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Das letzte Meisterwerk
von Fabienne Siegmund

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Versonnen betrachtete der Maler das Bild. Alle beneideten ihn darum.
Nicht um die Pinselführung, nicht um die Farbwahl. Nein, einzig um das Motiv drehte sich ihr Neid.
So schön war es, so schön war sie.
Ihr schwarzes Haar fiel ihr knapp über die Schultern, die ebenso nackt waren wie ihre Arme. Eine schwarze Korsage mit silbernen Ornamenten und Schnüren raffte ihre Taille und der Rock, der ihre Beine verdeckte, reichte vorne bei Weitem nicht bis an die Knie, während er hinten den Boden berührte.
Sie hielt eine Hand an der Stirn, als wolle sie sich vor etwas schützen, doch die andere hielt sie nach vorn, wie zu einer zögerlichen Begrüßung.
Er hatte sie umgeben von Kerzen gemalt. Kerzenständer umrandeten sie stufenförmig. Die Kerzen auf den beiden höchsten waren rot, die restlichen weiß. Flackernd verbreiteten sie ihr Licht auf dem Bild, ließen ihre Haut erstrahlen und das gusseiserne Tor im Hintergrund erst sichtbar werden, während es sonst in den Schatten versank.
„Wer ist sie?“, fragten ihn andere Künstler, doch er sagte es ihnen nicht, sagte es keinem.
Nicht, weil er es nicht wollte.
Weil er es nicht konnte.
Ihr Name war so unaussprechlich wie sie schön war.
Auch er hatte ihn nie über die Lippen gebracht.
Nicht, als er sie gesehen hatte, nicht, als sie ihn geküsst hatte und auch nicht, als sich ihre Körper leidenschaftlich vereint hatten.
Er hatte sie niemals mehr loslassen wollen, nie, nie, niemals.
Doch sie hatte ihn losgelassen, einfach so, ohne Vorwarnung war sie fortgegangen und niemals wiedergekehrt.
Nicht am nächsten Morgen, nicht in der darauffolgenden Nacht und auch zu keiner Zeit danach, egal wie lang er vor dem Tor gewartet hatte.
Natürlich hatte er einen Versuch gestartet, das Dahinter zu erkunden, aus dem sie gekommen war, doch da war nichts. Nur Dunkelheit, in die nicht einmal das Kerzenflackern drang – eine Dunkelheit, die ihm manchmal wie ein Vorhang schien, der sie verbarg und manchmal wie eine Warnung. Er konnte sie nicht durchdringen, ihm war nicht möglich, den Vorhang aus Schatten und Nacht zu heben, denn zu jeder Zeit war das Tor verschlossen.
Also hatte er sie gemalt.
Nicht ahnend, was das bedeuten würde.
Nicht wissend, was geschehen würde.
Niemand kennt die Zukunft, und wenn doch, ist sie schon Vergangenheit.
Er hatte sie gemalt und das Bild in sein Atelier gehängt, dorthin, wo er es sah, wo seine Besucher es sehen konnte.
Alle liebten es, liebten sie.
Nur er nicht. Er hasste es.
Es war nicht so, dass es schlecht war, dass er sie nicht gut genug getroffen hatte, dass er ihre wahre Schönheit nicht hatte einfangen können – nein. Wie ein Foto aus seiner Erinnerung war das Bild.
Aber es war nicht sie, und sie blieb fort, ließ seine Sehnsucht hungern und seine Hoffnungen verdursten.
Er zog in sein Atelier, um wenigstens dort bei ihr zu sein können.
Menschen, die er nicht kannte, versuchten, ihm das Bild abzukaufen, er lehnte ab, so hoch die Summe auch war.
Er schlief nicht, er saß nur vor dem Bild und starrte es an.
Leinwände blieben leer, Pinsel wurden steif und Farben trockneten ein.
Irgendwann begannen die Kerzenflammen auf dem Bild zu flackern.
Er hielt es für ein Hirngespinst, für Wunschdenken, Wahnvorstellung.
Doch Nacht für Nacht flackerten die Flammen.
Die Kerzen brannten nicht herunter.
Aber die Flammen flackerten, malten Schatten auf ihre nackte Haut.
Er wünschte, ein Schatten zu sein.
Er wurde keiner.
Gewann die Müdigkeit die Herrschaft über seinen Körper, schrie er in unruhigen Träumen ihren Namen, den er dort mühelos aussprechen konnte und wachte schweißgebadet auf. In solchen Momenten wünschte er sich, das Bild verkauft zu haben, doch wann immer er danach darauf angesprochen wurde, stets sagte er, dass es unverkäuflich sei.
Tag für Tag und Nacht für Nacht harrte er davor aus.
Manchmal besuchte er noch das gusseiserne Tor, in der Hoffnung, sie würde dort auftauchen, doch stets blieben die Torflügel verschlossen und er allein.
Er wurde dünner und blasser und seine Freunde sorgten sich um ihn.
Er schickte sie fort.
Sie allein wollte er bei sich wissen, sie allein, und niemanden sonst.
Er begann, mit dem Bild zu sprechen, sah im Schein der gemalten Kerzenflammen die Antworten in ihren Augen flackern.
Manchmal lachte er mit ihr, manchmal weinte er um sie, anderntags war er zornig, dass sie nicht da war.
Er hörte auf, sich zu waschen und wechselte seine Kleidung nicht mehr.
Seine Freunde hörten auf, ihn zu besuchen.
Die Interessenten an seinem Bild wurden weniger.
Irgendwann blieben alle fort.
Nur das Bild war noch da.
Er vergaß, regelmäßig zu essen und trinken.
Lange schon hatte er kein Bild mehr gemalt.
Manchmal meinte er, ihre Lippen würden sich bewegen, aber er konnte nichts hören. Nie war es still genug. Immer gab es ein Geräusch. Ein Vogelzwitschern, ein vorbeifahrendes Auto, eine surrende Fliege, das Summen der Glühbirne über seinem Kopf.
Er bat sie, lauter zu sprechen, doch so sehr er flehte, sie erhörte ihn nicht.
Bald hatte er alle Geräusche aus der Wohnung gebannt. Es gab kein elektrisches Licht mehr, sondern nur noch Kerzen. Die Fenster waren mit dickem Stoff verhangen, dass kein Geräusch und kein Licht mehr durchdrang, und immer blieben sie geschlossen, damit nicht versehentlich eine Fliege hineingelangen konnte.
Eine einzige Kerze, denen gleich, die auf dem Bild gemalt war, diente ihm als Lichtquelle.
Er legte sich daneben und betrachtete das Bild.
Ihre Augen leuchteten im Kerzenschein.
Ihr Mund bewegte sich, aber immer noch verstand er sie nicht.
„Was?“, fragte er, „was willst du mir sagen?“
Er bekam keine Antwort.
So vergingen Tage.
Er merkte nicht, wie sein Körper schwächer und schwächer wurde.
Wiederholt fragte er sie, ohne eine Antwort zu bekommen.
Eines Tages, die Kerze war längst herabgebrannt, erkannte er, dass er sterben würde.
Immer noch betrachtete er das Bild, es hatte sich in seine Augen eingebrannt und dort flackerten die Flammen der gemalten Kerzen, wie sie es immer schon getan hatten, und ihr Mund bewegte sich unentwegt, ohne dass er die Worte verstehen konnte.
So brach die Nacht an, von der er wusste, dass es seine letzte sein würde.
Er schlief, und im Traum durchlebte er noch einmal die Nacht, mit der alles begonnen hatte.
Die Erinnerung an ihre Küsse brannte wie Feuer auf seiner Haut.
Als er erwachte, sah er das Bild vor sich, sah sie und sie erwiderte seinen Blick. Traurig sah sie aus, traurig und wütend zugleich.
„Warum“, fragte er mit letzter Kraft, „warum bist du nicht gekommen?“
Er wartete, dass sie antwortete, doch als sie es nicht tat, schloss er die Augen und wartete, dass der Tod kommen würde.
Gerade, als er seinen letzten Atemzug tat, hörte er ihre Antwort.
„Du hast mich in diesem Bild gefangen. Ich konnte nicht bei dir sein.“

20. Jun. 2012 - Fabienne Siegmund

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