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SIC SEMPER TYRANNIS! von Klaus-Peter Walter / K. Peter Walter
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Die Weihnachtsgala im Lupanar, Berlins nobelstem Nachtclub-Puff, findet traditionsgemäß am 20. Dezember statt. Danach haben alle Angestellten frei bis zur Silvestergala. Auch ich. Ach so: ¡Harlowe. Einfach ¡Harlowe. Vormals Cis- und translaterale Ermittlungen, Boxleitener Straße am Alex. Seit ich Prissylein, das verzogene Töchterchen unserer Prinzipalin Yellow Plischke, aus den Fängen ihres verblichenen Holden gerettet habe, bin ich Securitychef im Lupanar.
Ruhiger Job, annehmbar bezahlt.
Die Attraktion der Weihnachtsgala war dieses Jahr Ursula Martinis. Erotische Magie vom Feinsten. Ursula kommt im Musketierkostüm auf die Bühne, an deren Rand strickend unsere alte Toilettenfrau Lola sitzt. Ursulas Partner, ebenfalls ein Musketier, fängt Streit an. Es kommt zum Gefecht, bei dem Ursula Schlag um Schlag die Klamotten verliert, bis sie nichts mehr außer ihren Stulpenstiefeln anhat. Dann geht der Partner fort. Ursula nimmt eine Stricknadel aus Lolas Strickzeug und steckt sie sich ins rechte Ohr, bis sie hinter den Augen vorbei quer durch die Denkzentrale zum linken Ohr wieder herauskommt. Dabei schielt sie, dass sich einem fast der Magen umdreht.
Ich hatte bei den Beleuchtungsproben nur kurz in die Nummer hineingeschaut und wusste nicht, wie sie ausging. Yellows befehlsgewohnte Stimme in meinem Helm zwang mich jedoch, augenblicklich meinen VIP-Platz hinter der Bühne zu verlassen.
Im Foyer erwartete mich Yellow als Santaclaudette im XXXL-Format: Ihre gewaltigen Muskelpakete sie war mal Wrestling-Champion im Schwergewicht gewesen und ihre riesigen Titten, deren Füllung einem ondit zufolge aus reinem Stahlbeton bestand, drohten fast die rote Schnur zu zerreißen, die ein rotes Cape mit weißen Puscheln zusammenzuhalten versuchte. Als einziges Dessous trug sie einen roten Slip, und auf ihrer spiegelblanken Glatze saß kess eine viel zu kleine Santamütze, unter der ihr Markenzeichen, der quietschgelbe Zopf hervorbaumelte. Sie zerrte mich grob am Arm zur Treppe vor dem Haus, wo ich die Beleuchtung einschaltete.
»Spinnst du, ¡Harlowe? Soll das jeder sehen?«
Ich drehte brav das Licht wieder aus, knipste die Helmleuchte an und ging in die Hocke. Vor mir lag eine halbverweste Frauenleiche. Nackt. Auf dem Rücken. Durch die Rippen fiel das Licht in den Brustkorb hinein. Na, ich hatte im letzten blasphemischen Krieg Schlimmeres gesehen!
Die leeren Augenhöhlen schienen mich trotzdem wahrzunehmen. Ich wich nicht zurück, als die Tote den Arm ausstreckte und mir den knöchernen Zeigefinger auf die Stelle legte, wo sie meine Stirn vermutete. Tote sprechen die Ursprache, die jeder versteht, eine Sprache, entstanden aus Wasser. Sie floss aus ihrem Finger direkt in meinen Kopf.
»Früchte dich nicht, mein Sohn. Meine Augen sind längst verfault. Wenn ich dich sehe, erblicke ich dich durch meine Aura, die noch immer intakt ist. Nachdem mich damals jemand, den selbst du nicht gefunden hast, in den Kopf geschossen hatte, lag ich friedlich vergehend in meinem Grab. Es gab keine Hölle, keinen Himmel, nur traumlosen ewigen Schlaf ohne Schmerzen. Bis eine unwiderstehliche Gewalt mich aufweckte und an einen Ort befahl, der Necronomicon heißt. Er gehört dem Kardinal. So heißt er bei euch. Bei uns in der Welt hinter den Spiegeln ist er der Fürstbischof. Dort verkauft er unsere verwesenden Körper an Nekrophile. Nekrophile wollen kein junges, unschuldiges Fleisch, sondern sich in unser verwesendes Fleisch bohren, wollen von unseren schwarzen, stinkenden Zungen geleckt werden und ihre Dinger zwischen unsere lippenlosen Zähne schieben. Sie wollen sich in leere Augenhöhlen ergießen und dabei ihre Hände auf kahle Schädelknochen legen. Meist fangen sie mit absolutem Frischfleisch an, das fast noch warm ist. Wenn sie dann auf den süßen Geschmack der Verwesung gekommen sind, können sie nicht mehr genug bekommen und sind bereit, fast jeden Preis zu bezahlen. Dann wollen sie Tote wie mich, denen schon die Würmer aus den Rippen kriechen. Warum, wirst du fragen, gehorchen sie so willfährig, die jungen toten Mädchen und alten toten Frauen? Warum verweigern sie sich nicht? Was kann die Angst noch rühren? Tot sind sie doch! Weil, wer sich nicht unterwirft, kommt unter die Glocke. Das ist eine riesige umgekehrte Schale aus Messing. Wenn man darunter liegt, schlägt der Fleischmeister mit einem riesigen Hammer darauf. Man zittert noch Tage danach. Meist wiederholt der Fleischmeister den Schlag noch einmal. Und immer wieder. Die Schmerzen sind unermesslich. Schon zweimal habe ich versucht zu fliehen, aber sie fingen mich jedes Mal wieder ein. Der Fleischmeister weiß aber nicht, dass mit jedem Schlag meine Kraft wächst. Heute habe ich es ein drittes Mal probiert und mich durch die Spiegel von dort herabstürzen zu lassen zu dir, mein Sohn. Geh ins Necronomicon und töte den Kardinal. Und vernichte sein Zauberbuch. Das Sodómycon, hörst du? Sodómycon! Damit wir alle sterben können! Vernichte es! Und erlöse mich durch das Feuer, mein Sohn!«
Dann sank ihr Arm herab. Funkstille.
»Mutter!«, entfuhr es mir. Sollte das die Medizinprofessorin sein, die ich vor vielen Monaten begraben hatte? Deren Mörder noch immer frei herumlief?
»Sag bloß, das ist deine Mutter, ¡Harlowe?«, blaffte Yellow, die hinter mir stehen geblieben war. »Jetzt wundert mich überhaupt nichts mehr!« Dann wurde ihre Stimme milder. »Wir müssen sie wegschaffen, bevor jemand kommt!«
»Hilf mir mal!«
Gemeinsam manöverierten wir die sterblichen Überreste auf eine Plastikplane und trugen sie in den Heizungskeller. In der Mehrstoffbrennkammer würden ihre Qualen ein rasches Ende finden. Nebenbei referierte ich Mutters Botschaft.
»Und jetzt rüstest Du zum Rachekriegszug, ¡Harlowe, was?«
»Ehrensache! Aber Ursula muss mir helfen!«
Wenig später saß ich vor meinem einzigen echten Freund, Dr. Wassum. Er trug schon Abendgarderobe. »Ich hoffe, es ist wirklich wichtig, ¡Harlowe. Ich sage nur: Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker!«
»Hab ich schon jemals wegen Pipifax angeklingelt?«, fragte ich und schilderte ihm den Fall.
»Dann dürfte das« er reichte mir eine riesige Flasche »genau das Richtige für dich sein!«
Ich las das Etikett. »Wassum, Du bist der Größte! Ein echter Zaubertrank! Danke!«
»Ja, aber sieh zu, dass du nicht selber hineinfällst. Es gibt nämlich kein Gegenmittel.«
»Dafür schließe ich dich in mein Nachtgebet ein!«
»Gern, aber leise. Ich muss jetzt.«
Aus gegebenem Anlass trug ich mein Santa-Claus-Kostüm mit dem großen Sack. Ursula, die sich uns spontan angeschlossen hatte, sah in ihrer Verkleidung als russisches Christkind Snegurotschka echt süß aus. Eingereist waren wir als lärmende holländische Touristen, komplett mit Rennrädern über den Schultern. Nach einer kurzen Fahrt mit der U-Bahn zur Endstation und einem kurzen Anruf bei einer bestimmten Handynummer fuhr der Zug nach drüben. Es gab sogar eine Haltstelle Necronomicon.
Wir mussten an einem Türsteher vorbei, einem Ghoul und seinem dreiköpfigen Zerberus. Die beiden waren so dumm wie sie groß waren und ließen uns ein. Der Zerberus knurrte nicht einmal.
Drinnen war es lausig kalt, und wegen der Bösen Onkelz verstand man sein eigenes Wort nicht. Der Kardinal in seiner lila Dienstkleidung feierte wie Ra-ra-rasputin, Russias greatest love machine. Über seinem goldenen Thron hing ein nackter, verwester Mann an einem Kreuz. Jemand hatte ihm eine Santamütze aufgesetzt. »Na warte!«, dachte ich.
Wer sich ihm näherte, dem hielt der Kardinal huldvoll und gelangweilt seinen überfetten Ring zum Kuss hin. Der Klunker daran musste schon ganz abgeschmatzt sein, weil sich dauernd wer drüberbeugte. In der Linken hielt der Kerl einen goldenen Messweinbehälter aus dem frühen Spätmittelalter. Oder dem späten Frühmittelalter, keine Ahnung! War dauernd leer, obwohl mindestens ein Liter hineinpasste. Eine hübsche Jungtote musste ständig nachzufüllen. Sie war so frisch, dass sie fast auch mir noch hätte gefallen können.
Niemand beachtet auf so einem perversen Weihnachtskarneval einen Santa, der kleine Geschenke verteilt. Ich hatte sogar die Chuzpe, dem Kardinal den Ring zu küssen und ihm eine Flasche von Yellows Bestem zu überreichen. Sie hatte mir fast den Kopf abgerissen, als ich mir die Flasche aus dem Weinregal griff.
»Nur leihweise«, hatte ich versichert.
Immer wieder musste ich Leichen verscheuchen, die sich mir mit anzüglichen Posen näherten. Aber es gab ja genug Freier, die sie durch die Seitentüren in die Separées zogen. Derweil bereitete Snegurotschka Ursula unbemerkt ihren großen Feuerzauber vor. Plötzlich schienen überall Brände aufzuflackern. Panik brach aus. Im nächsten Moment erschienen von allen Seiten meine Leute. Sie waren so wenig echte Feuerwehrmänner wie Ursulas Feuer echt war, und sie verspritzten großzügig Dr. Wassums Zaubertrank. Wenige Minuten später waren alle, die davon getroffen wurden, nur noch daumengroß.
Ich stülpte eins von diesen Fünf-Kilo-Nutella-Gläsern aus dem Kaufhaus Lafayette über den Kardinal und packte sein jungtotes Gspusi dazu. Dann schraubte ich den Deckel auf, in den ich extra ein paar Luftlöcher gebohrt hatte. Sic semper tyrannis hatte ich in Spiegelschrift mit Goldlackstift aufs Glas geschrieben. So soll es allen Tyrannen ergehen!
»Achtung, Achtung! Hier spricht dein neues Herrgöttle. Wo gehts hier zur Bibliothek? Ich frage nur einmal. Dann fülle ich euer Glas mit Wasser auf.«
Der Kardinal war kooperativ und verriet mir die Kombination zu seinem Safe. Ich nahm das Sadómycon mit.
Bevor wir einen geordneten Rückzug antraten, platzierte ich noch ein paar Sprengsätze mit Zeitzünder im Necronomicon. In zehn Minuten würde hier kein Stein mehr auf dem anderen stehen. Wir entkamen über die U-Bahn-Trasse auf unseren Rennrädern. Dank klappbarer Stützräder konnten wir wie auf Draisinen die Schienen entlangsausen. Ehe die Wächter der Nacht uns bemerkt hatten, waren wir wieder auf der richtigen Seite.
»Und das ist für euch!«, sagte ich bei der Bescherung am 24. in Yellows Wohnzimmer und überreichte das Nutella-Glas.
»Oh, Mama, guck mal, ein Puppenhaus!«, rief Prissylein. »Mit einem Bett darin!«
Plischke führte das Glas mit ihrer riesigen Hand dicht vor die Augen (sie sieht fast nichts, trägt aber keine Brille).
»Ja, Priss«, sagte ich, »ein Puppenhaus. Und die Puppen leben sogar!«
»Das ist-, das ist doch!«, entfuhr es Yellow.
»Genau«, sagte ich nicht ohne Stolz. »Der Kardinal. Und seine kleine Schlampe.
Wenn du sie immer gut fütterst und ihr Glas sauber hältst, Prissy, kannst du ihnen vielleicht sogar manchmal beim Vögeln zuschauen.«
»Wirklich? Machen die das? Toll! Mama, dürfen die in mein Zimmer?«
»Nein, Prissyschatz, die kommen in mein Büro. Damit ich besser drauf aufpassen kann.«
»Kriegen die auch Kinder?«, wollte Prissy wissen.
»Nein. Der Kardinal ist schon alt. Und die Frau
kann keine Kinder mehr bekommen!«
Dr. Wassum war auch eingeladen. Während Prissy nach dem Essen darauf wartete, dass der Kardinal Lust auf einen kleinen X-mas-Koitus bekam, las er interessiert das Sodómycon. Jedes Mal, wenn er eine Seite gelesen hatte, riss er sie heraus und warf sie in den Kamin. Dazu trank er von Yellows Bestem (ich hatte die Flasche tatsächlich wieder mitgebracht).
»Mami«, rief Prissy, als Wassum fertig war. »Die Frau bewegt sich nicht mehr!«
Klar: wenn der Bann gebrochen ist, sind die Toten wieder tot. Ursulas Musketiershow um Mitternacht lenkte Prissy aber rasch von ihrer Trauer ab.
Nach dem Ding mit der Stricknadel steckte sich Ursula ihr Rapier in den Hals, bis die Spitze aus ihrer rasierten Muschi herausguckte. Wenn sie den Griff der Waffe auf und nieder bewegte, bewegte sich die Rapierspitze synchron mit. Ursula zog das Rapier aus dem Hals und beugte sich vornüber, während sie es erneut schluckte. Nun erschien die Klingenspitze zwischen ihren Arschbacken. Keine Ahnung, wie sie das machte! Danach aber da war Prissy schon im Bett und Wassum längst daheim probierte sie ihre neuste Nummer aus. Sie heißt Trio infernal. Hei, wie da die Kerze brannte! Ist aber noch geheim! Ansonsten frohes Fest allerseits!
12. Dez. 2009 - Klaus-Peter Walter / K. Peter Walter
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