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Der Keller
von Wolfgang G. Fienhold

Crossvalley Smith Crossvalley Smith
© http://www.crossvalley-design.de
Die alte Dame, in der noch älteren Villa gegenüber, schrieb Blumenbücher.
Viel mehr wussten wir nicht über sie.
Sie war stets in Schwarz gekleidet, was in krassem Gegensatz zu der Blütenpracht
in ihrem Garten stand.
Die Kinder hatten Angst vor ihr. Ein kleines Mädchen behauptete sogar, sie habe die Schriftstellerin nachts auf einem Besen in Richtung Mond fliegen sehen.
Die Alte bekam auch nie Besuch, abgesehen von ihrer Tochter, die jeden Samstag auftauchte. Wir vermuteten allerdings nur, dass es die Tochter war. Wer sonst hätte wohl so regelmäßig erscheinen sollen?
Wir hörten, wie die schwere Harley-Davidson herandonnerte und sahen wie die junge?
Frau in glänzendem Leder die Maschine am Tor abstellte und, ohne den Helm abzunehmen,
ins Haus ging.
Eines Tages geschah da etwas Seltsames:
Die beiden Damen kamen mit einem großen Koffer aus dem Garten. Sie nahmen das Gepäck in ihre Mitte und düsten ab.
Mein Sohn sah ihnen nachdenklich hinterher. Ich ahnte, was in ihm vorging, ich war in seinem Alter ebenfalls von alten Gemäuern fasziniert gewesen. Hatte aber Burgen bevorzugt.
„Das wäre Einbruch“, sagte ich.
„Woher weißt du ...“
„War auch mal jung.“
„Nee, Im Ernst?“ Er grinste.
„Also, vergiss es.“
„Geht klar, Alter.“
Ich mochte es nicht, mit nicht Dreißig „Alter“ genannt zu werden und ich traute ihm nicht, weil ich mir vor 20 Jahren auch nicht getraut hätte.
Meine Geschiedene hatte das Wort auch gerne benutzt, gegenüber Freundinnen: „Mein Alter hat gestern wieder Streit mit seinem Galeristen gehabt ...“
An manchen Sonntagen holte sie Kay zum Eisessen oder so ab, die Mutterrolle hatte sie nie so richtig drauf gehabt. Ich nahm ihr das nicht übel, wir waren damals beide zu jung gewesen.

Szenentrenner


Die meisten Maler machen ein Riesengedöns um das Licht, ich male nachts, vielleicht liegt es daran, dass ich lieber Schriftsteller geworden wäre, die schreiben dann ja angeblich oft, nur: Die Schreiberei war mir zu anstrengend.
Die Lichtkegel aus dem alten Haus sah ich, als ich mir eine Flasche Rotwein ins Atelier holte.
Kay war am Werk und was tut ein guter Vater in so einem Fall?
Genau, er geht hinaus und steht Schmiere.
Alles ging gut. Kay und zwei seiner Freunde kamen auf mich zu. Pit sagte gleich: „Wir haben nichts geklaut.“
„Habe ich auch nicht gesagt, geht nach Hause.“
Im Wohnzimmer fragte ich Kay: „Wie seid ihr reingekommen?“
„Das Küchenfenster war gekippt.“
„Und was ging sonst?“
„Das Haus ist vollgestopft mit Büchern.“
„Logisch bei einer Autorin.“
„Ja, aber eine Reihe PCs und mehr Bilder als bei uns.“
„Mehr Bilder als hier?“
„Tolles Zeug, sieht computeranimiert aus.“
„Ach son Murks.”
“Nee, echt geil. Katzenfrauen. Frauenköpfe auf Blumenstielen und das meiste sind Hologramme.“
„Hologramme sind nicht ganz so mythisch, sonst passt es ja zu einer alten Dame.“
„Aber das Geilste war der Keller. Ein riesiges Stahltor, dreifach gesichert.“
„Sie wird wertvolle Bücher, Bilder oder seltene Weine sammeln, wie man allerdings mit Blumenbüchern ...“ Ich überlegte, vielleicht hatte sie reich geerbt.
„Das normale Türschloss sieht schon stabil aus und dann ist da noch ein Vorhängeschloss, das man nur mit dem Schneidbrennen aufkriegt und eine elektronische Sicherung.“
„Zuviel Panzerknacker gelesen? Jedenfalls ist der Fall damit erledigt, die Schlösser würde nicht mal Knacker-Ede schaffen.“
„Knacker-Ede? Kennst du den?“
„Nee, das war nur eine Figur aus alten Witzen.“
„Mist, so einen bräuchten wir.“
„Quatsch, da kommt keiner rein.“
„Plastiksprengstoff.“
„Jetzt hör auf zu spinnen und mach was Sinnvolles. Am besten, du gehst ins Bett.“

Szenentrenner


In den nächsten Wochen wiederholten sich die Besuche der Tochter und jedes Mal nahm sie die Alte für drei, vier Tage mit.
Eines fiel mir auf: Die Tochter war mal ein paar Zentimeter größer, mal kleiner.
„Hat sie halt zwei Töchter“, murmelte ich vor mich hin und spielte weiter Computerschach.
Auch Kay war es aufgefallen: „Ich glaube da kommt jedes Mal eine andere Tussi und holt die Oma ab.“
„Ja, nein, weiß nicht, könnte sein.“
„Ich habe mit der Digi vier Aufnahmen gemacht, jag sie mal durch das Notebook.“
Das tat ich.
„Verdammt, du hast recht, das sind wirklich vier verschiedene Größen und auch die Kluft ist jedes Mal ein bisschen anders, die hat mehr Silber, die einen roten Streifen. Muss wohl ne Großfamilie sein.“
„Mit nur einem Motorrad?“
„Warum nicht?“, ich glaubte mir selbst nicht.
Das Ganze ging noch ein paar Wochen und als wir auf acht verschiedene Größen kamen,
glaubte ich auch nicht mehr an eine Töchterschar, Nichten oder Enkelinnen.
Was hätten Holmes oder Poirot jetzt getan? Polizei stand außer Frage, erstens mochte ich weder die Trachtentruppe, noch hielt ich ihre zivilen Kollegen für sonderlich clever und zweitens hätten die ohnehin nur gelacht,
Im Krimi war mal ein dressierter Schimpanse durch Kamine und andere kleine Öffnungen geklettert und hatte geklaut. Ein Schimpanse mit einer Kamera ... Ich lachte laut über meinen Blödsinn und ich musste auch laut gedacht haben, denn Kay hatte mitgehört.
„So dumm ist das gar nicht, es gibt da ein Kellerfenster. Zu klein für einen Erwachsenen, aber wir können es schaffen.“
„Mensch, ich hab doch nur rumgeblödelt. Noch einen Einbruch verbiete ich.“
„Aber da ist doch was oberfaul.“
„Mag sein. Ich habe einen Gegenvorschlag: Das nächste Mal verfolgen wir das Motorrad, da erfahren wir sicher auch einiges.“
„Vollporno!“
„Bitte was?“
„Cool, geil.”
“Aha”, wieder dazu gelernt.
Die folgenden Tage lehrten uns die Bedeutung des Wortes „Jagdfieber“.

Szenentrenner


Endlich war es dann so weit. Eine besonders große Lederfrau kam herangebraust und verschwand sofort im Haus. Alles wie immer. Wir hatten fast drei Stunden Zeit, die wir nutzten um einige Dinge zusammenzupacken:
Fernglas, Proviant, Kamera mit Superzoom und ein paar andere Kleinigkeiten.
Dann stiegen wir in meinen alten Porsche – ich hoffte, er würde mit der Harley mithalten können –, und warteten.
Es lief nach Plan. Wir hängten uns dran. Ihr Tempo war höllisch, aber der Porsche hielt gut mit.
„Fahr nicht so dicht auf, sonst merken die was.“
„Ich schaue auch Krimis.“
Wir nahmen eine kleine Anhöhe, die dicht bewaldet war und nach der Kuppe war weit und breit nicht die Spur eines Motorrades.
„In Luft aufgelöst“, stellte ich fest.
„Oder in die Lüfte geflogen.“
Ich wendete den Wagen und fuhr langsam zurück.
„He, das ist ein Waldweg, nur, mit dem Porsche kommen wir da nicht weiter.“
„Mist und für einen Geländewagen ist es zu schmal.“
„Gehen wir ein Stück zu Fuß.“
Ich parkte in einer kleinen Nische und wir wanderten los. Nach einer Weile kam ein Kreuzweg. Zwei der kleinen Pfade waren sogar asphaltiert.
„Die werden wohl von der anderen Seite befahren, trotzdem seltsam wegen einem Förster oder ein paar Holzfällern solch feste Wege zu bauen.
„Okay, wir umfahren den Hügel und schauen wo die Wege anfangen.“
Wir fanden einige winzige Dörfer und wurden fündig. Von zweien führten die Ministraßen
nach oben.
„Gehen wir in die Kneipe, wenn einer was weiß, ist es der Wirt.“
Der rundliche Mann mit der grünen Schürze beäugte uns als seien wir vom Jupiter.
Ich glotzte zurück.
„Sie müssen schon entschuldigen, hier verirrt sich fast niemand her. Das Gasthaus wird eigentlich nur von den sieben Dörfern besucht. Ich meine von den Bauern und so.“
„Bekommen wir trotzdem was?“
„Sicher, sicher doch, was darfs denn sein.“
„Ein Bier.“
„Für mich auch“, krähte Kay. Ich schaute ihn an.
„Malzbier natürlich.“
„Zu essen gibt es heute Sauerbraten.“
„Nehmen wir.“
Wir waren beide keine großen Jogger oder Waldläufer und der Spaziergang hatte hungrig gemacht.
„So bitte“, der Wirt stellte die Biere hin. „Essen kommt gleich.“
Es war wirklich ausgezeichnet und Kay rülpste ungeniert. Wir waren die einzigen Gäste und der dicke Wirt sah wie einer aus, der selbst gerne rülpste.
„Sagen Sie, warum sind bei Ihnen eigentlich die kleinsten Waldwege asphaltiert?“
„Ach, die Holzfäller haben es so bei Regen und Matsch eben leichter. Und ...“
Er brach ab.
„Und was?“
„Naja, ab und zu werden da oben auch Feste gefeiert.“
„Feste?“
„Sommerfest, Grillfeste alles Mögliche eben.“
„Sonnenwendfeste?“ Wie kam ich darauf?
„Ja, die auch.“ Er tappte zurück in die Küche und kam mit einem Schnaps zurück: „Geht aufs Haus.“
Wir zahlten und ich sagte artig: „Schönes Dorf, prima Essen. Vielleicht kommen wir mal wieder.“
„Tun Sie das, tun Sie das.“

Szenentrenner


Auf dem Heimweg fragte Kay: „Was ist denn so besonders an der Sonnenwende, was sind das für Feste?“
„Astronomisch ist das der höchste Stand der Sonne, oder besser, zweimal im Jahr erreicht die Sonne jeweils die geringste oder höchste Höhe über dem Horizont. Interessanter sind die kultischen Rituale. Da gibt es viele, ich werde nachher einige Bücher wälzen.“
„Googeln geht schneller und Wikipedia bringts sicher auf den Punkt.“
„Okay, Arbeitsteilung“.
Während ich mich mit den alten Kelten und Germanen herumschlug, war Kay auf etwas Handfestes gestoßen.
„Lies mal was im „Schwarzen Netz“ steht.“
„Am Johannistag pflückten Jungfern stillschweigend in der Stunde nach Mittag neunerlei Blumen, darunter Storchschnabel, Weide und Feldraute. Mit einem zur selben Stunde gesponnenen Faden wird daraus ein Kranz gebunden und rückwärts in einen Baum geworfen. So viele Würfe es bedarf, ehe der Kranz im Baum hängen bleibt, so viele Jahre wird es dauern bis die Jungfer heiratet.“
„Die Motorradbräute und Jungfern, das wage ich zu bezweifeln, aber was da über den Hexensabbat steht, leuchtet mir schon eher ein. Zukunft voraussagen und beeinflussen.“
„Meinst du die Tussis sind Hexen?“
„Ich glaube auch nicht an Hexen, aber anschauen sollten wir uns die Action schon. Ich schau mal, ob es ein Hotel oder eine Pension in der Nähe gibt. Ich möchte auch den Tag davor und danach dort sein.“
„Du bist ja genauso neugierig wie ich.“

Szenentrenner


Ein paar Tage später checkten wir in einem kleinen Hotel ein. Wieder einmal kam mir unser Tun absurd vor, die Zusammenhänge konstruiert; Jungfern, Blumen, Motorräder ..., nee, das war spinnert.
Der Empfangschef, wahrscheinlich auch der Chef des Hauses, begrüßte uns freudig: „Aha, Sie hatten angerufen – alles ist gerichtet.“
„Bestens.“
„Sie haben Glück, normalerweise sind wir um diese Zeit ausgebucht.“
„So, so.“
„Ja, aber die Motorradmädels haben zum ersten Mal seit Jahren abgesagt.“
„Oh.“ Jetzt wurde ich hellhörig, hatten sie unsere „Verfolgung“ bemerkt?
„Wieso denn das?“
„Keine Ahnung, sie waren immer ein bisschen merkwürdig. Wir haben ja nur Frühstück und ich hatte ihnen den „Rosenwirt“ im Nachbardorf empfohlen.“
„Den kennen wir, prima Essen.“
„Sicher, nur, die Damen tranken ausschließlich Wasser.“
„Ihh“, machte Kay.
„Na, sie mussten ja viel fahren, aber dass sie nie die Helme abgenommen haben ..., na zum schlafen schon, glaube ich.“ Er kicherte.
Jetzt kamen mir die Bikerinnen doch wieder verdächtig vor.

Szenentrenner


Im gemütlichen Zimmer zündete ich mir eine Pfeife an und fragte Kay: „Neue Erkenntnis?“
„Hm, wir haben sie auch nie ohne Helm gesehen, nur die Alte. Die muss der Boss sein.“
„Glaube ich auch, eine Art Großmeisterin. Du warst doch im Haus. Gab es da auch nur Wasserflaschen?“
„Nein, die hatte eine richtige kleine Bar mit Schnäpsen aller Art.“
„Sie werden nicht kommen, eigentlich könnten wir gleich wieder abreisen.“
„Siehs als Kurzurlaub.“
Das tat ich.

Szenentrenner


Am nächsten Abend machten wir uns auf dem Weg. Von allen Seiten liefen Leute den Hügel hinauf. Wir fielen nicht weiter auf, hoffte ich.
Es gab Stände mit Wein- oder Bierfässern, Brezeln und anderen Snacks.
Wir langten zu, der Wein war vorzüglich und ich musste heute nicht mehr Autofahren.
Kay begnügte sich mit Cola, der Echten, nicht dem Diät-Müll und war gut drauf.
Alle waren es. Tolle Stimmung, nur die Ledermädels fehlten mir und die Alte natürlich.
Überall brannten Feuer und ich hatte gelesen, dass vielerorts Feuerräder die Hügel heruntergerollt wurden.
Alte Lieder wurden gesungen, Gedichte aufgesagt, Ludwig Uhland erkannte ich, und dann kam wieder Rockmusik.
Mir war alles recht, solange es kein Rap war.
Feuerräder gab es keine, aber ein Feuerwerk, und was für eines!
Es konnte sich mit fast jedem anderen messen und wollte gar nicht aufhören.
Einmal glaubte ich sogar feurige Harleys am Nachthimmel zu sehen, aber da Kay nichts dergleichen sah, war es wohl der Wein. Obwohl, soviel mehr als sonst hatte ich nicht getrunken.
Wir tanzten sogar eine Weile mit den Einheimischen. Für mich als Nichttänzer fast ein Ding der Unmöglichkeit. Ich hatte mich selten so wohl gefühlt.
In der Morgendämmerung löste sich die Menge auf und auch wir trotteten in Richtung Hotel.
Ich fiel schwer aufs Bett und hörte mich etwas murmeln, es klang wie: „Einen Kameraroboter müsste man haben so wie Jungs an den Pyramiden. Den könnte man fast gefahrlos durchs Kellerfenster ...“
Dann schnarchte ich weg.

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Home, sweet home. Drei Tage Abwesenheit sind was Feines, aber länger muss es nicht dauern. Nach 14 Tagen wollte ich schon nach Hause, als ich noch mit den Eltern in Urlaub musste.
Ich malte, trank Rotwein und schielte häufig zur Villa hinüber. Irgendwie war die Luft raus. Was hatte ich eigentlich erwartet, in dieser Johannisnacht? Orgien der schwarzen Hexen mit Dörflern? Nicht unbedingt, aber mehr als gutes Essen und guten Wein. Ich schlug sechs Eier
mit Dörrfleisch in die Pfanne und öffnete eine Flasche Bier. Ich liebte das „ungesunde“ Leben, das in meiner Familie seit Generationen praktiziert wurde. Seit 300 Jahren war kein Familienmitglied mit weniger als 85 Jahren in die Grube gefahren. Ausnahme: der zweite Weltkrieg.
Bei Grube musste ich an Gruft und das Kellerfenster denken. Was tun? Ich bekam es nicht aus dem Kopf, auch wenn es nicht mehr brannte. Meine Brüder, die Beamtengesäße, waren weder bei der Polizei noch beim Geheimdienst. Ich aß und ging zu Bett.
Durch meine Träume rasten Motorräder, düsten Raketen mondwärts. Rot und Schwarz waren die dominierenden Farben. Frauen tanzten in Kratern, ohne richtige Raumanzüge, nur mit Helmen bekleidet. Ich wollte mitmischen, aber ein Knall riss mich aus dem Schlaf.
Die Haustür!
Kay stürmte aufgeregt in mein Schlafbüro, normalerweise hätte ich jetzt in meinem Schlafatelier gelegen, zu faul zum Arbeiten und zu vollgefressen, war ich gleich hier geblieben.
Er sprudelte los:„Ich war drin. Ich war unten im Keller.“
Jetzt war ich wacher als hellwach.
„Und?“
Er wurde ruhiger: „Okay von vorne. Die Jungs haben das Seil gehalten, denn der Kellerboden liegt zwei Meter tiefer. Da stehen sechs Kisten aus Metall, Eisen oder Stahl. Sie sind so groß wie Särge und sie fühlen sich warm an.“
„Um Himmelswillen.“ Ich dachte an Radioaktivität.
Als Kay fortfuhr, war ich beruhigt: „Es führen Warmwasserkabel in die Kisten und alles riecht so, so nach Pflanzen und Erde. Ich könnte die Kisten mit einem Brecheisen knacken.“
„Guter Gedanke. Was haben wir bis jetzt: Hausfriedensbruch, Einbruch, Sachbeschädigung.
Was kommt jetzt dazu? Wer weiß was in den Kisten ist, vielleicht zerstören wir etwas Wertvolles. Das käme dazu und du ins Heim und ich in den Knast.“
„Ach wo, nur wenn sie uns erwischen oder wenn die Alte Anzeige erstattet, was sie ...“
„ ... aber nicht tun wird, wenn sie Dreck am Stecken hat, im wahrsten Sinn des Wortes.“
„Und auf noch nen Bruch kommts auch nicht an.“
„Meinetwegen, aber ich übernehme das Seil und wir halten die Jungs raus.“
„Gekauft.“

Szenentrenner


Wir warteten den Zeitpunkt ab, an dem sich der Bikerkorso wieder einmal in Bewegung setzte. Nach Anbruch der Dunkelheit enterten wir bewaffnet mit Brecheisen, Taschenlampe, Seil und Kamera das Nachbargrundstück. Die braven Bürger schauten jetzt die Tagesschau und anschließend den „Tatort“. Kay stieg in den unseren und ich hielt das Tau.
Ich sah den Kegel der Lampe und flüsterte im oberen Bereich: „Und, hat sich was verändert?“
„Nein, nichts. Ich breche jetzt mal eine Kiste auf.“
Es knirschte, dann blieb es eine Weile ruhig.
„Ey, was ist los?“
„Das glaubst du nicht.“
„Sag schon.“
„Da liegt ein menschlicher Körper in – ich weiß nicht – sieht aus wie eine Mischung aus Wasser und Erde.“ Ich hörte ihn schlucken: „Aber, aber der Kopf ... der Kopf ..“
„Was denn?“
„Der Kopf ist eine Blume, eine Sonnenblume.“
Als hätte ich es erwartet, sagt ich: „Mach Fotos, so viele und so fix wie möglich.“
„Klar.“
Kay kam schneller noch oben geklettert als vorhin nach unten. Es hätte mich wenig gewundert, wenn er mit gesträubten oder weißen Haaren aufgetaucht wäre.
„Nichts wie weg.“ Da waren wir einer Meinung.
Zu Hause nahm ich erst mal einen Cognac und ich hätte wahrscheinlich Kay auch keinen abgeschlagen, aber er starrte nur auf den PC.
Ich schloss die Kamera an.
„Eines ist sicher, die Dame macht genetische Experimente.“
„Verbotene Experimente.“
„Sie scheint weiter zu sein als alle anderen von denen man weiß.“
Kay meinte altklug: „Aber was wissen wir schon.“
„Genetische Versuche ohne Kontrolle gefallen mir gar nicht. So sehr es mir widerstrebt, ich werde die Behörden informieren müssen.“
„Den Damen scheint es aber gut zu gehen.“
„Möchtest du mit einem Blumenkopf herumlaufen?“
„Nee, wo ist denn da das Gehirn?“
„Eine von hundert Fragen. He, der Monitor bleibt schwarz. Was hast du versemmelt?“
„Bei der Kamera kann man doch gar nichts falsch machen. Du hast sie damals gekauft, weil sie idiotensicher ist und ich habe schon viele Aufnahmen gemacht.“
„Was ist es dann?“
„Soll ich es noch mal mit einer andere Kamera versuchen. Der Polaroid oder der alten Spiegelreflex?“
„Glaube nicht, dass es da anders wäre.“
Wir saßen eine Weile schweigend da und grübelten vor uns hin.
„Was tun sprach Zeus, die Götter sind besoffen. Ich hol mal ne Flasche Rotwein.“
„Vielleicht sind es wirklich Göttinnen, die hatten doch früher auch alle möglichen Köpfe.“
„Oder einen anderen Unterbau.“
„Oder es sind Aliens, die in einer Nährflüssigkeit liegen. Oder ...“
„Oder, oder oder, es ist alles möglich.“
„Was machen wir?“
„Frag mich was Leichteres. Ich habe keinen Plan, keine Idee.“
Von draußen waren plötzlich Geräusche zu hören.
„Hol das Nachtglas.“
Wir löschten das Licht und zogen die Vorhänge zur Seite. Neun Motorräder standen in V-Formation vor dem Nachbarhaus.
Die Kisten wurden herausgetragen und neben die Bikes gestellt. Die Ladies und die alte Dame, diesmal auch mit Helm, aber an ihren Bewegungen erkennbar, steckten und
schraubten Teile zusammen.
Wortlos starrten wir in die Nacht.
Bald darauf saßen die Mädchen auf und auch die Alte nahm auf einem Sozius Platz. Mir schien als würde sie uns zuwinken.
Die Motoren dröhnten auf und das seltsame Gebilde aus Harleys und Kisten donnerte – himmelwärts.
Keine Umwege mehr, das war ein Abschied für immer.
Die skurrile Rakete wurde kleiner und kleiner. Selbst wenn es noch andere sehen sollten, hätten sie an einen großen Feuerwerkskörper oder etwas Plausibles gedacht.
Wir kannten wenigstens die halbe Wahrheit.
Verwirrt und ziemlich kaputt gingen wir in unsere Gemächer.

Szenentrenner


Neue Mieter waren in das Haus gezogen, eine völlig unverdächtige Großfamilie, die eine Party nach der anderen feierte. Auch mit ihnen konnten wir nicht über die vergangenen Vorfälle reden. Wir stellen nur untereinander die abstrusesten Theorien auf und verwarfen sie wieder. Langsam kehrte die Routine wieder ein. Kay wechselte aufs Gymnasium und ich bereitet die nächste Ausstellung vor.
Doch wir hörten nicht auf über die Blumenkinder, so nannten wir sie jetzt, zu reden.
Wochen später erreichte mich eine Mail: Hören Sie auf über uns nachzudenken. Totaliter aliter!
Crossvalley Smith
Crossvalley Smith
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15. Apr. 2009 - Wolfgang G. Fienhold

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