|
Der Nachbarshund von Elke Meyer
Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Kraftvoll holte Jürgen mit dem Hammer aus und schlug erleichtert den Nagel in die letzte Schindel. Sein Blick schweifte über die bereits verrichtete Arbeit am Dach des Gartenhäuschens und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Nichts könnte seine Laune heute trüben.
Da ertönte neben ihm wütendes Gebell. Jürgen zuckte zusammen.
Elende Töle!, rief er aus, als er den schwarzen Dobermann des Nachbarn erkannte, der mit gefletschten Zähnen am Gartenzaun stand.
Jürgen konnte den Hund nicht ausstehen, der ihm täglich durch sein Gebell die Ruhe stahl. Und ständig trat man vor der Haustür in Hundekot.
Seit längerer Zeit bestand deswegen zwischen ihm und dem Besitzer des Dobermannes ein gespanntes Verhältnis. Sie redeten nur über Anwälte.
Der Dobermann rollte die Augen und bellte weiter. Jürgen schüttelte den Kopf über das aggressive Verhalten. Er beschloss, den Hund einfach zu ignorieren und steuerte zielstrebig die Terrasse an, um sich von der anstrengenden Arbeit im Liegestuhl auszuruhen. Bald würde Ehefrau Renate nach Hause kommen und dann könnte er ihr stolz das Resultat seiner Arbeit präsentieren.
Jürgen schlenderte den Gartenweg zum Liegestuhl, begleitet von nicht endendem Gebell. Es fehlte nur noch, dass der Hund über den Zaun sprang, um ihn zu beißen. Dann hätte er den fehlenden Beweis für die Bösartigkeit des Tieres gehabt. Er drehte sich um, stemmte die Hände in die Hüften und sah dem Tier direkt in die Augen.
Na los, komm schon, spring rüber!, forderte er, aber der Hund folgte seiner Aufforderung nicht, sondern knurrte nur.
Dann nicht! Jürgen ließ sich auf den Liegestuhl sinken, streckte die müden Glieder aus und döste im warmen Sonnenschein. Den erfolgreichen Tag wollte er sich nicht von dem Köter verderben lassen.
Einige Zeit später erkannte er erschrocken, wegen des Hundes einige Schindeln vergessen zu haben. Renate würde dieses sofort bemerken.
Die Leiter stand noch immer am selben Fleck. Jürgen erhob sich seufzend und stieg erneut aufs Dach. Der Hammer lag noch an der gleichen Stelle. Der Hund verfolgte knurrend jeden seiner Schritte.
Verschwinde endlich!, zischte Jürgen. In diesem Moment sprang der Hund mit einemmächtigen Satz über den Zaun, um nach Jürgens Hosenbein zu schnappen. Jürgen geriet ins Schwanken, der Hammer entglitt und fiel dem Dobermann genau auf den Kopf. Aufjaulend kippte dieser zu Boden und blieb reglos am Fuß der Leiter liegen. Es dauerte eine Weile, bis Jürgen begriff, was eben vor sich gegangen war. Er hatte den Hund ermordet! Gehetzt blickte sich er um, ob jemand ihn beobachtet hatte. Panik erfasste ihn und er überlegte, was er unternehmen sollte.
Sein Blick fiel auf das frisch angelegte Blumenbeet. Flink kletterte er die Leiter hinunter und holte sich einen Spaten aus dem Gartenhäuschen. Dann grub er ein Loch in die Erde, zerrte den großen Hund hinein und schaufelte wieder zu. Dann pflanzte er die Blumen sorgfältig ein.
Jürgen sank anschließend auf die Liege und schloss die Augen. Aber er fand keine Ruhe, das schlechte Gewissen plagte ihn. Nach einer Weile sah er zum Blumenbeet hinüber. Der Anblick ließ ihn erstarren. Ein Hundebein ragte aus dem Beet wie eine Kerze. Er hatte die Leichenstarre völlig vergessen. Die lockere Erde konnte das Bein nicht nach unten drücken. Aber Jürgen war zu müde, um aufzustehen und schlief erneut ein.
Bin Zuhause! Wach auf, Jürgen! Renate rüttelte ihn an der Schulter.
Ruckartig setzte er sich auf und alles fiel ihm wieder ein, der erschlagene Hund, das Gartenbeet
Was würde Renate dazu sagen? Ihm wurde übel. Gerade wollte er ihr alles erklären, als er erstaunt bemerkte, wie der Dobermann Schwanz wedelnd am Gartenzaun entlang lief. Auch das Dach des Gartenhäuschens war fertig. Ein Stein fiel Jürgen vom Herzen, weil er nur geträumt hatte.
Als er sich erhob, knurrte der Hund in gewohnter Weise hinter dem Zaun. Doch dieses Mal war Jürgen sogar froh darüber.
18. Apr. 2012 - Elke Meyer
Bereits veröffentlicht in:
Im Buch: Heiter bis wolkig, Edition Paashaas
[Zurück zur Übersicht]
|
|