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Maschrek
von Alf Leue

Crossvalley Smith Crossvalley Smith
© http://www.crossvalley-design.de
Schlaftrunken blinzelte Sameva in den Wüstenhimmel. Glutrot stieg die Sonne hinter den Bergen der Negev empor und schob sanft einen kühlen Wind hinunter in Richtung Meer vor sich her. Man konnte den Ozean von hier aus nicht sehen, aber Sameva wusste, dass er nicht weit entfernt hinter den Felsen und Dünen liegen musste. Der Steppenkiebitz hatte es ihr erzählt und manchmal meinte sie sogar, eine salzige Brise schmecken zu können. Sameva rekelte sich und drehte ihren Kopf der Sonne entgegen. Sie liebte diese Tageszeit und dankte Allah dafür. Es war noch nicht so heiß und die Nachtkühle hielt sich zärtlich an ihr fest, streichelte sie, bevor die Frische und der Tau vom Atem der Wüste fortgetragen wurden. Auf einmal konnte sie einen dunklen Punkt am Himmel erkennen. Er tanzte auf dem Rücken der Winde vor der Sonne umher. Als er näher kam, erkannte Sameva, dass es ein Samen war. Immer tiefer senkte sich sein Flug, direkt auf Sameva zu. Kurze Zeit später schon berührte er den Grund, nur einen Schritt von ihr entfernt. Ein paar Mal noch rollte und wirbelte er federleicht am Boden entlang. Dann endlich konnte er seine zierlichen Finger in die Steine krallen, setzte sich auf und schüttelte sein kleines Haupt benommen. Sameva freute sich. Endlich hatte sie etwas Gesellschaft. Auch wenn sie die Einsamkeit schätzte, so war sie nun schon so lange allein gewesen und etwas Abwechslung und ein Gespräch würden ihr guttun.
„Hallo! Ich bin Sameva und wie heißt du?“
„Mein Name ist Artemisia.“
„Woher kommst du?“
„Ich komme von weit her aus einem Land, in dem die Pharaonen herrschen. Dort wollte man uns nicht. Meine Eltern riss man aus und warf sie fort. Ich konnte davonfliegen und Jaweh hat mir einen günstigen Wind geschenkt. So bin ich endlich ins Land meiner Väter zurückgekehrt.“
„Wer ist Jaweh?“, wollte Sameva wissen.
„Das“, erklärte Artemisia, “ist der Weltenmacher, der Allwissende und der Herr über das Leben und den Tod. Er hat uns gemacht. Er erlöst uns. Auch dich.“
Sameva war verwirrt.„Ich dachte, der hieße Allah.“
Artemisia lächelte nur. „Ich muss jetzt schlafen, damit ich wachsen kann“, und sagte nichts mehr.

Szenentrenner


Schon einige Wochen später war Artemisia zu einer prächtigen Pflanze herangewachsen. Sie hatte es leichter als Sameva, denn sie schlug ihre Wurzeln mit willensstarker Kraft tief in den Boden und erhielt deshalb viel Wasser, das sich hier unterirdisch und unsichtbar in feinen Adern durch den Wüstenboden mühte. Man konnte es nicht sehen, aber wenn man dort gegraben hätte, wo Artemisia wuchs, so hätte man es sicher gefunden. Sameva ging es nicht gut. Sie hatte sich nie das Wasser teilen müssen, denn bis vor Kurzem war sie allein gewesen.
Ihre Stimme war trocken und matt. „Artemisia, hör mir zu. Du nimmst mir mein Wasser weg. Du raubst mir die Sonne mit deinem Schatten. Du stellst dich vor den Wüstenwind, der mir die Abendkühle bringt. Ich kann so nicht leben.“
Artemisia wandte sich um. Machtvoll schaukelten ihre Blüten im Wind. So war bereits so groß, dass sie sogar das Meer sehen konnte, von dem Sameva bisher nur vom Kiebitz gehört hatte.
„So ist die Natur. Der Stärkere bestimmt das Leben. Warum sollte ich dir von meinem Wasser etwas abgeben?“
„Aber ich war zuerst hier!“, entgegnete Sameva entrüstet, „also ist es mein Wasser.“
„Es ist das Land meiner Vorfahren. Das Land, das Gott uns gab. Also ist es meins.“
„Aber es ist der falsche Gott. Sein Name ist Allah und nicht Jaweh.“
„Wäre es der Falsche, so würde er dich nicht so leiden lassen. Du betest zum Falschen. Glaube an meinen und auch du wirst Wasser bekommen.“
„Wie kann ich den verraten, der mich schuf?“
Artemisia zuckte mit den Schultern. Hass und Verachtung keimten in Sameva auf. Wie gern hätte sie Artemisia ausgerissen und zertreten. Wie gern wär sie fortgegangen, an einen Ort, wo sie willkommen war, wo genug Wasser für sie existierte. Aber wie konnte sie? Ihre Wurzeln waren hier und hielten sie fest.
„Aber“, sagte Artemisia, „wenn du dich ruhig verhältst, dann sollst du mehr Wasser bekommen.“
„Nein!“, fauchte Sameva, „Gib du mir mein Wasser und du sollst Frieden bekommen. Wenn nicht, dann werde ich dich stechen, wo ich nur kann, dich umranken, dir die Luft nehmen und dir dein Leben erschweren. Dann sollst du keinen Frieden haben. Ich werde mich vermehren, dich ausreißen und ins Meer werfen!“
„Dann sollst du kein Wasser bekommen. Ich werde dich verdörren lassen und um dich herumwachsen, dass du nicht fort kannst“, schrie Artemisia.
Der Wüstenadler hatte all das gehört. Er schwebte über Artemisia und Sameva und ließ seinen Blick majestätisch über das Land und das Meer schweifen. So viel Land, dachte er, so viel Land und kein Frieden. Verständnislos schüttelte er den Kopf und hoffte dass Jaweh und Allah irgendwann ein Einsehen haben würden.

Szenentrenner



Maschrek = arab. „(Land) Wo die Sonne aufgeht“
(arab.) Sameva = Wüstenpflanze (lat. Cleome droserifolia)
Artemisia (judaica) = Wüstenpflanze (jüdischer Wermuth)


23. Jun. 2009 - Alf Leue

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