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Trautes Heim, parallel von Nina Horvath
Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de »Und das soll irgendetwas beweisen?«, meinte Amrei. Sie war nicht ganz sicher, ob sie mit Belustigung reagieren oder allmählich Angst bekommen sollte. Alles, aber auch wirklich alles, was dieser Unbekannte ihr über sie selbst erzählt hatte, entsprach der Wahrheit!
Aber dann ermahnte sie sich, rational zu bleiben. Ein Schuss ins Blaue, der zufälligerweise der Wahrheit entsprach, machte noch lange keinen Hellseher.
»Aber ich habe doch ins Schwarze getroffen?«, fragte er, als habe er eben ihre Gedanken gelesen.
Amrei ließ einen abfälligen Laut hören: »Gut, da gibt es ein paar Dinge, die stimmen. Aber auf welche Frau würden diese Allgemeinplätze nicht zutreffen? Und den Rest können Sie beobachtet haben.«
Er seufzte. »Du
Sie glauben mir nicht!«, stellte er fest.
»Nein«, erwiderte Amrei ungerührt: »Ich frage mich überhaupt, warum Sie zu mir kommen. Wenn Sie mich tatsächlich so gut kennen, wüssten Sie doch, dass ich nicht sehr empfänglich für das Übernatürliche bin!«
»Wissen Sie
in gewisser Weise: ja. Aber Sie sind eine Frau voller Widersprüche. Sie behaupten, an gar nichts zu glauben, aber das ungute Gefühl bleibt, wenn die Omen sich häufen, dass es ein schlechter Tag wird. Wenn Sie eine fleckige Wand länger ansehen, dann treten da Gesichter hervor
grausame Fratzen, Visionen von Geschöpfen der Dunkelheit und des Todes
«
»Hören Sie auf!«, schrie sie.
»Und ich hatte schon gehofft, dass du in dieser Realität normaler wärst. Immerhin bist du ja auch weitaus netter angezogen als
« Er musterte sie von oben bis unten und fügte dann hinzu: »Vielleicht sogar ein wenig zu nett. Rot steht dir wesentlich besser als dieses Blassrosa. Aber immerhin besser als der Gothiclook.«
»Ich habe absolut keine Ahnung, wovon Sie überhaupt reden!«, stellte sie ungerührt fest.
»Ich hatte es doch schon erklärt, aber gut, ich kann mir vorstellen, dass es anfangs etwas schwer zu verstehen ist. Also noch mal langsam: Es gibt da verschiedene Ebenen, in denen immer wieder so einiges anders ist. Also eine Art Paralleluniversen. Ich kann von einem Universum ins andere springen und sehen, wie wir leben würden, wenn alles anders gekommen wäre. Nur kleine, andere Entscheidungen und unser Leben verläuft völlig anders! Und das, obwohl wir trotzdem in vielerlei Hinsicht dieselben Menschen mit ganz ähnlichen Interessen, Vorlieben und Abneigungen sind
«
»Und
warum kommen Sie damit ausgerechnet zu mir? Es gibt doch jede Menge anderer Leute zum Beobachten. Ich bin nicht so interessant
«, versuchte Amrei Viktor abzuwimmeln.
»Wir sind bisher auf jedem Leben aufeinandergetroffen. Alleine komme ich aber nicht weit! Es wandeln dunkle Wesen umher, die die Grenzen von einem Universum ins nächste bewachen. Überschreitet man sie, heften sie sich einem an die Fersen wie Bluthunde. Sie spüren mich auf und zerren mich wieder dorthin zurück, woher ich gekommen bin. Es ist eine trostlose Welt
«
Amrei sah ihn Hilfe suchend an. Sie war unschlüssig, ob sie den Mann trösten oder doch lieber die Polizei rufen sollte, um diesen Irren loszuwerden. Viktor hob die Hand. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück.
Ein Topf mit Farbe kippte um und die weiße Masse verteilte sich auf dem Boden.
»Oh nein!«, murmelte Amrei. Sie packte einen Schwamm und versuchte die weiße Flüssigkeit wegzuwischen, verschmierte sie jedoch nur auf dem Parkettboden. »Nein, nein, nein«, wiederholte sie immerfort in einem Tonfall, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde.
»Es ist ein Zwang, nicht wahr?«, fragte Viktor.
Doch Amrei antwortete nicht. Die Farbe auf dem Boden löste sich vor ihren Augen auf, erhob sich in grotesken Formen und bildete Gesichter. Jede nicht festgelegte Form bildete neue Umrisse. Arme schienen nach ihr zu greifen, Dutzende, ja Hunderte von Wesen erhoben sich und fielen wieder zusammen. Aus alter Form entstand neue Gestalt, wieder und immer wieder.
Viktor ergriff sie an den Schultern: »Hör auf, Amrei! Komm, wir gehen in die Küche.«
»Die Flecken!«, protestierte Amrei.
»Das mache ich später«, versprach Viktor und zog sie aus dem Raum: »Aber, nicht wahr, du siehst diese Wesen?«
Amrei nickte. Ihr fiel gar nicht auf, dass Viktor inzwischen längst zu dem vertraulichen Du gewechselt war.
»Sie kommen überall, wo es Schmutz und Verfall gibt. Ich sehe sie in Flecken auf Decke, Boden und Wand, in den Spinnweben in der Ecke, in Essenresten auf dem Teller. Ich kann sie etwas zurückhalten, wenn ich alles sauber halte und die Wand sehr oft neu streiche.«
Viktor strich ihr sanft über den Arm. Es lag etwas seltsam Vertrautes in der Berührung.
»Du hast Angst, aber dass du die Wächter zwischen den Dimensionen sehen kannst, ist eine besondere Gabe, die auch ich nicht habe. Ich weiß, dass du siehst und auch spürst, wenn sie vorhaben, anzugreifen. Du hast mir das einmal vorgeführt
in einer Parallelwelt. Da war es aber anders, da warst du eine Malerin und hast sie richtiggehend angelockt, um sie zu beobachten und in deinen Werken zu verarbeiten
«
»Das würde ich nie machen! Ich habe furchtbare Angst vor diesen Monstern«, widersprach Amrei.
Viktor legte den Kopf schief: »Zwischen Faszination und Furcht liegt nur ein schmaler Grat. Ich habe diese Welt nie mehr wiedergefunden, aber ich war lange genug dort, dass du mir verraten konntest, wie man sie töten kann
«
»Viktor!«, Amreis Stimme hatte einen kläglichen Tonfall angenommen. Sie sah deutlich, dass sich die Wesen langsam ins Rötliche verfärbten. Gleich war es so weit!
»Denk´ dran: Erst wenn sie ganz nahe sind, erwische ich sie alle auf einen Streich. Dann sagst du: Jetzt!«
Amrei hörte gar nicht zu, sondern starrte nur auf die wirbelnde Masse. Aber das brauchte sie auch gar nicht: Viktor und sie hatten es so oft durchgesprochen, dass es ihr längst in Mark und Bein übergegangen war. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihre Hände zitterten. In ihr stieg die Versuchung hoch, Viktor den Auslöser aus der Hand zu reißen und ihn selbst zu betätigen.
Aber noch war es nicht so weit.
Wie im Auge eines Zyklons standen die beiden noch unberührt von dem Wirbelsturm um sie herum da. Doch der Kreis zog sich bereits enger. Noch hielten die Wesen einen respektvollen Abstand, schienen sie zu prüfen, aber da
stieß das erste zu ihnen vor!
»Jetzt!«, schrie Amrei und Viktor drückte den Knopf mit einer Gewalt durch, als wolle er den Auslöser in zwei Hälften spalten. Wie in Zeitlupe sah Amrei, wie sich sein Zeigefinger durchbog und weiß anlief. Die Grenzwächter torkelten wie von einem unsichtbaren Blitzschlag getroffen und fielen dann zu Boden.
»Sind sie tot?«, fragte Viktor. Er schüttelte Amrei, die wie erstarrt dastand.
»Sind sie tot?«, schrie er erneut, nun beinahe hysterisch.
»Ja«, antwortete Amrei endlich: »Aber werden jetzt nicht andere wiederkommen?«
Viktor schüttelte den Kopf: »Nicht, wenn wir uns vorher tarnen. Komm mit!«
Sie folgte Viktor, der sie zu einem großen Haus führte. Er trat ungeduldig einen Blumentopf zur Seite, unter dem ein Schlüssel lag.
Als sie eintraten, nahm Amrei noch ein kitschiges Porzellanschild neben der Eingangstüre wahr, auf dem Home, Sweet Home, stand.
Viktor wies einen Gang hinunter: »Da ist das Bad. Stell dich unter die Dusche und wasche dich gut. Wir müssen den Geruch der fremden Welt loswerden! Danach ziehst du deine Kleider nicht mehr an, sondern suchst dir hier etwas zum Anziehen.«
»Und du?«, fragte Amrei.
»Ich gehe im ersten Stock ins Bad. Wenn du fertig bist, nimm die Kleider mit ins Wohnzimmer und wirf sie in den Kamin. Warte dort auf mich! Ich möchte nicht, dass du hier allein im Haus rumläufst.«
Amrei war zwar nicht überzeugt davon, dass das allein ausreichen würde, aber der Gang ins Bad war vorerst das Einzige, das sie tun konnte. Sie griff nach der Flasche mit dem Duschbad. Es roch herrlich nach Vanille. Amrei hatte diesen Duft immer schon geliebt
Danach hüllte sie sich in einen Bademantel. Er war rosa und passte wie angegossen. Sie trat hinaus ins Freie, und obwohl sie noch nasse Haare hatte, fror sie nicht. Unter ihren nackten Füssen nahm sie eine angenehme Wärme wahr. Eine Fußbodenheizung
so etwas hatte sie sich immer schon gewünscht.
Vorsichtig betrat sie das Wohnzimmer, fand es jedoch leer vor. Im Kamin prasselte wohlig ein offenes Feuer.
»Viktor?«, rief sie fragend. Sie erinnerte sich daran, die Kleider zu verbrennen. Die Kunstfaser stank erbärmlich.
Schön langsam begann sie sich zu fragen, wo wohl die Besitzer des Hauses waren und beschloss schließlich, sich ein wenig umzusehen.
Amrei sah in die Küche und betrat danach in das Schlafzimmer. Es stand ein Doppelbett darin. Sie öffnete eine der Laden des Nachtkästchens. Hustenbonbons, Taschentücher
nichts Besonderes. Aber da war noch etwas: Ein kleines, gerahmtes Bild lag verkehrt da. Amrei drehte es um.
Es zeigte Viktor und
sie selbst!
Sie lief nach draußen: »Viktor? Viktor!«, rief sie, erhielt jedoch keine Antwort.
Sie durchsuchte alle Räume. Sie fand zwar das zweite Bad, aber Viktor war nicht mehr da. Sie hastete weiter, immer wieder seinen Namen rufend. Schließlich stand sie vor einer Treppe, die in den Keller führte. War Viktor vielleicht da unten?
Sie kam zu einer schweren Eisentür. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun und gleich dafür bestraft zu werden, nahm zu. Dennoch riss Amrei die Tür auf - und erstarrte.
Da stand Viktor und vor ihm lag eine reglose Gestalt.
Ein Toter, zweifellos. Blut sickerte ihm aus Ohr und Nase auf den weiß gekachelten Fußboden, während die Augen in blankem Entsetzen erstarrt waren. Die Gesichtszüge waren unnatürlich verzerrt. Dennoch erkannte sie Amrei eindeutig: Es war Viktor!
Ihr Blick hastete zwischen dem Toten und seinem lebenden Ebenbild hin und her. Der Mann trug ebenso wie sie nur einen Bademantel und das Haar schimmerte feucht, während die Leiche in legere Alltagskleidung gehüllt war.
»Mein Gott, was hast du getan?«, stammelte Amrei.
»Ich konnte nicht anders, er
er hat mich angegriffen!«, beteuerte Viktor.
»Er hat dich angegriffen? Das
das ergibt keinen Sinn«, meinte Amrei.
Ein Schlag auf ihren Kopf löschte ihr Bewusstsein aus.
Als sie wieder zu sich kam, tat ihr das Licht in den Augen weh. War sie tot?
Nein, Tote fühlten keinen Schmerz. Es sei denn, sie wären in der Hölle
»Amrei, wach auf, bitte, das wollte ich nicht!«, hörte sie Viktor verzweifelt rufen.
Langsam glitt sie aus der Welt der Benommenheit wieder in die Realität.
»Glaube mir, ich wollte dir nicht wehtun, ich hatte gehofft, dass du oben bleibst!«
»Du hast ihn umgebracht!«, meinte Amrei.
»Ja, Amrei, ich weiß, es ging nicht anders! Die Torwächter lassen es nicht zu, dass zwei gleiche Menschen in einer Welt existieren«, erklärte er.
»Deswegen hast du ihn einfach ermordet?«, fragte sie fassungslos.
»Ermordet ist nicht das richtige Wort. Siehst du: Er ist ich! Es ist bestenfalls Selbstmord.«
Ein irres Glänzen lag in Viktors Augen. Er zog den Kopf zurück, sodass sein Hals unansehnliche Falten bildete.
»Diese Wortspielchen ändern rein gar nichts daran. Dieser andere Viktor hatte ebenso ein Leben und du hattest kein Recht, es ihm zu nehmen, nur weil er ein schönes Haus und viel Geld hat!«
»Ja, ursprünglich hat mich das tatsächlich hergeführt. Es hat mich fasziniert, mein eigenes Ebenbild zusammen mit dir heimlich zu beobachten. Es schien alles perfekt zu sein, dieses sorgenfreie Leben in diesem wunderbaren Haus. Zunächst hat es mir gereicht, ihnen dann und wann zuzusehen, bevor mich die Torwächter wieder in meine Welt zurückschleuderten, aber dann
Weißt du, er hat sie dauernd fertiggemacht und auch betrogen! Er hatte dieses ganze Glück nicht verdient
«
»Und sie? Hast du sie auch umgebracht?«, unterbrach sie ihn.
»Nein, Amrei. Dafür hat schon dieser Idiot gesorgt. Sie ist durch seinen Leichtsinn ums Leben gekommen und er hat die ganze Sache auch noch vertuscht. Und da habe ich beschlossen, sie zu rächen! Es sollte alles in Ordnung kommen: Du und ich sind füreinander bestimmt. Freu dich doch, Amrei: Wir sind endlich zu Hause!«
14. Jan. 2011 - Nina Horvath
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