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Schwarze Federn von Elisabeth Marienhagen
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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AGENTUR ASHERA
A. Bionda
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Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Melli? Melli, wo bist du? Anna stellte den Holzeimer neben dem Brunnen ab und schaute suchend im Hof umher. Aber der Hund kam nicht angetrabt.
Hastig warf sie den Kübel in die Tiefe, hörte das Gefäß aufplatschen und wartete, bis es gefüllt war. Beim Hochziehen brannte das Seil in ihren Händen. Nur mit Mühe hievte sie den Eimer über den Brunnenrand.
Melli, gleich gibt es etwas zu trinken.
Der Hund antwortete nicht. Kein Bellen, kein Jaulen, kein Winseln, nichts. Der warme Morgen versprach einen heißen Tag, da war es Anna gleich, dass bei jedem Schritt ein bisschen Wasser auf den Rock schwappte. Die Großmutter hatte ein abgetragenes Gewand ihrer Mutter umgenäht und enger gemacht. Jetzt schimpfte sie, weil sie es an den Brüsten wieder auslassen musste.
Dabei wäre Anna nur zu gerne für die nächsten siebzehn Jahre flach geblieben. Ihr missfiel, dass manche Burschen an den Markttagen nicht mehr nur guckten. Auf ihrer Stirn erschien eine steile Falte. Letztes Mal hatte einer sie im Stall ins Heu gedrängt, ihren Mund zugehalten und den Rock hochgezerrt.
Zum Glück kam Melli angeschossen. Ihr Hund knurrte mit zurückgezogenen Lefzen und zeigte sein mächtiges Gebiss, während Anna nach draußen flüchtete, im Laufen ihren Rock glatt strich und am liebsten fass gezischt hätte. Die Erinnerung an den kleinen Triumph hob ihre Laune. Lächelnd rief sie nach Melli, während sie den Eimer in die Hütte schleppte.
Schäbig sah sie aus. Der Lehmputz bröckelte an manchen Stellen. Schon letzten Sommer wollte der Großvater sie richten, aber das Geld dafür hatte er lieber zum Wirtshaus getragen. Die Tür quietschte beim Öffnen. Anna ließ sie offenstehen, denn im Inneren roch es nach Zwiebel, Kohl und Rauch, der in den Augen biss.
Wo hast du dich versteckt, Melli? Anna rief die Worte leise, um Mutter und Großeltern nicht zu stören.
Meist sprang ihr Hund ausgelassen um sie herum, wenn er in der Küche erschien. Er blaffte oder jagte eingebildete Kaninchen. Wie irre vor Freude hetzte er auf dem festgestampften Lehm herum, unter dem schweren Holztisch hindurch. Natürlich rumpelte er dabei immer wieder gegen die Schemel. Gelegentlich blieben sie stehen, meist stürzten sie aber mit einem dumpfen Schlag zu Boden.
Wenn das passierte, kroch der Hund flugs unter die Bank und blieb dort, bis das Geschimpfe vorüber war. Manchmal wäre sie ihm am liebsten gefolgt. Wie oft packte die Mutter sie grob an den Zöpfen, wenn sie gesoffen hatte, zerrte sie runter von der Bank und drosch auf sie ein.
Anna schaute zum Tisch und schauderte zusammen. Die Mutter war dabei, ein Kaninchen zu häuten. Sie löste das Fell geschickt von dem Körper. Aber statt des toten Tiers sah Anna Melli dort liegen. Die Beine ausgestreckt. Die Muskeln und ihre durchscheinenden Hüllen schimmernd im Licht der Feuerstelle. Und das Fleisch roch nach Blut und Tod.
Die Großmutter stand am Dreibein. Das Feuer in der Kochstelle prasselte nicht mehr, zwischen Asche sorgte ein wenig Glut für Hitze. Anna stocherte mit dem Schürhaken behutsam darin herum. Besonders kräftig glimmte sie nicht mehr auf. Zur Vorsicht legte sie ein Scheit nach.
Nich zu viel, du dummes Gör! Die Großmutter verpasste ihr eine Kopfnuss. Und mach sofort die Tür zu. Es zieht mir am Nacken. Ungehöriges Balg.
Anna murmelte eine Entschuldigung und tat, wie ihr geheißen.
Hast du Melli, irgendwo gesehen, fragte sie den Großvater schließlich.
Dem Köter zieh ichs Fell ab, wenn du noch ein Wort sagst. Weswegen der Großvater so aufgebracht war, wusste Anna nicht, bis er von dem unverschämten Burschen sprach, den er mit der Mistgabel vertrieben hatte.
Bis zum Morgengrauen war der Großvater in der Wirtschaft gewesen. Immer noch roch er nach Schnaps. Anna wich seinem Blick aus. Manchmal sah er sie an wie diese Burschen auf den Märkten.
Nur dürfte Melli ihm sicher nicht ungestraft drohen. Selbst wenn ihm einfiele, mit ihr zu machen, was der andere nur versucht hatte. Anna griff rasch nach einem der Lappen, die in der Nähe des Feuers an einer Leine trockneten, und wischte den Tisch ab. Während der Großvater geil auf ihren Busen stierte.
Sünde war das. Sprach die Mutter deswegen immer häufiger vom Heiraten? Hatte sie irgendeinen Burschen für ihre Tochter im Sinn. Eine eigene erbärmliche Hütte für Anna, einen Mann, der ihr zehn, zwölf, vierzehn Kinder machte, ohne Geld, ihre Mäuler zu stopfen? Und ein Grab auf dem Kirchhof neben dem andern.
Melli, flüsterte sie.
Schluss mit dem Köter!, schnauzte die Mutter. Wenn dieses Mistvieh nich hier is, gut so! Frisst uns eh die Haare vom Kopf. Und wag es ja nich einen Laut zu tun, wenn ein Erwachsener spricht. Viele Tote, gabs?
So isses, ja. Der Großvater rieb das Kinn. Ein Werk Satans wars.
Anna griff rasch nach dem Reisigbesen. Sie kehrte Brösel und Dreck zusammen, öffnete die Tür und befördert sie raus aus der Hütte. Sofort sperrte sie Sonne und Zugluft wieder aus. Den Besen stellte sie weg, zog einen Schemel zum Herd und schrubbte mit etwas Salz den Eisentiegel, in dem die Großmutter Brei fürs Frühstück gekocht hatte.
Ein Komet is vom Himmel gefallen, sagte der Großvater. So ein Brocken aus Eisen, groß wie der Kopf eines Mannskerls. Ne Menge Tote und Zähneklappern hats gegeben.
Anna schlug ein Kreuz über ihrer Brust.
Weil keiner mehr fromm is. Die Großmutter warf dem Großvater einen giftigen Blick zu. Wohin er in letzter Zeit schaute, war ihr wohl nicht entgangen.
Die Mutter seufzte. Zum ersten Mal fiel Anna auf, wie alt und abgearbeitet sie aussah. Die Haut runzlig, die Haare dünn und die Zähne im Mund dunkel verfärbt. Kaum ein Unterschied zu den beiden Alten. Und sie selbst? Erschrocken dachte sie, dass sie in siebzehn Jahren genauso aussehen würde, wie ihre Mutter. Alt, verbraucht und runzlig.
Leise stellte Anna den Topf auf den Boden, schrubbte Löffel und die große Schüssel, aus der sie alle gegessen hatten. Die drei Erwachsenen redeten über den Kometen, den Weltuntergang und Tod und Verderben.
Je länger Anna zuhörte, umso mehr sehnte sie sich nach einem anderen Leben. Und ihrem Hund.
Sie ging zur Tür, die beim Öffnen leise quietschte, drückte dagegen und strahlender Sonnenschein umfing sie. Sie lauschte. Aber keiner hielt sie auf. Hastig griff sie ihre Pantinen. Auf dem staubtrockenen Boden im Hof klapperten die Holzsohlen verräterisch. Anna würde sie später überziehen.
Barfuß schlug sie den Weg ein, der aus dem Hof zu den Feldern führte. Jedes Frühjahr nach dem Pflügen musste sie dort Steine auflesen. Der Pfad führte weg von Haus und Dorf weiter zum Wald. Früher war sie oft mit Melli hineingelaufen. Aber seit Bruder und Schwester tot waren nicht mehr.
Anna schlüpfte in ihre Holzschuhe und genoss den warmen Wind auf ihrer Haut. Sie lauschte dem leisen Säuseln der Blätter, Vogelgezwitscher und dem Hämmern eines Spechts. Sie stapfte über den weichen Boden, der den Klang ihrer Schritte schluckte. Abgesehen von raschelnden Blättern des Vorjahrs, Kiefernzapfen oder einem dürren Ast hier und da, der unter ihrem Gewicht knackte.
Zu Anfang wuchsen die Stämme noch in einem lichten Abstand. Goldene Sonnenstrahlen reichten hinunter bis zur Erde und kleine Stäubchen schwebten in der Luft. Sie roch feucht. Sauer nach Erde und ein wenig süß nach dem Honig der wilden Bienen in den Waben oben in den Bäumen.
Melli? Bist du da irgendwo? Vielleicht hatte ihr Hund eine Ratte gejagt und war zur verbotenen Höhle gelaufen? Dort plätscherte eine Quelle und kühl war es außerdem. Anna hatte sie zusammen mit Melli entdeckt und den Geschwistern gezeigt.
Die Quelle und das Geheimnis.
Etwas Helles schimmerte zwischen den Stämmen. Kein Stein. So einen großen gab es hier nicht. Behutsam trat sie näher. Ein Fremder lehnte gegen einen Baumstamm, sichtlich elend, mit dunklen Ringen unter den fiebrig glänzenden Augen, bleich und verschwitzt.
Bleib stehen!, rief er ihr schon von Weitem zu. Seine Stimme klang matt und sein Kopf wies in die Richtung, aus der sie gekommen war. Haben sie dich auch von da vertrieben?
Ein Todkranker! Und ihr Großvater prahlte damit, dass er am Vormittag einen Fremden mit der Mistgabel verscheucht hatte.
Nein. Sie schüttelte den Kopf.
Du gehörst zu denen? Dann komm nur, ich hab da was für dich. Das kannst du dem Alten mit schönen Grüßen bringen.
Anna nickte, aber ihr gefiel das seltsame Lächeln des Mannes nicht. Er stöhnte und ein Christenmensch sollte helfen, trotzdem blieb sie reglos stehen. Seine Züge waren so eingefallen, dass er alt aussah. Dabei wirkte er in manchen Momenten jung. Nicht viel älter als sie.
Was ist? Hast du Angst, dass ich dir was tue? Ich könnte nicht, selbst wenn ich wollte. Das Atmen fiel ihm schwer und er zitterte so sehr, dass seine Zähne aufeinander klapperten.
Du frierst. Soll ich dir was bringen? Eine Decke?
Nein, hau bloß ab.
Gerade sollte ich noch kommen.
Bist du so dumm? Ich wollte, dass ihr verreckt. Er schloss die Augen und hustete. Aber du bist anders. Das wär nicht recht.
Anna musterte sein gequältes Gesicht. Er war kein Engel, aber ein schlechter Mensch auch nicht.
Wasser, murmelte er und öffnete die Augen. Bist du immer noch da? Wieso? Machts Spaß, mir beim Verrecken zuzusehen?
Sie hatte keinen Trinkschlauch dabei. Aber er. Leise huschte sie vor, griff seinen Wasserbeutel und rannte zur Höhle mit der kleinen Quelle. Gut gelaunt schoss Melli aus dem Eingang, bellte und sprang an ihr hoch.
Da bist du ja! Die ganze Zeit habe ich dich gesucht. Ich kann jetzt nicht spielen. Ich habe Wichtigeres zu tun. Anna wuschelte ihren Hund und lief zu dem Mann zurück.
Nicht, ich steck dich an. Er glühte vor Fieber, und wenn man ihm nahe kam, stank er faulig, nach Eiter und Tod.
Ich will mich aber um dich kümmern. Das war sie ihm schuldig. Ein paar Schlucke Wasser flößte sie ihm ein. Das meiste lief an den Mundwinkeln heraus, hinunter auf das schweißnasse Hemd. Als sie gehen wollte, um neues zu holen, griff er nach ihrer Hand.
Bleib hier, bat er.
Wenn du willst. Der Boden war weich, vielleicht ein bisschen feucht.
Sag irgendwas.
Ich weiß nichts, murmelte sie.
Erzähl was, bitte.
Sie überlegte eine Weile, bis sie ansetzte. Nicht weit von hier gibt es die verbotene Höhle. Im Inneren sind Zeichen der alten Göttin an die Wände gemeißelt. Dreiecke, Spiralen und Kreise. Einmal habe ich mich bei Vollmond hingeschlichen. Drinnen war es dunkel, aber ich hatte drei Kerzen dabei. Alles wegen einer Mutprobe. Damals haben Bruder und Schwester noch gelebt. Soll ich wirklich weitererzählen?
Sprich
weiter
bitte
Der Druck seiner Finger war schmerzhaft, so fest krallte er seine schweißnasse Hand in ihre.
Dort geht Teufelswerk vor, sagen sie. Aber ich glaube nicht daran. Ich verteile die brennenden Kerzen, lege mich hin und wache irgendwann wieder auf. Im Mondschein sehe ich die andere daliegen. Sie sieht mich an. Ihre Haut ist so weiß wie frisch gebleichtes Leinen. Als ich mich aufsetze, tut sie es auch. Genau wie ich vollführt sie jede Bewegung. Zum Schluss sitzt sie mit gefalteten Flügeln da. So schön sind sie, wie ich nie etwas gesehen habe. Hauchzart und fein. Ich habe auch welche. Ich kann sie spüren hinten am Rücken. Nur sind meine weiß, das sehe ich, wenn ich den Kopf zur Seite drehe.
Er hustete Blut. Sein Händedruck wurde schlaffer. Sein Atem ging röchelnd und quälend laut. Sie fand es unpassend, die Geschichte weiterzuerzählen, als sie auf einmal seine Finger spürte. Hörte er ihr noch zu? Sein Geruch war schwer zu ertragen.
Ich sitze und starre die andere an. Die dunkle Dämonin, die verlorene Seele. Sie sagt, dass sie war, was ich bin und dass ich sein werde, was sie ist, lacht los und verschwindet. Schwarzer Flaum schwebt in der Luft und Federn fallen zu Boden. Ich habe es nie einem erzählt. Nur Bruder und Schwester. Anna hatte schon damals gewusst, dass ihr kein Engel des Herrn begegnet war. In der Höhle habe ich am nächsten Morgen wirklich Federn gefunden. Schwarze und weiße. Manchmal verschwindet eine.
Totenstill war es. Die Hand des jungen Mannes sank schlaff zu Boden. Er hörte es nicht mehr, aber Anna musste die Geschichte zu Ende erzählen.
Vor vier Jahren habe ich zwei verbrannt, die Bruder und Schwester ausgewählt hatten. Sie fanden es lustig, wollten wissen, was passiert. Drei Tage später waren sie tot. Von der Halsfäule erwürgt, die im Dorf umgegangen ist. Gestern habe ich wieder welche verbrannt. Drei schwarze und aus Versehen eine weiße.
Anna schloss die Lider über seinen gebrochenen Augen.
Verstehst du jetzt, warum ich mich um dich kümmern musste? Es tut mir so leid.
Aber wie es war, war es gut. Er würde niemandem ihr Geheimnis verraten. Sie betete ein Vaterunser und ein Ave Maria für seine unsterbliche Seele und betrachtete sein von der Krankheit entstelltes Gesicht. Die kleinen, schwarzen Flecken in der Haut, die ein wenig nach Blutergüssen aussahen, und die großen, dunklen Beulen am Hals.
Und wenn stimmte, was die Schwester ein paar Stunden vor ihrem Tod gekrächzt hatte? Dass es nur Zufall war? Dass es keinen Grund gab, sich schuldig zu fühlen. Anna wischte Tränen von den Wangen und pfiff nach ihrem Hund. Sie würde es sehr bald sehen
30. Nov. 2016 - Elisabeth Marienhagen
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