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Drachenflug von Tanja Bern
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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TEXTLUSTVERLAG
A. Bionda
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Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Story zu dem Band DIE DRACHENBURG, Band 10 der "Kaffeepausengeschichten"
Ungeduldig warte ich, dass die Ampel endlich auf Grün springt. Ich will nicht schon wieder so spät kommen. Einmal genug Zeit haben, um in meinem Lieblingsbuchladen zu stöbern, das wünsche ich mir. Obwohl mich mein spontaner Instinkt letztens definitiv richtig geführt hat.
Ich denke an den schmucken Vampir und weiß wirklich nicht, ob ich wohlig erschauern oder mich fürchten soll. Nun, er hat mich nicht gebissen und die Lesetipps, die ich nach seinem Besuch sehr perfektionistisch befolgt hatte, konnten mich das Buch dann in Ruhe auslesen lassen.
Und doch spukt mir eine Frage im Kopf herum. Wenn man die Lesetipps ignoriert, also in den Kaffeepausengeschichten, kommt dann jedes Mal ein Buchcharakter zu Besuch, um den Leser daran zu erinnern, diese zu befolgen?
Ich lache vergnügt auf.
Der Buchhändlerin erzähle ich lieber nichts davon, sie erklärt mich noch für verrückt. Oder?
Endlich leuchtet das grüne Licht auf und mein kleines Auto prescht nach vorn, flitzt um die letzte Kurve, als ich ordentlich Gas gebe. Ich habe Glück und kann direkt vor dem Buchladen parken, steige aus dem Wagen und schaue erst einmal nur zufrieden auf das Geschäft. Es ist eine Quelle des Lichts in der dunklen Straße, ein heimeliger Ort, der mir ein bisschen wie zu Hause vorkommt.
Was würde ich mir aussuchen? Höchstwahrscheinlich wieder einer der Kaffeepausengeschichten. Diese Reihe zieht mich auch heute wieder magisch an. Mein Herz beginnt ein wenig zu flattern, wie ein Schmetterling, wenn er auffliegt. Mit einem tiefen Atemzug betrete ich die Buchhandlung, genieße den Duft der Bücher und winke der Verkäuferin zu. Sie schenkt mir ein Lächeln, steckt aber mitten in einer Beratung und kann sich mir nicht widmen. Aber ich weiß ja, wo ich hinwill.
Nehmen Sie sich ruhig einen Kaffee!, ruft sie mir zu.
Na, das würde ich nicht ablehnen. Nach einem Arbeitstag gibt es für mich nichts Schöneres, als das dunkle Gebräu, was mich immer auf besondere Weise tröstet. Tassen stehen bereit und in der Kanne wartet bereits frisch aufgebrühter Kaffee. Ich gieße mir ein, stelle das Gefäß auf den kleinen Tisch und positioniere mich vor dem Buchregal auf, wo man die Kurzgeschichten und Novellen des TextLustVerlages finden kann. Lust
ja, diese kleinen Geschichten machen wirklich Lust auf Texte.
Meine Hand legt sich wie von selbst auf die Buchrücken und ich schließe die Augen, genieße für einen Augenblick diesen magischen Moment, wenn eine Story nach mir greift. Ich streichle über die Einbände, bis ich ein vertrautes Prickeln in den Fingerspitzen fühle. Sofort greife ich nach dem Buch, hole es hervor und sehe mir das Cover an. Ich schaue auf eine Felsenburg, ein Drache scheint sie in Besitz zu nehmen. Fast meine ich sein Brüllen zu hören. In mir erzittert etwas und ich plumpse auf den Sessel, greife nach meinem Kaffee. Der Titel des Buches heißt Die Drachenburg, was angesichts des Titelbildes mehr als passend ist.
Der Anfang der Kurzgeschichte Kupferhaars Drache nimmt mich so gefangen, dass ich mit der Tasse in der Hand verharre und entsetzt miterlebe, wie man das Drachenweibchen einfängt. In meinem Inneren brüllt das arme Tier, Wortfetzen wehen zu mir und ich rieche plötzlich feuchtes Gras. Der Tisch beginnt sachte zu wackeln und Wind erfasst mich. Überrascht schaue ich auf. Die Tür ist geschlossen, keiner der anderen Besucher scheint etwas zu bemerken. Vielleicht ist es besser, wenn ich das Buch zu Hause lese, nachdem ich alle Lesetipps befolgt habe. Ein Drache würde diesen wunderbaren Laden zerstören, also lassen wir ihn zunächst lieber zwischen den Buchdeckeln.
Aufgeregt kaufe ich meinen neuen Schatz und kann es kaum erwarten weiterzulesen. Zu Hause brühe ich mir zuerst Kaffee auf. Aber bevor ich in andere Welten eintauche, lese ich gewissenhaft, was ich für diese Story benötige.
Lesen soll man es möglichst in der Nähe einer Burg, in der Küche, im Keller oder in einem wild wuchernden Garten. Ich entscheide mich für die Küche, da mein Keller ein kleines Chaos beherbergt und ich gerade keine Burg zur Hand habe. Außerdem lockt mich der Duft meines Kaffees.
Ich brauche eine Babymilchflasche, ein altes Schlüsselbund, einen Korb mit Beeren und eine
ach du liebe Güte! Eine Fackel? Da müsste ich improvisieren. Eine Babyflasche habe ich tatsächlich, auch wenn es eine für Kleintiere ist. Meine Katze war noch viel zu jung, als ich sie gefunden hatte, und musste damals noch Kitten-Nahrung trinken. Ich krame die kleine Flasche mit dem zerbissenen Nuckel hervor und stelle sie neben meinen Kaffee. Das verrostete Schlüsselbund von der Garagenkiste erscheint mir geeignet und anstatt Beerenkorb lege ich kurzerhand meine Waldbeerenmarmelade in den Brötchenkorb. Aber eine Fackel? Ich zünde eine Kerze an und hoffe, dies reicht aus.
Der Kaffee, den ich bei diesen Geschichten wohl immer benötige, wartet bereits auf mich, aber laut Buch brauche ich einen Teller Kartoffel-Gemüse-Eintopf. Ich kratze mich ratlos am Kopf, zerwühle mein Haar, und zucke dann mit den Schultern, als ich eine Konservendose mit Kartoffelsuppe aus dem Schrank hole.
Es kann losgehen. Ich lehne mich in meinen Küchenstuhl zurück, nippe an dem Kaffee und verschlinge die Geschichte. Eine Stelle fasziniert mich besonders.
Der Anblick des Mannes, den sie dann hinter den Gittern sehen konnte, raubte ihr den Atem. Er war in ein leuchtendes Gewand gehüllt, was an einigen Stellen durchlässig und schmutzig war. Sein weißes Haar floss wie Seide um seine Schultern, obwohl sie sah, dass es leicht verknotet war. Die Augen schimmerten wie aus Moos und sein Gesicht war makellos schön, bis auf eine Narbe, die sich quer über seine rechte Wange zog.
Oh, ich liebe diesen geheimnisvollen Typ schon jetzt! Fast fühle ich sein weißes Haar in meinen Händen und träume einen Moment von Mahyr de Leef. Ich versinke noch mehr in der Geschichte.
Oh Gott, sie fliegen fort!, denke ich voller Sehnsucht und bereue es plötzlich, dass Mahyr nicht hier sein kann, hier bei mir. Mit einem Lächeln beende ich die Story und klappe das Buch zu, die anderen Geschichten hebe ich mir für morgen auf.
Ich lausche in die Stille, puste die Kerze aus und räume alle Leseutensilien vom Tisch, trinke meinen Kaffee aus. Verträumt gehe ich auf den Balkon, das Buch fest in der Hand.
Es ist später Abend, die Sterne sieht man trotz der Straßenlaternen sehr gut aufblitzen und ich flüstere ein paar Sätze aus dem Buch: Nimm mich mit zu deinem Volk! Ich denke immer noch an Mahyr und den Drachen
Seufzend wende ich mich ab, als ein Brüllen durch die Nacht hallt. Verblüfft drehe ich mich wieder herum, sehe einen großen Schatten, höre den Schlag von Flügeln. Mir bleibt der Mund offen stehen, als sich mein Traum erfüllt und der Prinz des Eichenvolkes vor meinem Balkon zum Stehen kommt, indem sich sein Drache an das Geländer klammert. Das Gestänge zittert sachte. Das Lächeln des Prinzen dringt mir ins Herz und ich bin für den Moment rettungslos verliebt.
Möchtest du einen kleinen Flug?, fragt er mit verführerischer Stimme.
Oh ja! Es mag leichtsinnig sein, aber das ist mir egal. Ich verstaue das Buch in meiner Bluse, nehme seine dargebotene Hand entgegen und lasse mich auf dieses wunderschöne Tier ziehen. Ich spüre die Drachenschuppen, sehe das Glänzen in Mahyrs Augen. Als sich der Drache in die Lüfte erhebt, schreie ich verzückt auf.
Heute Nacht würde ich Mahyrs Kupferhaar sein.
Lesen Sie mehr in DIE DRACHENBURG.
06. Feb. 2015 - Tanja Bern
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