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Paulchen mit den blauen Augen
von Petra Hartmann

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Der Weihnachtsmann raufte sich verzweifelt den weißen Bart. Wenn es so weiter ging, würde das Weihnachtsfest dieses Jahr zu einer Riesenkatastrophe werden. Zuerst hatte sich Knecht Ruprecht den Fuß verstaucht, dann waren alle sieben Zwerge in der Spielzeugfabrik gleichzeitig an Windpocken erkrankt, und jetzt hatte auch noch ein Aushilfsbäcker in der Weihnachtsbäckerei sämtliche Lebkuchen im Ofen verbrennen lassen.
„Was ist denn jetzt noch?“, blaffte der Weihnachtsmann einen kleinen Engel an, der mit ernster Miene in sein Büro geschwebt kam.
„Schlechte Nachrichten, Weihnachtsmann“, sagte der Engel. „Die V.P.R.G. hat soeben einen Generalstreik angekündigt. Die Rentiere wollen mehr Rentiermoos und außerdem wollen sie an Heiligabend Urlaub kriegen.“ V.P.R.G. ist die Abkürzung für Vereinigte Polarische Rentier-Gewerkschaft, eine Vereinigung, die sich um die Arbeitnehmerrechte der Schlittenrentiere kümmert.
Der Weihnachtsmann vergrub sein Gesicht in den Händen. „Soll das heißen, dass ich dieses Jahr meinen Schlitten nicht benutzen kann?“
„Oh, wir haben uns schon um Ersatz gekümmert“, strahlte der Engel.
„Schön. Was habt ihr denn bekommen – ein Pferdegespann?“
„Ähm … nein.“
„Schlittenhunde? Hirsche?“
Der Engel senkte betreten den Blick. „Naja, es ist etwas … ähem … ungewöhnlich …“
„Na, heraus mit der Sprache. Wen habt ihr denn nun eingestellt?“
„Er steht draußen. Schau ihn dir erstmal an, Weihnachtsmann. Er ist unheimlich kräftig und kann die schwersten Lasten ziehen, du wirst begeistert sein …“
Dem Weihnachtsmann schwante Schlimmes. Er öffnete die Tür und spähte hinaus. „Ach du liebe Zeit!“
Auf dem zusammengebrochenen Besucherstuhl hockte ein riesiger grauer Elefant, der ihn mit seinen freundlichen blauen Augen schüchtern anblickte. „Guten Tag, Weihnachtsmann“, sagte er und stand auf, wobei er versuchte, die zerquetschten Stuhlreste mit dem Hinterbein unter eine Bank zu schieben. „Mein Name ist Paulchen.“
Der Weihnachtsmann hüstelte verlegen. „Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor.“
„Neinnein, ganz und gar nicht“, versicherte Paulchen eifrig. „Ich habe mich auf den Posten als Schlittenrentier beworben. Seit meiner Kindheit träume ich schon davon, ein Weihnachtselefant zu werden.“
„Ja, aber das geht doch nicht, was soll ich denn mit einem Elefanten vor dem Rentierschlitten. Wenn du etwas Weihnachtliches machen willst, dann geht meinetwegen in die Weihnachtsbäckerei …“
Paulchen bekam einen dunkelroten Rüssel, und schaute betreten zu Boden. Und plötzlich wusste der Weihnachtsmann, welcher Aushilfsbäcker die Lebkuchen anbrennen lassen hatte. „Aber ich will doch so gerne ein Weihnachtselefant sein …“, flüsterte Paulchen, und seine himmelblauen Augen füllten sich mit Tränen.
Da zupfte der Engel den Weihnachtsmann am Ärmel. „Hör mal, Weihnachtsmann, ich weiß ja, er sieht etwas ungeschickt aus, und natürlich ist er kein richtiges, gelerntes Schlittenrentier. Aber wir haben doch gar keine andere Wahl. Es gibt hier niemanden sonst, der den Schlitten ziehen könnte.“
Der Weihnachtsmann brummelte unwillig vor sich hin. Schließlich sagte er: „In Ordnung, Paulchen. Du bist eingestellt. Ich erwarte dich am 24. Dezember, pünktlich um 10 Uhr morgens, am Schlittenstartplatz. Lass dir bis dahin ein passendes Glöckchengeschirr anfertigen. Und um Himmelswillen putz dir die Zähne, da kleben noch Reste von den verbrannten Lebkuchen dran.“
Paulchen sprang auf und stieß in seinem Eifer zwei Bänke um. „Ja, Weihnachtsmann. Mache ich. Du kannst dich voll auf mich verlassen. Danke. Dankeschön!“ Und ehe er sich’s versah, fühlte sich der Weihnachtsmann von einem klebrigen Rüssel voller Kuchenkrümel umschlungen, hochgehoben und freudig durch die Luft geschwenkt. Dann setzte ihn Paulchen sanft wieder ab und lief, laut und mit schiefen Tönen trompetend, durch das gesamte Weihnachtsdorf: „Ich werde Weihnachtselefant! Hurra, ich werde Weihnachtselefant!“

Szenentrenner


Am Morgen des 24. Dezember stand Paulchen schon lange vor 10 Uhr am Schlittenstartplatz und sah mit seinen himmelblauen Augen staunend zu, wie Zwerge, Engel und Weihnachtselfen den Schlitten vollpackten. Und als sie ihn vor den Schlitten spannten und ihm das feine rote Ledergeschirr mit den goldenen Glöckchen anlegten, wäre er fast vor Stolz geplatzt. Unruhig trat er auf seinen nackten Füßen hin und her und zitterte vor Aufregung – und vor Kälte, denn anders als Rentiere haben Elefanten kein Fell zum Schutz gegen Eis und Schnee.
Pünktlich um 10 Uhr stapfte der Weihnachtsmann auf die Startbahn. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan vor lauter Sorge, und der Anblick des großen grauen Tollpatschs vor dem Schlitten war leider gar nicht geeignet, ihm seine Angst zu nehmen. „Na, dann los, wird schon schiefgehen“, murmelte er, als er sich auf die Bank des Schlittens gequetscht hatte. Dann rief: „Hüüah!“ Nichts passierte.
„Das heißt, du musst losrennen“, flüsterte eine Weihnachtselfe.
„Wie? Ach so.“ Paulchen legte sich mächtig ins Geschirr, er stemmte sich vorwärts und – flutsch! – lag er auf dem Rüssel. Er war mit seinen breiten, glatten Elefantenfüßen auf der Eisfläche ausgerutscht. Paulchen überschlug sich und kullerte, den Schlitten hinter sich herziehend, einen Abhang hinunter. Hinter sich hörte er den Weihnachtsmann schimpfen und die Geschenke durcheinander rumpeln. Doch dann bekam er festen Boden unter die Füße. Er trat an, lief los, und jetzt, jetzt kam richtig Tempo in die Sache. Wie eine Kanonenkugel schoss Paulchen dahin, donnerte wie eine durchgehende Bisonherde durch die eisige Welt und stieß dabei laute Trompeten-Jubeltöne aus: „Hurra, hier kommt Paulchen, der erste Weihnachtselefant der Welt!“ Dann hob der Schlitten ab, denn natürlich kann ein Weihnachtsschlitten auch durch die Lüfte gleiten. Paulchen trampelte über dicke Schneewolken, und er trat mit solcher Wucht auf, dass sie platzten und ihre ganze Ladung zur Erde platschte. Ein gewaltiges Schneechaos tobte unter ihm, doch Paulchen spürte davon auf seinem Himmelskurs nichts. Er galoppierte über Berge und Kirchtürme, trat einem Düsenflieger auf den Flügel und erschreckte einen Hubschrauberpiloten fast zu Tode. „Hilfe!“, jappste der Weihnachtsmann und klammerte sich verzweifelt an der Schlittenbank fest. Die Zügel hatte er längst verloren. In seiner Not versuchte er zu beten, aber bei dem Gerumpel fiel ihm nur ein: „Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an …“, und das half leider nicht gegen Angst beim Schlittenfahren.
Da, endlich sahen sie vor sich das erste Dorf liegen, und Paulchen ging in einen sanften Sinkflug über. Dann setzte er mit allen vier Füßen gleichzeitig auf dem ersten Dachfirst auf.
Krach! Knacks! Rums! Krabum-wumm-bum!“ Laut krachend gab das Dach unter dem Tonnengewicht des Elefanten nach. Dachbalken brachen, Ziegel stürzten polternd in die Tiefe, dann krachten Paulchen und der Schlitten durch die Decke und landeten in der Dachgeschosswohnung.
„Cool!“, jubelte Max. Der kleine Junge saß in seinem Bett und klatschte begeistert in die Hände, als der Elefant mitten in seinem Kinderzimmer saß. Dann entdeckte er die vielen Geschenke. „Oh, sind die etwa alle für mich?“
„Finger weg!“, schnarrte der Weihnachtsmann. „Sag mir lieber, wo hier das Telefon ist.“ Er stürzte sich auf den Apparat, den Max ihm zeigte, und rief sofort die streng geheime Nummer des Besonderen Nordpol Dienstes (BND) an. Wenig später schwirrte der Raum von Weihnachtselfen, Zimmermannstrollen und tüchtigen Arbeitseisbären mit gelben Bauhelmen. Sie begannen sofort, das Zimmer aufzuräumen und das Dach zu reparieren. Gelbe Engel vom Abschlepp-Dienst am Christfest (ADAC) bargen den Schlitten und die Fracht und schafften es auch, Paulchen durch das Treppenhaus aus dem Gebäude herauszubekommen.
Paulchen setzte sich traurig in einen Schneehaufen und vergrub das Gesicht hinter seinen Vorderfüßen. Dicke Tränen kullerten aus seinen blauen Augen. Der Weihnachtsmann, der gerade laut losschimpfen wollte, stand betroffen still. Solch ein weinendes Häuflein Elend, nein, das konnte er nicht auch noch ausschimpfen.
Plötzlich stupste ihn jemand von hinten an. „Hey, Weihnachtsmann, was machst du denn für Sachen? Dich kann man wirklich nicht allein losfahren lassen.“ Hinter ihm standen seine acht Rentiere und grinsten ihn breit an. „Wir haben es uns überlegt. Wir streiken erst nach Weihnachten weiter.“
Da fiel dem Weihnachtsmann ein Stein vom Herzen. Er umarmte die Rentiere eines nach dem anderen, dann spannte er sie vor den Schlitten. „Jetzt wird alles gut“, murmelte er zufrieden.
Da tippte ihn zaghaft ein Elefantenrüssel auf die Schulter. „Und was wird aus mir?“, fragte Paulchen schüchtern. „Darf ich jetzt kein Weihnachtselefant mehr sein?“
Der Weihnachtsmann zupfte sich nachdenklich am Bart. Dann begann er zu lachen. „Hoho, hohoho! Doch, Paulchen. Ich glaube, ich habe genau das Richtige für dich. Du wirst ein ganz fantastischer Weihnachtselefant werden, das verspreche ich dir.“

Szenentrenner


Es war eine bitterkalte Nacht. Nur ein einziger Stern stand am Himmel, aber der war so groß, wie man es noch nie gesehen hatte.
„Ist es noch weit bis Bethlehem“, maulte einer der Männer, die in dieser Nacht unterwegs waren. „Mir tun die Füße weh. Und das viele Gold ist ganz schön schwer.“ Der Mann war in der Dunkelheit kaum zu erkennen, denn sein Gesicht war pechschwarz, aber seine Augen und seine weißen Zähne leuchteten im Sternenlicht.
„Es kann nicht mehr weit sein“, sagte der zweite Mann, der auf einem prächtigen Kamel saß. „Schaut nur, der Stern, der uns den Weg gezeigt hat, ist schon ganz nahe.“
„Ja, wir sind bestimmt bald da“, sagte der dritte Mann und zügelte seinen kostbaren Araberhengst. „Ich würde dich ja reiten lassen, aber mein Pferd duldet leider niemanden als mich im Sattel.“
Plötzlich stutzen die drei Männer. Feines Klingeln wie von tausend goldenen Glöckchen lag in der Luft. „Was ist denn das?“ riefen sie erstaunt aus. Noch erstaunter waren sie, als aus dem Nachthimmel ein Schlitten auftauchte, der von acht Rentieren gezogen wurde. So etwas hatte man im Morgenland noch nie gesehen. Auf dem Schlitten saß ein seltsamer alter Mann mit weißem Bart und roter Mütze, und hinter ihm kauerte ein riesiger grauer Elefant mit blauen Augen.
„Verehrter König Balthasar“, wandte sich der Weihnachtsmann an den schwarzen Mann, dem die Füße wehtaten. „Wenn ich mich nicht irre, benötigen Sie dringend einen Weihnachtselefanten. Darf ich Ihnen meinen Freund Paulchen vorstellen?“ Wenig später war der Schlitten bereits wieder in den Wolken verschwunden.
„Seltsamer alter Mann“, murmelte Kaspar.
„Ja, schon eine eigenartige Begegnung“, stimmte Melchior zu.
Balthasar sagte gar nichts. Aber als die Heiligen drei Könige kurz darauf am Stall von Bethlehem ankamen, war der schwarze König auf seinem riesigen Elefanten zweifellos der eindrucksvollste der drei Besucher. Und als Paulchen sich vorsichtig auf Zehenspitzen zwischen Ochse und Esel hindurchschlich und mit dem Rüssel leicht das Jesuskind anstupste, das leise kichernd in der Krippe lag und mit großen blauen Augen den Elefanten anstarrte, da war Paulchen der glücklichste Weihnachtselefant, den die Welt jemals gesehen hat

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Szenentrenner

Die Geschichte ist auch auf dem Weihnachtshörbuch "Weihnachten im Schneeland" zu hören

24. Dez. 2010 - Petra Hartmann

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