|
Grints Schokoladenherz von Sabine Frambach
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
|
TEXTLUSTVERLAG
A. Bionda
5 Beiträge / 61 Interviews / 20 Kurzgeschichten / 16 Galerie-Bilder vorhanden |
|
SKY Prologstory zu der Geschichte (den darin enthaltenen Leseempfehlungen) SUKKUBUS von Bettina Ferbus aus KÜSSE AUS DEM ZWISCHENREICH, Band 2 der Reihe "Kaffeepausengeschichten".
Feierabend!
Rasch zerrte Grint die Schleife auf und warf die fleckige Schürze in die Ecke. Den ganzen Tag hatte er Kartoffeln geschält, Erbsen gepult und Rüben geschnitten. Seine Finger schmerzten, alle drei an beiden Händen! Diese Arbeit als Hilfskoch hatte er sich wirklich anders vorgestellt.
Heute freute er sich besonders auf die freie Zeit. Der Magister hatte ihm ein Buch geliehen, ein dünnes Buch, aber Grint konnte auch nicht so schnell lesen. Es sah hübsch aus, und der Magister hatte sehr geheimnisvoll getan. Lies es, Grint, hatte er gesagt. Dieses Büchlein ist voller Zauber. Halte dich an die Ratschläge, und du wirst tief in eine fremde Welt eintauchen.
Aufgeregt hüpfte Grints Gnomenherz; bis zum Sonnenschwund sollte er eine Geschichte schaffen! Er nahm das Büchlein, strich darüber und schlug die erste Geschichte auf.
Wo zu lesen?
In der Küche oder auf dem Fußboden sitzend in einem Raum mit wenig Möbeln.
Das war leicht. Grint befand sich immer noch in der Küche. Andererseits war die Küche voll, überall lagen Kartoffelschalen und lose Erbsen, und besonders leise war es auch nicht. Während Grint noch überlegte, schubste ihn Bella zur Seite; die Köchin bereitete ein Festmahl für den morgigen Tag vor und war sehr beschäftigt. Ganz klein machte sich Grint, schlüpfte zur Seite und wich in die Vorratskammer aus. Hier gab es wenig Möbel, genauer gesagt: keine. Stattdessen stapelten sich etliche Dosen, Säcke mit Mehl und Bohnen und der teure Kaffee nebeneinander. Hoch oben an einem gespannten Seil baumelten Würste. Grint blinzelte. Durch die Luke fiel ausreichend Licht, um zu lesen. Schon hockte er sich hin, schlug das Büchlein wieder auf und las weiter.
Wann?
Vor der Zubereitung einer liebevollen Mahlzeit, die mehr als den Hunger stillen soll.
Langsam blickte Grint auf. Eine liebevolle Mahlzeit? Nicht nur den Hunger stillen? Er kratzte sich ausgiebig hinter dem rechten Ohr, seufzte, stand auf und öffnete die Tür zur Küche einen Spalt. Bella rührte und fluchte und knetete einen dicken Teigklumpen.
»Du, Bella?«
Bellas eine Hand hing im Teig, die andere rührte, und mit dem Knie schloss sie die Ofenklappe. »Was ist, Grint?«
»Bella, bereitest du eine liebevolle Mahlzeit zu?«
Bella knetete und rührte weiter. »Sicher. Liebe ist wie Salz; sie gehört in jeden Topf.«
»Du, Bella?«
»Was denn noch, Grint? Ich habe viel zu tun!«
»Wird deine Mahlzeit hinterher mehr als den Hunger stillen?«
Da lachte Bella so laut, dass die Würste in der Kammer tanzten. »Sicher, Grint. Wenn der König von allen Leckereien gekostet hat, wird er nicht nur satt sein, sondern auch glücklich. Und nach der Zimtcreme wird er auch die Königin glücklich machen, verstehst du?«
Grint verstand nicht. Zumindest war er sich nun sicher, das Büchlein zur richtigen Zeit zu lesen. Rasch kroch er zurück in die Kammer und schaute auf die Seite. Das Sonnenlicht schwand bereits.
Was bereitstellen?
Beliebig duftende Kräuter, Salz. Eine Schüssel, ein Handy, ein Stückchen schwarzer Spitzenstoff und ein paar Müllsäcke.
Wie gut, dass Grint in der Vorratskammer war! Rasch suchte er einige Kräuter zusammen und streute grobes Salz auf den Boden. Auch eine Schüssel fand er und stellte sie dazu. Ein Handy war eine Art Telefon; nur der König besaß eines. Stattdessen lief Grint in die Empfangshalle, packte den alten Apparat mit Kurbel und trug ihn in die Kammer. Er hoffte, dass es auch damit funktionieren würde.
Bei den übrigen Dingen wusste er nicht weiter. Langsam öffnete er die Tür zur Küche.
»Du, Bella?«
Bellas Hand steckte tief in einem Hühnchen. Langsam blickte sie auf. »Was ist nun schon wieder, Grint?«
»Ich brauche ein Stückchen schwarzen Spitzenstoff!«
»Grint, ich habe alle Hände voll zu tun.«
Das sah Grint. Leise seufzte er. »Der Magister hat mir ein Buch gegeben, und ich will es richtig lesen, verstehst du?«
Bella schnaufte. »Wenn morgen die gefüllten Hühnchen nicht gefüllt sind, sage ich, dass mein Küchenhelfer Hilfe bei einem Buch brauchte!« So brummte Bella, doch sie zog die Hand aus dem Hühnchen hervor, raffte ihren Rock und zupfte an sich herum. Mit einem kräftigen Ratschen löste sich ein Stück ihrer Stützstrümpfe. »Bitte, Grint. Ein Stück schwarzer Spitze, direkt aus Italien. Und nun fort mit dir!«
Rasch trug Grint den Stoff in die Kammer. Fehlten noch die Müllsäcke! Grint schlich durch den hinteren Ausgang am Spülbecken vorbei zu den verbeulten Tonnen. Dort lagen viele Säcke voller Müll. Kurz blickte Grint nach rechts, auch nach links, öffnete den ersten Sack, leerte den Müll aus und schleppte auf diese Weise zwei Müllsäcke in die Kammer. Nun war es soweit!
Was genießen?
Eine Tasse Kaffee oder Kräutertee mit zart schmelzender Schokolade in Herzform.
Grint lächelte. Flugs sprang er auf, nahm einige der kostbaren Kaffeebohnen und huschte zurück in die Küche. An der Seite stand die Mühle; Grint ließ die Bohnen hineinfallen und kurbelte. Das Pulver kippte er in eine Tasse und goss heißes Wasser darüber. Schon hing ein wundervoller Geruch in seiner Nase! Mit dem Kaffee lief er zurück, durchsuchte die Vorräte und fand die dunkle Schokolade. Er schnupperte an einer Tafel. Köstlich! Vorsichtig brach Grint Stücke ab, bis er ein Herz geformt hatte, ein brüchiges Herz, aber ein Herz aus Schokolade.
Rasch hockte er sich zu dem Buch und schlug die nächste Seite um.
Da verging der letzte Sonnenstrahl. Im Nu tauchte der Himmel die Kammer in Dunkelheit. Grint zitterte. Er hatte alles beisammen und konnte diese Geschichte nicht lesen! Schon füllten sich seine gelben Augen mit salzigem Wasser, und er schluchzte in den schwarzen Spitzenstoff hinein.
»Grint? Bist du das?«
Bella stand in der Tür. Grint erkannte sie am Umriss. Er nickte und schluchzte weiter.
»Was hast du denn? Wie soll ich bei dem Heulen feine Torten backen?«
»Bella, es ist zu spät! Der Sonnenschwund ist da, und ich kann nichts mehr sehen!«
Da ertönte ein herzliches Lachen. Es knisterte, und in der Ferne ging ein Licht auf. Langsam kam Bella in die Kammer und stellte das Licht neben dem Büchlein ab. »Glaube mir, Grint, ich bin nur eine Köchin und weiß nichts von Büchern, aber wenn ich bei Kerzenschein backen kann, kannst du damit auch lesen!«
Schon war sie wieder fort. Grint betrachtete das flackernde Licht. Die Kräuter dufteten, der Kaffee dampfte. Langsam streckte Grint die Arme aus, schlug das Büchlein wieder auf und tauchte hinein in eine andere Welt.
15. Mar. 2015 - Sabine Frambach
[Zurück zur Übersicht]
|
|