der geheimen Kammer.
Das Feuer des gebündelten Bannstrahls der vereinten Linsen trifft auf die Scheide des Schwertes von Ivo, das Hedgenson noch immer in der anderen Hand hält. Die Waben mit der Brut der Zeitdämonen werden davon zu neuem Leben erweckt.
Aber um die Herrschaft über die Erde und die Zeit zu erlangen müssen die Dämonen die Linsen zurück in ihre Gewalt bringen.
Leonard Hedgenson stolpert vor schierem Entsetzen über das Aussehen der Gruftbestien und die zähnestarrende Monsterbrut will sich mit weit gesperrtem, fauligem Schlund auf ihn stürzen, um ihn zu zerbeißen.
EX DAEMONI! EX DAEMONI!
Verbarrikum Brutus Brutalicus.
Leonard, Sohn des Hedgen
Vereine Schwert und Linse!
Benedictio Sanctissimi Sacramenti
Explosicum Grandiosum
Vernichte die Brut mit dem Feuer der öligen See!
Nur durch den Einsatz der Zeitmaschine ist es uns gelungen, vor Hedgenson im finsteren Mittelalter zu landen und durch die Beschwörung mit dem Abwehrzauber und der glühenden Glut des gesegneten Sakramentes die Bestien der Gruft in einer schrecklichen Explosion aus dieser Zeitspur hinauszuschleudern.
Peonie und Ivo vereinigen sich wie geplant - auf der Bank zu diesem wunderbaren allerersten Kuss. Keine Zeitdämonen stehlen ihnen ihr Leben und die 800 Jahre, die es braucht, um die Embryos auszubrüten.
Und so geschieht es, dass die Zeit eine andere wird, eine friedliche, und die Geschichte neu geschrieben werden muss. Zu einem Besseren.
19. Apr. 2009 - Rena Larf
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