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Der steinerne Engel von Arcana Moon
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Der Wind hat es mir erzählt, sagte sie zu ihm, ohne dass er auch nur ein Wort zu ihr gesprochen hatte. Er wies mir die Richtung und ich folgte dem Geruch der salzigen Meeresböe. Und jetzt ... jetzt habe ich dich gefunden...
Seine dunklen Augen blickten das Mädchen fragend an.
Vergiss was du gesehen und erlebt hast, löse dich von dem was dich einzwängt und folge mir dorthin wo dein wahres Herz schlägt.
Der junge Mann wandte seinen Blick unsicher auf die Turmuhr, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe befand, da er dem Blick des Mädchens nicht standhalten konnte.
Die Zeit ist unwichtig, jetzt bist du frei von allem und jedem. Deine Träume und die Gefühle sind alles was du noch hast. Sie werden deine Flügel sein und dich dorthin tragen, wo dein wahres Ich nach Äonen aus tiefem Schlafe erwachen wird.
Sein Blick fixierte wieder ihr Gesicht, dessen süße Lippen ihn zu verführen schienen. Er wusste nicht was er sagen sollte, geschweige denn wie er reagieren sollte.
Ihm war, als wären die letzten Stunden im Zeitraffer an ihm vorbeigelaufen. Die Trennung von seiner großen Liebe war gerade mal vier Stunden her. Ein inneres Beben und Schreien hatte ihn erfüllt, doch keine Regung war auf seinem Gesicht zu sehen gewesen, kein Ton von seinen Lippen gedrungen. Er hatte einfach nur die Tür hinter sich verschlossen und beendete dieses Kapitel seines Lebens. Von Kälte erfüllt war er durch die Straßen gelaufen, blind gegenüber seiner Umwelt.
Sein schwarzer Ledermantel wehte im aufkommenden Wind und sein dunkles Haar war vollkommen zerzaust. Er wollte nichts mehr denken, nichts mehr fühlen, nichts mehr sehen. In seinem paralysierten Zustand lief er direkt vor ein Auto. In einer kurzen Vision sah er seinen toten Körper schon von oben am Boden liegen. Da spürte er den starken Griff von zwei Händen, die ihn in die Luft rissen, so dass er jegliches Gefühl unter seinen Füßen verlor.
Der junge Mann schloss vor Überraschung die Augen, als würde er darauf warten, dass das Ende ihn schnell holen würde. Doch es geschah nichts, nur der Wind wehte ihm durch das dunkle Haar.
Als er wieder den Boden unter seinen Füßen verspürte, öffnete er vorsichtig seine Augen. Verwundert stellte er fest, dass sich er am Rande der Stadt befand, da wo die alte Kirche stand. Um es genau zu sagen, er stand nun mitten auf dem Friedhof, um den er stets lieber einen großen Bogen gemacht hatte, denn der Geruch des Todes hatte ihm immer wieder unangenehme Schauer über den Rücken gejagt. Fast von Panik ergriffen, schaute er sich hektisch um.
Dichter Nebel umgab die ganze Szenerie, was ihn noch viel mehr gruselte. Er sah weder Weg noch Steg, nur die baufällige Kirche mit der alten Turmuhr malte sich schemenhaft in seiner Nähe ab. Seine Augen wanderten ruhelos hin und her und versuchten etwas zu erkennen. Plötzlich fiel sein Blick auf eine riesige Engelsstatue, die ein ansonsten recht karges Grab schmückte. Keine Blumen, keine Kerzen, nur die Statue stand wie ein Stein in der Brandung des Nichts. Der Nebel wallte langsam um die Skulptur herum und schien vor ihm zurückzuweichen.
Und dann sah er sie, ein junges Mädchen, das ihn interessiert musterte. Sie saß auf dem Deckel einer Gruft, die direkt neben dem steinernen Engel gebaut war. Ihre Schemen verwischten im Nebel, der sich immer dichter um die Welt sponn. Langsam ging er auf sie zu und schließlich blieb er direkt vor ihr stehen.
Noch immer hatte er keine Worte gefunden, die er den ihren erwidern konnte.
Nachdem die Stille fast unerträglich wurde, erhob das Mädchen seine Stimme erneut: Wovor hast du Angst? Vor dem Zerfall? Vor der Vergänglichkeit deines wertlosen Lebens? Vor der Endgültigkeit? Ihre Stimme schien nun kälter als Eis zu sein. Er starrte sie entgeistert an. Sie lachte verächtlich auf.
Der Tod ist eine weitere Chance, ein Neubeginn. Es gibt keinen Himmel, es gibt keine Erlösung. Es gibt keine Engel und keine Dämonen, nur Charaktereigenschaften, die jenes Wesen formen, das sich die Krone der Schöpfung nennt. Es gibt nur das, was die Menschen aus ihrer Existenz machen. Jeder von ihnen kann ein Engel oder ein Dämon sein. Je nach dem, welche Seite er seinen Mitmenschen zeigt. So ist diese Welt Himmel und Hölle zugleich. Wenn der Mensch den Willen und die Kraft in sich formt seine Seele nach dem Tod nicht erneut dem ewigen Energiekreislauf zu opfern, wenn er seine Gedanken und Gefühle fest zusammenhält und sich selbst zu einem einzigartigen Wesen werden lässt, dann wird er auch zurückkehren wie er war und nicht in Millionen Fragmente zerrissen werden. Doch das werden sie nie verstehen. Aber du wirst es, nicht wahr? Sie sprang, beinahe schwebend, von der Gruft herab und näherte sich ihm.
Als sie vor ihm stand, war ihr Schemen noch immer komplett vom Nebel eingehüllt. Nur ihre Augen schienen klar und deutlich. In diesem tiefen Dunkel konnte er ein leichtes Glimmen sehen, dass ihn faszinierte.
Ich... Er stockte.
Du bist nicht wie sie, fiel sie ihm ins Wort. Du bist das, was die Menschen niemals sein werden. Sie trat noch näher zu ihm und ihr ernster Gesichtsausdruck war einem Lächeln gewichen. Langsam floh der Nebel von ihrem Antlitz.
In seinen Augen blitzte Überraschung auf. Denn das Mädchen glich dem steinernen Engel, als wäre er das Abbild ihres Selbst. Diese leuchtenden Augen, die verführerischen Lippen, die sanfte Gesichtsform, das lange dunkle wallende Haar. Sie hatte etwas Geheimnisvolles, etwas Verborgenes an sich und irgendwie klopfte sein Herz lauter, je näher sie kam.
Wer bist du?, fragte er sie, obwohl er es im Grunde seines Innersten schon wusste.
Ich bin dein Herz und deine Seele. Ich bin der Spiegel dessen, was du seit Äonen begehrst. Sie reichte ihm ihre Hand. Der junge Mann ergriff sie zögerlich, doch als er ihre Haut spürte, wusste er, wohin er gehörte.
In deinem Herzen brennt das Zeichen des Feuers. Du bist die Leidenschaft, das Verlangen und die Sehnsucht. Du bist der zitternde Atem, die feuchten Perlen süßer Lust auf nackter Haut, der wilde Trieb, der uns hinauf zu den Sternen trägt, die Explosion, der Schmelztiegel, in denen mondbleiche Haut verbrennt und in einem letzten Seufzer zu Staub verweht. Du bist das Feuer, das in mir erloschen ist.
Als sie endete, traten drei weitere Gestalten hinter dem steinernen Engel hervor. Es waren ebenfalls junge Männer, die vom Nebel eingehüllt waren. Er wusste, dass er zu ihnen gehörte.
Feuer, Wasser, Erde und Luft sind die vier Elemente, die mich zu dem machen was ich bin. Ich bin die Inkarnation aller Mächte von Licht und Dunkelheit, ein Engel, ein Dämon, was auch immer ich sein will, kann ich werden. Doch ohne die Elemente, die um mich sind, wie die Sterne am Horizont, bin ich wie ein verlorenes Samenkorn, das niemals erblühen kann. Ich brauche sie alle, so wie sie mich brauchen. Denn nur wenn wir vereint sind, bleibt das Gleichgewicht unserer Welt erhalten.
Sein Herz pochte lauter und lauter, er begehrte dieses engelsgleiche Wesen. Er wusste, diese Liebe, die nun wieder in seinem Innersten glühte, war schon Urzeiten alt und er würde sie niemals aufgeben können.
Lass uns gehen, sie warten schon auf uns.
Grelles Licht erstrahlte in den Augen des steinernen Engels und tauchte die düstere Atmosphäre in eine unheimliche Szenerie. Heißes Feuer flammte in seinem Innersten auf und erfüllte ihn mit einer Energie, die er schon lange nicht mehr verspürt hatte.
Der junge Mann schien in Flammen zu stehen, aber er spürte keinerlei Schmerzen. Und als er sich zu den anderen umschaute, sah er, dass sie ebenfalls aus ihrem Element zu bestehen schienen.
Feuer, Wasser, Erde und Luft waren wieder vereint. Ihre Augen glühten grell auf und dann veränderte sich ihr Äußeres, sie wurden zu vier riesigen Drachen, die jene Stille um sie herum, mit ihrem Brüllen erfüllten. Die bunten schuppigen Leiber waren übersät von Hörnern und Stacheln und gaben ihnen ein grausames Antlitz. Ihre mächtigen Zähne hätten jeden Knochen schon mit einem einzigen Biss zermahlen.
Mögen sich Anfang und Ende der Zeiten vereinen und in Licht und Dunkelheit geboren werden! Im Angesicht der Unendlichkeit, die unser Zeuge ist!, rief das junge Mädchen den Drachen entgegen, die erneut ihre mächtigen Stimmen erhoben, so dass der Boden unter ihren Pranken zu Beben begann.
Das Licht wurde immer greller und schließlich wurden die Drachen zu einer wabernden Masse, die sich miteinander verband und ein neues Äußeres formten. In einer letzten Explosion erlosch das Licht und es ward dunkel.
Der Nebel eroberte wieder das Land und der steinerne Engel, blickte wie zuvor mit leeren Augen in die Welt. Doch zu seinen Füßen lag nun ein junger Mann.
Langsam öffnete er seine regenbogenfarbigen Augen. Er war nackt und seine bleiche Haut funkelte so hell wie das Mondlicht. Er hatte das selbe Geheimnisvolle und Verlorene an sich, das auch das junge Mädchen an sich trug.
Vorsichtig versuchte er auf die Beine zu kommen.
Ich habe dir versprochen, dass wir uns eines Tages wiedersehen. Niemals könnte ich verraten, was ich empfinde, sagte sie zu ihm.
Er blickte sie an und seine Stimme zitterte ihr entgegen: Ich hätte niemals gedacht, dass es dir gelingen würde, die Splitter meines Selbst wieder zu vereinen. Oder dass ich dich nur ein einziges Mal noch in meinen Armen halten würde.
Ihre Züge wurde ernst. Du weißt, ich gebe niemals auf. Unterwerfung und Kapitulation wäre eine größere Schande, als mich gegen die Entscheidung der vergessenen Geister zu stellen. Als ich dich damals das erste Mal kämpfen sah, wusste ich das wir zusammengehören. Der erste Kuss zwischen uns besiegelte unsere Verbindung, so wie es seit Äonen Tradition in unseren Welten war. Doch sie wollten unsere Liebe nicht in ihren Welten haben. Niemals hätten die Götter es erlaubt, dass sich königliches Blut mit dunklem Kriegerblut mischt. Doch unabhängig wie sehr sie in mich drangen unsere Verbindung zu lösen, ich hielt stand. Und als sie dich verbannten, da floh ich um dich zu finden. Ich weiß, wir können nie dorthin zurückkehren. Aber das ist unerheblich, denn ich liebe dich. Und nur mit dir bin ich eins.
Der dunkelhaarige Mann lächelte sie mit seinen Regenbogenaugen an. Sie hätten wissen müssen, dass sich die Tradition immer holen wird, was sie verlangt. Ganz gleich welchen Weg sie dafür beschreiten muss. Wir werden immer wieder zueinander finden, egal wie viele Welten uns auch trennen mögen. So ist es und so wird es immer sein. Nun lächelte sie ebenfalls und legte ihren Kopf an seine Schulter. Er umarmte das junge Mädchen fest, als habe er Angst sie erneut zu verlieren.
Es ist Zeit zu gehen, hauchte sie.
Ich weiß.
Einen Moment lang blickten sie sich innig an und dann verschmolzen ihre Lippen zu einem feurigen Kuss, der sie schwebend in den Himmel trug.
Die Augen des steinernen Engels begannen erneut zu glühen und hüllten die beiden Liebenden in sein Licht ein. Der junge Mann veränderte seine Gestalt und ein riesiger Drache erschien statt seiner. Das Mädchen setzte sich auf den Rücken des unheimlichen Wesens, das nun seine breiten Schwingen entfaltete und mit kräftigem Flügelschlag vom Boden abhob.
Halt dich gut fest, sprach das schwarze Ungeheuer mit tiefer Stimme.
Keine Sorge, selbst der stärkste Sturm kann uns nun nicht mehr auseinander treiben, antworte sie lachend. Und dann flog der Drache in das Licht, das aus den glühenden Augen des steinernen Engels drang.
Ein menschliches Leben hatte sein Ende gefunden, doch eine Liebe fand einen wundervollen Neubeginn. Irgendwo, weitab von Sterblichkeit und Verfall, weitab von dieser kalten Welt, die niemals die Ihre gewesen war.
Nur der steinerne Engel schaut wohl heute noch im Nebel auf die einsamen Gräber und wartet darauf, vielleicht eines Tages wieder jemanden den Weg zu weisen
03. Mar. 2011 - Arcana Moon
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