|
emperor-miniature
Tändelei von Felix Woitkowski
Joran Elane © http://www.glenvore-art.com 17. August
Wir wollen jagen gehen, rief ich, während wir den Mann mit unseren Pferden umkreisten. Sagt, Väterchen, kennt Ihr einen Ort, wo wir ein paar Tage bleiben können?
Nicht hier, antwortete er mürrisch und wollte unseren Ring durchbrechen.
Wo dann? Geert schwang sein Seil und fing den Mann wie ein Rind. Er scherte aus und band ihn an den nächsten Apfelbaum.
Hinfort mit euch!
Wir lachten.
Mittlerweile war der Körper am Baumstamm fest verzurrt. Geert pflückte einen der Äpfel und setze ihn auf das Haupt des Alten. Zugleich sprang Ludger vom Pferd und hob sein Gewehr.
Wenn wir hier nicht bleiben können, wohin sollen wir uns dann wenden?
Wutentbrannte Augen funkelten uns an.
Ihr
Nana, gebt Acht, was Ihr sagt. Schießen kann ich zwar ganz vortrefflich, aber wer weiß, ob meine Hand heute nicht zittriger ist als an anderen Tagen, sprach Ludger und wies mit dem Gewehrlauf auf den Apfel.
Der Zorn des Mannes wuchs, doch wusste er nicht ein noch aus.
Ich musste grinsen. Also?
Dort. Er wies nach Westen. Einen Tagesritt von hier. Es gibt eine Hütte in mitten von Eichen, dort wo der Wald am dunkelsten ist. Folgt dem einzigen Pfad, dann könnt ihr sie kaum verfehlen.
Noch lange Zeit verfolgten uns seine Verwünschungen, doch unser Lachen war lauter.
Der Apfel schmeckte süß.
Unser Ziel erreichten wir erst kurz vor Sonnenuntergang. Es ist nicht leicht, einen Trampelpfad zu finden, der seit Jahren nicht mehr benutzt wurde, und ihm durch einen Wald viele Meilen zu folgen. Oftmals glaubten wir, den Weg aus den Augen verloren zu haben, so undurchdringlich erschien das Dickicht, doch bereits wenige Schritt später war er wieder frei, als wäre er erst eine Nacht alt.
Die Hütte, die wir fanden, lag verlassen da. Das Dach war eingestürzt und der einzige Raum diente als Brutstätte für Vögel, auch wenn bei unserer Ankunft die Nester verwaist waren.
So gut es ging, reinigten Geert und ich den Ort, während Ludger sich um die Pferde kümmerte. Für uns alle ist Platz genug innerhalb der Mauern.
Bald schon prasselte ein Feuer in der alten Kochstelle. In seinem Licht habe ich schnell noch ein paar Zeilen geschrieben, doch jetzt werde ich müde. Die anderen schlafen schon.
18. August
Der erste Tag im Wald ist nun vorbei. Wir sind erschöpft, doch glücklich.
Bereits früh am Morgen gingen wir auf die Pirsch und entdeckten eine halbe Meile entfernt die ersten Rehe. Auch fanden wir Spuren von Wildschweinen, sowie Nester und Horste zahlreicher Vogelarten. Seit Jahren kann kein Jäger mehr in diese Gegend gekommen sein, so sind wir uns einig, zu zahlreich ist das Leben an diesem Fleck. Doch warum nur, fragen wir uns und finden keine Antwort.
Während Ludger und Geert hoch in den Wipfeln der Bäume einen Ausguck für uns bauen wollten, konnte ich nicht warten und begann sogleich die Jagd.
Ach, was war es doch für ein erhabenes Gefühl, als die erste Hirschkuh ihr Leben ließ. Ich hatte mich langsam an sie herangepirscht und mich bereits vollends dem Gefühl der Vorfreude hingegeben. Ohne Schwierigkeiten schoss ich sie aus nächster Entfernung und, während ihre Artgenossen flohen, trat ich an sie heran.
Ihr Leben verging, so will ich behaupten, in meinem Armen. Welch ein Triumph!
Nun sitzen wir am Feuer beieinander, braten frisches Fleisch und schwelgen gemeinsam in den Abenteuern, die wir noch bestehen wollen.
19.August
Ich blieb zurück, während meine Freunde eifrig nach Wild Ausschau hielten. Bereits in den frühen Morgenstunden schoss Ludger ein Rehkitz, kurze Zeit später einen Damhirsch. Als er das prächtige Geweih in die Hütte brachte, freute er sich wie ein kleines Kind.
Da wir bereits mehr als genug zu Essen haben, verbringen wir den Rest des Tages auf dem Hochsitz, den meine Freunde noch gestern fertiggestellt haben. Geert spottet über die Welt, Ludger säubert sein Gewehr und ich schreibe ein paar Zeilen.
Ein Gedicht will ich mir erdenken, doch kann ich nicht in Worte fassen, was ich empfinde. Es soll vortrefflich sein, so wie eines der alten Meister. Die Lust am Abenteuer, auch das Gefühl von Freiheit berauscht meine Sinne und lässt mich die Schönheit der Natur so wie nie zuvor erblicken. Doch gerate ich ins Stocken, ehe ich mit der ersten Zeile beginne.
Sogleich erkennt Ludger meine Ratlosigkeit und stimmt ein Lied an, in das ich bald einsetze.
Langsam neigt sich die Sonne dem Erdboden entgegen. Es ist Zeit zur Hütte zurückzukehren.
20. August
Was ist geschehen?
Letzte Nacht erwachte ich. Durch das zerfallene Dach schien der Mond und spendete eben so viel Licht, dass ich mich in der Hütte zurechtfand. Ich trat an ein Fenster und ließ die Szenerie auf mich wirken.
Der Mond war umrundet von unzähligen Sternen und nicht weit von mir schienen es Glühwürmchen den Himmelskörpern gleichtun zu wollen. Der Schrei eines mir unbekannten Vogels durchbrach die Stille, die über dem Wald lag, gefolgt von dem Rascheln eines fliehenden Rehs. Leider, so bedauere ich, konnte ich es nicht entdecken und ließ meinen Blick in die Ferne schweifen.
Was war das? Ich glaubte ein Licht zu sehen, wie von einem Feuer, nur heller. Außerdem vernahm ich einen Klang. Gesang?
Ich bin mir nicht sicher. Noch immer nicht. Als ich meine Freunde weckte und ihnen von meiner Entdeckung berichtete, lachten sie nur. Bevor sie selbst ans Fenster traten, waren das Schimmern verschwunden und die Geräusche verstummt.
Mein Schlaf war unruhig. Denn was ich wahrgenommen hatte, ging mir nicht aus dem Kopf. Sobald die ersten Sonnenstrahlen hereinlugten, verließ ich mein Lager und bereitete das Frühstück.
Noch immer sitze ich nun in der Hütte. Ich fühle mich müde, ausgelaugt, und die letzte Nacht lässt mir keine Ruh.
Meine Freunde glauben, ich gebe mich einem Hirngespinst hin, und spotten über mich. Wer kann es ihnen verübeln?
Es ist spät am Nachmittag. Gerade sind sie zurückgekehrt, in den Händen einen Fuchs und einen Rotmilan. Zwei prächtige Tiere, doch ich habe keine Augen für sie.
21. August
Die zweite Nacht, in der ich kaum geschlafen habe, liegt hinter mir. Unzählige Male stand ich auf und trat an die Fensteröffnung, von der aus ich gestern das Leuchten gewahr wurde. Vergebens. Alles blieb ruhig, sodass ich mich wieder hinlegte. Trotzdem verharrte ich wachend bis zum Morgengrauen.
Heute werde ich Geert und Ludger begleiten, ohne ihnen eine große Hilfe oder ein guter Gesprächspartner zu sein. Egal. Ich muss mich wohl geirrt haben, gestehe ich mir ein, und hoffe, nächste Nacht wieder Ruhe finden zu können.
22. August
Ambros, wach auf.
Der Schlaf hielt mich so fest gefangen, dass ich nicht erkannte, was los war. Missmutig ließ ich es geschehen, wie Geert weiter an mir rüttelte.
Du hattest recht, da ist etwas. Nun komm schon.
Sogleich war ich hellwach. Ich sprang auf und folgte Geert durch die mondbeschienene Hütte.
Sieh nur, dort!
Wie bereits viele Male zuvor stand ich am Fenster und blickte hinaus. Draußen im Wald leuchtete es, nicht von einem Feuer, wie ich erst vermutet hatte, sondern heller und durchdringender.
Was ist das?
Ich weiß es nicht. Lass uns Ludger wecken.
Nein, warte. Ich lauschte. Erneut glaubte ich etwas zu hören. Nicht die Geräusche eines Waldes bei Nacht, kein Schrei eines Tieres oder Blätterrauschen. Nein.
Hörst du das?
Geert konzentrierte sich und nickte schließlich. Gesang, hauchte er.
Was ist los? Plötzlich stand Ludger hinter uns. Mürrisch und müde. Warum schlaft ihr nicht? Als er unseren Blicken folgte, verstand er.
Vergebens. Kein Feuer, keine Spuren. Nichts.
Gleich morgens sind wir losgezogen, um die Quelle des geheimnisvollen Lichts zu suchen. Leider erfolglos, denn der Wald offenbarte nicht, was wir finden wollten.
Darüber vergaßen wir sogar die Jagd was nicht weiter schlimm ist, denn unsere Vorräte reichen noch lang.
Was war es, das wir gesehen haben? Woher kam der Gesang?
Wir sitzen zusammen und grübeln. Bald schon wollen wir uns zur Ruhe begeben, sodass wir ausgeruht sind, wenn es am dunkelsten ist.
23. August
Diesmal war es Ludger, der mich weckte. Komm, es wird Zeit.
Noch war nichts zu sehen, nichts zu hören, doch kaum war eine Stunde verstrichen erschien das Leuchten von neuem.
Lasst uns gehen! Ludger ergriff sein Gewehr. Sicher ist sicher.
Lass uns doch erstmal schauen, was es ist, entgegnete ich ihm mit Blick auf die Waffe und vor Aufregung bebender Stimme.
Wir näherten uns dem Schimmern, so weit wir konnten. Da wir unentdeckt bleiben wollten, verzichteten wir auf Lampen. Baumstämme wurden so jedoch zu verwünschenswerten Hindernissen.
Aller Vorsicht zum Trotz stieß Ludger mit einem tief hängenden Ast zusammen und fand sich laut fluchend auf seinem Hosenboden wieder. Ich hätte gegrinst, wäre es an einem anderen Ort geschehen. So aber ermahnte ich ihn, still zu sein, und wir setzten unseren Weg fort.
Nach etwa einer Meile erreichten wir den Rand einer kleinen Lichtung.
Für das, was ich dort erblickte, fehlen mir die Worte, und so sehr ich mich auch bemühe, es mir ins Gedächtnis zurückzurufen, so enttäuscht bin ich. Denn jeder Versuch scheitert oder erblasst neben der Wirklichkeit.
Der volle Mond tauchte den Platz in einen silbernen Glanz, der erwidert wurde von der Gestalt einer jungen Frau. Sie trug ein helles Lichtkleid und war von einem strahlenden Schein umhüllt.
Unschuldig saß sie auf einem flachen Stein und badete im Funkeln der Gestirne.
Ihren Gesang vermag ich jetzt noch zu hören. Welch eindringliche Melodie!
Unvermittelt trat ich zu ihr auf die Lichtung.
Sie lächelte nur und verschwand im Dickicht. Welch Ungeschick, ich hatte die Frau verjagt. So tadelte ich mich selbst für einen Moment, doch dann war sie wieder da und winkte mich zu sich.
Nur zu gern kam ich dieser Aufforderung nach.
Von Baum zu Baum lief sie, rannte ein Stück voraus und wartete dann wieder, bis ich sie fast eingeholt hatte. Dabei war sie immer darauf bedacht, dass ich ihr nicht zu nahe kam. War ich auf ein, zwei Armlängen heran, sprang sie fort, versteckte sich hinter dem nächsten Baumstamm und tauchte sogleich an einem anderen Ort singend und winkend wieder auf.
Wie geblendet folgte ich ihr. Ohne nachzudenken, willenlos.
Sie narrte mich, so sehe ich es jetzt, doch war ich von Schönheit und Gesang so berauscht, dass ich nichts anderes im Sinn hatte, als sie zu haschen.
Meile um Meile, Stunde um Stunde lief ich ihr nach und vergaß alles andere um mich herum. Erst als sich die Morgendämmerung ankündigte, sie verschwand und nicht wiederkehrte, erwachte ich wie aus einem Traum. Lange Zeit wusste ich nicht, wo ich mich befand.
Gegen Mittag erreichte ich die zerfallene Hütte. Meine Freunde erwarteten mich bereits. Keiner konnte sagen, wann wir uns getrennt hatten, doch alle drei waren wir uns sicher, einer Lichtgestalt gefolgt zu sein.
Schlafen kann ich nicht. Der Gesang in meinem Kopf hält mich wach und lässt meine Gedanken immer wieder zurück zu den Ereignissen der Nacht schweifen. Ich blicke zu Ludger und Geert hinüber und erkenne Ratlosigkeit in ihren Blicken. Sie grübeln wie ich darüber, wie wir dem einen Wesen folgen konnten, ohne denselben Weg zurückzulegen.
Eine einzige Erscheinung war auf der Lichtung, da sind wir uns einig. Und doch schwindet diese Überzeugung mehr und mehr.
Was bezweckte sie mit ihrem Locken?
Wusste sie von uns, bevor wir kamen?
24. August
Was ich zunächst über die Zahl der Lichtgestalten angenommen habe, ist falsch.
Heute Nacht tauchten zwei Schimmer nahe der Hütte auf. Ich rief meine Freunde und ging auf den Lichtschein zu. Es waren beides Mädchen, so verschieden, doch jedes wunderschön.
Kurz wandte ich mich noch einmal um. Schemenhaft erkannte ich, wie Geert und Ludger miteinander rangen. Lass
Gewehr
nein
nicht, schallte es zu mir herüber. Doch bevor ich verstand, was vor sich ging, nahm mich der Gesang der Frauen gefangen.
Ohne zu wissen, wie mir geschah, ließ ich mich fallen in den Tönen voller Zärtlichkeit und Sehnsucht, Neugier und Einsamkeit. Die Melodien, es waren ihrer zwei, ließen mich tanzen und träumen. Von einem Leben allein im Wald berichteten sie mir, von der Hoffnung, jemanden zu finden, der es mit ihnen teilen würde.
Ihre Schönheit berauschte mich und weckte ein Verlangen, das ich bisher nicht gekannt hatte.
Ja, nehmt mich. Ich bin der, den ihr sucht.
Mein Dasein war ein Spaß auf Kosten anderer, so verstand ich jetzt. Voller Zerstörung und Hass.
Nein, so konnte es nicht weitergehen.
Plötzlich erstarb der Gesang. Die Frauengestallten wandten sich um und liefen davon. Nicht lockend, wie letzte Nacht, sondern überstürzt vor Angst.
Bleibt doch, habt keine Scheu!
Ein Schuss.
Ich fuhr herum. Ludger stand mit erhobener Waffe hinter mir. Der Lauf qualmte. Vor mir ging eines der Mädchen zu Boden. Ihr Licht erlosch.
Ununterbrochen verteidigt Ludger sein Tun. Bleibt weg von ihnen, beschwört er uns immer wieder. Er hat ein ungutes Gefühl, das er uns nicht erklären kann. Was Geert dazu denkt, weiß ich nicht. Die ganze Zeit sitzt er zusammengekauert in einer Ecke und sorgt sich allein um das Feuer. Auf Fragen antwortet er nicht. Die letzten Stunden ebenso wenig wie jetzt.
Ich selbst fühle mich einsam und leer. Hin und wieder keimt Gesang in meinen Gedanken auf und lässt mich zittern. Wie sehr sehne ich mich nach der Gesellschaft der Mädchen!
Die Sonne geht unter. Es wird Nacht.
Der Gesang kehrt zurück. Sie kommen.
Nicht zwei oder drei, es ist ein Dutzend an Lichtern zu sehen und stetig werden es mehr. Sie kommen aus dem Wald von überall her.
Geert rührt sich nicht und Ludger lädt unsere Waffen. Er ist zu allem entschlossen.
Sie kommen näher. Ich kann sie nicht zählen.
Oh, Ludger, mein Freund, was hast du nur getan?
21. Aug. 2010 - Felix Woitkowski
Bereits veröffentlicht in:
[Zurück zur Übersicht]
|
|