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Die Trommel der Feenkönigin
von Josef Herzog

Joran Elane Joran Elane
© http://www.glenvore-art.com
Der Herbst war in den Nachtwald eingekehrt. Nur vereinzelt drangen die Strahlen der Oktobersonne durch das dichte Blätterdach. Eichhörnchen sammelten erste Vorräte, eine Horde Wildschweine grub in ihrer Nähe nach Eicheln, in der Hoffnung, die bevorstehende Zeit des Mangels zu überstehen.

Das Rascheln von Schritten auf dem laubbedeckten Boden ließ alle Tiere zusammenschrecken. Ein alter Mann trat tief gebeugt aus dem Morgennebel. Sein zerfledderter Umhang aus bunten Stoffflicken konnte ihn kaum vor dem eisigen Wind schützen.
„Hier soll sie also irgendwo sein“, flüsterte er und spähte vorsichtig in den dämmrigen Wald. Nach einer Weile lehnte er sich gegen einen Stamm und zog aus seiner Tasche eine Leier hervor. Jahrelang war er als Spielmann durch die Welt gezogen, doch nun war er alt geworden und sein Instrument besaß nur noch eine einzige Saite. „Wie soll ich damit mein Geld verdienen? Niemand möchte einem Spielmann zuhören, dessen Leier nur noch eine Saite besitzt“, rief er laut.

Plötzlich blendete ihn helles Licht und aus dem Leuchten trat eine zartgliedrige Frau auf ihn zu. „Ich bin die Feenkönigin des Waldes und habe deine Klage vernommen. Wenn du magst, darfst du mir dein Lied vorspielen. Ich höre dir gerne zu“, sprach sie mit lieblicher Stimme.

Der alte Spielmann verbarg ein Lächeln, denn auf dieses Zusammentreffen hatte er gehofft. Im Dorf am Rande des Waldes hatte er gehört, dass hier die Feenkönigin leben solle, die manchmal einem vorbeiziehenden Wanderer einen Wunsch erfüllte, wenn seine Geschichte nur traurig genug war.
Er griff seine Leier und begann zu singen. Voller Schmerz war seine kleine Weise und als die ersten Töne erklangen, wurde es ganz still im Wald und kein Blatt wagte es, vom Ast zu fallen.
Mitten in der Melodie jedoch riss seine letzte Saite, er blickte entsetzt auf sein nun nutzlos gewordenes Instrument und stöhnte: „Wie ungerecht ist doch diese Welt. Ich wollte dir eine Freude machen und werde dafür bestraft. Jetzt kann ich niemandem mehr aufspielen und muss jämmerlich verhungern.“
So hoffte er, das Herz der Fee zu erweichen.

Sie lächelte wissend und fragte: „Was kann ich für dich tun, damit du wieder glücklich wirst?“
„Ach“, sprach der alte Spielmann, „ich wünschte, ich hätte ein neues Instrument, damit ich mir mein tägliches Brot verdienen kann. Es soll laut genug sein, damit mich alle hören können und zu mir eilen. Und es soll mir meine Wünsche erfüllen, denn mein Leben war hart und die Leute haben für unsereins nur Spott übrig. Ja, das wäre mein größter Wunsch: Die Menschen sollen mich reichlich mit Gold für meine Musik belohnen, damit ich nie wieder hungern muss.“
„Ich werde dir deinen Wunsch erfüllen“, antwortete die Fee ernst. Kaum waren ihre Worte verklungen, hielt der Spielmann plötzlich eine Trommel in seinen Händen.
„Wenn du sie spielst, werden die Leute zu dir kommen und dir alles geben, was du von ihnen forderst. Jeder Wunsch, den du während des Trommelns aussprichst, soll dir erfüllt werden. Aber sobald du aufhörst, deine Trommel zu schlagen, hast du keine Macht mehr über die Menschen, die dir zuhören.“
„Ich will trommeln, bis in meinen Armen keine Kraft mehr ist“, rief der Alte begeistert, „dann werde ich gewiss keinen Mangel mehr leiden. Ich danke dir für dieses Geschenk, Feenkönigin!“

Als der Spielmann zu dem kleinen Dorf am Waldrand kam, dachte er bei sich: „Ich will doch einmal ausprobieren, ob mir die Feenkönigin die Wahrheit gesagt hat.“ Er stellte sich auf die Treppenstufen der Dorfkirche und begann, vorsichtig auf seiner Trommel zu spielen. Bald blickten die Ersten aus ihren windschiefen Katen, Mägde und Knechte eilten von den Feldern neugierig herbei. Sie begannen, sich in seinem Takt zu drehen und riefen begeistert: „Schlag schneller, schlag schneller, Spielmann!“
Der Spielmann wurde mutiger und wirbelte kräftig mit seinen Trommelstöcken. Leise flüsterte er, dass selbst der Wind seine Worte nicht verraten konnte: „Gebt mir alles, was ihr habt.“
Für einen Moment erstarrten die Dorfbewohner in ihrem Treiben, denn der Spielmann hatte mit dem Trommeln aufgehört. Als er jedoch rasch wieder weiterspielte, liefen sie in ihre Häuser und brachten ihm alles, was sie hatten. Bald lagen vor ihm tote Hühner, Obst und Brot und einige wenige Silbermünzen. Der Spielmann schüttelte traurig den Kopf. „Hier lohnt es sich nicht. Das Dorf ist zu arm, um mich angemessen zu entgelten. Ich will in die Stadt gehen, dort wohnen die reichen Bürger. Die werden mich mit Goldstücken überhäufen.“

Kaum war er in der nächsten Stadt eingetroffen, liefen auch schon alle Einwohner auf dem Marktplatz zusammen, als sie sein Trommelspiel hörten. Sie lachten und tanzten zu seinem Spiel und warfen ihm viele Goldmünzen zu. Doch als er das Geld vom Boden einsammeln wollte, musste er sein Trommeln unterbrechen.
Da endete der Zauber über seine Zuhörer, sie wurden böse und es reute sie, dass sie dem Spielmann so viel Geld zugeworfen hatten. „Wie kann es nur sein“, riefen sie, „dass wir dich so reichlich für dein albernes Trommeln beschenkt haben? Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen!“
Der Spielmann antwortete nicht, sondern raffte schnell mit der einen Hand alles Geld zusammen, während er mit der anderen weitertrommelte. Und wieder tanzten und lachten alle und warfen ihm fröhlich ihr Geld zu. Dies trieb er so lange, bis niemand mehr etwas besaß, das er geben konnte. Da wusste der Spielmann, es war genug, und leise trommelnd verließ er die Stadt, sonst wäre er gewiss nicht mit dem Leben davongekommen.

So trieb es der Spielmann an vielen Orten und wurde reicher und reicher. Bald schritt er im prachtvollsten Gewand durch die Lande und hatte keine Freude mehr an seiner Musik. Aber er trommelte immer noch des Geldes wegen, schaute voller Verachtung auf die tanzenden Zuhörer und schnitt ihnen Grimassen, während sie ihm ihr Geld zuwarfen.

Wenn er jedoch abends außerhalb der Stadt in einer Herberge sein Haupt zur Ruhe bettete, war in ihm eine kleine, wundervolle Melodie, die er leise summte. Wie gerne hätte er jetzt wieder seine alte Leier gehabt, um dieses Lied spielen zu können. Er blickte wehmütig auf die Trommel, die in der Ecke stand und die für solch feine Töne nutzlos war. „Du bist dumm“, tadelte er sich selber, „jetzt hast du endlich alles, was du so lange entbehren musstest. Was träumst du da noch von einer Musik, die du spielen möchtest?“

Eines Morgens kam er auf seinem Weg am Schloss des Königs vorbei und sprach zu sich: „Wollen wir doch einmal sehen, ob die Macht der Trommel stärker ist als ein König. Mein Leben lang bin ich durch die Welt gezogen und habe den Menschen aufgespielt. Nun soll es damit vorbei sein. Ein prächtiges Schloss wäre fürwahr ein angemessener Ort für mein restliches Leben.“

Die Wachen vor dem Tor ließen den Spielmann ungehindert passieren, denn sie glaubten seiner guten Kleidung wegen, er sei ein Edelmann, und verneigten sich vor ihm. Kaum war er glücklich in den Schlosshof gelangt, holte er seine Trommel hervor, die er unter dem Gewand verborgen hatte, und begann zu spielen.

Sofort öffneten sich alle Türen im Schloss, die Leute eilten zu ihm, klatschten, lachten und tanzten und warfen ihm mit vollen Händen ihr Geld zu. Doch darauf achtete der Spielmann nicht. Endlich öffnete sich auch die Balkontür zum königlichen Schlafgemach und der König trat in seinem Nachtgewand heraus. Auch er begann auf dem Balkon im Rhythmus der Melodie zu tanzen. Der Spielmann wirbelte seine Trommelstöcke immer schneller und schneller und der König drehte sich immer rascher und rascher, bis er plötzlich wie ein Stein tot zu Boden fiel. Da riefen alle: „Der alte König ist tot, nun soll der Edelmann mit der Trommel unser neuer König werden.“

Weiter musste der alte Spielmann seine Trommel rühren, während ihn die Diener in den Thronsaal führten. Schritt für Schritt näherte er sich dem goldverzierten Thronsessel, vor dem bereits der oberste Minister des Landes mit der Krone auf ihn wartete und sich im Takt der Melodie um sich selber drehte.
Da verließ den Spielmann plötzlich die Kraft, immer schwächer wurde sein Schlagen. Gerade noch schaffte er es, sich auf den Thron zu setzen, da verstummte die Trommel endgültig.
„Gebt mir die Krone“, stöhnte er, doch er konnte seine Trommelstöcke nicht mehr bewegen, wie gelähmt waren seine Arme. Alle um ihn herum waren erstarrt und blickten entsetzt auf den Spielmann. „Nie“, ächzte der erste Minister, der sich langsam vom Zauber der Trommel erholte, „nie wirst du unser neuer König werden.“

Mit letzter Kraftanstrengung holte der Spielmann noch einmal aus, seine Trommel erklang so leise, dass nur er ihren Ton hören konnte. Verzweifelt wünschte er sich in den Nachtwald zurück.

Wieder war der Herbst in den Wald eingekehrt und hatte die Blätter in ein leuchtendes Bunt verwandelt. Der Wind strich durch die Sträucher und wehte das verwelkte Laub wie zum Spiel empor. Der Spielmann trat aus dem Morgennebel, kraftlos hielt er seine Trommel in der Hand. Jeder Schritt war für ihn so beschwerlich, als würde er durch tiefen Morast waten.

Erneut erschien die Fee des Waldes und blickte ihn mit freundlichem Gesicht an.
„War das wirklich dein Wunsch?“, fragte sie.
Der Spielmann hatte keine Kraft mehr, um ihr eine Antwort zu geben und schloss müde die Augen.
„Du brauchst mir nicht zu antworten“, fuhr die Fee fort, „ich habe dich schon verstanden.“
Kaum hatte sie gesprochen, hielt der Spielmann wieder seine alte Leier in der Hand.
Aber sie war nicht ganz wie seine alte Leier denn an ihr waren alle Saiten heil. Als er kraftlos die ersten Töne anstimmte und versuchte, eine Melodie zu spielen, die ihm gerade in den Sinn kam, war seine Musik so klar und rein, wie er sie noch nie zuvor vernommen hatte. Dankbar blickte er zur Feenkönigin und verspürte ein tiefes Glück. Endlich konnte er die Melodien spielen, die in seinem Herz verborgen waren. „Was bedeuten schon Macht und Geld“, flüsterte er, „wenn ich wieder meine Lieder spielen kann!“
Die Feenkönigin warf ihm ein warmherziges Lächeln zu, dann verschwand sie.
Der alte Spielmann schloss die Augen und seufzte. Und noch lange konnte man im Nachtwald die sanften Töne seiner Leier hören.

25. Feb. 2011 - Josef Herzog

Bereits veröffentlicht in:

IM BANN DES NACHTWALDES
F. Woitkowski (Hrsg.)
Anthologie - Fantasy - Lerato-Verlag - Mar. 2007

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