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Rabenfeder von Tanja Bern
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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AGENTUR ASHERA
A. Bionda
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Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Das Schluchzen der Frau hallte durch das stickige Zimmer, als die Wehe sie überwältigte. Ihre Hände krallten sich in den Arm der Hebamme. Es darf nicht heute kommen!, keuchte sie.
Morragh machte sich los. Diese Nacht dauert noch fünf Stunden. Das Kind kommt jetzt. Wir können nichts dagegen tun.
Lass nicht zu, dass sie ihm wehtun!
Die Hebamme runzelte die Stirn. Ich werde dir nichts versprechen, Elaine.
Unaufhaltsam bahnte sich das kleine Wesen seinen Weg durch den Leib seiner Mutter. Tränen rannen an Elaines Wangen hinab, als das Neugeborene seinen ersten Schrei tat.
Bitte tu ihm nichts, flehte sie Morragh an, die über ihr stand und das Kind in den Armen hielt.
Es ist verflucht, das weißt du!, sagte sie scharf.
Das ist mir gleich, wisperte Elaine. Versprich mir, dass es lebt mein Leben für das des Kindes.
Morragh starrte auf die blutende Frau. Die Hebamme riss den Blick von Elaine los und sah den Jungen an, der unruhig in ihren Händen lag. Verdiente er das Leben? Seine Mutter war eine gute, fleißige Frau und wäre ein Verlust für das Dorf. Der Junge hingegen war dem Tod geweiht. Ihre Hand ergriff das Messer und setzte es dem Kind mit zitternden Händen an das Herz.
Der Säugling erschien so unschuldig. Morragh holte tief Luft. Der Kleine wimmerte. Ihre Hand bewegte sich, war bereit zuzustoßen
Morragh brachte es nicht über sich. All ihre Instinkte als Hebamme hielten sie davon ab, das Kind umzubringen. Ihr Blick fiel auf die Mutter des Jungen. Das Messer fiel klirrend auf den Boden. Erstarrt betrachtete sie Elaine. Ihre sanften Augen starrten ins Leere, ihr Blick war gebrochen.
Morragh betrachtete das Baby. Widerstreitende Gefühle kämpften in ihr und die Schneide des Messers erschien ihr golden in den Flammen des Kamins.
Nun gut, ich lasse deiner Mutter ihren letzten Wunsch. Du sollst fortan Brãn heißen, wie der Rabenwächter der Hölle, von dem du stammst, zischte sie. Ich verzeihe dir nicht, dass du ein Leben gestohlen hast! Und ich sorge dafür, dass es niemand vergisst! Ein Zeichen sollst du tragen, damit man erkennt, was du bist!
Die Tür öffnete sich leise, als der Vater des Rabenkindes hereinkam. Morragh legte das Neugeborene zu seiner toten Mutter, ignorierte die Tatsache, dass das Bett voller Blut war.
Ihr letzter Wunsch war, dass es lebt. Wir müssen es respektieren. Aber vergiss niemals, was es ist! Ich werde eine Amme suchen, die gewillt ist, es zu nähren.
Morragh lief an dem Mann vorbei und versuchte sein leises Schluchzen nicht zu hören. Nie sollte sie diesen Laut jemals wieder vergessen.
(Siebzehn Jahre später)
Der Rabe flog mit einem leisen Krächzen über die Wiese und zog einen Kreis über die verfallenen Ruinen des alten Bauernhauses. Flatternd ließ er sich auf den Steinen nieder. Das Tier blickte sich um, schüttelte unsicher sein Gefieder, als es einen jungen Mann sah, der auf einem vermoosten Stein verharrte. Ein trauriges Lächeln lag auf seinen Zügen. Das lange schwarze Haar umgab ihn wie ein schützender Umhang und der Rabe sah ein dunkles Mal auf seiner Stirn.
Was hielt er da in den Händen. Ein Kaninchen?
Bald ist es vorbei
, flüsterte der Fremde mit gesenktem Kopf.
Der Rabe flog auf, setzte sich auf einen Zweig über ihm, um besser sehen zu können. Ja, er hielt ein halb totes Kaninchen in den Händen. Das Tier zuckte leicht und verschied, ohne dass der Mann Anteil daran hatte. Er erhob sich und legte den kleinen Nager vorsichtig ins Gras, als würde er ihm das letzte Geleit geben.
Geh nach Hause, kleines Kaninchen
, hörte der Rabe tief in seinem Inneren. Er konnte die Gedanken des Jungen hören?! Überrascht plusterte der Vogel seine Federn auf.
War er der Gesuchte?
Der Rabe sah, wie ein Schimmer von dem toten Kaninchen ausging. Wie ein Irrlicht flackerte es auf der Mann schien es nicht zu sehen. Mit einem Satz stieß sich der Rabe von dem Zweig, breitete die Schwingen aus und nahm sich der Seele des Tieres an.
Der Fremde zuckte beim Anblick des Vogels erschrocken zurück. Angst flackerte in seinem Blick. Der Rabe erkannte nun, dass sich das Licht des Kaninchens verformte. Es war bereit. Der junge Mann hingegen lief fort.
Brãn rannte über die Ebene. Würde der Rabe ihm folgen? Eine düstere Erkenntnis sickerte in sein Bewusstsein. Trug er nicht das Brandmal einer Rabenfeder auf der Stirn? War er selbst nicht dem Rabengott Brãn geweiht? Und er fürchtete einen Raben?! Das war lächerlich!
Keuchend hielt er an und schimpfte sich einen Feigling. Er sollte sich von dem Geschwätz der anderen im Dorf nicht beeinflussen lassen, aber er hatte auch noch nie eines der schwarzen Höllenvögel gesehen.
Brãn lief zurück zu den Ruinen seines alten Elternhauses, in dem er geboren worden war. Sein Vater hatte das Gebäude mit der Leiche seiner Mutter verbrennen lassen. Brãn dachte, dass es ein würdiges Grab war. Seine Gedanken gerieten in den Hintergrund, als er sich den verkohlten Holzbalken näherte. Sein Herz klopfte schnell, es fühlte sich an, als würde sich in seiner Brust ein kleines Tier gegen seine Gefangenschaft wehren. Brãn lugte durch einige Sträucher, doch der Ort war leblos und verlassen der Rabe war fort.
Sollte er den Dorfbewohnern davon erzählen? Lieber nicht. Besser er hielt wie immer den Mund. Ein Laut drang zu ihm vor und ließ ihn aufblicken. Fast wäre er erneut davongelaufen. Der Rabe hockte über ihm auf dem dünnen Ast einer Tanne. Wie gelähmt starrte er das seltene Tier an. Seine schwarzen Federn glänzten in der Sonne und es neigte den Kopf, als würde es ihn prüfen.
Wer bist du?, hörte er plötzlich in seinem Kopf. Überrascht wich er zurück zur Wiese. Der Rabe flatterte auf und folgte ihm, setzte sich auf einen Felsen in seiner Nähe. Brãn spürte, wie Panik in ihm hochkroch. Hatte der Vogel da gerade zu ihm gesprochen?
Ich bin Keyla.
Brãn starrte in die dunklen Augen des Raben. Ein Gefühl, das wie Eis über seine Haut rann, und in sein Inneres drang überwältigte ihn. Würde jetzt das geschehen, was die Menschen ihm immer prophezeit hatten? Würde der Rabe ihn in die Hölle zu seinem Herrn bringen? Brãn fuhr sich über das Mal auf seiner Stirn. Unzählige Male hatte er es im Wasser betrachtet. Eine Feder, schwarz wie die Nacht, was völlig unüblich für eine verheilte Verbrennung war. Er wusste, die Hebamme hatte ihn damals gezeichnet.
Ist es soweit? Holst du mich, damit ich für das Leben büße, das ich mir genommen habe?, fragte er leise und gefasst.
Der Rabe schlug mit den Flügeln. Genommen? Ich verstehe nicht.
Wieder diese Stimme in seinem Kopf. Der Vogel schien unwissend. War es Zufall? Gewährte der Rabengott ihm noch einen Aufschub?
Das Tier näherte sich und Brãn spürte unerwartet eine Verbindung zu der Seele des Raben. Ein Gefühl, das ihn wärmte, stieg in seinem Inneren auf. Brãn wich verwirrt zurück. Er musste fort von all dem! Der Vogel stieß einen klagenden Laut aus und Brãn machte kehrt, rannte gehetzt zum Dorf. Im Lauf wandte er sich um, wollte sehen, ob der Rabe ihm womöglich folgte, um Verderben über das Dorf zu bringen. Da stieß er grob mit jemandem zusammen.
Ein wütender Schrei gellte in seinen Ohren und verblüfft sah er im Augenwinkel, wie sich kleine Kugeln auf der Straße verteilten. Er spürte den Angriff mehr, als dass er ihn sah, und hob schützend die Hände über sich. Der Schlag ließ ihn nach hinten taumeln. Jemand krallte die Hände in sein langes Haar und riss seinen Kopf nach oben. Jariko stand vor ihm. In seiner Wut schien ihm sein gesamtes Blut in den Kopf geschossen zu sein und eine Ader pochte sichtbar an der Schläfe. Die grauen Augen starrten ihn an, unbarmherzige Hände stießen ihn zurück zu Boden. Sammel das auf!, keifte er Brãn an.
Der junge Mann sah verwirrt zu Boden, sein Blick fiel auf Hunderte getrockneter Erbsen, die im Staub lagen. Wahrscheinlich hatte Jariko sie in dem Krug getragen, der nun zerbrochen auf der Erde lag. Brãn warf einen verstohlenen Blick zum Himmel und begann, das Gemüse einzusammeln. Er spürte, wie Blut aus seiner Nase lief, und wischte es rasch mit dem Ärmel ab. Jariko stand mit verschränkten Armen vor ihm.
Es tut mir leid, ich
ich habe dich nicht gesehen, Jariko.
Das habe ich bemerkt! Den Krug wird dein Vater mir ersetzen.
Brãn wagte aufzublicken, griff in seine Tasche und reichte ihm eine Münze. Behellige meinen Vater nicht. Ich ersetze es dir.
Jariko runzelte die Stirn. Er vertraut dir Geld an?
Brãn ignorierte die Frage und überhörte auch das gemurmelte Schimpfwort, was auf ihn abgezielt war. Er schichtete die Erbsen auf einen Haufen und erhob sich. Ich habe kein Gefäß.
Geh mir bloß aus den Augen, du Nichtsnutz! Jariko beugte sich hinab und schaufelte die Erbsen in ein Leinensäckchen. Brãn beachtete ihn nicht weiter, lief mit gesenktem Kopf durch das Dorf. Sein schwarzes Haar fühlte sich dabei wie ein undurchdringlicher Schutz an, der ihn vor dem Hass der anderen abschirmte. Er wusste, die Leute schauten auf, tuschelten, wenn er an ihnen vorüberging, also verkroch er sich in der dunklen Flut der Strähnen.
Brãn öffnete die Tür seines Zuhauses. Sein Vater blickte auf und betrachtete ihn mit einer Mischung aus Sorge und Furcht. Wo warst du?
Brãn knabberte unsicher auf seiner Unterlippe, ehe er sprach. Er wusste, die Antwort würde seinem Vater nicht gefallen. Bei Mutters Grab.
Der gebeugte Mann schüttelte den Kopf. Was tust du immer an diesen verfluchten Ruinen, Junge?
Brãn würde nicht aussprechen, was sie beide wussten. Er flüchtete vor den anderen Menschen und der einzige Ort, an dem sich niemand wagte, waren die Überreste des Hauses, in dem er einst zur Welt kam. Brãn würde seinem Vater auch nicht sagen, dass er das Geld, von dem er sich Nahrung kaufen sollte, an einen zerbrochenen Krug verloren hatte.
Niedergeschlagen und mit leerem Magen ging er später in seine Dachkammer. Er legte sich auf sein Bett und schaute durch das Fenster in die hereinbrechende Nacht hinaus. Brãn beobachtete, wie die Sterne einer nach dem anderen aufgingen. Einige leuchteten heute heller als sonst. Verwundert erhob er sich und öffnete das Fenster, betrachtete diese ungewöhnliche Sternenkonstellation. Sie hatte die Form
eines Raben!
Brãn blinzelte. War dies
? War heute
?
Verdammt! War heute sein Geburtstag? War dies die Nacht des Raben?
Erschrocken eilte er zurück in die Stube, wo sein Vater an dem hölzernen Tisch saß.
Vater, ist heute
Brãn konnte es nicht aussprechen.
Der Mann hob den Blick und sah seinen Sohn mit glasigen Augen an. Brãn wusste, er hatte sich mit Alkohol die Sinne vernebelt.
Vater
?
Die Nacht des Raben, ja, das ist sie. Heute
ist der Tag deiner
Geburt. Sein Vater musste die Worte regelrecht hervorwürgen.
Brãn hatte nie zuvor Geburtstag gehabt. Diese Nacht, dieser so besondere Tag im Kalender, existierte nur alle siebzehn Jahre.
Er ging hinaus und starrte in den klaren Himmel. Das Abbild des Raben leuchtete wie ein Hoffnungsschimmer. Er dachte erneut an den Vogel vom Nachmittag.
Nein, heute würde er nicht schlafen. Er würde in die Dunkelheit des Waldes gehen, in dem Wissen, dass heute sein Geburtstag war!
Der Morgen dämmerte. Die ersten Vögel zwitscherten verhalten, als Brãn in den Sonnenaufgang schaute, der die Sterne verschwinden ließ. Überrascht fuhr er herum, als Stimmen näherkamen. Ein Krächzen drang durch den Wald.
Schieß doch endlich!, hörte Brãn einen Mann brüllen.
Wo ist das Vieh?!
Da! Schieß!
Brãn verbarg sich in einem nahen Gebüsch und vernahm eine Bogensehne, die zurückschnellte. Er schaute hinauf und erblickte den Raben, der verzweifelt versuchte, dem Geschoss auszuweichen. Der Pfeil traf den Vogel an der Schulter. Das Tier trudelte einen Moment in der Luft. Ein inneres Feuer erfasste Brãn, als er das Tier fallen sah.
NEIN!!!, schrie alles in ihm. Brãn wusste nicht warum, aber das Tier durfte nicht sterben!
Das Lachen der Männer hallte durch den Wald, entfernte sich zunächst. Brãn rannte geduckt zu der Stelle, an dem der Rabe durch die Baumkronen brach. Der junge Mann kam zu spät. Der Vogel fiel durch das Geäst und stürzte hart zu Boden.
Brãn hastete hin und stolperte erschrocken zurück, als der Rabe, der sich vor Schmerzen wand, seine Form veränderte. Seine Gestalt verschwamm, verzerrte sich und vor Brãn lag plötzlich eine nackte Frau, in deren Schulter ein Pfeil steckte. Mit flehendem Blick sah sie ihn an.
Würden die Männer zurückkommen und den Raben suchen? Was würden sie mit ihr tun?
Brãn weigerte sich, darüber nachzudenken, trat instinktiv zu der Fremden, hob sie auf die Arme und floh mit ihr durch den Wald. Ein Wimmern kam von ihr, als er stolpernd durch das Unterholz flüchtete. Auf einem bemoosten Platz, tief im Wald, legte er sie nieder.
Wer bist du?, fragte er atemlos.
Mein Name
ist Keyla. Bitte
zieh den Pfeil
heraus.
Brãn lief ein Schauer über die Haut, als er auf das Geschoss sah, das ihre Schulter durchstoßen hatte. Blut lief an ihr hinunter und sie weinte lautlos vor Schmerz. Bitte
Brãn näherte sich ihr, packte das Ende des Pfeiles und knickte das gefiederte Ende ab. Ohne weiter zu zögern, zog er ihn dann mit einem Ruck heraus. Ein Schrei entglitt ihren Lippen und sie keuchte, presste sich die Hand an die Wunde. Bitte erschrick nicht
und bleib, wisperte sie.
Noch einmal verformte sich ihre Gestalt. Brãn stolperte zurück und sah für einen Augenblick, wie Dunkelheit sie umgab. Dann erkannte er, dass ihr ein Federkleid wuchs. Sie wurde wieder zu dem Raben. Doch als das Tier vor ihm erschien, verwandelte sie sich ohne Übergang zurück in die Frau. Die Wunde war fort, nur das Blut verriet ihre Verletzung.
Die Verwandlung des Körpers tilgt alle Wunden, erklärte sie und näherte sich zaghaft, strich über das Brandmal auf seiner Stirn. Du bist Brãn mit der Rabenfeder, flüsterte sie.
Er senkte den Kopf und nickte. Bist du gekommen, um mich zu holen?
Ich bringe dich nach Hause, Brãn.
Mutlos fügte Brãn sich in sein Schicksal.
Keyla warf ihr blauschwarzes Haar zurück und streichelte über seine Wange. Vergiss, was du von den Menschen weißt, Brãn. Sie haben dich belogen. Wir sind Mittler zwischen Himmel und Erde, führen die Seelen nach ihrem Tod nach Hause.
Aber
Keyla schüttelte den Kopf. Ich weiß. Doch diese Hölle existiert nicht. Sie ist bloß in den Herzen und Gedanken der Menschen.
Und
was bin ich?
Keyla lächelte. Sanftes Licht umhüllte ihre Gestalt und ihr nackter Leib wurde mit einem Gewand bekleidet, das ähnlich wie ein Rabengefieder aussah. Rasch steckte sie sich ihr Haar an den Seiten auf, sodass es nicht in ihr Gesicht fiel, sondern wie zwei spitze Erhebungen in zweifarbigen Strähnen ihren Kopf schmückte. Dann streckte Keyla ihre Hand aus. Komm
du bist einer von uns.
Ihre Hände berührten sich und er gehorchte dem Ruf seiner Seele, spürte, wie sich sein Haar um ihn schlang und zu einem Federkleid wurde. Brãn erhob sich in die Lüfte und spürte, wie in ihm ein Gefühl vollkommenden Glücks aufstieg. Er folgte Keyla in ihrer Frauengestalt und flog auf das Licht zu
25. Feb. 2012 - Tanja Bern
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