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Auslese von Armin Möhle
Lothar Bauer © http://www.sternenportal.org/grafik/ Die Menschen waren nützlich, dachte der Antennata. Sie standen in unendlicher Anzahl zur Verfügung. Theoretisch. Die Zahl der Expeditionsraumschiffe war begrenzt.
Der konkav gewölbte Monitor zeigte ein schlankes Fahrzeug auf der Startrampe. Das Raumschiff war in drei etwa gleich große Abschnitte gegliedert, von denen der mittlere schmaler als die anderen war. Ein Antennen- und Sensormast komplettierte die obere Sektion, die mittlere trug die Ausleger der Landetriebwerke.
Nervös trommelte der Antennata mit der Krallenhand seines oberen linken Arms auf der Tischplatte. Die vorherigen mit Menschen bemannten Missionen, sechs insgesamt, hatten zwar den Schild von Boynton III durchdringen können, aber nach der Landung keine Nachricht gesendet. Dennoch waren die Expeditionen mit ihnen fortgesetzt worden, denn die letzten zwei Raumschiffe Antennata waren an dem Schild zerschellt, während die ersten vier ihn noch hatten passieren können, danach aber stumm geblieben waren.
Die Fühler des Antennata bewegten sich unruhig. Sein Volk hatte das fremde Raumschiff im Orbit ihres Heimatplaneten entdeckt, es angegriffen und bis in das Boynten-System verfolgt, wo es in der Atmosphäre des dritten Planeten verschwand. Unmittelbar darauf baute sich der Schild auf. Die Antennata vermuteten, dass es sich um eine Stützpunktwelt handelte, da das fremde Schiff nicht in der Lage gewesen war, einen ähnlichen Schutz zu erzeugen.
Das hatte sich vor einem Zeitraum abgespielt, der drei Umläufen ihres Planeten um ihre Sonne entsprach.
Kuosong-17 führte die Station der Antennata auf dem Mond von Boynton III. Sein Pult befand sich auf einer Empore. In der unteren Ebene des Kontrollraums saßen fünf weitere Antennata vor ihren Kontrollinstrumenten.
In dem oberen Drittel des Monitors wurden Zeichenfolgen eingeblendet, die sich permanent veränderten. Kuosong-17 neigte den Kopf und beobachtete die Daten interessiert. Der Start stand unmittelbar bevor. Das Abheben des letzten Expeditionsraumschiffes. Die Brutkammern waren zwar noch mit Eiern der Antennata gefüllt, doch die Hangars leer.
Kuosong-17 fühlte Wehmut. Seine Mission würde bald beendet sein.
Die Triebwerke zündeten, das Raumschiff erhob sich auf einer Flammensäule, stieg gleichmäßig auf, überschritt den Horizont des Mondes und nahm Kurs auf den rötlichen schimmernden Schild von Boynton III. Das Raumschiff wurde in der Mitte des Bildschirms fixiert und stetig kleiner, bis es nicht mehr erkennbar war.
Kuosong-17 lehnte sich zurück und wandte den Blick seiner Facettenaugen von den Anzeigen ab.
Er erinnerte sich: Das größte Problem war nicht das Verständnis der Technologie der Menschen gewesen, als sie das Wrack ihres Schiffes bargen und untersuchten, sondern die Kommunikation mit ihnen. Auch mit Gewalt hatten sie der Spezies begreiflich machen müssen, was sie von ihnen verlangten. Die Verluste zählten nicht. Sie waren problemlos ersetzbar.
Die Antennata hatten auch erfahren können, dass die Menschen das Doppel-Doppelsternsystem, in dem ihr Raumschiff abgeschossen worden war, Capella nannten.
Die Triebwerke steigerten ihre Leistung, der Schub verdreifachte das Körpergewicht. Abrupt erloschen die Aggregate, das Raumschiff prallte auf, schwankte und blieb leicht geneigt stehen.
Sybille Kellermann versuchte, in dem Schalensitz eine bequemere Position zu finden. Wir sollten den Insekten dankbar sein, dass sie versucht haben, die Pilotensitze der VALLEY FORGE zu imitieren, sagte sie. In ihren Gestellen hätten wir uns längst die Knochen gebrochen.
Sie sind nicht sehr kreativ, stellte Stephen Cernan fest. Sie sind hervorragend im Kopieren einfacher Technologie. Ich glaube nicht, dass sie unsere Reproduktionstechnik verstanden haben. Sie haben nur herausgefunden, welche Tasten sie drücken müssen. Wenn ihre Technologie ausreicht, verwenden sie sie. Deswegen haben sie uns in ihre Raumanzüge gesteckt. Bequem ist ...
Wie viele Crews haben sie bislang dupliziert?, fragte Nicole Nystad forsch. Ihr schwarzes Haar bedeckte die Stirn. Sie war wie Cernan groß und schlank. Ich meine, uns eingeschlossen?
Die sechste, wenn ich die Insekten korrekt verstanden habe, antwortete Sybille Kellermann. Sie war untersetzt und hatte sich nur mit Mühe in den Raumanzug zwängen können. Du bist bereits die siebte, Nicole. Deine Vorgängerin wurde getötet, weil sie Widerstand leistete. Verdammt noch mal, es sind Insekten! Wenn aus einem Ei ein unbrauchbares Exemplar schlüpft, wird kurzerhand ein Neues ausgebrütet. Die Reproduktionskammern und die Gedächtnisspeicher haben den Abschuss überstanden, daran können wir nichts ändern.
Nicole Nystad presste die Lippen zusammen. Weißt du, wie oft du bereits vor einem Start getötet wurdest? Oder Stephen oder Juri?
Die Schlösser der Gurte sprangen auf. Juri Awdejew, wie Sybille Kellermanns klein und gedrungen, stand auf und öffnete das Schott. Er schwang sich nach außen. Sybille Kellermann wartete einige Sekunden, dann folgte sie ihm. Sie griff nach der Leiter an der Außenseite und kletterte hinab. Awdejew hatte sich einige Meter von dem Raumschiff entfernt. Sigrid Kellermann trat zu ihm.
Sie waren auf einer geröllbedeckten Ebene gelandet. Rechter- und linker Hand zeichneten sich flache Gebirgsketten ab. Über der Landschaft lag ein eintöniger, dunkelroter Schimmer. Die Schritte von Stephen Cernan und Nicole Nystad vernahm Sigrid Kellermann im Lautsprecher des Raumanzugs.
Awdejew hob die rechte Hand über den Helm. Das ist ein Gigant, stellte er ehrfürchtig fest und wies in seine Blickrichtung.
Sybille Kellermann kniff die Augen zusammen. Die Entfernung war schwer zu schätzen, doch das Objekt musste mehrere hundert Meter hoch sein. Es glänzte metallisch. Die Vorderseite war gerundet und fiel gleichmäßig zur Unterkante ab. Das Objekt ruhte auf zwei Auslegern, die mit geschwungenen Streben mit dem Grundkörper verbunden waren.
Zwanzig Meter vor ihnen hielt ein offenes Schwebefahrzeug. Zwei Wesen stiegen aus. Das Erste war ein Antennata, das zweite fremd. Beide trugen keine Anzüge, sondern nur ein weißes, ärmelloses Gewand. Sybille Kellermann, Cernan und Awdejew traten einige Schritte zurück. Nicole Nystad blieb stehen.
Weglaufen ist keine Option, zischte sie.
Das zweite Wesen war eineinhalb Meter groß und von grüner Hautfarbe. Der Kopf glich einem großen, flachgedrückten Dreieck, das von Knochenwülsten umgeben war, die auch die Augen schützten. Die Oberschenkel waren muskulös, die Arme endeten in zweigliedrigen Krallen. Mit dem linken Arm stützte sich der Fremde auf dem Boden auf. Der Schwanz zitterte leicht.
Der Antennata und das Echsenwesen trugen einen Gürtel, von dem flache Scheiben herabhingen. Die Echse war außerdem mit einem Stab ausgerüstet. Schwach schimmernde Schirme umgaben sie.
Der Antennata bewegte die Mandibeln. Sie nennen sich Callbenn, klang eine Stimme in den Helmlautsprechern der Menschen auf. Sie befehlen, dass ihr an Bord ihres Schiffes geht.
Nicole Nystad lachte laut auf. Weshalb sollten wir diesem Wunsch nachkommen? fragte sie.
Die Mundwerkzeuge des Antennata bewegten sich erneut. Um zu überleben. Ihr seid unseren Befehlen gefolgt, um am Leben zu bleiben. Nun gehorcht ihr den Callbenn. Oder ihr werdet vernichtet.
Der Callbenn löste mit der rechten Hand den Stab vom Gürtel und richtete ihn auf die Menschen. Das Ende des Gerätes glomm hellrot auf.
Awdejew trat neben Nicole Nystad und hob die Hände. In Ordnung, sagte er, wechselte von Englisch auf Esperanto und fuhr fort: Das ist eine große Chance für uns. Ihre Technologie ist unseren weit überlegen. Und bedenkt, wir sind nicht allein, sondern zusammen vierundzwanzig. Das Erdkonsortium...
Der Callbenn stieß den Stab drohend in die Richtung der Menschen.
Ich habe meinen Artgenossen die Situation dargelegt, in der sie sich befinden, sagte Awdejew, wieder in Englisch. Wir werden Menschen begegnen, die mit uns identisch sind. Biologisch und charakterlich. Das sollte nie geschehen. Das ist noch nie geschehen. Die Menschen sind Individuen. Ein Mensch darf nach unseren Gesetzen erst reproduziert werden, wenn er getötet wurde.
Das hellrote Flimmern am Ende des Stabes erlosch. Der Callbenn drehte sich um und wies auf das Schwebefahrzeug.
Die Menschen setzten sich in Bewegung, von dem Antennata auf der linken und dem Callbenn auf der rechten Seite flankiert.
Welche Funktionen sollen wir in dem Raumschiff der Callbenn übernehmen? fragte Sybille Kellermann. An eurer Seite?.
Wir werden der Ersatz für die Crewmitglieder sein, die bei dem Beschuss des Konzertschiffes des Callbenn über unserem Heimatplaneten getötet wurden, erklärte der Antennata. Für das Orchester.
Das Orchester? echoete Cernan erstaunt.
Möglicherweise ist die Übersetzung fehlerhaft, erwiderte der Antennata und neigte den Kopf. Er schien mehrere Sekunden lang zu lauschen. Nein, das Translat ist korrekt.
Aber warum wir? bohrte Nicole Nystad nach. Wir haben die Callbenn nicht beschossen. Im Gegenteil: Ihr ...
Der Antennata blieb abrupt stehen, wandte sich um und fixierte mit den Facettenaugen die Menschen. Genau wie wir haben auch die Callbenn erkannt, dass eure Fortpflanzungsrate erheblich höher als unsere ist. Obwohl ihr Individuen seid.
Der Alarm riss Kuosong-17 aus seiner Trance. Er blickte auf den Monitor und erstarrte: Der Schild war erloschen.
Einer der Antennata in der unteren Ebene des Kontrollraums erzeugte mit seinen Mandibeln eine schnelle, aufgeregte Folge von klackenden Lauten. Kuosong-17 verstand ihn mühelos: Auf Boynton III war ein Raumschiff gestartet, hatte soeben den Orbit erreicht und schien Kurs auf den Mond der Antennata zu nehmen.
Kuosong-17 las die Daten auf seinem Monitor ab: Das Raumschiff hatte das zweihundertfache Volumen des abgeschossenen Fahrzeugs der Fremden und näherte sich dem Mond mit einer extrem hohen Geschwindigkeit, die die Raumschiffe der Antennata zu erreichen nicht in der Lage waren. Gleichzeitig wurde es in der optischen Erfassung sichtbar und stetig größer: ein langer, vorne abgerundeter Zylinder mit Triebswerksgondeln an den Außenkanten der Rumpfunterseite.
Eine anderer Antennata erzeugte mit den Mandibeln ebenfalls klackende Geräusche. Wir empfangen eine Transmission, war seine Botschaft. Er berührte eine Taste auf seinem Pult. Ein infernalisches Kreischen drang aus den Lautsprechern des Kontrollraums.
Kuosong-17 sprang auf und stieß das Sitzgestell in der Führungsschiene zurück. Das war Totenmusik!
Von dem fremden Raumschiff löste sich strahlend blauer Punkt, fächerte sich schirmartig auf und füllte den Monitor aus.
10. Okt. 2010 - Armin Möhle
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