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Dialog zwischen Rose und Geige von Markus K. Korb
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Der Dialog zwischen zwei Menschen ist sicher die angenehmste und sofern er auf hohem Niveau geführt wird auch die eleganteste Art des Zeitvertreibs. Doch dass er darüber hinaus noch viel mehr sein kann, und dass dieses Zwiegespräch auch auf andere Dinge der sichtbaren und unsichtbaren Welt übertragen werden kann, davon erfuhr ich erst, als ich einmal einen meiner unabdingbaren Vertreterbesuche in der Provinz machen musste.
Ich bin inzwischen in der angenehmen beruflichen Situation, nicht mehr allzu viele dieser Besuche machen zu müssen. Doch der Graf, dessen Namen ich nicht preisgeben möchte, bestand darauf, dass nur ich allein die alljährlichen Besuche abstatten durfte, bei denen über alles mögliche, nur nicht über Versicherungen geredet wurde. Dieser adlige Herr war vor langer Zeit einer meiner ersten Kunden gewesen und hegte eine gewisse Anhänglichkeit zu mir. Er war seitdem um einiges grauer in den Haaren geworden, hielt aber meiner Gesellschaft stets die Treue. Einmal hatten sie es gewagt, einen Jüngeren als mich zu schicken, den ließ er glatt vor der Türe im Regen stehen. Der Graf akzeptierte nur mich als Vertreter und ich gebe offen zu, dass mich diese Tatsache mit Stolz erfüllt und ich gerne die Visiten auf sein Landhaus tätige. Wenn ichs recht bedenke, so bin auch ich in den Jahren etwas anhänglich geworden. Ja, ich kann sogar sagen, ich mag ihn, den alten Herrn.
Bei unseren Treffen wie er es bezeichnete saßen wir oft stundenlang nach einem Abendessen im Salon zusammen und unterhielten uns über die neuesten Entwicklungen in den Naturwissenschaften, der Philosophie, Literatur und der Kunst. Es waren immer sehr anregende Gespräche gewesen. Sie brachten mich geistig weiter, veränderten mein Bewusstsein, lenkten es in neue Pfade, die ich wahrscheinlich ohne den Grafen und seine Diskurse nie betreten hätte.
Doch dieses eine Mal schien es etwas anders zu sein. Die Einladung zum Essen wirkte nicht fröhlich und unternehmungslustig, sondern eher melancholisch und wie soll ich es beschreiben wie ein Abschiedsgruß. Sie begann mit den Worten »Noch einmal
«, und führte über die Phrase »
bedenkt man den Fluss der Zeit
« und endete in der Aufforderung »
so sehen wir uns noch einmal wieder
« seltsame Worte für den lebenslustigen Grafen. Doch waren es weniger die Worte an sich. Es war mehr der Ton, die Atmosphäre, die aus ihnen hervorschwebte und mir wie ein schweres orientalisches Parfüm nachhing.
Mit gemischten Gefühlen war ich damals losgefahren. Ich erinnere mich noch genau, als wäre ich jetzt dorthin unterwegs.
Der Zug brachte mich in ein kleines Dorf, das zur Hälfte noch dem Grafen zahlungsverpflichtet war. Alte Rechnungen, wie er mir anvertraut hatte. Dort stieg ich aus und nahm ein Taxi hinauf zum Herrenhaus am Rande des Waldes.
Es war ein Schmuckstück, dieses Haus nun wuchern dort nur noch die Farne und wilden Brennnesseln, es ist eine Schande. Aber damals lag es in einem kleinen Park, wo die Fliederbüsche leuchteten und die Bäume sich wundersame Dinge zuflüsterten, wenn der Abendwind auffrischte. Rosenstöcke beherrschten das Bild, denn der Graf hegte eine besondere Vorliebe dafür. Schon seit eh und je wuchsen die Rosen in diesem Park, so sagte er mir einmal. Eine alte Liebe, meinte er, wie eine alte Liebe.
Schon als ich vor dem großen schmiedeeisernen Tor das Taxi zahlte, eilte er mir entgegen und schwenkte die Arme in der Luft.
Seine Begrüßungen waren legendär. Wie zwei alte Freunde und vielleicht waren wir das auch umarmten wir uns und lachten einander ins Gesicht. Er erzählte wie lange die Zeit ohne mich gewesen wäre und fragte mit ernster Miene, warum ich nicht schon öfter gekommen wäre. Ich antwortete immer mit denselben Ausflüchten keine Zeit, der Beruf, die Familie
Und schon war wieder das Lachen in seine von Runzeln umkränzten Augen zurückgekehrt. Keine Spur von Melancholie, ich musste mich getäuscht haben.
Wir gingen über die Rasenfläche den Schotterweg hinauf zum Haus, wo mich schon der Hausdiener erwartete, der mit englischer Ruhe mein Gepäck aufnahm und auf ein Zimmer brachte. Dann saßen wir im Rauchsalon und genossen unsere Zigarillos. Während sich der Rauch in wirren Spiralen gen Decke wand, fragte er mich über das vergangene Jahr aus wo ich gelebt, was ich erlebt und wer inzwischen gestorben war.
Hier stutzte ich. Mir war der Vorgang vertraut, doch die letzte Frage hatte der Graf noch nie gestellt. Warum heute? Mir war es immer so vorgekommen, als hätte der Tod hier in diesem Haus keine Verfügungsgewalt. Der Graf hatte ihn aus seinem Leben gebannt, er war hier nicht einmal als Thema im Gespräch erlaubt, wie ich schon erfahren hatte. Doch diese Anti-Tod-Manie ging noch weiter: der Diener war angewiesen, tote Rosenköpfe sofort abzuschneiden, sobald er sie sah und das sollte möglichst noch vor den wachsamen Augen des Grafen sein. Außerdem wurden verendete Tiere (man lebte hier ja stets in Waldnähe) nicht nur aus hygienischen Gründen schnellstens vom Rasen entfernt. Der Diener vertraute mir eines Abends an, dass der Graf eines Morgens laut polternd auf sein Zimmer gerannt sei und das mit einem Ausdruck des Grauens und Entsetzens, wie ihn der Diener noch nie in seinem Leben gesehen hatte und das wegen eines toten Vögelchens auf der Terrasse, das über Nacht aus seinem Nest gefallen war.
Ich hatte diese Manie stets als das angesehen, was sie augenscheinlich auch war: die Verrücktheit eines alten Mannes, der im Bewusstsein seines unaufhaltsam näherrückenden Todes lebte. Das unausgesprochene Verbot, den Tod hier im Haus zu erwähnen, wurde also von mir jahrelang respektiert und mich wunderte zutiefst, dass gerade der Graf es nun brach.
Wahrheitsgemäß antwortete ich ihm, erzählte von einigen alten entfernten Bekannten, von Unfällen immer sah mich der Graf mit einem gespannten Gesicht an, die Hände fest in die Lehnen verkrampft. Warum quälte er sich so?
Nachdem ich geendet hatte, entspannte sich sein Gesicht sofort und ich nahm an, dass ich einer Sinnestäuschung erlegen war. Der Graf redete nun seinerseits von den Erlebnissen auf dem Landgut, den frechen Bauern, die quer über seine Felder mit den Traktoren Abkürzungen nahmen und so weiter. Belanglosigkeiten, Dinge, über die man sich nicht aufregt Wetterthemen, wenn man so will.
Als der Diener erschien und uns zum Essen bat, erschien mir der Graf seltsam erleichtert, das Gespräch nicht mehr weiterführen zu müssen. Irritiert wandte ich mich zum Speisesaal und nahm das prächtige Essen zu mir. Wir aßen lange schweigend, bis ich ein paar abstruse Geschichten aus meiner beruflichen Praxis berichtete. Er hörte zu, schwieg aber und so nahm ich an, dass ihn mein Reden störte und schwieg ebenso.
Nach dem Essen führte er mich wieder in den Salon. Der Diener zündete den Kamin an und im prasselnden Feuerschein saßen wir uns gegenüber. Das Gesicht des Grafen wirkte angesichts der vielen Schatten, die es verdunkelten, alt und verbraucht. Verlebt, so sagten die Frauen hier in diesem Landesteil. Das war mir beim letzten Besuch noch nicht aufgefallen.
Das Knacken der Scheite echote im dunklen Raum, das Licht erreichte die Stuckränder an den hohen Decken kaum. Kein Wort störte die Symphonie des Kamins, in welchem der Wind mit Unkenstimmen heulte. Wir saßen und lauschten den Gesängen der Nacht, die mittlerweile über die Berge gekrochen war und das Land mit Schwärze bedeckte.
»Glaubst du eigentlich an Dinge, die nicht sichtbar sind?«
Die Frage des Grafen erschreckte mich. Nicht so sehr wegen des Inhalts, mehr wegen der Plötzlichkeit, mit der sie in das Schweigen eingebrochen war.
»Sicher. Nimm Röntgenstrahlen zum Beispiel, oder
«
Der Alte schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, nein, das meine ich nicht! Denkst du, es ist möglich, dass wir aus der Welt gehen und etwas von uns bleibt zurück?«
Ich grübelte nach. Schon in der Schulzeit hatte ich mich angesichts der Greuel der Welt von der Religion abgewandt und war ein Atheist geworden. Je mehr ich über die Geschichte der Menschheit laß und erkannte, je mehr ich über die Grausamkeiten der Kreuzzüge, der Conquistadoren und der Völkermorde an den Indianern wusste, desto mehr festigte sich meine Meinung: es gibt da nichts, das uns hilft und lenkt. Genauso sagte ich es ihm.
Er schien nachzudenken, denn er machte nur: »Hm« und sein Blick wanderte abwesend ins Feuer. In dieser Position verblieb er auch, als er sagte:
»Nun, dann muss ich mich getäuscht haben lange Jahre lang!«
Ich sah ihn mit gerunzelter Stirn an, doch er winkte nur ab.
»Nein, nein! Das ist zu kindisch. Es ist lächerlich, das Hirngespinst eines alternden Mannes. Geh nur zu Bett. Ich bin müde.«
Das stieß mich vor den Kopf. Noch nie hatte er eine kaum begonnene Konversation dermaßen barsch und schnell beendet. Unsere Dialoge reichten oftmals bis weit in die Zeit nach Mitternacht hinein und waren gewiss inhaltlich und quantitativ ausgereifter als an diesem Abend. Doch er war ein alter Mann, und alte Männer werden irgendwann seltsam.
Ich zuckte leicht die Achseln und stand auf. Der Graf rief den Diener, der mich aufs Zimmer bringen sollte. Der Alte sah vom Feuer auf und mir ins Gesicht. Es war ein durchdringender Blick, in welchem ich wieder die Melancholie entdeckte und den Abschied.
»Ich danke dir, mein Freund. Du hast mir lange Jahre gedient, obgleich du es nicht wusstest. Die Dialoge mit dir haben mich jung gehalten, aber wie du siehst habe ich den Kampf gegen die Zeit nun doch endgültig verloren. Geh! Geh zu Bett und morgen aus dem Haus noch vor Sonnenaufgang. Du sollst mich so in Erinnerung haben, wie ich die Jahre über war lebenslustig, optimistisch und vergnügt. Nicht wie einen alten sabbernden Greis, der nur noch über wackelnde Zähne und krumme Prothesen klagen kann. Geh, solange ich noch ein annehmbares Bild meines früheren Ichs bin. Du sollst das Altern und Verdämmern nicht sehen, nimm das als Entschuldigung und Erklärung. Ich weiß, dass du es irgendwann verstehen wirst.«
Mir verschwamm das Bild vor Augen, als meine Tränen hochbrachen. Doch ich beherrschte mich, nahm nur seine Hand und drückte sie mit einem festen Blick in die Augen des Grafs. Mehr brauchte es nicht. Ich verstand. Er wusste.
Ich akzeptierte seine Bitte und ging.
So mancher Mensch hat sich im Alter in Isolation dem Prozess des Verblühens hingegeben, doch machte es mich traurig, dass gerade der Graf es sein sollte, der diese Tradition der nordamerikanischen Indianer fortführte. In mir wurde es kalt und ich fröstelte.
Der Diener kam mir auf meinem Weg entgegen und blickte verwirrt. Ob es dem Grafen nicht gut gehe, ob er etwas Wasser brauche diese Fragen brannten ihm auf der Zunge, doch ich konnte sie nicht beantworten. In meiner Kehle steckte ein Kloß.
Als sich der Diener vom Zustand des Alten überzeugt hatte (er schlief), führte er mich zu meinem Zimmer. Verwundert stellte ich fest, dass mir das Bett in diesem Jahr nicht im Nord-, sondern im Westflügel gerichtet worden war. Auf mein Nachfragen antwortete der Diener, dass dies auf die ausdrückliche Anweisung des Grafen zu geschehen habe.
Das Zimmer bot mit seinen Wandvorhängen ein mittelalterliches Klima. Gobelins der unterschiedlichen Webtechniken erfreuten das Auge, ein kleiner Kamin prasselte vor sich hin und verbreitete gemütliche Wärme und das Fenster gab den Blick frei auf den kleinen wilden Garten hinter dem Haus, den ich noch nie gesehen hatte.
Als ich so hinunterstarrte, bemerkte ich eine Sonderbarkeit. Inmitten des Rasens, kurz vor dem wilden Arrangement von Büschen, Bäumen und Rosen, stand eine griechische Säule. Sie war nicht groß, reichte mir vielleicht bis auf Hüfthöhe. Auf der Säule wölbt sich erstaunlicherweise eine ovale Glaskuppel. Darin eingeschlossen stand eine Geige, welche mit Hilfe eines kleinen Holzständers aufgerichtet war.
Ich war völlig verwirrt. Der Diener bemerkte es und stellte sich zu mir. Er erzählte mir von seltsamen Dingen, die sich nachts dort unten im Garten abspielen und die ihn ängstigten, da er sie schon häufiger beobachtet hatte. Nach und nach erfuhr ich neue Aspekte des Charakters meines Freundes.
Ich wusste, dass der Diener noch nicht sehr lange im Haus war (einige Jahre vielleicht), und doch kannte er mehr über die Verhältnisse als ich, der ich mich schon seit Jahrzehnten hier zumindest teilweise aufhielt. So berichtete er mir über die sonderbaren Vorgänge, die sich hier in Vollmondnächten zutrugen. Die Hauptrolle spielte dabei der Graf, der Rosengarten hinter dem Haus und die Geige unter der Glaskuppel. Und noch während der Diener mir flüsternd Geheimnisse offenbarte, die ich auch nicht im Geringsten geahnt hätte, da bewegte sich ein Schatten am Gartentor, das immer verschlossen gehalten wurde (so sagte es mir der Diener).
Es war der Graf. Er bewegte sich langsam, so als ob er eine schwere Last auf den Schultern trüge. Sein Ziel war die Säule mit der Geige.
Als er sie erreicht hatte, atmete er tief durch und holte einen Schlüssel aus der Hosentasche mit dem er ein kleines goldenes Schloss aufsperrte, das die Glaskuppel mit der Säule verband und den Zugriff auf das Instrument verwehrte.
Atemlos standen der Diener und ich hinter dem Fenster, unfähig auch nur einen Schritt zu tun. Die Erzählungen des Dieners waren also wahr. An einem ganz bestimmten Tag des Jahres vollzog sich dieses seltsame Ritual. Jahr für Jahr. Und immer war es eine Vollmondnacht aber das war nicht möglich, oder doch? Ich musste das Ganze weiter beobachten.
Der Graf nahm das schon etwas milchig trübe Glas ab und stellte es vorsichtig auf das Gras. Dann ergriff er mit zitternden Fingern die Geige. In diesem Moment musste ich einer Sinnestäuschung erlegen sein, denn ich glaubte, dass das Holz des Instruments etwas aufglühte, als die Hände es berührten. Oder war es eine Reflexion des Mondes auf der polierten Oberfläche?
Der Graf zog aus seinem Mantel einen Bogen hervor und strich mit den Fingern über das Rosshaar. Dann zögerte er einen Moment, sah hoch zum Nachthimmel und setzte dann die Geige ans Kinn. Er ruckte seinen Kopf in Position, hob den rechten Arm und führte den Bogen sanft auf die Seiten. Dann begann er zu spielen.
Ich weiß nicht, was er spielte. Ob es Händel, Mozart oder Schubert war. Aber es war völlig egal, denn nun passierte etwas, dass ich auch heute noch unzureichend verstehe. Als der Graf die ersten Töne in die Luft entließ, da veränderte sich deren Konsistenz. Verstehen sie mich bitte nicht falsch ich bin kein Phantast, durchaus nicht. Meine einzige Erfahrung in diesen Sachen ist diese Geschichte, die ich ihnen eben schildere.
Während der Graf im Garten stand und seine sphärische Musik über den Rosen erklang, da war es mir (und auch dem Diener, wie er mir später gestand), als ob sich die Nachtluft kräuselte und zu wabern begann. Die Sträucher und Büsche, Bäume und sogar die Sterne dahinter sie bewegten sich ganz langsam im Takt der Musik. Unsinn gewiss, so würde ich auch sagen, wenn ich Sie wäre! Doch Sie waren nicht da, lieber Leser. Sie haben die Dinge nicht gesehen, die ich Ihnen berichte. Glauben Sie mir, da war etwas in jener Nacht, das kann man mit unseren schwachen Ausdrücken der Sprache nicht beschreiben. Es war wie eine zärtliche Schwingung, eine sanfte Berührung von Liebenden, die sich auf alle Materie im Garten legte. Mir wurde warm ums Herz und Tränen standen in meinen Augen, wie ich den alten Grafen dort unten stehen und eine Musik der Zuneigung spielen hörte.
Und auf einmal geschah dieses Phänomen, das zu beschreiben ich kaum wage aber ohne dieses Detail ist meine Geschichte unvollständig und nur halb so faszinierend.
Wie gesagt, wir beobachteten den Grafen und wie er in sich versunken, mit geschlossenen Augen einer inneren Stimme folgend diese Töne spielte. Wir nahmen diese Schwingungen in den Bäumen und Sträuchern wahr, und auch die Luft dazwischen war erfüllt davon. Doch etwas hatten wir noch nicht bemerkt es waren die Rosen.
Direkt vor dem Grafen hatte man eine Reihe Rosen gepflanzt, die nun hoch und breit gewachsen waren und mit einer Fülle an roten Blüten protzten. Ich kniff die Augen zusammen und tippte dem Diener auf die Schulter, damit auch er das Schauspiel sah. Und er sah! Gemeinsam standen wir am Fenster und sahen das Unglaubliche.
Unten im Garten bewegten sich die Rosen. Aber das wäre noch nicht besonders erwähnenswert gewesen, da doch auch die Bäume und Sträucher von einer langsamen, fast unmerklichen Schwingung durchdrungen waren. Aber hier war das anders.
Die Rosen nahmen einander wahr! Anders kann man nicht erklären, dass sie sich aufeinander zuneigten, sich berührten und umeinander wanden und sich in zärtlicher Umarmung aneinander rieben!
Der Graf blickte durch die halb geschlossenen Lider und lächelte wissend in sich hinein.
Plötzlich war mir so, als wäre noch eine andere Person mit im Garten. Ich konnte niemanden sehen, aber so wie man einen auf sich gerichteten Blick spürt, so erahnte ich eine weitere Existenz dort neben meinem alten Freund, dem Grafen. Und auch er schien etwas zu spüren, denn sein Lächeln verstärkte sich und das Spiel seiner Geige wurde noch inniger und liebevoller.
Und da übertrug sich die Atmosphäre des Gartens auf alle Dinge im weiteren Umkreis. Die Gräser wankten leise und auch die Steine des Hauses wurden weicher. Doch hier machte die Schwingung nicht halt. Sie schwang sich mit Hilfe der Musik hoch hinauf in die erfrischende Nachtluft, weiter und weiter, erreichte schließlich den Mond und die sichtbaren Sterne, breitete ihre Schwingen und erfüllte schließlich das gesamte Universum.
In diesem Moment erstarb die Musik und ich blickte zurück auf den Grafen. Dieser lag niedergestreckt auf dem Gras und hatte die Hand auf das Herz gelegt. Wie von Furien gehetzt rannten wir los, der Graf musste einen Herzanfall gehabt haben.
Als wir im Garten ankamen, war der Zauber gewichen. Der Alte lag schwer atmend da und ich ergriff seine Hand.
»Es ist soweit! Hast du sie gespürt?«
Ich bejahte die Frage und ein Kloß schwoll in meinem Hals.
»Das ist gut! Ist sie nicht wunderschön?«
Ich konnte nur noch nicken.
»Leb wohl, mein Schüler. Nun bist du der Meister. Erinnere dich an alles, was du gesehen und gefühlt hast es ist das Wichtigste im ganzen Universum. Versprich mir, dass du das nicht vergisst! Lehre andere, auch das zu spüren und zu sehen, was du gesehen hast. Es muss nicht der gleiche Weg sein, den ich beschritten habe, aber das Ziel ist immer das gleiche
adieu.«
Die Worte waren schon sehr leise gesprochen und nun sank sein Kopf zurück auf die Knie des Dieners, der ihn in den letzten Momenten gestützt hatte. Wir konnten nichts sagen. So trugen wir den Grafen hinein in sein Bett und verständigten die Behörden.
Doch als der Arzt eintraf und nur noch den Tod feststellen konnte, da nahm mich der Diener beiseite und wies mir eine offene Schublade am Sekretär des Grafen.
»Hier lesen Sie! Das habe ich gerade gefunden
«
Sein Gesicht drückte Verwunderung aus. Ich zog die Stirn in Falten und nahm ein Blatt auf, das mit der feinen Schrift des Grafen überzogen war und vertiefte mich darin.
Er schrieb, wie sehr es ihm schwer falle zu gehen, aber besser jetzt als später. Und ich solle die Unterlagen sichten, die er für mich hinterlassen hatte. Ich öffnete die Schublade ganz und nahm einen Stapel süß riechender Briefe heraus, und ein Foto.
Die Briefe waren von der Mitte des Jahrhunderts und an den Grafen gerichtet. Doch es waren auch viele darunter, die an eine gewisse »Marie« gerichtet waren und vom Grafen selbst stammten, die Frau aber nie erreicht hatten. Nach und nach erfuhr ich die Geschichte aus diesen Briefen.
Der Graf hatte damals eine stürmische Liebe geführt. Marie und der Graf hatten sich gefunden, wie die Frauen dieses Landesteiles sagten. Doch die beiden entstammten zwei streitbaren Familien und so kam es, dass ihnen eine Heirat verweigert wurde. Jeden Tag schlich der Graf jeden Tag heimlich vor das rosenverhangene Fenster der Geliebten und spielte mit der Geige, bis er ihren Schatten hinter der Gardine sah. Viel mehr war ihnen nicht erlaubt.
Sie schmachteten viele Monate, bis sie es schließlich nicht mehr aushielten und ihre Familien vor die Wahl stellten Heirat oder Tod.
Man glaubte ihnen ihre Entschlusskraft und Konsequenz nicht die Heirat wurde nicht in Betracht gezogen. So kam es, dass die Beiden sich heimlich in einem alten Waldkloster trafen. Es war eine Vollmondnacht gewesen und sie nahmen das Gift gemeinsam ein. Zuerst schlief Marie in den Armen des Grafen ein. Doch es war ein unendlicher Schock für den jungen Liebhaber, als er feststellen musste, dass seine Ration des Giftes keine letale Dosis war!
Und er überlebte, sich weinend an den leblosen Körper der Geliebten klammernd so fanden ihn Waldarbeiter am nächsten Morgen.
Man hatte ihn nicht bestrafen können, da ein gemeinsam unterschriebener Brief der Beiden vorlag und auch die Aussagen der Familien in wesentlichen Punkten übereinstimmten. Über dem Grab der jungen Frau versöhnte man sich. Zu spät.
Der Graf heiratete auch später nicht und blieb allein.
Ich betrachtete das Foto. Es zeigte eine junge Frau mit lockigem schwarzem Haar. Sie war eine Schönheit, dass konnte man gleich sehen. Und unter ihrem fein geschnittenen Gesicht stand in der Schrift des Grafen:
»Marie wir liebten uns, sie starb für mich. Die Rose meines Lebens.«
20. Apr. 2009 - Markus K. Korb
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