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O du fröhliche ... von Monika Wunderlich
Michael Sagenhorn © http://www.phantasaria.de Vierter Advent 2009.
Es lag wohl am Glühwein, dass wir mein Bruder Richard, meine Frau Käthe, unser Sohn Rory mit Hoffentlichschwiegertochter Tanja und ich seit einer Weile alte Geschichten ausgegraben hatten.
Auf einmal guckte Käthe verträumt und murmelte: Vor genau 41 Jahren kamen Thomas und ich zusammen hatte damals einige Probleme ...
Welch eine Untertreibung, unterbrach ich sie. Bin heute noch froh, dass ich die ersten Minuten lebend und unverletzt überstand. 1968 war ich Student an der Akademie der Bildenden Künste und wohnte eine Weile bei Richard in seinem sterilen Apartment. Das konnte nicht gutgehen. Der Streber meckerte ständig über mein Aussehen, dass ich nicht zum Spaß hier sei, auch nicht, um mit meinen pseudopolitischen Kommilitonen rumzuhängen und zu kiffen ...
Du warst ein penetranter, schlampiger Mitbewohner. Ein Parasit. Wärst du nicht mein Bruder, hätte ich dich nach deiner ersten Besäufnispartie in meinem Wohnzimmer rausgeschmissen. Der süßliche Geruch von euren Zigaretten hing tagelang in der Wohnung, den Teppich bekam ich nicht mehr sauber und alles Essbare war verschwunden.Und du hast mit deinen Revoluzzerfreunden meinen Esstisch versaut, als die ihre geistige Diarrhoe bei mir abluden und das auch noch aufschreiben mussten.
Bring mich nicht schon wieder zur Weißglut, Richard. Weißt du, ich sortierte damals die Menschen in drei Schubladen, und halte es mir zugute, ich war damals jung und ich lebte. Und ich liebte es, wie ich lebte. In den ersten Kasten steckte ich jene, die sich von allen und jeden einlullen ließen, selten eine eigene Meinung vertraten, der nächsten Folge von Raumpatrouille Orion entgegenfieberten, weil anderes zu schwere Kost gewesen wäre. Den Karren zogen für sie andere aus dem Dreck. Von denen trennte ich mich schnell. In dem zweiten tummelten sich die Impertinenten und Überkanditelten, denen der Regen ungehindert in die Nasenlöcher laufen konnte; die nicht merkten, wie übel sie über ihre Mitmenschen hinwegtrampelten, nie selbst das Zepter in die Hand nahmen, sich aber beschwerten, wenn nicht alles so lief, wie sie es gerne gehabt hätten, weil sie angeblich alles viel besser konnten. Rate mal, in welche Schachtel du gepasst hast. In die dritte Kiste kamen meine Freunde, die dieselbe Denkweise wie ich hatten, am wirklichen Leben teilnahmen, keine Duckmäuser waren, mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hielten, dafür auch Konsequenzen in Kauf nahmen ...
Du solltest das alles nicht immer noch so persönlich nehmen, das war in einem anderen Leben. Richard grinste dezent.
Ich hatte nicht nur die nächsten Demos im Kopf, rechtfertigte ich mich, obwohl die wichtig für mich waren. Im Gegensatz zu heute haben wir nie randaliert, demonstrierten gegen den Vietnamkrieg und weil der Papst die Pille verbot, als Benno Ohnsorg im Juni 67 erschossen und das Attentat ein knappes Jahr später auf Rudi Dutschke verübt wurde nur mal so als Beispiel ohne ins Detail zu gehen. Nun, vom schwarzen Brett in der Mensa entfernte ich ein paar Zettel mit Vermiete ... Im Norden Schwabings wurde ich fündig, nicht nur, weils zentral lag, und es zur Leopoldstraße nur ein paar Minuten waren. Das Zimmer war Teil einer Vierzimmerwohnung, groß, hell, hohe Stuckdecken, gut möbliert, top eingerichtete Wohnküche, Abstellraum, Bad und 'ner extra Toilette. Ein Schnäppchen! Die anderen Zimmer bewohnten der Jurastudenten Kai und der Mediziner Wulle habe nie seinen wahren Namen erfahren. Das letzte Zimmer gehörte Kunststudentin Käthe. Das freute mich, doch ich bekam gleich einen Dämpfer. Denn, wurde ich aufgeklärt, erstens brachte man hier keinesfalls Frauen mit die auch übernachteten, und zweitens sei Käthe ein richtiger Kumpel, die Enkelin vom Vermieter und hätte seit wenigen Wochen 'nen großen, kräftigen Freund namens Pitter oder Pit oder so ein Hippie mit Muskeln.
Käthe sah ich bis zum besagten Tag selten in der WG, doch ich traf sie oft bei gemeinsamen Vorlesungen. Wir konnten also locker ihr Kühlschrankfach mit Bier bestücken, aber ich fragte mich, was sie an diesem Fuzzi findet, der überhaupt nicht zu ihr passte. Und ja-ja-ja! ich war verrückt nach dieser dünnen, rothaarigen halben Portion in den knappen Klamotten, die an ihr mega-super aussahen. Damals hatten wir ein anderes Wort dafür, fällt mir aber nicht ein. Sie jedoch hatte nur Augen für diesen hirnfreien Pit. Also Leute, das regt mich jetzt noch auf! Dann kam der Samstag, 21. Dezember 68. Kai und Wulle waren bereits nach Hause in den Kohlenpott gefahren, ich wollte einen faulen Vormittag machen und in zwei Galerien nachfragen, ob jemand eines meiner Bilder gekauft hat. Magst du weitererzählen, Käthe?
Nnnööö, mach nur. Aber so wenig war ich auch nicht da. Hab dann alles blitzblank geputzt vor lauter schlechtem Gewissen ...
Ich hab's gemerkt, Schätzchen. Nun aber weiter. An jenem Morgen weckte mich ein infernalischer Lärm. Ich sprang aus dem Bett, schlüpfte in meine Jeans, zog noch an dem Reißverschluss, als ich barfuß in den Flur rannte. Die Tür zur Küche stand offen, aus dem übersteuerten Radio brüllten mir die Beatles Hey Jude entgegen. Während anschließend Bob Dylans Masters Of War bestimmt bis zur Ungererstraße zu hören war, stützte ich mich am Türrahmen ab und beobachtete Käthe, die mit dem Rücken zu mir an unserem Holztisch saß, auf dem eine Rolle Toilettenpapier und Fotos lagen. Vor ihr stand ein Behälter, in den sie Schnipsel warf. Mit einem Mal holte sie mit unserer museumsreifen Tapetenschere aus, hackte in den Tisch und spießte eines der Bilder auf. 'Du elender Mistkerl', schrie sie dabei, übertönte sogar den Dylan, zerschnitt das Papier und wischte sich mit einigen Klopapierblättchen das Gesicht ab. Ich wollte mich bemerkbar machen, aber sie war so in Rage, malträtierte wütend erneut den Tisch, sodass ein Stück der Scherenspitze abbrach. Ich habe noch nie eine Frau derart intensiv weinen und dabei derart gewalttätig toben gesehen. Vorsichtig schlich ich mich zum Radio und drehte es leise, auch wenn ich Bobbys Text gar nicht so unpassend fand.
Erschrocken sprang Käthe auf, starrte mich aus verquollenen Augen an und brüllte, was ich hier mache, was ich hier will und das alles mit der angerosteten Schere in der Faust.
Beschwichtigend streckte ich die Hände vor. 'Ich wohne hier erinnere dich Tom, äh, Thomas, einsneunundachtzig, knappe 85 Kilo, Kneipengänger, sommerlicher Portraitzeichner, gerne ein wenig Revoluzzer, aber harmloser, netter Kerl, Gelegenheitsraucher großes Zimmer mit dem Erker
'
Endlich lächelte sie minimalistisch, immer noch mit der Waffe in der Hand, während mir die Ideen und die Luft ausgegangen waren, ich schon kurzatmig wie ein Hundertjähriger röchelte und uns bereits in Blut wälzend auf dem Boden sah.
Meine Güte, übertreib nicht so! Ich hatte einen schlimmen Tag. Kam den Abend vorher außer der Reihe zu Pit er war nicht alleine. Mehr gibts nicht zu sagen. Ich habe an deiner nackerten Brust weiter Rotz und Wasser geheult, konnte einfach nicht aufhören und weiß noch, dass ich dachte, wie angenehm du nach Schlaf und Träumen riechst. Total verrückt. Irgendwann hast du Kaffee gekocht und mir ein Honigbrot geschmiert, hab es regelrecht runtergewürgt, weil du nicht locker gelassen hast. Aber dann sollte ich mich in mein Zimmer legen, und da ...
Na, ich wollte unter die Dusche, mich vielleicht rasieren ... Als du aber wieder ausgeflippt bist, habe ich dich in mein Bett verfrachtet war ja fast noch warm zwar von Opa verboten von wegen keine Weiberübernachtungen und so. Auf dem Weg zum Bad sah ich in ihr Zimmer, was sie so in Panik versetzten könnte. Klar da hingen noch Schnappschüsse von ihrem sinnbefreiten Ex
Da hatte sie's bei mir viel besser nur Che, Twiggy und Uschi Glas mit weißer Korsage in Zur Sache, Schätzchen beobachteten sie von überdimensionalen Plakaten. Drunter hatte ich Enkes Spruch ES WIRD BÖSE ENDEN in Großbuchstaben geschrieben. Für Käthes Gemütsverfassung nicht so ideal.
Du hattest Twiggy an der Wand? Neben Che? Und die Glas in Unterwäsche? Tanja war fassungslos. Und du, Käthe, bist nicht schreiend davongelaufen?
Och, ich lag in einem weichen, warmen Bett, war von der Heulerei fix und fertig. Das Kopfkissen roch nach Tom. Da muss ich schnell eingeschlafen sein.
Danke auch, Süße ich rieche also zum Einschlafen! Du hast auf dem Bauch gelegen, ein Bein hing über der Bettkante. Ich lauschte ja, du schnorcheltest ganz leise, also lebtest du. Mit einem Buch setzte ich mich in den Erker, die Galerien musste ich knicken, konnte und wollte den Rotschopf in meinem Bett nicht alleine lassen. Als sie nach Stunden endlich aufwachte, stand ich in der Küche ...
Oooh, oooh, lass mich weitermachen. Dieses Bild werde ich nie vergessen, auch wenn mich das heute nicht mehr sooo dolle aufregt. Mein Weib holte tief Luft und schloss die Augen, während ich enttäuscht sowas wie ach nö? murmelte. Als ich aufwachte, wusste ich nicht gleich, wo ich war, sah auf die Monsterplakate und den hübsch groß und ordentlich geschriebenen Satz an der Wand: ES WIRD BÖSE ENDEN. Nichts passte zusammen. Auf einmal fiel mir alles wieder ein, der Stein in meinem Magen drückte heftiger, aber dann roch ich Essen. Ich schlich in die Küche. Thomas stand schräg vor dem Herd zerstrubbeltes Haar, barfuß, enge Jeans mit weitem Schlag, offenes Hemd, das seinen muskulösen Oberkörper freigab, an dem ich schon geheult hatte. Er rüttelte an der Pfanne und warf geschickt einen Kartoffelpuffer oder Eierkuchen hoch, ließ ihn wieder in die Pfanne gleiten
O mein Gooott! Er sah göttlich aus! Heute sagt man supersexy ...
Mutter! Du liebe Güte!, rief Rory und scharrte unbehaglich mit den Füßen.
Früher, mein Sohn, warst du richtig locker drauf. Das konnte ich mir nicht verkneifen. Erinnere mich gut, da warst du sechs, und wir hatten Gäste. Ilona erzählte mir später, dass du morgens ins Bad gestürmt bist, als sie vor dem Spiegel stand. Du hast Grüß Gott gerufen, Klodeckel und Klobrille mit Karacho aufgeklappt und gepieselt damals hatten wir noch keine MännersitzenbeimPinkeln-Polizei und ihr währenddessen einen Vortrag gehalten, wofür das daneben hängende Bidet gut ist, wie man es benutzt, hast danach gespült, die Deckel wieder runtergepfeffert, und weg warst du. Sie fand dich so unkompliziert ... .
Ja, das war eine turbulente Zeit, sagte Käthe. Aber weiter. Tom drehte sich zu mir: 'Na, Schlafmütze? Ab unter die Dusche, dann gibts Essen husch-husch. Übrigens, habe alle Bilder von Pitter-Pit aus deinem Zimmer entfernt ...' Ääh Pit, welcher Pit, fragte ich mich im stillen, denn der war im Augenblick so was von Schnee von gestern, auch wenn er mir vor ein paar Stunden das Herz fast aus dem Leib gerissen hatte. Ich fixierte immer noch diesen Adonis mit der Bratpfanne puh, ich musste dringend ins Bad und mich abkühlen.
Nun, mischte ich mich ein. Nach einem späten Spaziergang und Kneipenbesuch wollten wir noch ein Einschlaf-Bier trinken. Käthe kuschelte sich in Schlafanzug und Bademantel auf meinem Sofa ins Eck, umarmte ein Kissen und demonstrierte, wie toll sie aus der Flasche trinken kann ohne zu kleckern. Kann sie, also nicht diese Zutschelei, die man sonst so bei Frauen sieht. Dann schaute sie auf meine Plakate und sagte, dass sie mit 15, 16 über ihrem Bett Horst Buchholz mit Lederjacke fast in Lebensgröße hängen hatte. Ich wartete noch, ob was nachkommt kam nichts, und wollte gerade sagen, dass sie heute auch eher wie sechzehn und nicht dreiundzwanzig aussah. Da merkte ich, dass ihr Kopf zur Seite gefallen war. Sie schlief. Na, prima. Ich holte die Zudecke aus ihrem Zimmer, schob noch ein Kissen unter ihren Kopf. Dann legte ich mich in mein Bett, zwei Meter entfernt von dem Mädel, das mich schon eine Weile ganz wuschig machte und beobachtete sie. Das war unsere erste gemeinsame Nacht wahrlich eine stille Nacht, und inzwischen hatten wir den vierten Advent 1968 ...
14. Dez. 2009 - Monika Wunderlich
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