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Aussiedler von Dave T. Morgan
Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Ich glaube der peinlichste Moment in meinem recht kurzen Leben war, vor zwei Wochen gewesen: Samstag der 17. Oktober. Der Tag an dem mich meine Mutter mit Jadwiga auf der Couch erwischte.
Mutter war mit einem Freund in die Oper gegangen und wollte vor Mitternacht nicht zurück sein. Richard Wagner und der olle Siegfried waren an diesem Abend meine besten Freunde! Würden sie doch für mindestens fünf Stunden Ruhe Sorgen mehr als genug Zeit für Jadwiga. Wenn man den jüngsten Gerüchten auf dem Schulhof glauben schenken wollte, würden die Kurven unseres russischen Neuzugangs bald unter meinen Händen liegen. Eins war sicher, sie war super sexy und den Versuch auf jeden Fall Wert. Ich also flux an der Tanke vorbei, einen Sixpack Red Bull eingeschoben, eine Flasche Absolut Vodka dazu und die Sache war eigentlich schon geritzt. Schließlich hatten wir die ganze fette Villa allein für uns. Na ja, fast zumindest. Da war immer noch die alte Schrulle im Keller, aber die sah ich äußerst selten.
Abends dann, nach drei Vodka Bull, war Jadwiga heiß, wie eines der IKEA-Teelichter um uns herum und ich auf den besten Weg durch die ersten Schikanen: Die T-Shirts waren gefallen und die Jeans waren auch nicht mehr geschlossen. Es lief also alles nach Plan, mit mir im Driverseat. Zumindest bis es an der Tür klingelte.
Scheiße, murmelte ich, als sich Jadwiga unter mir zu winden begann.
Hast du nicht gehört? Es hat geklingelt.
N-nnh!, versuchte ich mein Glück und schob meine Hand wieder
Drring!
Ich sah Jadwiga an, sie sah mich an, zog zuerst die Augenbrauen hoch und dann meine Hand aus ihrer Hose.
Los, geh schon. Um so eher bist du wieder da!
Warum klang sie plötzlich wie meine Mutter?
Bei dem Gedanken verging mir alles. Ich war stocksauer!
Fuck!, fluchend stand ich auf und knüpfte mir auf dem Weg zur Haustür die Hose zu. Wer auch immer vor dieser Türe stand, ich würde ihn
uff, ich wusste nicht was, aber es würde sehr, sehr schmerzhaft sein!
Als ich die Tür öffnete stand doch tatsächlich die Alte aus dem Keller nun ja eigentlich ein Souterrain vor der Tür! Ihre Haare zu einem großen Knoten gebunden, auf einem grottigen Stock gestützt schielte sie zu mir herauf und fragte mit ihrem komischen Ostakzent: Hallo, Kai, bittää entschldigä. Sind deinä Ältärn da?
Würde ich denn halbnackt auf dem Flur stehen wenn sie es wären? Und: Nein, ich entschuldige gar nichts!
Die Schrulle kniff ihre Augen ein wenig zusammen, konnte mich wahrscheinlich nicht mehr richtig erkennen.
Wann
?
Irgendwann heute Nacht. Viel zu spät also. Kommen Sie Morgen wieder!
Ich gab der Tür einen Stoß und ging ins Wohnzimmer zurück, wo sich Jadwiga das Shirt vor den Oberkörper hielt und fragend schaute. Noch auf dem Flur erstarrte ich. Hinter mir schlug die Haustür nicht zu sondern ertönte nur ein dumpfes Klack!
Ich sah zurück und fühlte Zorn in mir aufsteigen. Die Alte hatte doch glatt den Stock zwischen die Tür geschoben!
Häy Kai. Ättwas mähr Räspäkt, bittä schän.
Ungläubig stemmte ich die Hände in die Seiten. Was!?
Einen Moment lang sah sie mich mit diesem seltsamen Blick an, dass ich dachte
nun, eigentlich dachte ich gar nichts, sondern der Blick war einfach nur seltsam. Als würde sie überlegen, ob ich ein leckerer Happen wäre. Aber dann sagte sie als wäre gar nichts geschehen: Där Heizungshäbel klämmt und ich brauchä deinä Hilfä. Die Herbsttagä sind so kalt gewordän.
Mit drei Schritten war ich bei ihr, hatte sie an der Schulter gepackt , herumgedreht und auf den Flur hinausgeschoben.
Nicht mein Problem. Jetzt raus mit Ihnen, ich sags meinem Dad. Der schaut Morgen vorbei.
Alte raus, Türe zu alles bestens!
Als ich mich umdrehte stand Jadwiga vor mir. Ihre verschänkten Arme und ihr verkniffener Mund verhießen nichts Gutes. Ich holte gerade Luft für eine Erklärung, als hinter mir ein Drrring! ertönte.
Scheiße. Seufz. Wenn ich noch etwas erreichen wollte, musste ich jetzt sehr freundlich sein.
Trink noch etwas, Baby, ich bin gleich zurück. Ich muss nur schnell der alten
Dame helfen.
Zähneknirschend drehte ich mich wieder zur Tür wenn das so weiterging würde mir noch schwindelig werden schob beim Öffnen die Alte gleich wieder auf den Flur und sagte: Also meine Gute, Türe anlehnen, eine halbe Treppe hinab Wo ist er denn? Der
Pause, eine weitere Treppe hinab beschissene Hebel?!
Kopfschüttelnd ging die Alte vor mir her, durch den unteren, ebenerdigen Teil der Villa, den sie schon bewohnte seitdem ich denken konnte. Trotzdem war ich noch nie in ihrer Wohnung gewesen. Es hatte bisher keinen Anlass gegeben. Als ich ihr über den Flur zum Badezimmer folgte, warf ich einen flüchtigen Blick in das Wohnzimmer. Ich blieb stehen. Auf dem riesigen Kaminsims war eine gruselige Waldlandschaft aufgebaut mit Nebel, Fledermäusen und allem Drum und Dran. Daneben saßen vier oder fünf kleine Kürbismännchen, offensichtlich handgemachte Puppen. Doch das war es nicht, was mich zum Eintreten brachte, sondern die Tatsache, dass in dem Kamin ein helles Feuer prasselte und wohlige Wärme verbreitete.
He Sie, wollen Sie mich verscheissern? Ich wandte mich um. Sie haben doch gesagt, Ihnen ist kalt! Mit zwei schnellen Schritten war ich am Kamin, meine Augen streiften über die Kürbismännchen. Wie konnte man nur solch verzweifelte Fratzen in so kleine Kürbisse schnitzen? Irgendetwas war an ihnen
Da stand die Alte schon neben mir und schob mich aus dem Zimmer. Hiär nicht! Im Badäzimmär, das Wassär!
Ruck zuck war ich aus dem Zimmer geschoben, durch den Flur hindurch und stand vor einem rostigen Hebel unter einem alten Boiler. Etwas Kaltes schien noch immer zwischen meinen Schultern zu kleben, obwohl doch ihre Hände schon vor dem Hebel gestikulierten. Irritiert sah ich mich um. Ich hätte schwören können, dass
Ach nichts, da war nicht wirklich etwas gewesen. Ich schüttelte das Gefühl ab, schließlich hatte ich ja heute noch etwas anderes vor! Also den Hebel gepackt, mit einigen Mühen umgelegt er ging wirklich etwas schwer und wieder raus aus der Wohnung. Über den Flur. Am Wohnzimmer vorbei.
Nein, da war wirklich nichts.
Vielän Dank, Käi. Das war sähr freunliech von diär! Machte sie das mit Absicht? Ihr Akzent schien immer heftiger zu werden.
Nerven Sie mich einfach nicht wieder!
Türe zuknallen, die Treppen rauf und wieder zu Jadwiga auf die Couch. Es dauerte eine Ewigkeit und die halbe Flasche Wodka, bis sie wieder in Stimmung kam. Doch kaum hatte ich uns mühsam aus unseren Klamotten geschält
Chrrrr! machte ein Schlüssel im Schloss und viel schneller, als man eine oder vielmehr zwei Jeans anziehen konnte, stand meine Mutter in der Tür.
Kai! Auf meiner Couch!!! Der Ton in ihrer Stimme, klang wie sich eine Glaskante auf der Fingerkuppe anfühlte und verhieß eine ähnlich angenehmes Wochenende.
Drei Tage lang verfluchte ich die alte Schrulle im Keller mit allem, was mir einfiel. Das würde ich dem klapprigen Dekofreak heimzahlen! Mein Ziel stand fest: Wenn ich mit ihr fertig war würde sie mit Freuden ausziehen. Rache!
Was folgte war eine feine Folge von Attacken, die mir immer mehr Spaß machten. Dienstag auf dem Weg zur Schule: Guten Morgän, Kai. Sind deine Eltern heutä da. Da gibt es ätwas zu beredän.
Weiß nicht, schauen Sie halt rauf.
Langer Blick die Stufen hinauf. Kannst du miär es nicht einfach sagän? Die Treppe
Ein wenig Training wird Ihnen sicher guttun. Nur zu.
Am Donnerstag kostete eine glückliche Begegnung mit der Schrulle im örtlichen Laden und ein gezielter Tritt von hinten, die halbvolle Einkaufstüte. Ich wette sie hatte mich nicht einmal gesehen aber: Hey, können Orangen weit rollen!
Samstags 11Uhr30 übers Gartentor: Hey, Frau
wie hieß sie eigentlich? Ach ja!
Frau Roga! Im Postamt liegt ein Päckchen für Sie. Die haben gesagt, Sie sollen es heute noch bis Mittag holen, sonst geht es zurück. Das Postamt lag ganz oben im Dorf, gleich neben dem Bahnhof. Nachmittags gab ich dann mit einem Engelsgesicht zu, dass ich mich wohl geirrt hatte.
Tut mir leid! Nun ja, vielleicht eine kleine Notlüge.
Dienstagnacht hatte irgendsoein Schwein einige Colaflaschen mit Mentos gefüllt und auf ihre Haustür und Fenster gerichtet. Meine Eltern und ich waren empört! Was für ein Widerling. Wer machte so etwas und vor allem warum? Tja
Von der Sache mit dem Hundebesitzer, der seinen Köter genau vor ihrer Eingangstür
also wirklich: Kaum zu glaubäään!
Dementsprechend gut drauf war ich am Samstagabend, als ich mich für eine Party bei Jadwiga aufmotzte. Ich fühlte mich wie Uderzos & Goscinnys Cäsar, der gerade das gallische Dorf ausradiert hatte! Herrlich wummerten die Bässe, als ich jede Menge Gel in meinem Haar verteilte.
Drrrrrrrrring!
Kai in Boxershorts, die Hände voller Gel und zeitlich schon zwei knappe Stündchen in Verzug was sollte da schon anderes passieren, als dass es klingelte?
Drrring, Drrring!
Drrrrrrring!
Ja, ja, ich komme ja schon verdammte Scheiße! Hände unters Wasser, rein in die Hose, Shirt drüber Fuck, überall Gel drauf!
Drrrrrrrrring!!!
ICH KOMMME, ARSCHLOCH!
Ich donnerte zur Tür, riss sie auf
keiner da! Häh?
Stattdessen eine Stimme von unten: Kääii! Komm doch bittä runter und hilf miä. Ich bin
Der Rest ging in dem Rauschen des Blutes in meinen Ohren unter. Wer war ich denn? Ihr gottverdammter Diener? Na warte und wie ich der helfen würde! Die Treppe hinab, durch die offene Haustür hinein nein ich wunderte mich in meiner Wut weder über die Klingel noch über die offene Tür durch den Flur und ins Wohnzimmer.
Wie eine Lawine gegen eine Felswand, knallte ich gegen den Anblick dort: Eine Frau stand mit verschränkten Armen vor dem Kamin. Tiefschwarz blitzten ihre Augen unter gleichfarbenen Haar und ihr Aussehen changierte beständig zwischen Jadwiga, meiner Mutter und der alten Roga. Was für ein entsetzlicher Anblick! Vor ihr lagen am Boden drei Holzscheite, ebenfalls schwarz wie poliertes Ebenholz. Darauf standen Worte mit leuchtender oranger Schrift geschrieben. Offensichtlich auf Kyrillisch, auf den ersten beiden je zwei kurze Worte und auf dem dritten ein langes. Mir klappte der Mund auf und wieder zu.
Komm rein, hebe den ersten Scheit auf!, knallten mir die Befehle des seltsamen Wesens wie eine Peitsche um die Ohren und in mein Gehirn. Von hinten durch etwas Kaltes geschoben ging ich zu ihr, griff mir den ersten Scheit.
Ins Feuer damit!
Voll Entsetzen sah ich wie meine Hände das schwarze Stück Holz ins Feuer legten. Eine leuchtend helle Flamme schoss bis in den Schlot des Kamins.
RESPEKT!, hallte es durch mein Sein. Mein Kopf senkte sich.
Den nächsten!, knallte es von der Frau gegenüber.
Mein Gehirn weigerte sich, aber mein Körper gehorchte. Wieder eine Flamme und: DEMUT!
Ich fiel auf die Knie.
Den letzten!
Ich kämpfte, ich schrie innerlich, ich biss mir die Zunge blutig. Doch wie eine einmal angesägte Tanne unwiderruflich zu Boden ging, griffen meinen Hände den Scheit und legten ihn ins Feuer.
KNECHTSCHAFT!, ertönte es und ich fiel nach vorne in die Flammen.
Gleichzeitig hatte ich das Gefühl als würden meine Glieder zäh wie alte Wurzeln, als würden meine Knochen zu Holz um dann in dem Feuer zu verbrennen. Mein Schädel schrumpfte und blähte sich gleichzeitig auf, leuchtendes Orange kroch mir durch die Augen in den Schädel, erfüllte mich schließlich durch und durch - bis meine Welt nur noch aus einem langen Schrei der Qual bestand.
Als es endlich aufhörte und sich mein Blick klärte, sah ich die Welt um mich herum aus einer seltsam verschobenen Perspektive. Meine grauengeschüttelte Seele wusste sehr genau, wo sich mein Körper befand, auch wenn mein Gehirn beim Glauben noch Widerstand leistete. Von oben herab blickte ich auf die Alte, in ihrem Schaukelstuhl.
So mein liiiieber ... Sie dehnte das Wort so lang, bis es vor Schmerz in meinen Ohren schrie. ... Kai! Hier noch kurz die Regeln: Eine Nacht im Jahr kannst du dich bewegen und auch sprechen. Meine Augen wanderten nach links zu den anderen Kürbismännchen.
Ja, natürlich auch mit deinen ebenfalls tragisch verschwundenen Vorbewohnern dieses Hauses. Der Rest des Jahres bleibt dir dann um über den Unterschied zwischen Jugend mit Kraft und Stolz und dem Alter mit Wissen und Macht nachzudenken. Sie tippte sich kurz an die Nase, als dächte sie über etwas nach, dann sagte sie: Aber vorher möchte ich dass du drei Dinge für mich tust: Lächle, tanze und nenne mich bei meinem richtigen Namen: Baba Jaga!
31. Okt. 2011 - Dave T. Morgan
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