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Herrin der Nacht von Tanja Bern
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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AGENTUR ASHERA
A. Bionda
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Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Sachte strich Salíah mit den Fingerspitzen über die verspiegelte Fläche. Ein Zeichen leuchtete dort auf und sie folgte seiner Spur. Vor ihr öffnete sich ein weiter Raum. Es blitzte kurz vor ihren Augen. Dann konnte sie erkennen, was er heute für eine Landschaft für sich erschaffen hatte. Salíah schloss die Tür und trat in das geheime Gemach.
Der Boden nahm ihre Tritte tief in sich auf, als wolle sein Sumpf sie für immer festhalten. Ein Baum ragte in die Höhe und seine Blätter hingen wie Haarsträhnen herab. Im Raum schwirrten kleine Fledermäuse umher.
„Offenbare dich“, sagte sie ruhig.
Etwas Rotes flackerte auf und formte sich zu einem riesigen Augenpaar.
Was wünscht Ihr, meine Herrin? Die Stimme des Geschöpfes umschmeichelte ihre Gedanken.
„Du weißt, warum ich hier bin, Evil, zeig sie mir!“
Leises Lachen hallte in ihr, doch Evil gehorchte. Aus einer schimmernden Masse, die vor ihr erschien, formte sich das Bild einer jungen Frau.
Alissa betrachtete sich skeptisch im Spiegel. Ihr kurzes Haar wollte sich heute nicht bändigen lassen. Die vorderen Locken weigerten sich als Fransen ihr Gesicht zu umrahmen und selbst Gel konnte sie nicht dazu bringen. Alissa gab es auf und verließ ihre Wohnung.
Die Nachtluft war so warm, dass einem jedes Kleidungsstück zu viel erschien. Alissa blickte zum Himmel. Trotz der Straßenlaternen konnte man das Sternenmeer sehen. Es breitete sich über der Stadt wie ein glitzerndes Zeltdach aus.
Sie lief zum Café an der Ecke und schob die Tür auf.
Eve, die Bedienung, blickte auf. „Alis, Schätzchen! Was machst du um diese Uhrzeit hier?“ Eve stellte das Tablett ab und umarmte Alissa freundschaftlich.
Alissa setzte sich an die Bar. „Ich hab ein Date.“
„Echt?“, hauchte Eve. „Wo hast du ihn kennengelernt?“
„Das ist … na ja … eher so ein Blind Date.“
Eve verzog das Gesicht. „Oh je, hatten wir das nicht schon?“
Alissa seufzte. „Man gibt die Hoffnung nicht auf.“
Eve strich ihr tröstend über den Rücken. „Ich weiß nicht, warum du keinen Mann findest. Das ist für mich echt völlig unverständlich. Du bist so süß!“
Alissa seufzte innerlich. Süß? Das war nicht das, was sie hören wollte, aber Eve hatte recht. Sie war klein, zierlich und besaß ein Puppengesicht. Süß traf es wohl genau. Nur wollten die Männer kein Zuckerpüppchen haben.
Ein junger Mann betrat das Café und Alissa sah sich nervös um. Er war sehr schlank, besaß wirres halblanges Haar und trug eine filigrane Brille.
„Ist er das, Alis?“
„Ich glaube ja“, wisperte Alissa zurück.
Er trat auf sie zu. „Hey … ich bin Ben. Bist du …?“
„Alissa, ja. Setz dich doch.”
„Entschuldige, auf dem Foto in dem Chat hatte ich keine Brille auf.“
„Ist nicht schlimm! Dafür waren auf meinem Bild die Haare länger.“
Alissa lächelte. Der junge Mann gefiel ihr. Er wirkte zwar ein wenig unsicher, trotzdem war das besser als Machogehabe.
Das Gespräch kam schleppend in Gang. Erst als Alissa ihn auf Computer ansprach, schien er aufzublühen. Das Problem war, dass er jetzt nur noch davon sprach und Alissa kaum zu Wort kommen ließ. Irgendwann bemerkte er, dass etwas schief lief.
„Ich langweile dich“, sagte er und senkte den Blick.
Alissa rührte sein Gesichtsausdruck. „Ein wenig. Lass uns von was anderem sprechen, ja?“
Ben nickte.
Nach über zwei Stunden verabschiedeten sie sich, tauschten auch Telefonnummern aus, aber Alissa war hin und her gerissen. Einerseits fand sie ihn süß – schon wieder dieses Wort! – andererseits war er kein Gesprächspartner, der einen verzauberte.
Alissa runzelte die Stirn über ihre völlig romantisierten Gedanken. „Verzaubert“, zischte sie. „So ein Blödsinn.“
„Hey, Schätzchen.“ Eve trat zu ihr. „Wie war er denn?“
„Ich weiß nicht. Süß?“
Eve lachte schallend.
Resigniert verließ Alissa das Café. Draußen war es schwül geworden. Kein Lüftchen regte sich mehr. Eine Laterne flackerte und erlosch. Zügig lief Alissa durch die Straßen zu ihrer Wohnung, als ein Geräusch sie verharren ließ. Neben ihr kratzte etwas leise auf dem Asphalt. Sie blickte zur Seite. Nichts war zu sehen, nur die Dunkelheit des Parks, der hier begann.
Warum renne ich nicht weg?!
„Weil ich keine Angst habe“, flüsterte sie sich zu, auch wenn ihr wild schlagendes Herz etwas anderes sagte.
Sie hatte keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen. Jemand packte sie von hinten und presste ein Tuch vor ihren Mund, das unerträglich süß roch. Ein finsterer Vorhang fiel vor ihr Bewusstsein.
Alissa erwachte, als sie einen brennenden Schmerz an ihrer Kopfhaut spürte. Jemand schleifte sie an ihren Haaren durch gemauerte Gänge! Hilflos griff sie zu der grausamen Hand, die an ihr zerrte. Abrupt wurde sie fallen gelassen.
„Wenn du wach bist, geh allein.“ Eine männliche Stimme hallte in dem düsteren Flur.
Vorsichtig linste sie nach oben.
Ein bärtiger Fremder stand vor ihr. Sein Gesicht zeigte keine Regung.
Mit zittrigen Beinen richtete sie sich auf.
„Komm, die Herrin erwartet dich.“
Er ging voran und Alissa blieb verunsichert stehen. Wo war sie? Welche Herrin? Und was wollte man von ihr?
Der Mann drehte sich zu ihr um. „Soll ich dich doch an den Haaren in ihr Gemach ziehen, oder kommst du jetzt?“
Alissa folgte ihm widerstrebend. Sie blickte sich um. In diesem Gang war nichts, nicht einmal Abzweigungen. Sie sah nur die altertümlichen Wände. Also musste er sie von der anderen Richtung hineingeschleppt haben. Sie zögerte nicht mehr und rannte fort von ihm. Alissa stieß mit Wucht auf einen weichen Körper und stürzte nach hinten. Sie schrie auf, als sie den Fremden vor sich sah. Wie konnte er so schnell …?!
„Mach das nicht noch einmal“, sagte er drohend. Es kam Alissa so vor, als würde seine Stimme wie ein Grollen tief aus seiner Brust kommen. Er packte sie am Kragen ihrer Bluse und stieß sie vor sich her.
Sie stolperte in einen unglaublichen Raum. In dieser Halle – es als Zimmer zu bezeichnen kam ihr unzureichend vor – war ein Sumpf! Riesige rot glühende Augen waren für einen Augenblick der Mittelpunkt, dann lösten sich diese auf und eine Frau erschien inmitten von Fledermäusen. Ihr Haar war so weiß wie Schnee, ihre Augen so dunkel wie die Nacht, die Lippen rot wie Blut. Sie trug ein schwarzes Kleid mit spitzenbesetzten Ärmeln, das bis zum Boden fiel.
Alissa starrte sie sprachlos an.
„Andrey, du kannst jetzt gehen. Schließ die Tür.“
Der Mann nickte, gehorchte und verließ den Raum. Alissa war allein mit ihr.
„Ich bin Salíah de Amarejk“, stellte sich die Frau vor. „Und du bist das kleine Gör, das mich zu Fall bringen soll?“ Sie schnaubte belustigt.
Alissa verstand kein Wort und fühlte sich schwindlig. „Wo bin ich? Was wollen Sie von mir?“
Salíah kam näher, betrachtete sie ausgiebig. Angst überspülte Alissa und verhinderte jeglichen klaren Gedanken.
Die fremde Frau lächelte. „Du bist hier, meine Liebe, damit ich dich aufhalten oder vernichten kann.“
Ben horchte auf, als der Warnton seines Handys ertönte, und ergriff das Gerät.
Alissa hatte angerufen? Rasch rief er seine Mailbox ab und stutzte. Dies war kein normaler Anruf. Es schien so, als ob Alissas Handy angegangen war, weil die Tastensperre nicht betätigt worden war. Die Mailbox hatte ein Gespräch aufgezeichnet, dass Ben erschrocken innehalten ließ.
Wo bin ich? Was wollen Sie von mir?
Du bist hier, meine Liebe, damit ich dich aufhalten oder vernichten kann.
Ben fiel fast das Telefon aus der Hand. „Scheiße!“
Er lief zu seinem Computer. Das Gerät war immer an, er schaltete es nie aus. Ben hackte sich in ein Netzwerk ein, von dem er wusste, dass man Handys orten konnte und versuchte, über die Sendemasten herauszufinden, wo sich Alissa ungefähr aufhielt.
Ben blickte auf die Uhr. Er hatte noch drei Minuten, danach würde der fremde Server ihn erwischen.
„Mach schnell!“, schnauzte er sein Programm an.
Der PC gab ein leises Pling von sich und Ben schrieb sich die Position auf. Rasch loggte er sich aus und atmete tief ein. Ben zögerte nicht einen Moment und stürmte zu seinem Auto.
Nach einer Stunde parkte er den Wagen in einem Waldgelände und schlich sich an die alten Häuser eines Villenviertels an. Die Gegend war seit Jahren verlassen und verfiel zusehends.
Wo bist du?
„Ich mache dich zu einer von uns“, entschied Salíah mit einem bösen Lächeln. „Keine Macht der Welt kann mich daran hindern, dich zu kontrollieren!“
Sie kam näher und Alissa wich bis zur Wand zurück. Salíah stürzte plötzlich auf sie zu und Alissa sah scharfe Zähne aufblitzen. Sie schrie, kämpfte darum, diese Frau von sich wegzustemmen, doch diese besaß ungeahnte Kräfte! Ihr Biss schmerzte Alissa bis ins Mark, raubte ihr das Bewusstsein.
Als sie erwachte, lag sie am Boden und hörte jemanden würgen. Alissa blinzelte, ignorierte den Schmerz in ihrem Hals und sah auf.
Salíah hockte vornübergebeugt am sumpfigen Zimmerboden und erbrach Blut. „Andrey!“, schrie sie heiser.
Alissa zuckte zusammen, als der Hüne den Raum betrat.
„Herrin, was …?“
„Bring sie fort! Sie ist eine Nachtmörderin!“
„Aber es gibt keine mehr von ihnen!“
„Bring sie fort …“
Andrey packte Alissa am Arm und zog sie hoch, riss sie mit sich.
Ben streckte seine „Fühler“ aus. Er würde Salíah finden. Jetzt, wo sie in der Nähe war, spürte er sie mehr als alles andere. Er lächelte.
Endlich hab ich dich, Herrin der Nacht!
Mit unmenschlicher Schnelligkeit rannte er zu einem der Herrenhäuser. Groß und dunkel ragte es vor ihm auf. Die Fenster waren zersplittert, das Dach durchgebrochen, die Fassade abgeblättert.
Ben sah sich um. Wo war die Öffnung? Er wusste, dass Salíah vernarrt in Technik war, also würde sie hier nicht darauf verzichten. Durch seine enge Verbindung zu Computern und Netzwerken hatte sich ein Gespür in ihm manifestiert, das technische Strömungen wahrnahm. Sicher tat auch das besondere Blut, das er in sich trug, seinen Teil dazu bei.
Sein Blick glitt zu einer hohen Eiche. Wachsam lief er darauf zu und tastete die Rinde ab. Er fand einen verborgenen Mechanismus und öffnete eine hölzerne Klappe. Darunter befand sich die Tastatur eines Sicherheitssystems. Es war noch immer derselbe Code. Salíah war leichtsinnig – aber sie dachte auch, dass er tot war.
Eine Luke öffnete sich am Boden. Langsam stieg Ben die Stufen hinunter. Der Zugang schloss sich hinter ihm und nur gedämpfte Lampen spendeten Helligkeit. Ben schlich weiter. Der Tunnel zweigte ab und mehrere Türen waren in die Mauern eingelassen. Wie in einem Labyrinth zogen sich die Flure durch die Erde.
Ein Schrei ertönte und Ben beschleunigte seine Schritte.
Dann sah er, wie Andrey mit Alissa kämpfte. Die zierliche Frau wehrte sich, während der Mann sie mit sich zerren wollte.
„Lass sie los … Vater“, sagte Ben leise.
Andrey hielt inne, sein Kopf wandte sich langsam in seine Richtung. „Benaiah? Ich … ich dachte, du seist …“
„Ich weiß. Lass sie los.“
Andrey ließ ab von Alissa, die Ben völlig verstört ansah.
„Wo ist sie, Vater? Bei Evil?“
Andrey zögerte – antwortete nicht. Er näherte sich Ben. „Wie hast du …?“
„Überlebt? – Mutter hat sich für mich geopfert.“
Dies versetzte Andrey sichtlich einen Schlag. Bestürzt wich er zurück.
„Salíah hat dich angelogen, Vater. Mutter ist schon seit Jahren von ihr getötet worden.“
Andrey sackte zusammen und verbarg das Gesicht in den Händen.
Du hast umsonst für sie gemordet, dachte Ben insgeheim.
Alissa erhob sich. „Ben, was … was tust du hier?“ Durch ihr Gesicht zog sich eine blutige Schramme und an ihrem Hals war eine Wunde.
„Hat sie von dir getrunken?“ Hoffnung glomm in ihm auf.
Alissa begriff nicht. Er würde selbst nachsehen, denn jetzt fühlte er deutlich, wo sich Salíah aufhielt. Langsam begab er sich zu Evils Halle und öffnete die Tür.
Evils rote Augen schwebten über einem Haufen Asche. Sie flackerten und erloschen, so wie die Sumpflandschaft. Zurück blieb ein kahler Raum aus Metall.
Alissa stand hinter Ben und blickte ungläubig um sich. Ihre Hand krallte sich in seinen Ärmel.
„Was ist passiert?“, hauchte sie.
Benaiah drehte sich lächelnd zu ihr um. „Du hast sie zu Fall gebracht.“
„Aber wie?“
Bens Hand hob sich wie von selbst und streichelte über Alissas Wange. Ihr Puppengesicht sah verstört zu ihm auf. „Du bist ein Kind des Lichts. Dein Blut hat sie getötet. Salíah hat gedacht, dass sie unbesiegbar ist, und wollte dich entweder kontrollieren oder töten. Ihre Habgier besiegte sie schließlich.“
Alissa starrte ihn an. „Du bist nicht Ben Landon, oder?
„Nein, ich bin dein Bewahrer – und ich hätte gerne noch ein Date mit dir.“
05. Feb. 2013 - Tanja Bern
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