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Friedenstöter
von Alf Leue

Andrä Martyna Andrä Martyna
© http://www.andrae-martyna.de/
Fabel gegen Gewalt für Kinder. Damit hat der Autor 2008 den 2. Platz bei dem Österreichischen Wettbewerb "Goldenes Kleeblatt" gewonnen.

Lena wohnte weit außerhalb der großen Städte in einem kleinen Ort, der umgeben von Wäldern war, wo die Tiere und Zauberwesen noch zu den Menschen sprechen konnten – sofern man ihnen geduldig zuhörte und ein reines Herz hatte. Hier ging sie auch zur Schule, in ein sehr altes, lichtdurchflutetes Gebäude aus rotem Sandstein, das so viel Sonne hindurch ließ, dass alle Kinder immer fröhlich waren. Auf dem Schulhof hielten ehrfürchtige, weise Eichen Wache. Doch einer dieser Bäume wurde von drei bösen Wesen bewohnt, die unter seiner hohlen Wurzel hausten und ab und an heimtückisch mit kleinen giftigen Augen hervorlugten. Niemand außer Lena bemerkte sie. Doch sie taten nichts, daher schenkte ihnen Lena keine Beachtung, bis sie eines Morgens den Schulhof betrat und fürchterlich erschrak. Die Wesen waren des Nachts heimlich aus ihrer Höhle emporgekrochen. Sie hatten böse Gesichter mit kleinen Schweinsäuglein, schuppige Schlangenhaut mit Fellbüscheln und starke, kurze Arme und Sprungbeine, mit denen sie von Schüler zu Schüler hüpften und dabei laut johlten. Sie krallten sich unsichtbar an den Köpfen ihrer Opfer fest, und ritten unbemerkt auf ihnen umher. Kein Schüler spielte oder lachte wie sonst. Überall gab es Streit.
Nach der Schule erzählte sie ihren Eltern aufgeregt davon. Doch Lenas Mutter sah sie nur zweifelnd an und ihr Vater sagte, dass sie nicht solchen Unfug erzählen solle, denn es gäbe keine Kobolde. Lenas Großmutter, die auch am Tisch saß, blickte sie traurig an, doch sagte nichts.
Am nächsten Tag war es noch schlimmer. Die Kinder prügelten und bestahlen sich und machten sich über Schwächere lustig. Die Lehrer waren ratlos und begriffen nicht, was vor sich ging. Nach der Schule aß Lena schweigend und traurig ihr Mittagessen. Ihre Eltern waren noch arbeiten. Nur ihre Großmutter saß mit in der Küche.
Plötzlich sagte sie zu Lena: „Ich kenne diese Wesen. Sie sind so alt wie die Menschen selbst.“
Überrascht blickte Lena auf.
„Du kennst sie? Aber wer sind sie und was wollen sie?“
„Es sind die drei Friedenstöter. Der eine heißt Blinderbunt, der dir die Augen zuhält, so dass du Unrecht nicht mehr sehen kannst. Der zweite heißt Tauberschlag, der dir die Ohren zuhält, so dass du Hilferufe nicht mehr hören kannst. Und der letzte ist der Schlimmste. Er heißt Stillerschrei und hält dir den Mund zu, so dass du die Wahrheit nicht mehr sagen kannst.“
„Woher kennst du diese Kobolde?“, wollte Lena ängstlich wissen und die Großmutter antwortete: „Ich kenne sie aus meiner Kindheit, als sie schon einmal in unser Land einfielen. Das ist schon lange her und deshalb fast vergessen. Es war zwischen den beiden großen Kriegen. Nur wenige konnten sie sehen und niemand nahm sie ernst, weil sie anfangs noch so klein waren. Doch sie fressen die Wahrheit und werden immer fetter und mächtiger und mit ihnen die Gewalt. Wer die Friedensstöter sieht und nicht vertreibt, wird dazu verflucht, den Rest seines Lebens von ihnen zu träumen. So wie ich, denn ich habe sie damals nicht vertrieben, obwohl ich es besser wusste.“
Lena liefen stille Tränen über die Wangen, aber ihre Großmutter lächelte sanft.
„Doch man kann die Menschen mit Mut und einem Spruch verzaubern.“
Am nächsten Tag ging Lena voller Aufregung in die Schule. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, aber sie ließ sich nichts anmerken. Dann, in der großen Pause, stellte sie sich mitten auf den Schulhof und fing an zu schreien so laut sie nur konnte. Sie schrie und schrie, so schrill und hoch, bis auch der letzte Lehrer und der letzte Schüler zu ihr gekommen waren. Blinderbunt, Tauberschlag und Stillerschrei gingen fettgefressen von Wahrheit und überheblich stolzierend auf den Köpfen der Menschen umher, die einen Kreis um Lena gebildet hatten. Sie versuchten Lena einzuschüchtern und sprangen auf sie zu, hoben die Fäuste und brüllten herum. Lena erkannte, dass sie sich vor der Wahrheit fürchteten, nur darum fraßen sie sie. Das machte ihr Mut und sie sagte mit fester Stimme den Zauberspruch auf, den sie die Großmutter gelehrt hatte:
Blinderbunt,
feiger Hund,
gib uns’re Augen wieder frei!
Deine Zeit hier ist vorbei.
Tauberschlag,
Mitleidssarg,
gib off‘ne Ohren uns zurück!
Bei uns warst du das längste Stück.
Stillerschrei,
Lügenbrei,
Lass unsere Stimmen wieder klingen!
Bereit, die Wahrheit zu erzwingen.
Nun geht zurück in euer Loch,
aus dem ihr einst wie Plagen krocht!
Solange Menschen Herzschlag spüren,
sollt ihr den Frieden nicht berühren.

Als die Friedensstöter den Zauberspruch gehört hatten und immer mehr der umstehenden Schüler und Lehrer in seinen Bann gezogen wurden, fingen die drei Wesen an zu rauchen und zu brennen. Sie schrien, zeterten und schrumpften zusammen. Sie sprangen panisch umher und flüchteten schließlich in ihre Höhle unter die Wurzel. Lena sah, wie sie sie aus dem Dunkel wütend anstarrten und sie wusste, dass sie nur auf eine günstige Gelegenheit für ihre Rückkehr warteten, sobald man Mitgefühl, Mut und Wahrheit wieder verlor und der Gewalt die Herrschaft überließ.

12. Sep. 2010 - Alf Leue

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