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Tiefentanz
von Sophie Oliver

Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:

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A. Bionda
46 Beiträge / 49 Interviews / 102 Kurzgeschichten / 2 Artikel / 136 Galerie-Bilder vorhanden
Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
»Wer kann schon sagen, was dort unten haust? Im Wasser, in den Gräben der Ozeane, welche kilometerweit die Erdkruste einreißen, so tief, dass nicht einmal der neugierige Mensch es geschafft hat, sie zu erkunden. Dunkel ist es dort, rabenschwarz finster und kalt. Die Tiefsee soll nur dünn besiedelt sein, von Riesenkalmaren, Fischen und Würmern. Aber wer weiß schon, ob das stimmt? Platz genug haben sie jedenfalls, die Bewohner der Abgründe.
Was wäre, wenn es unten auf dem Meeresboden, nur eine Etage über der Unterwelt, doch nicht so einsam wäre, wie man meint? Wenn dort Wesen lebten, von denen wir nichts wissen? Meerfrauen mit marmorweißer Haut? Sie hätten schwimmflossenähnliche Ohren, um den Schall aufzufangen. Und ihr Körper wäre überzogen von einem Netz aus Sinneszellen, wie perlenhelle Seetang-Tattoos. Damit könnten sie jede Bewegung im Wasser fühlen, wäre sie auch noch so sanft. Auf ihrem haarlosen Kopf befände sich ein Knochenwulst, ein Teil ihres Gehirns, der die Eindrücke von Ohren und Haut zu Bildern zusammensetzt. Deshalb wären für die Meermenschen auch zwei schwarze Höhlen genug, dort wo unsereins die Augen hat. Wunderschön wären sie. Fremdartig zwar, aber von einer eleganten Anmut, die es außerhalb des Wassers nicht geben kann.«
Hatte Frank sein Hirngespinst tatsächlich ausgesprochen, oder nur gedacht? Anscheinend Ersteres, denn Simons Antwort kam prompt:
»Was redest du für Schwachsinn? Konzentriere dich lieber!«
»Aber irgendjemand muss doch dort unten leben! Und ich meine keine Fische! Wieso würde man sich seit Jahrtausenden Legenden erzählen, wenn nicht ein Körnchen Wahrheit in ihnen steckte? Nixen, Sirenen – du weißt schon ...«
»Lauter Wassergeister, die einen ins Verderben reißen wollen? Nein, danke! Falls es so etwas gibt, will ich es gar nicht wissen. Aber du solltest dich jetzt wirklich konzentrieren, Frank. Reiß dich zusammen!«
Den letzten Satz hatte er ihm so laut zugerufen, dass er in Franks Kopf widerhallte. Seltsam, eigentlich, denn er hatte Simon schon lange aus den Augen verloren. Er war unter ihm abgetaucht und im unendlichen Meeresblau verschwunden.
Sie hatten aufsteigen wollen. Der Sauerstoff in ihren Flaschen ging zu Ende und sie mussten noch einen Dekompressionsstopp einlegen. Eigentlich hätten sie überhaupt nicht so tief tauchen sollen, aber sie waren erfahren und hatten alles unter Kontrolle. Hatten sie geglaubt. Um sie herum gab es nichts, als die Unendlichkeit. Deren Farbe war Kobalt. Frank konnte nicht mehr sagen, aus welcher Richtung die Sonnenstrahlen kamen, die das dunkle Blau zerschnitten und für vereinzelte Streifen von Azur sorgten. Wo war oben, wo unten?
Er blickte auf den Tauchcomputer an seinem Handgelenk. Verwundert stellte er fest, die Tiefenangabe nicht ablesen zu können. Obwohl er alles um sich herum glasklar wahrnahm, erschien ihm die Anzeige des Messgerätes verschwommen. Das Finimeter musste er gar nicht erst erneut kontrollieren. Bereits vor einiger Zeit war die Nadel in den roten Bereich abgerutscht. Die Sauerstoffflasche würde bald leer sein.
Es war erstaunlich. Eigentlich hatte er erwartet, in einer derartigen Situation in Panik zu verfallen. Schon immer war es Franks schlimmster Alptraum gewesen, zu ertrinken. Deshalb hatte er ursprünglich mit dem Tauchen begonnen, als Therapie für seine Angst – die nun verschwunden war! Frank fühlte sich unbeschwert, glücklich ein Teil der endlosen blauen Welt sein zu dürfen. Um Simon machte er sich keine Sorgen, den würde er sicher irgendwo wiederfinden.
Müsste er nicht längst das Bewusstsein verloren haben? Vielleicht war er schon ohnmächtig und nur sein Gehirn arbeitete noch?
Von irgendwoher hörte Frank Töne, die durchs Wasser schwebten, fast wie Musik. Sie umfingen ihn von allen Seiten. Längst hatte er die Orientierung verloren. Egal. Eigentlich wollte er gar nicht mehr zurück an die Oberfläche. Er würde die Meerfrauen suchen! Trotz des Atemreglers, der seinen Mund ausfüllte, schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Durch das Anheben der Wangen verschob sich die Tauchermaske. Wasser drang unter die Gläser, erst nur ein wenig, dann ziemlich viel, bis sie schließlich vollgelaufen war. Aber er brauchte sie ohnehin nicht mehr. Die Meerfrau, seine perfekte Schöne, hatte nicht einmal Augen! Deshalb machte es ihm nichts aus, dass das Salzwasser in den seinen ein wenig brannte und ihm in die Nase lief. Mit einem tiefen Seufzer in sein Mundstück hinein streifte er die Brille vom Kopf und ließ sie los. Eine Weile schwebte sie neben ihm, dann driftete sie weg.
Noch niemals in seinem Leben hatte er sich so gut gefühlt! Der Sauerstoff ging nun merklich zu Ende. Es würde nicht mehr lange dauern. Mit einem leichten Flossenschlag trieb sich Frank vorwärts, nach unten, hoffentlich, näher zu den Wasserweibern, Simon hinterher.
Und dann kam sie! Unter ihm blitzte das helle Schillern ihrer Haut auf. Zwei schlanke Arme griffen nach ihm, weiße Hände legten sich in die seinen und zogen ihn mit sich. Er blickte in die schwarzen Abgründe ihrer Augenhöhlen und lächelte sie an. Die Musik kam von ihr, aus ihrem Mund. Sie sang für ihn, während sie mit ihm in die Tiefe tanzte, hinab in ihr Reich. Bis auf den Meeresboden würden sie schweben.
Irgendwann im Strudel seiner euphorischen Gedanken hatte Frank das Bewusstsein verloren. Ebenso wie Simon vor ihm. Sie waren leichtsinnig gewesen und dumm. Zu tief getaucht, dem Tiefenrausch verfallen und dann hatten sie die Richtung verwechselt. Anstatt aufzusteigen, waren sie abgesunken, immer weiter. Ihr Leben war zu Ende. Während das Sterben für Frank einem Sinnesrausch gleichkam, den er in vollen Zügen genoss, sah die Sache für Simon anders aus. Der verfiel in Panik.
Eine Zeit lang hatte er noch versucht, mit Frank zu kommunizieren, doch der hatte ihn nicht mehr wahrgenommen. Dann, als die Luft knapp wurde, hatte er in Todesangst alles von sich gerissen, die Taucherbrille, die Sauerstoffflasche, seinen Bleigurt. Immer in der Hoffnung, schnell aufsteigen zu können. Ein paar Meter war er nach oben geschossen. Dann platzte mit einem stechenden Knall das Trommelfell in seinen Ohren. Er musste atmen! Doch nur Salzwasser drang in seine Lungen. Es brannte wie Feuer. Simon hatte das Gefühl, sein Kopf würde bersten. Hatte er sich auf die Zunge gebissen? Woher kam der Geschmack nach Eisen in seinem Mund? Er würgte unter Schmerzen und zuckte wie ein Fisch im Netz, bis er endlich von der Ohnmacht erlöst wurde.
Deshalb sah er sie auch nicht mehr, die Meeresfrau, wie sie aus dem Kobaltblau unter ihm erschien und nach seinem Bein griff. Ihre schwarzen Lippen lächelten ihn an, wunderschön und kalt wie Eis. Auf ihrem Gesicht befanden sich filigrane Zeichnungen von Adern und Gefäßen, die wie Wasserpflanzen aussahen und ihren Hals hinunterliefen. Ihr ganzer Körper war bedeckt davon. Auch sie sang. Aber nicht, wie Frank in seiner Glückseligkeit gedacht hatte, für ihn, sondern für ihre Schwestern, die sogleich herbeikamen, um ihr zu helfen.
Sie waren weit weg von Zuhause. Der Hunger hatte sie nach oben getrieben. Fort aus dem schützenden Schwarz der Tiefsee. Heute hatten sie Glück. Gleich zwei große Exemplare hatten sie gefunden. Viel Fleisch für die ihren. Es würde eine Weile dauern, die Beute heimzubringen. Auf dem Weg dorthin würde man sie gegen Raubfische verteidigen müssen. Nahrung war kostbar. Aber wenn sie damit im stillen dunklen Abgrund ihrer Heimat angekommen waren, würde es ein Festmahl geben. Auf dem Dach der Unterwelt.

05. Mar. 2015 - Sophie Oliver

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