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Ritterehre
von Melanie Metzenthin

Joran Elane Joran Elane
© http://www.glenvore-art.com
Ein Schwert, ein Pferd und eine strahlende Rüstung. Mehr bedurfte es nicht, um Alwin in Hochstimmung zu versetzen. Seit einem Jahr gehörte der Neunzehnjährige zu den Rittern des Königs. Das Gefühl von Glanz, Ehre und Jubel umfing ihn jedes Mal aufs Neue, wenn er den Monarchen zu offiziellen Anlässen eskortieren durfte. Der Jüngling stand zu den Tugenden der Ritterschaft, nie hätte er sich mit billigen Frauen vergnügt. Er war bereit, seine Männlichkeit aufzusparen bis er jene fand, deren Reinheit es wert war, mit ihr eine Dynastie zu begründen. Oft blickte er den hübschen Edelfräulein nach, aber sie erschienen ihm alle wie Gänse, deren einziger Zeitvertreib darin lag, sich herauszuputzen. Zugleich spürte er, dass die Damen der Gesellschaft in ihm immer noch den Knaben sahen und nicht den Respekt zollten, der einem königlichen Ritter zustand.

Alwin sehnte sich nach Heldentaten und Bewunderung. Er wollte Mitglied der königlichen Leibgarde werden. Leider gab es genügend Edelleute, die weitaus angesehener waren. Ritter Balboas zum Beispiel. Er hatte das Land vom Lindwurm befreit. Zugegeben, es war Balboas nicht im ehrlichen Zweikampf gelungen, sondern mit Hilfe der Alchimie. Der künstliche Duft einer brünstigen Lindwurmdame hatte das Untier so in Verzückung versetzt, dass es sich in den Sumpf locken ließ, wo es elendig verendete. Aber Balboas war der Schwager des Königs. Er konnte sich derartige Unsportlichkeiten erlauben und wurde trotzdem als Held gefeiert.

Für einen jungen Ritter gab es nur eine Möglichkeit, aus dem Schatten hervorzutreten. Jenseits der Hauptstadt lag ein dichter Wald. Es hieß, dort treibe ein Furcht erregender Riese sein Unwesen. Die Bewohner der kleinen Bauerngehöfte mieden das Gehölz. Düstere Geschichten und Fabeln erzählten, der Wald sei die Grenze zum Reich des Bösen.

Alwins Wunsch nach Ruhm war größer als jede Furcht. Zudem hatte ihn noch kein Recke im Turnier werfen können, nicht einmal Balboas. Alwin hielt sich für unbezwingbar. Er verkörperte alle Ritterlichkeiten, er pflegte seine Rüstung, war gut zu seinem Pferd und besuchte regelmäßig den Gottesdienst. Wem, wenn nicht ihm, sollte der Sieg über das Böse zustehen?

Er hoffte auf die Anerkennung der gesamten höfischen Ritterschaft, als er verkündete, er werde in dieser Nacht in den Wald reiten, um den Riesen zu töten. Stattdessen lachten sie ihn aus.
„Du bist ein dummer Junge“, höhnte Balboas. „Du solltest erstmal lernen, deinen Verstand zu gebrauchen. Warum willst du den Koloss stören? Lass ihn in seinem Forst hausen, dann kommt er nicht auf die Idee, unsere Bauern zu überfallen.“
„Von Euch habe ich nichts anderes erwartet, Ritter Balboas. Wer sich hinter absurden Wissenschaften versteckt, statt die Kraft des Schwertes zu ehren, sollte schweigen, wenn andere ihre Tapferkeit unter Beweis stellen.“
Alwin hatte gehofft, Balboas in Wut zu versetzen, aber er erntete nur weiteres Gelächter. Erbost verließ der Jüngling die Wachstube.

Ein tapferer Ritter kennt keine Furcht. Das hatte Alwin schon als Knappe verinnerlicht. Dennoch konnte er sich des unangenehmen Drucks auf seinen Gedärmen nicht erwehren, als sein Pferd in den Wald galoppierte. Alwin hatte dichtes Unterholz erwartet, einen unwegsamen, wirr überwucherten Pfad, stattdessen befand er sich auf einem breiten Weg, der selbst einen Wagen bequem hindurch gelassen hätte. Der Vollmond gab ihm genügend Licht, um Schatten zu erkennen. Alwins Sinne waren aufs Äußerste gespannt, aber er fand keinen Riesen. Er hörte nur die Schreie eines jagenden Uhus und das Flattern einiger Fledermäuse.

So ritt der junge Mann gut eine Stunde immer tiefer in den Wald. Aber nichts geschah. Gleichwohl hörte das Grummeln in seinen Eingeweiden nicht auf, und jedes Geräusch ließ seine Hand zum Schwert fahren. Der Griff seiner Waffe flößte ihm Zuversicht ein. Er würde den Gegner zur Strecke bringen.

Plötzlich fiel ein fernes Licht in seine Pupillen. Ob dies die Behausung des Riesen war? Alwin atmete tief durch, dann ließ er sein Streitross antraben.

Wie groß war sein Erstaunen, als er vor sich ein Gasthaus erkannte. „Waldschenke“ stand auf dem Schild über der Tür. Eine Herberge inmitten des gefährlichen Waldes? Unglaublich! Er hörte Stimmen und das Klirren von Gläsern. Alwin stieg ab und betrat die Schenke. An einem Tisch saßen drei verhutzelte Männer, vermutlich Bergzwerge. Sie wurden von einer wunderschönen, blonden Frau bedient. Nie zuvor hatte Alwin ein hübscheres Mädchen gesehen. Der Druck in seinen Gedärmen war verschwunden, dafür regte sich beim Anblick der Schönheit ein anderes, tiefer gelegenes Organ.
Sie lächelte, als sie ihn erblickte.
„Willkommen Herr Ritter. Was darf ich Euch bringen?“
Vorsicht, dachte Alwin. Das ist gewiss eine Falle. Wie viele Legenden erzählen von bösen Hexen, die mit bezauberndem Äußeren edle Männer betören, um sie anschließend zu vernichten?
„Ich begehre nur eine Auskunft. Wo finde ich den Riesen?“
Sie sah ihn forschend an. Fast war ihm, als schliche sich Bedauern in ihren Blick.
„Ihr wollt ihn zum Kampf fordern, Herr Ritter? Das ist keine gute Idee. Bleibt lieber hier, in meinem Rasthaus.“
„Führt mich nicht in Versuchung! Sagt mir, wo der Riese lebt.“
„Nun gut, er wohnt in der Waldgasse 7.“
Alwin starrte sie verblüfft an.
„Es gibt hier Straßen und Hausnummern?“
„Glaubt ihr, wir wären in der Wildnis? Hier ist die Waldgasse 1.“ Ihre Augen blitzten empört, als sie fortfuhr: „Nebenan wohnt der Milchmann, das Haus daneben ist seit dem letzten Sturm unbewohnbar, dann kommt der Förster. Direkt neben ihm lebt der Hufschmied und das Haus Nummer 6 beherbergt das Gewerbeaufsichtsamt.“
„Ihr macht Euch über mich lustig!“
„Schaut selbst, Herr Ritter.“
Alwin verließ verärgert das Wirtshaus. Tatsächlich, etwas weiter längs sah er mehrere Häuser. Das erste war Waldgasse 2. „Corbinian Hebelbrand, Milchmann“, stand an der Tür. Die blonde Frau hatte nicht gelogen. Alles war, wie sie es beschrieben hatte. Auch Förster, Hufschmied und Gewerbeaufsichtsamt stimmten. Allerdings stand an der Tür Nummer 7 nicht die Berufsbezeichnung „Riese“, sondern: „Efraim Brämer, Philosoph“.
Alwin hatte keine Ahnung, was ein Philosoph war. Literatur und Wissenschaft hatten ihn nie interessiert.
Er zog sein Schwert, bevor er an die Tür hämmerte. Licht flammte hinter den Scheiben auf, Schritte schlurften herbei, dann öffnete der Riese. Alwin war enttäuscht. Zwar war der Riese fast doppelt so hoch wie er selbst und sein Köperbau wies kräftige Muskeln auf, aber Nickelbrille, Morgenmantel und Schlafmütze gaben ihm ein geradezu friedliches Aussehen.
„Stell dich mir zum Kampf, Ungeheuer!“
Efraim Brämer starrte den jungen Ritter an, nahm seine Brille ab, putzte die Gläser mit seiner Schlafmütze und setzte sie wieder auf.
„Junger Mann, seid Ihr sicher, Euch nicht in der Tür geirrt zu haben?“
Das verwirrte Alwin. „Seid Ihr nicht der gefürchtete Riese, das Monstrum, das über den finsteren Wald herrscht und alle tötet, die ihn betreten?“
Der Riese lächelte nachsichtig. „Kommt herein, mein Junge. So viele Fragen verdienen eine Antwort.“
„Ich warne Euch, ich bin ein königlicher Ritter von Ehre! Ich lasse mich in keinen Hinterhalt locken!“
„Wenn Ihr Ehre habt, so solltet Ihr mir das Recht der Gastfreundschaft zugestehen. Oder ist es ehrenvoll, einen alten Mann nachts zu wecken, um ihn zum Kampf herauszufordern?“
Da Alwin nichts zu erwidern wusste, folgte er der Einladung. Der Riese schien nichts Arges im Schilde zu führen, sondern hieß den Jüngling, in seinem Wohnzimmer Platz zu nehmen.
„Also, Ihr wollt den Riesen töten? Warum?“
„Weil er die Menschen tyrannisiert und ein Diener des Bösen ist!“
„In dem Fall würde ich Euch raten, das Gewerbeaufsichtsamt zu überfallen. Was glaubt ihr, wie sehr die arme Lamia, die Besitzerin der Waldschenke, unter seinen Auflagen zu leiden hat. Habt Ihr Lamia schon kennen gelernt?“
„Die blonde Wirtin? Ich sah sie. Sie wollte mich in Versuchung führen!“
„In Versuchung führen? Was meint ihr damit?“ Der Riese lehnte sich genussvoll in seinem ledernen Ohrensessel zurück und zündete sich eine Pfeife an.
„Äh, nun ja, äh …“, stammelte Alwin. Plötzlich war ihm das Ziehen in seinen Lenden peinlich, das ihn bei Lamias Anblick überkommen hatte.
„Stottert nicht so herum. Lernen die Ritter des Königs heutzutage nicht mehr die feine, höfische Ausdrucksweise?“
„Ihr seid doch der Riese, oder?“
„Wegen meiner Körpergröße nennt man mich so. Ich persönlich ziehe meinen Namen vor. Ihr dürft mich Efraim nennen. Hat Eure Mutter Euch auch mit einer Bezeichnung bedacht, die es anderen ermöglicht, Euch differenzierter als nur ‚Herr Ritter’ zu titulieren?“
„Wie … was meint Ihr?“
„Ob Ihr einen Namen habt.“ Efraim wurde ungeduldig.
„Äh ja, Alwin.“
„Ritter Alwin, angenehm. Nun, warum habt Ihr die Absicht, jemanden, dessen Körpergröße von der Norm abweicht, zu töten?“
„So wie Ihr das sagt, klingt es, als wolle ich Euch ermorden.“
„Wollt Ihr das nicht?“
„Nein, ich habe Euch zu einem ehrenvollen Zweikampf herausgefordert.“
„Was ist daran ehrenvoll, wenn Ihr mich mitten in der Nacht aus dem Bett jagt, um Euer übergroßes Käsemesser in meinen Leib zu rammen?“
„Ihr missversteht mich. Ein ehrenvoller Kampf findet unter gleicher Bewaffnung statt.“
„Ich nehme an, ihr beherrscht Eure Waffen virtuos, Alwin?“
„Virto … was?“
Efraim seufzte. „Virtuos. Ein anderes Wort für meisterhaft.“
„Ach so. Ja, selbstverständlich beherrsche ich sie virtu … äh meisterhaft.“
„Dann findet der Kampf nicht unter gleichen Bedingungen statt. Ich habe noch nie ein anderes Stichwerkzeug als ein Küchenmesser in Händen gehalten.“
„Ist das Euer Ernst?“ Alwin war enttäuscht. „Dann wählt eine Waffe, mit der Ihr umzugehen versteht. Ich achte die Gesetzte der Ritterlichkeit.“
„Mein lieber Alwin, ich glaube, Ihr habt ein ganz anderes Problem.“ Der Riese beugte sich vor und tätschelte fürsorglich die Schulter des jungen Ritters. „Selbstbewusstsein ist eine Tugend, die man nicht durch Waffen allein erwirbt. Wen wollt Ihr durch meinen Tod beeindrucken? Eure Ritterkollegen? Die Damenwelt?“
„Nein, ich … äh …“
„Stammelt nicht schon wieder so herum! Habe ich Recht oder nicht?“
Am liebsten wäre Alwin aus dem Haus gelaufen, so durchschaut fühlte er sich. Doch als Ritter war er der Wahrheit verpflichtet und so nickte er schamvoll.
„Das könnt Ihr auch leichter haben, junger Freund. Wartet einen Moment.“
Efraim erhob sich, ging zu seinem Bücherregal und zog ein Werk heraus. „Könnt Ihr lesen?“
Alwin nickte stumm.
„Bitte sehr, ein Geschenk. Von mir selbst verfasst. Das wird Euch weiterbringen, als mit mir die Klinge zu kreuzen.“
Alwin buchstabierte mühsam den Titel: Minnegesang für Anfänger.
„Was soll ich denn damit?“
„Lieber Freund, wenn Ihr die Menschheit beeindrucken wollt, versucht es mit Liedern, Gedichten und Geistesgaben. Die Frauen werden Euch zu Füßen liegen und die Männer Euch beneiden. Wenn Ihr Glück habt, wird Euch der eine oder andere eifersüchtige Dummkopf zum Duell fordern, dann habt Ihr auch Eure Waffenkunst nicht umsonst erlernt.“
„Das ist unehrenhaft!“
„Wieso?“, fragte Efraim treuherzig. „Glaubt Ihr, Ihr wäret der erste, der durch eines meiner Werke zu Ruhm käme? Denkt nur an Ritter Balboas. Er hat alle sieben Bände meiner Abhandlung über Lindwürmer verschlungen, zudem mein Lexikon über Alchimie und sich schließlich der Minne gewidmet, ehe er die Schwester des Königs heimführte.“
Alwin sprang auf. „Balboas war bei Euch?“
„Gewiss. Wir sehen uns regelmäßig. Er hat ein Landhaus in der Nebelgasse 14.“
„Etwa hier im Wald?“ Alwin war völlig durcheinander. „Aber es heißt doch immer, der dunkle Wald sei voller Gefahren und der Riese …“
„Ach, Alwin, glaubt Ihr alles, was so erzählt wird? Dieser Wald ist vollkommen harmlos und wird von den Mitgliedern des Hochadels als Ort der Entspannung genutzt. In der Königsgasse, zwei Straßen weiter, hat unser Monarch sein Lustschloss. Selbstverständlich hat er mein Buch: Wie senke ich Personalkosten – Ein Ratgeber für Staatsoberhäupter gelesen. Ein beliebter Trick, um Wachtposten einzusparen, sind Spukgeschichten. Aber nur Kinder, Bauern oder junge Ritter auf der Suche nach Heldenruhm fallen darauf herein.“
Alwin fühlte sich zutiefst gedemütigt.
„Nehmt es nicht so schwer, junger Freund. Was meint Ihr, wie dumm Ritter Balboas dreinschaute, als er die Wahrheit über den Wald erfuhr. Ihr solltet mein Buch einpacken und bei Lamia ein Glas Met trinken. Ihr Honigwein ist der beste des Landes.“
Efraim erhob sich und geleitete den zögernden Alwin zur Tür.
Fast wie von selbst lenkte der junge Ritter seine Schritte zur Waldschenke. Diese Lektion konnte er nur im Alkoholsuff ertragen.
Während er am Tisch auf seinen Met wartete, blätterte er in den Minneliedern des Riesen.
„Oh, entschuldigt, ich habe Euch ganz falsch eingeschätzt“, sagte Lamia, als sie ihm sein Getränk servierte. „Ich dachte, Ihr wäret nur einer von diesen primitiven Schlägern, die noch an Märchen glauben. Wie schön, dass ich mich geirrt habe. Ich mag Männer, die die hohe Kunst der Minne bei Efraim studieren. Habt Ihr schon eigene Lieder gedichtet?“
Ihre Augen ruhten bewundernd auf ihm. Alwin spürte wieder das Ziehen in seinen Lenden. Lamia mochte kein Edelfräulein sein, aber gerade kam ihm in den Sinn, dass sie trotz ihrer niederen Herkunft die Reinheit verkörperte, die er immer gesucht hatte.
„Noch nicht“, antwortete er galant. „Aber Eure Schönheit wird mir die Worte der Liebe in den Mund legen …“

15. Okt. 2010 - Melanie Metzenthin

Bereits veröffentlicht in:

IM BANN DES NACHTWALDES
F. Woitkowski (Hrsg.)
Anthologie - Fantasy - Lerato-Verlag - Mar. 2007

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