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Im Kreis der Steine von Tanja Bern
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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AGENTUR ASHERA
A. Bionda
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Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Moira lief am Fluss entlang und genoss die Sonnenstrahlen, die durch die Wolkendecke brachen. Hohe Eichen umsäumten den Feldweg. Zwischen ihren Stämmen konnte Moira die ersten Hügel der schottischen Highlands sehen. Das Gras an den Hängen erstrahlte in einem Grünton, der sie an ein Aquarell erinnerte, dass sie einmal beim reichen MacAlister in der Burg gesehen hatte.
Moira schnaubte leise. Wenn die Menschen krank wurden, waren die Kräuterfrauen gut genug, um ihre Häuser zu betreten. Waren sie gesund, verschrie man sie als Hexen.
Sie verdrängte den Gedanken und summte eine Melodie, die sie nie vergessen würde. Es war das Lieblingslied ihrer Mutter gewesen, deren Stimme schon lange verstummt war. Für Moira bargen diese Töne einen besonderen Zauber. Sie stillten ein wenig ihre Sehnsucht und für einen Moment schien ihre Mutter wieder bei ihr zu sein.
Eine Brise kam auf und wehte Moira das dunkle Haar ins Gesicht. Wie kleine Schlangen umwehten die Strähnen ihren Körper.
Die junge Frau fühlte sich wohl in der Natur. Die Berührung des Windes, das Wispern der Bäume, der Duft der nahen Tannen alles war im Einklang mit ihren Empfindungen. Moira liebte den grasüberwachsenen Pfad, der tief in den Wald führte. Zwischen den Bäumen blühten Kräuter und Wildblumen. Schmetterlinge tanzten um die Blüten und ließen sich durch ihre Anwesenheit nicht stören.
Sorcha hatte sie geschickt, um Kräuter zu suchen und Moira sammelte gewissenhaft jede Pflanze, die sie für wichtig erachtete. Die alte Frau sagte stets, Moira habe eine besondere Beziehung zu Pflanzen und Tieren. Sie selbst wusste, dass all das Wissen von ihrer Mutter stammte. Nur sie hatte es verstanden, Moira in die Geheimnisse der Natur und den Kreislauf des Lebens einzuweihen.
Der Fluss verbreiterte sich und die Strömung nahm zu. Ein beständiges Rauschen erfüllte die Luft. Moira verharrte kurz. Sollte sie den längeren Weg durch den Tannenwald nehmen oder sollte sie es wagen, über den Doane Shí zu gehen?
So nannten die Menschen den Hügel, auf dessen Plateau die Überreste eines Steinkreises standen.
Moira zögerte. Sie musste zur Lichtung. Dort würde sie die Weidenrinde bekommen, die sie für den Trank brauchte, den Sorcha für Elizabeth Brodie brauen wollte. Aber der Weg bog hier ab und führte um den Doane Shí herum. Die Menschen fürchteten den Steinkreis. Moira hingegen mochte den mystischen Ort, der ihr immer ein wenig geisterhaft erschien.
Ich geh über den Hügel, beschloss sie.
Die Eichen blieben hinter ihr zurück, während sie die Anhöhe bestieg. Die aufgerichteten Felsen thronten wie ein Mahnmal auf der Erhebung und Nebel umhüllte den Ort. Der Ruf eines Raubvogels ertönte und sie blickte auf.
Der weiße Bussard!
Das Tier schwebte direkt über ihr und sie konnte die hellbraunen Flecken in dem außergewöhnlichen Gefieder gut sehen. Eine Weile beobachtete sie, wie sich der Bussard in langsamen Kreisen höher schwang. Plötzlich stürzte er auf sie zu.
Moiras Herz machte einen Satz. Sie stolperte den Hang hinab. Verblüfft betrachtete sie den Vogel, wie er seinen Sturzflug abfing und sicher auf einem der Steine landete. Scharfe Augen fixierten sie. Für einen Moment fühlte sie sich wie gelähmt.
Eine Legende lag auf dem Bussard, der seit fast zehn Jahren in diesen Wäldern lebte. Die Bauern erzählten sich, dass er ein verzaubertes Wesen sei, das Schuld auf sich geladen hatte und nun in dieser Gestalt Vergebung suchte.
Der Greifvogel stieß einen Schrei aus und entfaltete seine Flügel, als wolle er Moira vertreiben. Die junge Frau verstand seine Geste und hastete zum Fluss hinunter. Sie kam zur Lichtung, an der alte Trauerweiden das Gewässer begrenzten. Ihre Furcht verflog. Dieser Ort war friedlich und das Gezwitscher der Waldvögel erfüllte die Luft.
Moira atmete tief durch, zog sich die Schuhe aus und watete vorsichtig in den kalten Fluss. Ihr Ziel waren die frischen Zweige der Weide, die direkt über dem Wasser hingen. In einem gefährlichen Unterfangen balancierte sie auf den rutschigen Steinen zu einem Baum und brach einige Äste ab. Krampfhaft hielt sie sich mit einer Hand am Stamm fest, damit sie nicht von der Strömung fortgerissen wurde.
Eine Gestalt trat zwischen den Bäumen hervor. Warum verletzt du die Bäume?
Die Stimme kam unerwartet für Moira und hallte in seltsamen Schwingungen über die Landschaft. Sie erschrak so heftig, dass sie ausrutschte und in den Fluss fiel. Kurz erhaschte sie einen Blick auf den Fremden, dessen helles Haar im Wind flatterte.
Moira wurde unter Wasser gezogen. Sie spürte, wie jemand ihr Handgelenk packte und sie mühelos aus dem Fluss zog. Hustend und nach Luft schnappend klammerte sich Moira an den Halt. Als sie den Blick nach oben wandte, schaute sie in dunkle Augen. Der Mann zog sie ans Ufer.
Moira begegnete verwirrt seinem Blick. Wie konnte der Fremde so schnell zu ihr gelangt sein?
Warum verletzt du die Bäume?, fragte er erneut. Seine Stimme schien mit dem Wind zu flüstern.
Wie gebannt starrte Moira in die fast schwarzen Augen, in denen Sternenstaub zu glitzern schien, und die einen starken Kontrast zu seinem weißen Haar bildeten.
Ich
es tut mir leid, ich brauche sie für eine Medizin.
Einen Herzschlag lang blickte er sie prüfend an. Dann reichte er ihr die Zweige, die sie von der Weide abgebrochen hatte. Wortlos wandte er sich ab und wollte zwischen den Bäumen verschwinden.
Bist du nur wegen der Weidenzweige gekommen?, rief Moira ihm nach. Etwas faszinierte sie an diesem Fremden.
Er drehte sich zu ihr herum. Unentschlossen verharrte er an der Waldgrenze. Dann näherte er sich ihr abermals.
Wie nennt man dich?
Mein Name ist Moira. Und wie nennt man dich?
Er zögerte einen Moment. Kiaran.
Sein Name floss in ihre Gedanken und ein Schauer überkam sie.
Eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen. Es schien, als würde das Schicksal einen Bann um sie weben.
Moira brach das Schweigen. Ich darf die Zweige also mitnehmen?
Kiaran nickte und ein Ausdruck trat in seine Augen, den sie nicht einordnen konnte. Abrupt wandte er sich ab und ging schnellen Schrittes auf den Hügel zu.
Kiaran, warte doch!
Er war fort.
Eine Weile blieb Moira stehen und starrte auf die Bäume, zwischen denen er verschwunden war. Die Geräusche des Waldes schienen verstummt zu sein. Der Wind zerrte an ihrem durchnässten Kleid, als wolle er sie fortstoßen. Moira fror.
Rasch zog sie ihre Schuhe an und lief den Feldweg zurück zu Sorchas Haus. Der Schrei des Bussards verfolgte sie. Hoch am Himmel zog der Raubvogel seine Bahnen.
Wenig später öffnete sie die Tür der Hütte und trat ein. Die Alte blickte auf, sagte aber nichts, auch nicht, als sie das feuchte Kleid bemerkte.
Moira entrichtete ihr einen kurzen Gruß und verschwieg ihre Begegnung mit Kiaran. Im Vorbeigehen strich sie über das schwarze Fell ihres Katers. Dieser räkelte sich auf einem Stuhl und gurrte, als ihre Hand seine Flanke streichelte.
Die junge Frau zog sich rasch etwas Trockenes an. Sie wusste, Sorcha erwartete, dass sie die Rinde für den Trank vorbereitete. Moira griff nach den Zweigen und setzte sich an den Tisch. Sie warf einen Blick auf ihre Lehrmeisterin. Die Frau zerdrückte eine Substanz mit ihrem Stößel. Moira konnte nicht erkennen, was es war.
Konzentriert schabte Moira die Weidenrinde von den Stöcken und legte sie in ein mittelgroßes Gefäß, um sie zu trocknen. Sie stellte die Schale nahe an das Feuer. Später zerstieß sie die Rinde mit einem Stößel, bereitete daraus einen Sud und stellte ihn zu den anderen Kräutern, die für den Trank der Bauersfrau bereitstanden.
Kiaran ließ sie in all der Zeit nicht los. Ihre Gedanken umkreisten ihn wie der Bussard seine Beute.
Komm endlich ins Bett!, schimpfte Sorcha aus ihrer abgetrennten Schlafkammer. Moira schreckte auf.
Sie fügte sich, zog sich ihr zerschlissenes Nachtgewand an und legte sich ins Bett.
Wie war Kiaran so schnell ans Ufer des Flusses gelangt? Und wieso waren noch nicht einmal seine Hosenbeine nass gewesen, nachdem er sie gerettet hatte?
Sie fand keine Antworten auf ihre Fragen und schloss die Augen. Mit der Erinnerung an seine dunklen Sternenaugen schlief sie ein.
Moira erwachte und richtete sich mit einem Seufzen auf. Das Morgenlicht war trübe. Sie schaute aus dem Fenster. Nebel lag wie ein Schleier über allem.
Als sie in die Wohnstube kam, arbeitete Sorcha bereits an der Arznei und warf Moira einen bösen Blick zu. Du bist heute spät auf, Mädchen!
Entschuldigung, murrte Moira und nahm sich ein Stück Brot, das sie mit Honig bestrich.
Beeil dich und zieh dir was an. Du kannst den Trank zu Elizabeth Brodie bringen. Er ist gleich fertig.
Moira tat wie ihr geheißen und hüllte sich wenig später in ihren Umhang. Mit dem Medizinfläschchen in der Hand verließ sie das Haus. Feiner Regen fiel auf die Wiesen und Felder. Moira stülpte sich die Kapuze über und lief hinunter zum Dorf. Sie brauchte nicht in die Ortschaft hineinzugehen, denn die Brodies besaßen einen Bauernhof am Rande der Siedlung.
Als sie das Gatter öffnete und das Grundstück betrat, wurde sie von dem Hofhund mit freudigem Bellen empfangen. Sie strich über sein nasses Fell und gurrte ihm leise Begrüßungsworte zu. Moira ging zum Eingang und schüttelte ihren Umhang aus. Wassertropfen flogen umher, gerade als Collum Brodie die Tür öffnete.
Entschuldigung!, sagte Moira erschrocken.
Der Bauer blickte sie mürrisch an. Was willst du?
Deine Frau hat eine Medizin bei uns in Auftrag gegeben.
Der Mann runzelte die Stirn. Liz?! Hast du
?
Elizabeth Brodie drängte sich an Collum vorbei und winkte Moira hinein. Collum verdrehte die Augen, verließ das Haus und verschwand in einem der Ställe.
Moira war wie jedes Mal verwundert, dass eine solch zartgliedrige Person wie Elizabeth die schwere Hofarbeit machen konnte. Das Gesicht der Hausherrin war blass, wie bei den Frauen der feinen Gesellschaft und ihre Augen schimmerten wie Bernsteinkristalle.
Moira stand verunsichert da, denn Mistress Brodie hatte die Arznei an sich genommen und war in einem der Räume verschwunden. Sie rührte sich nicht, wollte keinen Argwohn erwecken. Durch den Ruf ihrer Mutter hatte sie einen schweren Stand unter den Bauern.
Wie lange war es her, dass man ihre Mutter als Hexe verurteilt, dass man sie dem Tod überantwortet hatte? Waren es wirklich schon neun Jahre? Moira kam es vor, als würde sie ihre Schreie immer noch hören.
Elizabeth Brodie kam zurück, drückte Moira ein paar Münzen in die Hand und schickte sie mit einer knappen Handbewegung fort. Sie knickste, wie Sorcha es ihr beigebracht hatte, und verließ das Anwesen.
Draußen, fern von allen Häusern, hielt Moira ihr Gesicht dem Himmel entgegen, Regen benetzte sie.
Du magst den Regen?
Moira wandte sich um. Kiaran lehnte am Stamm einer Buche und betrachtete sie.
Die Feuchtigkeit schien ihn nicht berühren zu können, nicht einmal der Wind bewegte sein Haar. Wie ein Geist verharrte er unter den Zweigen des Baumes.
Ich
es kommt darauf an, wie meine Stimmung ist. Sie lächelte zaghaft, kam aber nicht näher.
Fürchtest du mich?
Sollte ich das denn?
Kiaran lachte leise. Ja, vielleicht.
Moiras Herz begann so rasch und laut zu schlagen, dass sie jedes Pochen in ihrer Brust deutlich spürte.
War er vom Volk der
?
Sie wagte nicht, weiter darüber nachzudenken. Doch er schien ihre Gedanken zu kennen.
Ich bin vom Volk der Feen. Deine Überlegungen sind richtig.
Moira wich zurück. Warum bist du gekommen?, wisperte sie.
Deine Augen
, antwortete Kiaran leise. Ich konnte sie nicht vergessen. Deine Iris leuchtet wie das Grün der Highlands.
Bedächtig näherte er sich ihr und strich ihr über die Wange. In seiner Berührung lag ein Zauber. Moira erschauerte und versank in seinem Blick.
Er ist so wunderschön
Komm mit mir, Moira.
Wohin?
Kiaran lächelte. Zu den Hügeln, in die Wälder, in den Wind. Dort, wo die Felsen den See erreichen und klares Wasser golden in der Sonne glänzt.
Moira ergriff wie im Traum seine Hand. Kiaran führte sie zum Steinkreis; der weiße Bussard war nicht zu sehen.
Es regnete nicht mehr und die Sonne kämpfte sich durch die Wolken. Der Doane Shí war von Nebel umhüllt. Vereinzelte Strahlen schienen die Felsen zu streicheln und konnten den Dunst trotzdem nicht durchdringen.
Ihr war schwindelig, als sie mit Kiaran in den Kreis trat.
Schließ deine Augen.
Moira gehorchte und spürte, wie Kiaran sie weiter geleitete. Ihre Füße schritten erst über rauen Untergrund, der mit Steinen durchsetzt war. Dann kitzelten Gräser über ihre Fesseln. Die Temperatur der Umgebung wurde wärmer, ein beruhigendes Plätschern drang an ihre Ohren.
Wo sind wir?, fragte Moira aufgeregt.
Sieh selbst.
Moira öffnete die Augen und vergaß für einen Moment zu das Atmen.
Der Steinkreis thronte unversehrt auf ebenem Boden neben einem See, dessen sanfte Wellen bis an die Felsen kamen. Weiden umsäumten das Gewässer. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel und tauchte das Gewässer in Gold. Das Gras unter ihren Füßen glitzerte vom Tau.
Verblüfft sah Moira sich um. War sie im Land der Feen? Oder träumte sie?
Kiaran reagierte dieses Mal nicht auf ihre Gedanken, sondern beugte sich zu ihr und legte einen Finger unter ihr Kinn. Sanft hob er ihr Gesicht an.
Du gehörst hierher, flüsterte er.
Seine Lippen legten sich auf ihre. Moira wusste in diesem Moment, dass ihr Leben nie mehr so sein würde wie zuvor. Kiaran roch nach Wald und Wiesen. Er schmeckte wie süßes Obst. Moiras Sinne reagierten mit Macht auf seine Berührung und sie schlang die Arme um seinen Hals.
Ich bin verloren.
Moira schreckte auf, als Regentropfen auf ihren nackten Körper prasselten.
Kiaran war fort genauso wie das Reich der Feen. Sie lag inmitten des Steinkreises auf dem Doane Shí, ihr nasses Kleid neben sich.
Er hat mich zurückgelassen!
Oder war sie einem dummen Traum erlegen?
Einmal möchte ich dich spüren, hatte Kiaran gewispert.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie konnte nicht sagen, ob ihre Begegnung Wirklichkeit gewesen war oder nicht. Moira schreckte auf, als Sorchas Stimme durch den Wald hallte. Man suchte sie bereits! Rasch streifte sie ihr Kleid über und trat aus dem Steinkreis.
Sorcha kam zwischen den Tannen hervor und stockte. Mit ungläubigem Gesichtsausdruck starrte sie Moira an.
Was tust du hier?! Du bist seit Stunden fort!
Ich
es tut mir leid, Sorcha.
Die Frau näherte sich und schlug Moira hart auf die Wange. Du dummes Ding! Bist nicht anders als deine Mutter!
Sie packte die junge Frau am Arm und zog sie von den Felsen fort. Habe ich dir nicht unzählige Male gesagt, du sollst dich von dem Doane Shí fernhalten?
Moira stolperte stumm hinter Sorcha her.
In der Nacht fand sie keinen Schlaf. Sie konnte Kiarans Berührungen, seine Küsse, seinen Duft nicht vergessen. Wie konnte ein Traum so lebendig sein? War das möglich?
Moira wälzte sich zum Fenster und betrachtete den Mond, der wie ein Silbertaler am Himmel stand. Der klagende Ruf des weißen Bussards hallte bis in ihr Zimmer. Was tat der Vogel in dieser Finsternis? Oder stimmte die Legende, die man sich über ihn erzählte und er war gar kein richtiger Bussard? Sollte vielleicht sogar Kiaran
?
Moira verwarf den Gedanken.
Die Zeit verging und obwohl Moira oft in den Wäldern und auch am Doane Shí war, kam Kiaran nicht. Nur der Bussard zog am Himmel seine Kreise.
Als einige Wochen ins Land gegangen waren und die Bauern die Ernte einholten, stellte Moira fest, dass sie schwanger war. Also war es kein Traum gewesen!
Tagelang schwieg sie, verheimlichte Sorcha, dass sie ein Kind erwartete, doch das kleine Feenwesen in ihr wuchs schnell und Sorcha war nicht dumm.
Wer ist es?!, stellte Sorcha sie an einem Vollmondabend zur Rede.
Ich kann es dir nicht sagen, erwiderte Moira leise.
Also wird er dich nicht zur Frau nehmen, murmelte sie ärgerlich. Dann sag mir, wenigstens wann es geschehen ist.
Es ist zwei Monde her.
Sorcha brauchte einen Augenblick, um zu begreifen. Der Tag, an dem du verschwunden warst, wo ich dich am Steinkreis fand? Oh Gott, Moira! Hast du dich einem vom Feenvolk hingegeben?
Sie schwieg und Sorcha fluchte.
Hat dich der Tod deiner Mutter auf dem Scheiterhaufen nichts gelehrt?!, schrie sie erbost.
Sorcha ließ sie stehen und ging zu ihrem Arzneischränkchen. Sie griff nach einer Phiole und legte sie in Moiras Hände. Töte es! Bevor es zu spät ist.
Moira ging wie betäubt in ihre Schlafkammer. Sorchas Worte hallten in ihren Gedanken wider. Töte es!
Sie sah in den alten Spiegel. Das dunkle Haar fiel ihr wirr über die Schultern. Ihr Gesicht sah viel zu blass aus, sie wirkte schmal, ihr Unterbauch war dagegen deutlich gerundet, was sie sorgsam vor Sorcha versteckt hatte.
Moira betrachtete das unheilvolle Gebräu in ihrer Hand.
Es war bereits viel zu spät. Moira spürte das Kind schon in ihrem Leib. Feenkinder schienen viel schneller heranzureifen.
Sie schüttelte den Kopf und zerdrückte das Glas der kleinen Flasche, sodass es zersplitterte und in ihre Haut schnitt. Blut quoll zwischen ihren Fingern hervor.
Nein, hauchte sie. Ich werde dich nicht töten. Es war wie ein Schwur.
*
Moiras Kind wuchs heran. Sie war jetzt im fünften Monat ihrer Schwangerschaft und ihr Bauch war gerundet, wie der einer Frau kurz vor der Geburt. Das Kind würde bald kommen. Moira spürte es.
Kiaran blieb verschwunden. Nur das Baby schenkte ihr Gewissheit, dass er existierte. Sie hatte ihn gerufen, war am Steinkreis und in den Wäldern gewesen, aber das Feenvolk verbarg sich. Moira fand sich damit ab, das Kind alleine großzuziehen, denn auch Sorcha wandte sich immer mehr von ihr ab.
Traurig bearbeitete sie den Saum einer Tischdecke und verzierte ihn mit filigranen Mustern, als Sorcha ins Haus gestürmt kam. Gehetzt schaute sie sich um. Ihr Blick blieb auf Moira haften. Verschwinde von hier!, zischte die alte Frau. Sie kommen, um dich zu holen, denn sie haben herausgefunden, wessen Kind du trägst!
Die Stickerei fiel Moira aus den Händen. Für einen Augenblick sah sie ihre Mutter inmitten von Flammen stehen.
Finn, ihr Kater, schreckte aus dem Schlaf und maunzte.
Nimm das Hexenvieh und geh! Rasch!
Moira griff nach ihrer Katze und stürzte aus dem Haus, rannte in den Tannenwald und warf nicht einen Blick zurück. Stimmen wurden laut, sie waren viel zu nah.
Gott, schütze Sorcha!, flehte sie.
Sie hoffte, dass die alte Frau bei den Menschen zu hoch geachtet wurde, als dass man ihr etwas antun würde.
Finn fest im Griff, lief sie durch das Unterholz, so schnell es ihr schwangerer Zustand zuließ. Der Lärm ihrer Verfolger spornte sie an, und ließ sie den aufkeimenden Schmerz in ihrem Rücken vergessen.
Sie stockte. Einige Geräusche kamen vorn aus dem Wald. Ihr blieb fast das Herz stehen, als zwei Männer in einiger Entfernung aus dem Gehölz traten. Instinktiv duckte sie sich hinter ein Gebüsch. Ein stechender Schmerz zog sich durch ihren Leib.
Finn befreite sich aus ihrem Griff, blieb aber an ihrer Seite. Seine Muskeln waren angespannt, als würde er auf eine Beute lauern.
Die Männer gingen an ihr vorbei.
Moira zwang sich, noch ein wenig abzuwarten. Zum Steinkreis, flüsterte sie, richtete sich mühsam auf und rannte fort von den Stimmen ihrer Häscher.
Wenig später betrat sie eine Lichtung und der Doane Shí tauchte vor ihr auf. Moira hatte ihre Verfolger abgeschüttelt. Nur wenige wagten sich hierher. Beißender Wind schlug ihr entgegen, als wolle man sie von diesem Ort fernhalten.
Seid mir gnädig, wisperte sie. Ich trage das Kind eines der Euren.
Moira sah sich um. Finn?
Der Kater schnellte aus einem Strauch. Sein schwarzes Fell war gesträubt. Moira beugte sich zu ihm hinunter und streichelte ihm beruhigend über den Kopf. Finn schmiegte sich an sie.
Sie trat an einen der aufgerichteten Felsen heran und berührte ihn mit der Hand. Das Gestein war warm. Der Ruf des Bussards durchbrach die Stille. Das Tier flog hoch oben über den Baumkronen.
Kiaran? Wenn du mich hörst, bitte hilf mir!
Alles blieb still.
Finn fauchte und gab einen seltsamen Ton von sich, den Moira noch nie an ihm gehört hatte. Ein Laut zwischen Angst und Erregung.
Die Bauern kamen.
Panik stieg wie ein alles verbrennendes Feuer in Moira auf. Sie wollte flüchten, als der Schmerz sie niederrang. Sie keuchte auf und stützte sich auf einen der Steine, verzog das Gesicht vor Pein. Moira spürte deutlich, wie das Kind in ihr tiefer rutschte und von der Wehe gegen ihr Becken gedrängt wurde.
Oh nein! Nicht jetzt.
Die Geräusche ihrer Verfolger kamen näher. Moira trat in den Kreis, den die hohen Steine bildeten, lehnte sich gegen einen der größeren Felsen und gab keinen Laut von sich. Finn folgte ihr und setzte sich wachsam neben sie. Erneut überkam sie eine Wehe. Sie biss sich auf die Unterlippe bis Blut kam, um jegliches Geräusch zu ersticken.
Eine helle Gestalt erschien am anderen Ende des Steinkreises.
Kiaran?
Nebelschleier wallten zwischen den Felsen auf und eine Frau trat auf sie zu.
Zuerst beachtete sie Moira nicht, sondern schaute auf die Bauern, die sich näherten. Dann wandte sie sich ihr zu.
Ihr Haar schillerte wie ein Kristall, ihre Augen erschienen Moira schwarz. Der Wind zerrte an ihrem Gewand, ihr kam es vor, als sei es aus dem Nachthimmel gewebt.
Hilf mir, bat Moira unter Schmerzen. Ich trage das Kind eines der Euren in mir. Es
es will
, Moira stockte und krümmte sich vor Schmerz,
hinaus!
Das sehe ich, erwiderte die Feenfrau. Wer ist der Vater?
Kiaran.
Die Frau blinzelte, sonst zeigte sie keine Reaktion.
Bitte, hilf mir! flehte Moira. Sie wollen mich deshalb töten!
Niemand wird dich töten, solange ich hier bin.
Moira schrie unterdrückt auf, als der Schmerz sie schier zu zerreißen drohte. Im Augenwinkel sah sie, wie die Nebel dichter wurden, die Menschen wagten nicht, näher zu kommen. Ihre Stimmen verstummten. Der Bussard schrie warnend.
Die Frau beugte sich zu ihr und legte eine kühle Hand auf ihre Stirn. Dunkelheit umwölkte Moiras Geist. Bilder und Erinnerungen strömten durch ihre Gedanken. Ihr Innerstes ging zurück zu dem Tag, an dem sie Kiaran getroffen hatte.
Die Fee nahm ihre Hand fort und der Schmerz der Wehen traf Moira erneut mit aller Macht. Sie konnte der Natur nur gehorchen und das Kind auf die Welt bringen.
Als Moira wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, stand die Frau vor ihr und betrachtete das Baby.
Gib es mir, schluchzte Moira.
Die Fee erhob sich mit dem Kind. Du selbst hast gesagt, es ist von einem der Unseren. Damit wandte sie sich ab und verschwand mit Moiras Kind im nebligen Dunst des Steinkreises.
Nein! Moira schluchzte. Nimm mich mit!
In ihrem Kopf ertönte die Stimme der Feenfrau: Es ist nicht meine Aufgabe, dir zu helfen.
Moira richtete sich mühsam auf und kroch der Frau hinterher. Der Dunst lichtete sich und die Schreie der Bauern waren erneut zu hören.
Da ist sie! Da! Zwischen den Steinen!, hörte sie einen Mann rufen.
Moira ließ sich zu Boden fallen und gab auf. Tränen fielen auf den kargen Erdboden.
Aber mein Kind wird leben
Sie hörte, wie ihr Kater miaute.
Flieh, Finn!, rief sie ihm zu. Sie werden dich töten!
Grobe Arme packten sie und zerrten sie unsanft nach oben. Sie ließ es geschehen.
Ein Schrei hallte über den Doane Shí. Der Bussard stieß aus dem Himmel herab, attackierte den Mann, der sie fortzerren wollte. Moira hörte Finn fauchen. Das Sirren einer Bogensehne ließ sie zusammenzucken. Ihr Angreifer stöhnte auf, sie wurde fallen gelassen und schlug hart auf der Erde auf. Moira wimmerte leise.
Rührt sie an, und ihr werdet alle sterben!, ertönte eine vertraute Stimme neben ihr.
Kiaran!
Die Bauern zogen sich zurück. Ihren verwundeten Kameraden schleiften sie mit sich.
Moira richtete sich mühsam auf und blickte in das entschlossene Gesicht Kiarans. Dieser schnallte sich den Bogen aus hellem Holz auf den Rücken und beugte sich zu ihr.
Warum bist du nicht mehr in die Wälder gekommen?, fragte sie weinend.
Verzeih mir. Wichtige Angelegenheiten hielten mich fern und die Zeit hat bei uns keine Bedeutung. Auch wusste ich nicht, dass ich ein Kind gezeugt habe.
Wo ist es, Kiaran?
Meine Schwester hat es in Sicherheit gebracht.
Erleichtert ließ sie sich von ihm aufhelfen. Der weiße Raubvogel näherte sich. Moira fühlte eine sonderbare Verbindung zu dem Tier.
Wer ist der Bussard?
Er ist dein Vater, Moira. Er hat es sich nie verziehen, dass man deine Mutter, seine Geliebte, getötet hat, und versucht so, seine Schuld an ihr zu begleichen.
Moira begriff seine Worte nicht. Verwirrt starrte sie den weißen Vogel an.
Du wirst niemals in deine Welt zurückkehren können, warnte Kiaran.
Dies ist nicht meine Welt, sagte Moira.
Kiaran nickte und hob sie auf seine Arme.
Finn war nicht von ihrer Seite gewichen. Mit einem leisen Mauzen schien er ihr sagen zu wollen, dass er sie nicht verlassen würde.
Kiaran lächelte und sah auf den Kater hinunter. Du hast einen mutigen Beschützer.
Ich glaube, er wäre mit mir in den Tod gegangen. Bitte erlaube, dass er mich begleiten darf.
Tiere sind in meiner Heimat stets willkommen, Moira, antwortete Kiaran. Sie können kommen und gehen, wie es ihnen beliebt
Finn lief voraus, als würde er genau wissen, wie man zu den Feen gelangte. Sie schmiegte sich an Kiarans Schulter. Die Nebel wurden dichter, alle Geräusche verebbten und Kiarans Duft umwehte sie. Das leise Plätschern der Wellen drang zu ihr durch und erste Sonnenstrahlen durchbrachen den Dunst.
Ich gehe nach Hause, dachte Moira.
08. Okt. 2014 - Tanja Bern
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