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Onkel Theo von Elsa Rieger
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Ein Mann, Marke Manager, nähert sich dem Standplatz. Links und rechts je einen Trolley mit sich führend. Zum Flughafen, bellt er gehetzt durchs Fenster. Ich schüttle den Kopf und deute mit dem Daumen auf den Wagen des Kollegen hinter mir. Mister Manager schnaubt pikiert und zieht weiter.
Alter, du spinnst!, behaupten meine Freunde. Zugegeben, ich habe eine Marotte. Das Taxi ist mein zweites Zuhause, daher entscheide ich allein, wer seinen Fuß über das Trittbrett setzt. Hier bin ich das Gesetz! Demzufolge werden keine Gepäckstücke transportiert.
Das war nicht immer so. Bis vor drei Jahren nahm ich jede Fuhre an, so auch jene, die diese Gesetzesänderung zur Folge hatte. Eines Nachts im Januar, seit Tagen schneite es wie verrückt, hörte ich auf dem Standplatz eine CD von Grönemeyer; er knödelte Mensch. Bald Mitternacht. Gelangweilt sah ich in das Weiß hinaus, da fielen mir zwei Personen auf. In bodenlange Plüschmäntel eingemummt, zerrten sie einen riesigen Schrankkoffer über den Gehsteig. Ich stieg aus und öffnete den Kofferraum. Zu dritt wuchteten wir das Gepäckstück hinein.
Transportieren Sie Goldbarren? Ich lachte, verstummte aber, als ich in die von Schalmützen umhüllen Gesichter sah. Sie musterten mich humorlos. Zwillinge.
Schon gut, es sollte ein Scherz sein. Steigen Sie ein, bevor wir zu Schneemännern werden.
Im Gleichklang nannten sie eine Adresse weit außerhalb Wiens.
Billig wird das nicht, meine Damen.
Egal, antworteten sie zweistimmig; eine von ihnen sprach rauchig und tief.
Im Rückspiegel beäugte ich die Damen. Sie schälten sich aus den Schals und dunkelbraune Locken fielen auf ihre Schultern. Zweifellos attraktive Frauen um die dreißig, die einander so frappierend glichen, dass ich den Eindruck hatte, doppelt zu sehen.
Bis zur Stadtgrenze schwiegen wir. Nur Grönemeyer stieß unverdrossen Laute aus; ich begann, dezent mitzusingen. Das war der Auftakt für einen Dialog hinter mir. Ich habe gute Ohren und während ich sie spitzte, kroch allmählich eisige Kälte in meine Glieder.
Und was machen wir nun mit ihm?, flüsterte die eine.
Vergraben, was sonst?
Wie soll das gehen, Lea? Der Boden ist gefroren.
Mist. Lea strich sich fahrig durchs Haar.
Im Keller?
Blödsinn, Thea. Wir werden ihn zerstückeln und verbrennen.
Mühsam, bei der Größe und dem Gewicht
Dann hörte ich helles Lachen.
Ich schaute in den Rückspiegel vier blaue Augen durchbohrten mich mit Blicken. Mein Taxi rumpelte eine Auffahrt hoch, bis ich vor einem Fachwerkhaus am Waldrand bremste. Ich sprang aus dem Auto, versank knöcheltief im Schnee und stapfte zum Kofferraum, um die mysteriöse Last loszuwerden. Sogleich flankierten mich die Zwillinge. Gemeinsam hievten wir das Monster heraus. Ich nannte den Fahrpreis und sah mich schon zu Hause, mit einer Tasse Tee in der dampfenden Badewanne liegen.
Helfen Sie uns, es ins Haus zu bringen?, bat eine von ihnen mit einem Augenaufschlag, dem ich nicht widerstehen konnte.
Keuchend stand ich in der Diele und wartete auf mein Geld.
Die beiden Frauen entledigten sich in aller Ruhe ihrer Mäntel. Mir blieb die Luft weg. Unter dem dicken Plüsch kamen Dessous zum Vorschein! Die müssen komplett verrückt sein, dachte ich und stotterte: Ist Ihnen denn nicht kalt? Ich kam mir ziemlich blöd vor.
Ich bin Thea. Sie lächelte, legte die Hände, oberhalb des grünen Tangas in die Hüften und spazierte mit kleinen Schritten, die den appetitlichen Po zur Geltung brachten, ans Ende des Flurs. Dort hielt sie die Tür auf. Kommen Sie, laben Sie sich vor der Rückfahrt.
Ich bin nun mal ein Mann und als sich Lea, in weinroter Spitze, bei mir unterhakte und zu ihrer Schwester geleitete, rutschte mein Hirn in die Hose.
Was für ein edles Zimmer! Echte Perserteppiche, Ledergarnitur und Möbelstücke in weiß. Die Wände waren mit Fotos der Zwillinge geschmückt, die in verschiedenen Wäschestücken posierten, ähnlich den Garnituren, die sie heute trugen.
Auf dem Tisch vorm ausladenden Sofa stand eine große Glasschüssel mit tennisballartigen Früchten, die ich noch nie gesehen hatte. Sie hatten eine lederartige, braunviolette Schale.
Probieren?, erklang es wie aus einem Munde und riss mich aus meinen Betrachtungen.
Was ist das?
Beide weiteten die schönen Augen und tippten sich ob ihrer Gedankenlosigkeit an die Schläfen. Wir Dummen! Kindlich kicherten sie. Jeder kennt das ja nicht. Es nennt sich Passionsfrucht und wächst in Afrika.
Lea bewegte ihren Prachtkörper zur Anrichte, nahm Tellerchen und Löffelchen heraus, während Thea mich aufs Ledersofa bugsierte. Schon drückte die Lady in red mir eine der Früchte in die Hand.
Wir sind überglücklich, Sie bei uns zu haben, sagte sie deutlich, als wäre ich auf den Kopf gefallen vielleicht aber, weil sich mein Blick im grünen Dreieck verfangen hatte, das sich auf meiner Augenhöhe befand.
Ich schaute hoch. Die Damen setzten sich links und rechts von mir, zeigten vor, wie die Passionsfrucht verspeist werden konnte.
Ich schnitt meinen Tennisball auch auf. Darinnen fand ich schätzungsweise 200 dunkelbraune bis schwärzliche Samenkerne, die in geleeartigen, orangegelben Beutelchen lagerten. Ich tat es den Zwillingen nach und löffelte die Masse aus der Schale in den Mund. Es schmeckte lecker nach einer Mischung aus Pfirsich, Erdbeeren und Himbeeren. Dazu knusperten die Samen lustig. Ich entspannte mich, vielleicht war ja doch alles normal mit den beiden? Als Lea dann noch Kaffee servierte, damit ich frisch würde, wie sie meinte, um die Fahrt in die Stadt gut zu bewältigen, wiegte ich mich in Sicherheit.
Da fing Thea an, wobei sie die Augen verdrehte; es sah entzückend aus: Wir wollten nur zum Haus Onkel Theos fahren Gott hab ihn selig und gleich wieder zurück sein. Dann rutschte der Wagen in eine Schneeverwehung und blieb an einem Laternenpfahl kleben. Ein paar Meter vor unserem Ziel. Sowas Ungeschicktes! Die Zwillinge schmunzelten. Hintergründig, wie es schien.
Onkel Theo??? Gott hab ihn selig!!? Mir wurde glühend heiß. Fest biss ich meine Zähne zusammen, damit sie nicht aufeinander schlugen; es war wie ein Schüttelfrost. Graziös nahm Thea Platz, streifte meinen Ellenbogen und heiß schwappten Tropfen des Gebräus über den Becherrand, brannten auf meiner zitternden Hand. Au!
Oh, das arme Händchen, flötete Lea und ließ sich an meiner anderen Seite nieder; ich war umzingelt! Fürsorglich nahm sie mir den Becher ab und spitzte die vollen Lippen. Ich traute meinen Augen nicht; sie ergriff meine Hand und pustete. Heile, heile Segen, sagte sie, während ich im Kopf die Wurzel aus acht zog, um den Kerl in meiner Hose zu beruhigen, der trotz meiner Angst keine Hemmungen hatte.
Ich muss jetzt wirklich los, stammelte ich. Links und rechts legten sich Hände fest auf meine Schultern.
Nein, erklang es im Duett.
Ich riss mich los und sprang auf. Geben Sie mir mein Geld!, forderte ich.
Beide lachten, als hätte ich einen Witz erzählt.
Könnten Sie uns noch einen großen Gefallen tun? Bitte!, flehte Thea.
Bitte!, echote Lea und rang die wohlgeformten Arme.
Von mir aus. Aber rasch, meine Damen, sagte ich so cool wie möglich.
Wir gingen in den Flur zurück. Thea deutete auf Onkel Theo Gott hab ihn selig im Schrankkoffer. Ob Sie uns helfen könnten, ihn in den Keller zu schaffen? Wir zahlen extra.
Schlitternd, mich gegen das Gefälle stemmend, schleppte ich die Last abwärts.
Die Zwillinge klatschten in die Hände, mir war heiß, ich schnaufte wie eine Dampflok; es wurde Zeit, mir das Rauchen abzugewöhnen.
Und jetzt seien Sie so lieb und helfen uns noch beim Zerteilen, dann können Sie mit unserer Dankbarkeit rechnen!, rief Thea.
Eifrig kramte ihre Schwester in einer dunklen Ecke herum. Ich verlor beinahe den Boden unter den Füßen beim Anblick der Axt, die Lea spielerisch durch die Luft schwang, als sie ins Licht der einzigen Glühbirne trat. Sollte ich den Ermordeten tranchieren? Die zwei waren wirklich wahnsinnig!
Mir reichts!, schrie ich. Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte ich nach oben, aus dem Haus, fiel der Länge nach in den Schnee, rappelte mich hoch, sprang in mein Taxi und weg war ich.
Die Polizisten forderten mich auf, sie zum Schauplatz des Schreckens zu begleiten. Die Eingangstür war angelehnt. Höchstens eine Stunde konnte seit meiner Flucht vergangen sein. Die Killerbienen waren immer noch im Keller zugange. Ich hörte Schläge und ein Splittern wie von Knochen. Eine sagte: Der Schädel hängt an einer Seite fest, hau ihn ganz ab.
Und du schlitz ihm endlich den Bauch auf!
Ihhh, das stinkt! Sieh mal, was da alles herausquillt, Lea!
Stell dich nicht so an!, kam prompt die Antwort.
Der eine Polizist nickte bedenklich und zückte die Pistole. Sie bleiben hier, verstanden?, flüsterte er. Die beiden Beamten pirschten die Kellerstiege abwärts. Es wurde still. Plötzlich hallte lautes Lachen zu mir herauf! Was war so komisch? Ich schluckte trocken. Vorsichtig schlich ich die Treppe hinunter.
Auf dem Kellerboden lag ein ausgestopfter, großer Braunbär, kopflos und mit aufgeschlitztem Bauch, aus dem Holzleisten und allerhand Füllmaterial herausragte. Beide Tatzen waren amputiert und steckten zur Hälfte in der Feuertür des Ofens. Es stank ekelhaft.
Thea sagte eben:
weil wir keine andere Möglichkeit fanden, das Monstrum zu entsorgen, haben wir gedacht, wir machen es so. Dieses Erbstück von Onkel Theo, Gott hab ihn selig er war Jäger aus Leidenschaft , passt absolut nicht in die Eleganz unseres Hauses. Wir hofften, der Taxifahrer würde uns behilflich sein.
Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und kicherte.
Ach, da ist ja der Schmalspurdetektiv!, rief Lea.
Die Zwillinge zeigten mit den Fingern auf mich, und obwohl mir die Sache entsetzlich peinlich war, konnte ich nicht aufhören zu lachen.
Lea legte die Axt beiseite und kam langsam auf mich zu. Sie zupfte am Büstenhalter, der aufreizend verrutscht war. Sie haben Ihr Geld vergessen.
Weiter ist nichts passiert. Ich bekam mein Geld und ein paar der Passionsfrüchte, wegen der Vitamine, und die Polizisten brachten mich zu meinem Taxi, nachdem sie den Bären der Dessous-Models in kleine Teile zerlegt hatten.
Dennoch, ich nehme keine Gäste mit Gepäck mehr mit. Wer weiß schon, ob nicht eines Tages doch
?
07. Jan. 2011 - Elsa Rieger
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