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Liebeswahn
von Christina Füssmann

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Natürlich wollte ich mich von ihm trennen. Wer bin ich denn? Soll ich ihm etwa nachlaufen, nachdem er mir sogar durch Gerichtsbeschluss jede Annäherung hat untersagen lassen? Darum bin ich ja auch in Urlaub gefahren. Weg von ihm. Obwohl – ich wusste schon, dass er es niemals ernst gemeint haben konnte. Aber dann saß ich da allein an der Costa de la Luz und hatte schon nach dem ersten Abendessen genug von den ergrauten Managertypen mit ihren Drittfrauen. Jene langhaarigen Blondinen mit dem rasanten Hüftschwung, die selbst beim Gang zum kalten Büfett nicht vergaßen, ihre heiße Liebe zu Big Daddy dadurch zu beweisen, dass sie ihm ihren Arm um die breiten Hüften legten. Manchmal gab’s vor dem Hummersalat auch ein flüchtiges Küsschen für ihn auf die Wange. Und er fühlte sich wieder jung. Die Macht der fünf Sterne lässt jeden Big Spender alterslos werden.
Und ich saß allein da – das Verfallsdatum aus männlicher Sicht bereits überschritten. Der einzige Kerl, der sich zu mir herab ließ, trug eine Kellneruniform und wartete auf ein üppiges Trinkgeld. Alleinreisende Frauen sind großzügig, heißt es. Das gilt nicht für mich. Selbst wenn ich es gewollt hätte: die beständige Pirsch auf den Spuren des großen Dirigenten hatte meine Ersparnisse praktisch aufgezehrt. Ich will ehrlich sein. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte mich so ein lächerlicher Amtsrichter bestimmt nicht in die Schranken weisen können. Aber wenn bei jeder >>Zuwiderhandlung<< (Was für ein Wort!!) schon ein Bußgeld von 50 000 Euro droht, zieht man sich doch besser zurück. Zumal, da es, wie in meinem Fall, ja nicht von Dauer sein muss. Ich habe genau gesehen, wie Alexander mir zugelächelt hat. Nur mit den Augen, damit es sonst niemandem auffallen konnte. Es war ja auch nur für mich bestimmt.
Und nun – er in Dresden und ich auf der Isla Canella. Warum eigentlich? Was sollte ich hier? Das Meer schien aus Blei und fast bewegungslos. Selbst die Positionsleuchten an der Hafeneinfahrt funzelten trübe. Alles wirkte so grau, dass sogar der Vogelschwarm, der eine Eins in den Himmel zeichnete, eine Farbspur bildete.
Ein Traumurlaub also. Ich habe ihn zwar nicht allein wegen Alexander abgebrochen, aber Dresden soll schließlich eine wunderbare Stadt sein. Elbflorenz. Lebendige Historie im Hier und Jetzt. Und dazu schien auch noch die Sonne. Ich quartierte mich im Hotel >>Smetana<< an der Schlüterstraße ein. Natürlich war es nicht das Taschenbergpalais, aber durchaus komfortabel. Und irgendwie passte es ja auch zu mir. War ich nicht auch eine verkaufte Braut? Aber was soll’s? Sogar das Bad genügte mir voll und ganz. Der Mensch braucht schließlich nicht unbedingt polierten schwarzen Granit um sich herum, wenn er nur ein bisschen duschen will. Gut, es waren schon ein paar Kilometer mit der Bahn bis zur Altstadt – keineswegs also in Sichtweite zur Semperoper. Ich war trotzdem zufrieden – bis ich am nächsten Morgen im Frühstücksraum die Zeitung aufschlug. Da las ich es schwarz auf Weiß: Er betrog mich.
Ich hatte mir schon vor Monaten eine Premierenkarte gekauft. Seit ich wusste, dass er in Dresden Vincenzo Bellinis konzertante Oper dirigieren sollte. Damals las ich es in der >>Morgenpost<<, dass er Hamburg verlassen und einem Ruf an die Semperoper folgen würde. Ich dachte mir nichts dabei. Schließlich war es wirklich eine große Ehre für einen Musiker wie ihn, das sächsische Staatsorchester zu dirigieren. Und nun meldeten die >>Dresdener Neuen Nachrichten<< sechsspaltig einen völlig anderen Hintergrund. Schon der Titel: >>Die Norma – eine Rolle fürs Leben wie für die Bühne<<. Und da stand es dann: Unter der musikalischen Leitung des bekannten Dirigenten Alexander Müngsdorf wird die Sopranistin Norma van Bremen die Titelrolle in Bellinis Oper singen. Die beiden arbeiteten bereits vor Jahren schon einmal in Hamburg zusammen und haben sich hier in Dresden zufällig wiedergetroffen. Sie freuten sich auf die neuerliche Zusammenarbeit, verrieten sie unserem Reporter im Café Vestibül des Taschenbergpalais, wo beide – fußläufig zur Semperoper – ein Zimmer belegt haben. Und Alexander Müngsdorf versicherte, er sei ausgesprochen gespannt, wie sich Norma in der Rolle der Norma machen werde.
Zufällig wiedergetroffen! Dass ich nicht lache! Mir ließ er jegliche Treffen gerichtlich untersagen, nur um ungestört in der Luder-Liga spielen zu können? Ich nahm mir fest vor, umgehend dafür zu sorgen, dass schon zur Premiere die zweite Besetzung ihre Chance bekam.
Glücklicherweise komme ich ja aus Hamburg. Da kann sich jede unbedarfte grüne Witwe auf dem Kiez einen Ballermann besorgen. Nur so, für alle Fälle. Und so blieb es denn ein Verdienst meiner norddeutschen Heimat, dass auch ich jederzeit sozusagen mein Eisen im Feuer haben konnte. In Dresden stelle ich mir den Erwerb von Schusswaffen weitaus schwieriger vor. Selbst das bunte Völkchen in der Äußeren Neustadt pflegt meiner Kenntnis nach allenfalls marginale Beziehungen zu dieser Art von todbringender Treffsicherheit. Es ist schon eigenartig, wie unterschiedlich zwei schöne Städte sein können – obwohl sie doch ein und derselbe Fluss durchströmt.
Bevor sich meine Gedanken in derart philosophischen Richtungen zu verfransen drohten, kehrte ich wieder zur Realität zurück. Ich fuhr mit der Straßenbahn bis zum Straßburger Platz und schlenderte durch die Altstadt. Es gab ja genug zu bewundern. Die Schlange der wartenden Touristen vor der Frauenkirche schreckte mich ab. Später, wenn ich erst gemeinsam mit Alexander die Fülle des Barock genießen würde, wäre noch Zeit genug auch das gerade erst renovierte Innere dieses bedeutendsten protestantischen Kirchenbaus Deutschlands zu besichtigen. Wir würden viel Zeit haben.
Vorerst aber blieben wir noch getrennt und bisher war mir noch nichts eingefallen, wie ich diesem unerträglichen Zustand möglichst unauffällig ein Ende hätte setzen können. Ein neiderfüllter Blick noch in den historischen Innenhof des Taschenbergpalais, wo an Sommerabenden die Kempinski-Gäste zu speisen pflegen. Dann bummelte ich weiter in Richtung Sophienstraße. Zum Theaterplatz zog es mich aus naheliegenden Gründen weniger. Ich hätte in so unmittelbarer Nähe zur Semperoper auf das liebende Paar treffen können. Und wenn Alexander mich erst dort erspähte – wer weiß. Männer sind ja so undurchschaubar.
Also wählte ich die Ostra-Allee, um den Zwinger durch das Kronentor zu betreten. Mich reizten weniger die Putten des ehrenwerten Herrn Pöppelmann. Nicht einmal seine anmutigen Frauen im Nymphenbad. Ich war nun einmal auf Semper fixiert und wollte mich in seiner Gemäldegalerie bei den alten Meistern trösten. Zehn Canalettos sind schließlich immer noch mehr wert als ein Müngsdorf. Aber trotz dieser weisen Erkenntnis – wirklich beruhigen konnte mich das alles nicht. Nicht mal eine Stunde, und der Kunstgenuss ödete mich bereits an. Ich verließ die Galerie. Meine Gedanken drehten sich im Kreise: Musste der Mann meiner Träume mit dieser Wimmerkuh ausgerechnet im Taschenbergpalais wohnen? Ein Haus, das für eine Mätresse erbaut wurde? Klar, Alexander war nicht August der Starke und Norma van Bremen nicht die Gräfin Cosel, aber immerhin. Und ich als verkaufte Braut im Smetana!!! Das hatte doch Methode. Ich musste einfach handeln, und zwar noch vor der Premiere. Wenn Norma nicht mehr im Rampenlicht (oder besser noch nirgendwo mehr) stand, würde alles wie damals werden, als Alexander mir in Hamburg ein Autogramm gab und mich dabei so zärtlich anlächelte. „Was soll ich schreiben, meine Liebe?“, hatte er gefragt. Seine Liebe! Ja, das war ich in diesem Augenblick geworden. Und ich beabsichtigte nicht, das zu ändern. Kein Gericht der Welt könnte mich dazu zwingen. Eine Stalkerin, so hatten sie mich genannt. Was für ein Unsinn. Was ist das überhaupt? Haben sie nicht einmal ein deutsches Wort dafür finden können?
Am Terrassenufer lungerten ein paar Protestler mit Transparenten herum. Sie demonstrierten gegen den längst beschlossenen Ausbau der Waldschlösschen-Brücke. Deren Sorgen möchte ich haben. Zumal doch ohnedies alles zu spät war, nachdem Dresden den Status eines Kulturerbes längst verpatzt hatte. Trotzdem gaben die Ökofreaks natürlich nicht auf. Einer von ihnen versuchte sofort, mich für eine Mahnwache zu gewinnen, die die Brückengegner vor der sächsischen Staatskanzlei geplant hatten.
„Kulturerbe hin, Kulturerbe her, wir geben nicht auf“, salbaderte er. „Schauen Sie, sogar Frau van Bremen, unsere Norma aus der Semperoper, hat sich offenbar zu uns gesellt. Wir brauchen prominente Mitstreiter.“
Was wollte er mir wohl damit sagen? Dass ich auch prominent sei? Schwachsinn. Ich würdigte die großformatigen Fotos vom Elbtal und zur alternativen Tunnelllösung keines Blickes mehr. Nur Norma interessierte mich noch. Fast hätte ich sie nicht erkannt – so in Jeans und ohne Schminke. Ab sofort war der Ökofreak Luft für mich. Ich pirschte mich vor bis zum Stand, der um Unterzeichner gegen den Bau der Waldschlösschenbrücke warb. Und dort traf ich auf sie.
„Du meine Güte, ich kenne Sie doch von irgendwo her“, flötete ich zuckersüß in Normas Richtung. „Klar, jetzt weiß ich’s. Ich habe Ihr Bild in der Zeitung gesehen. Sie sind doch die Freundin dieses Stardirigenten.“
Norma van Bremen reagierte eher säuerlich: „Herr Müngsdorf und ich sind nur Kollegen. Schließlich singe ich die Titelrolle. Da tauscht man sich schon mal aus.“
Die falsche Schlange!
„Aber, aber ich“, stotterte ich gekonnt, „’tschuldigung. Ich dachte nur, weil sie doch gemeinsam im Hotel beim Frühstück . . .“
„Ach so, das Interview. Dazu haben wir uns verabredet. Wir frühstücken schließlich nicht jeden Morgen zusammen, obwohl wir tatsächlich im selben Hotel wohnen.“
„Ja, das Taschenbergpalais. Muss toll sein, da logieren zu können“, schwärmte ich und diese Begeisterung war nicht einmal vorgetäuscht.
Die falsche Schlange zuckte nur großspurig mit den Schultern. „Na ja, es ist eben komfortabel und so nahe an der Semperoper. Da bietet es sich einfach an.“
Ich fühlte in der Tasche nach meinem kleinen Freund. Es beruhigte mich, die Hand um den kühlen Lauf der Pistole zu legen. Das gab mir so eine Gewissheit, dass diese Schlampe meinen armen Alexander bald nicht mehr belästigen würde. Norma van Bremen ließ sich ein Spendenformular der Grünen Liga Sachsen geben.
„Unterstützen Sie die Brückengegner?“, fragte ich weniger aus Interesse als vielmehr um das Gespräch nicht abreißen zu lassen.
Sie lachte ein wenig verlegen. „Na ja, vielleicht ist das so eine Art familiäre Vergangenheitsbewältigung. Sie müssen wissen, ich bin in Dresden aufgewachsen. Mit dem Elbtal verbinde ich viele schöne Erinnerungen. Stellen Sie sich vor, hier wurde ich das erste Mal von einem Jungen geküsst. So etwas vergisst man nicht. Und heute? Heute ist mein Vater einer von jenen Unternehmern, die sich am Brückenbau gesundstoßen wollen. Er gehört zur Bürgerinitiative ’Baut endlich die Waldschlösschenbrücke’. 96 Millionen Euro für Dresden von Bund und Land. Die können wir weiß Gott gebrauchen.“
Sie war mir in diesem Augenblick fast sympathisch in ihrem Zwiespalt. Aber schließlich durfte ich bei allem Verständnis mein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Sie musste weg. Basta. Fragte sich nur, wie das so schnell zu bewerkstelligen war. Schließlich konnte ich meinen Job schlecht coram publico unterhalb der Brühlschen Terrasse erledigen. Obwohl das ja schon etwas gehabt hatte – so quasi zu Füßen der Semper-Statue. „Wie wär’s“, fragte ich stattdessen scheinheilig, „möchten Sie nicht bei der geplanten Mahnwache singen? Quasi als Solidarbeitrag.“
„Für wen oder was?“, fragte Norma van Bremen ein wenig ratlos. „Für die Erinnerung an meine Kindheit und Jugend, oder für die Interessen der Dresdner Bevölkerung und die meines Vaters? Außerdem glaube ich kaum, dass mein Arbeitgeber damit einverstanden wäre. Als Künstler kann man es sich nur leisten privat zu sein, wenn man freiberuflich tätig ist. Im Rahmen eines festen Engagements hat man gewisse Regeln zu beachten. Auf keinen Fall scheint es da angeraten, Publikumsgruppen durch sein Verhalten zu verprellen.“
„Okay. Das leuchtet mir ein“, heuchelte ich Verständnis. „Wie wär’s denn aber, wenn Sie mich heute Abend inkognito in die Neustadt begleiten? Im Kunsthof zwischen Alaun- und Görlitzer Straße ist eine Solidaritätsveranstaltung. Da wären Sie sozusagen out of records. Haben Sie Lust?“
Ich hatte die Veranstaltung soeben erfunden und überhaupt keinen konkreten Plan. Aber es schien mir nicht unklug, sie von der barocken Schaubühne der Altstadt wegzulocken. Und das Ziel konnte keineswegs verdächtig wirken. Schließlich war in Dresden allgemein bekannt, dass alljährlich Mitte Juni beim Straßenfest der Bunten Republik Neustadt in Hinterhöfen auch Opernsänger Arien schmettern.
Norma van Bremen überlegte nicht lange. Sie sagte zu. Wir verabredeten uns für 21 Uhr am Albertplatz, um von da aus zu Fuß in Richtung Görlitzer Straße zu gehen. In der Neustadt erwachte das Leben erst in der Nacht. Falls wir also zu früh wären, hätten wir genügend Gelegenheiten, auf dem Weg zum Kunsthof in einem der zahlreichen Lokale bei einem Radeberger auf den Beginn der fiktiven Veranstaltung zu warten. Schließlich hat Dresden hier seine höchste Kneipendichte. Ich wandelte wie auf Wolken. Norma van Bremen hatte nicht einmal nach meinem Namen gefragt. Es dürfte also ein Leichtes für mich sein, sie in einen Hinterhalt zu locken und den Rest meinem kleinen eisernen Freund zu überlassen. Alexander würde niemals erfahren, wem er seine Freiheit verdankte.
Auf dem Rückweg ins Smetana mietete ich mir in der Nähe des Hauptbahnhofs ein Auto und ließ mir sicherheitshalber von dem Angestellten den Weg nach Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz beschreiben. Ich erzählte ihm wortreich von einem angeblich dort geplanten Wiedersehen mit einem alten Freund und erkundigte mich vorsichtshalber auch noch nach der Entfernung. Er bestärkte mich darin, mir die einstündige Fahrt mit der S-Bahn ab Hauptbahnhof zu ersparen und stattdessen ein Auto zu wählen, und empfahl mir einen Abstecher in den Nationalpark. Wenn es darauf ankommen sollte, würde er sich sicherlich an mich erinnern.
Eigentlich hatte ich keineswegs beabsichtigt, den größten Ferienort der Sächsischen Schweiz zu besuchen. Aber schließlich würde ich nach getaner Tat ohnedies noch ziemlich weit durch die Gegend kurven müssen, um die erforderlichen Kilometer auf den Tacho zu bringen. Warum also nicht tatsächlich nach Bad Schandau fahren? Kurz entschlossen checkte ich im Smetana vorübergehend aus und ließ mir über die Rezeption ein Zimmer im Hotel Lindenhof reservieren. Ausführlich und offenbar ohne Konkurrenzdenken schilderte mir die Dame am Empfang die Vorzüge dieses Drei-Sterne-Hauses, in dem bereits 1832 Prinz Johann von Sachsen mit seiner Familie logierte. „Na hoffentlich haben sie inzwischen renoviert“, kommentierte ich sarkastisch.
Ich war pünktlich am Albertplatz. Trotzdem lungerte Norma bereits vor mir dort herum – und das nicht allein. Ich sah sie schon von weitem, als ich mich aus Richtung Neustädter Markt näherte. Niemals zuvor ist mir wirklich klar gewesen, was es eigentlich bedeutet, wenn jemand rot sieht. In diesem Augenblick jedoch wurde mir so heiß, als stünde ich im Zentrum der Glut. Brennend stieg es in mir hoch und verstellte mir für einen Augenblick die Sicht. Purpurner Nebel legte sich wie ein Schleier über meine Augen. Ich war unfähig zu klaren Entscheidungen. Immerhin reichte meine Geistesgegenwart glücklicherweise noch so weit, dass es mir gelang, den Wagen rechtzeitig vor einem Laternenpfahl zum Stehen zu bringen. Die Bremsen quietschten, als ich sie ruckartig malträtierte. Norma van Bremen und Alexander Müngsdorf schauten erschreckt in meine Richtung. Was wollte er hier? Sie beschützen? Mich treffen? Jedenfalls hatte er alles zunichte gemacht. Mir blieb keine Chance mehr, meinen Plan auszuführen. Hass stieg mir gallebitter in die Kehle. Unfähig, klar zu überlegen, sprang ich aus dem Wagen und rannte mit gezogener Waffe auf die beiden zu. Ich glaube, Alexander hat noch meinen Namen gerufen, bevor ihn die Kugel mitten ins Herz traf. Ich hätte sie nicht mehr zurückhalten können. Sie war schon unterwegs. Warum musste er sich auch einmischen? Wie in Zeitlupe sank er zu Boden.
Erstarrt wie Lots Weib stand ich neben dem geliehenen Auto, als die Wimmerkuh plötzlich zu kreischen begann. Sie sollte verdammt noch einmal still sein. Bevor ihre wenig konzertanten Töne die Umgebung aufschrecken konnten, zielte ich diesmal richtig. Peng – und dann war endlich Ruhe. Herrlich! Eilig stieg ich in meinen Phaeton, der – dank der Sorgfalt der Automobil-Manufaktur Dresden – auch sogleich ansprang. Und anders als sein Namensgeber, der Sohn des griechischen Sonnengottes, hielt er auch brav die Spur. Weg vom Tatort spurtete ich in Richtung Elbsandsteingebirge. In der Nähe des Blauen Wunders machte ich kurz Halt und schleuderte meine Pistole in die Elbe. Vielleicht würde der Strom sie auf seinem Weg zur Nordsee schneller nach Hamburg bringen, als mich mein Schicksal. Aber wie dem auch sei, ich brauchte keine Waffe mehr. Sie hatte ihre Schuldigkeit getan.
„Steig’ Verruchte, steig’ Verfluchte in das Grab“, ruft der Chor am Ende Vincenzo Bellinis Norma zu, bevor sie dem Flammentod übergeben wird. Ein ziemlicher Schmarren für meinen Geschmack, aber fast, wie für mich geschrieben. Wie das Leben eben so spielt. Mich würde es zurück nach Norden führen. An der Hamburger Staatsoper gab’s einen traumhaften Tenor. Als ich ihm neulich beim Schlussapplaus eine Rose auf die Bühne geworfen habe, hat er sie aufgehoben und zärtlich an seine Lippen geführt. Das konnte schließlich kein Zufall sein.

06. Mar. 2011 - Christina Füssmann

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