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Der Kampf um Donnotor Castle von Susann Anders
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
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AGENTUR ASHERA
A. Bionda
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Gaby Hyllaala © http://www.gabyhylla-3d.de Mit geweiteten Augen blickte Serafina auf den Riegel der schweren Holztür. Sie hatte ihn nach ihrer Flucht ins Schloss geschoben, dennoch fühlte sie sich nicht sicher. Etwas entfernt hörte sie aufgeregte Stimmen und Gepolter. Demnach verfolgten die Männer sie noch immer, würden sie unweigerlich aufgreifen und ihr Schicksal besiegeln. Sie war zu weit gegangen, das wurde ihr in diesem Augenblick schmerzhaft bewusst. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, brannte und erschwerte Serafina jeden Atemzug. Ihr Herzschlag überschlug sich unter seinem rasenden Tempo und pulsierte ihr Blut tosend durch den Körper. Mit beiden Händen griff sie nach ihrem bodenlangen Samtrock, hob ihn an und ging mit ausladenden Schritten durch den Raum. Sie eilte an der üppig gepolsterten Schlafstatt vorbei, lugte hinter Schränke, Vorhänge und hinaus aus den mit Messing verzierten Fenstern, die eine schwindelerregende Aussicht aus dem Turm boten. Nichts. Kein geheimer Ausgang, kein passendes Versteck. Erschöpft lehnte sie sich an das kühle Gemäuer, schloss die Augen und versuchte sich mit tiefen Atemzügen zu beruhigen.
Die letzten Monate war sie als mittellose Frau durchs Land gestreift, brach Nacht für Nacht in fremden Häusern ein und versorgte sich mit Nahrung. Stets war ihr Ziel das Donnorot Castle gewesen. Diese Burg war bekannt für ihren Reichtum, von ihr erhoffte sie sich den verdienten Wohlstand. Sie nahm Entbehrungen und Umwege in Kauf, um dorthin zu gelangen. Als sie sich an diesem Abend endlich den Toren der Burg näherte, war sie nicht nur erfüllt von Stolz, sondern auch von Ungewissheit. Ja, sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt, aber würde er auch aufgehen?
Nur wenige Meter trennten sie von Donnotor Castle, sie musste den sanften Hügel erklimmen, dann hätte sie ihr Ziel erreicht. Vor ihr bot sich ein schauerlicher Anblick. In der Dämmerung des Abends ragte das Schloss bedrohlich in den Himmel empor und schien mit seinen Zinnen die dunklen Wolken zu berühren. Die schwach beleuchteten Fenster der Türme vermittelten ihr das Gefühl, beobachtet zu werden. Ein kalter Schauer lief Serafina über den Rücken und beschwor sie, kehrtzumachen. Doch ihr innerer Trieb war lauter als die aufkeimenden Zweifel und so ging sie bedächtigen Schrittes weiter. Plötzlich, wie aus dem Nichts stob ihr ein kalter Wind entgegen, blähte ihren durchlöcherten Umhang auf und erschwerte ihr das Vorwärtskommen. Fast war es, als wolle eine höhere Macht sie vor dem Eintritt in Donnotor Castle hindern. Je stärker sich der Wind gegen sie aufbäumte, desto härter kämpfte sie dagegen an. Das mit prunkvollen Schnitzereien verzierte Tor war bereits in greifbarer Nähe, was den Kampfgeist von Serafina zusätzlich auflodern ließ. Mit geschlossenen Augen und eingezogenem Kopf tastete sich durch die eisige Bö. Am Tor angekommen verstummte der Wind und Serafina konnte endlich ihre Augen öffnen. Neugierig besah sie die Schnitzereien an dem Holztor und zuckte zurück, als ihr gewahr wurde, dass es Teufelsköpfe waren, die ihr bösartig lüstern entgegenblickten. Serafina griff an ihren Brustkorb und taumelte rückwärts. Die unheimlichen Umrisse der Burg, der frostige Wind, die grauenerregenden Fratzen, all das verunsicherte sie mit einem Mal. Mit beiden Armen umklammerte sie schützend ihren Oberkörper und blickte erneut zu den Türmen hoch, die noch immer ihre Blicke auf sie gerichtet hatten. Die Warnung: Lauf weg!, donnerte laut durch ihren Kopf. Es war der falsche Zeitpunkt, das wurde ihr jetzt bewusst. Gerade als sie sich im Laufschritt davonmachen wollte, begann sich das Holztor knarrend und langsam zu öffnen. Warmes Licht drang durch den Spalt und schien Serafina einladend willkommen zu heißen. Sie hielt inne, starrte auf das Tor, das sich im Zeitlupentempo öffnete. Serafina versuchte trotz ihrer trockenen Kehle zu schlucken. Ihr Körper begann zu zittern, als der dunkle Schatten eines groß gewachsenen Mannes zum Vorschein kam und ihr wortlos mit einer Handbewegung deutete, näher zu kommen. Die eisige Bö war verstummt und es herrschte eine unnatürliche Stille, die alles zu durchdringen versuchte. Während sich Serafina langsam dem Tor näherte, fixierte sie den hochgewachsenen Mann im Inneren der Burg. Gerne hätte sie kehrtgemacht, wäre davongelaufen und hätte dieses unheimliche Donnotor Castle für immer hinter sich gelassen. Doch eine magische Anziehungskraft zog sie Schritt für Schritt näher. Vielleicht war es der falsche Zeitpunkt, aber wer versicherte ihr, dass es für ihr Vorhaben jemals einen richtigen geben würde? Als sie an dem hünenhaften Mann vorbeihuschte, wagte sie es nicht, ihm ins Gesicht zu blicken. Eilendes Schrittes lief sie in die Eingangshalle und kam an einem großen Tisch zum Stehen. Der Schattenmann gab sich karg als Herr der Burg zu erkennen. Gesenkten Hauptes kam er auf sie zu, blieb unmittelbar vor ihr stehen und starrte seinem Gast mit kaltem Blick entgegen. Serafina wich einen Schritt zurück, drückte sich an die schwere Tischplatte und umklammerte sie Hilfe suchend mit beiden Händen. Der Burgherr folgte ihr und blieb kurz vor ihr stehen. Serafina fühlte sich überrumpelt und ausgeliefert. Als sie den Mund zu einem Hilfeschrei öffnen wollte, presste er ihr seine Hand ins Gesicht und brachte sie zum Schweigen, noch bevor sie einen Ton von sich geben konnte. Mit festem Griff zog er sie an sich, packte sie an der Taille und küsste sie lüstern stöhnend auf den Mund. Serafina wollte aufschreien, doch seine Gier hielt ihre Lippen verschlossen. Mit aller Kraft versuchte sie ihn von sich zu stoßen und sich aus seinem Griff zu winden, kämpfte mit allen ihr möglichen Mitteln. Während er sie auf die Tischplatte niederdrückten wollte, brüllte er mit einem Mal laut auf und stolperte erschrocken rückwärts. Vorsichtig tastete er um seine Lippen und verfinsterte seinen Blick, als er auf seine blutverschmierten Finger starrte.
»Du hast mich gebissen!«, spie er ihr entgegen und blickte ungläubig auf seine Hand. »Wie kannst du es wagen, weißt du nicht, wer ich bin? Du dumme Dirne! Dir werde ich es zeigen!« Mit diesen Worten schritt er wutentbrannt auf sie zu.
Serafim duckte sich, entkam seinem Griff und rannte. Der Weg zum Ausgang war versperrt von dem rachesüchtigen Hünen, also musste sie tiefer in der Burg nach Schutz suchen. Seine Flüche im Nacken rannte sie zielsicher zur Treppe. War das die Treppe in den Turm? Wenn ja, dann machte sie sich gerade auf den Weg in eine Sackgasse. Für eine Umkehr war es zu spät. Den schwarzen Samtrock in einer Hand rannte sie schwer atmend Stufe für Stufe hoch. Je enger sich die Treppe wendelte, desto mehr drehte sich alles in ihrem Kopf. Sie hatte einen Fehler gemacht, das wusste sie. Sie hätte einen Bogen um Donnotor Castle machen sollen. Zumindest vorerst. Nun war es zu spät. Serafina wusste, was er mit ihr vorhatte, wenn er sie noch einmal zu greifen bekäme. Der Verfolger kam immer näher und seine lauten Flüche hatten die Wachen der gesamten Burg aufgescheucht. Serafina wusste nicht, wie viele Männer ihr auf den Fersen waren, sie wusste nur, dass ihre Schritte schneller werden mussten. Mit aller Kraft sprang sie jeweils über zwei Stufen. Der Atem brannte in Serafinas Rachen und in ihrem Kopf pochten Hoffnung und Verzweiflung um die Wette. Endlich fand die Treppe ein Ende und vor ihr lag ein kurzer, nachtfinsterer Gang, der ihr drei Türen zur Auswahl bot. Nach kurzem Zögern entschied sich Serafina für die linke Tür, trat rasch in das Zimmer dahinter ein und verriegelte hinter sich das Schloss. Kurz atmete sie auf, dennoch wusste sie, dass die morsche Tür der Kraft und Wut der Verfolger nicht standhalten würde. Hätte ich ihn nur nicht gebissen, dachte sie und presste ihre Lippen fest zusammen. Noch immer glaubte sie den warmen Geschmack seines Blutes auf ihrer Zunge zu fühlen. Serafina schüttelte den Kopf, sie verstand nicht, wie die Situation so schnell aus dem Ruder geraten hatte können. Bis ins kleinste Detail hatte sie ihre Ankunft in der Burg geplant und nun war alles anders gekommen. Schon hörte sie lautes Poltern, Schritte und Geschrei. Jemand versuchte, die Tür zu öffnen. Dann ging alles sehr schnell: Mit lautem Gepolter stoben die Männer gegen die Tür. Das morsche Holz vibrierte und knarrte, gab jedoch nicht widerstandslos auf. Nach einem weiteren kräftigen Hieb musste es sich dennoch geschlagen geben. Eine kräftige Schulter brachte die Tür zum zerbersten, Serafina schreckte schreiend zurück und presste sich gegen die kalte Steinmauer. Eine zerfurchte Hand griff durch das zersplitterte Holz und entriegelte das Schloss. Serafina fröstelte vor Aufregung, ihre Gesichtszüge bebten und ihr Blick wurde seltsam leer. Die Tür öffnete sich und mit lautem Tumult drängten sich die Männer in den Raum. Finstere Mienen stierten ihr entgegen und spuckten ihr Flüche ins Gesicht. Dann teilte sich die kleine Gruppe und gewährte ihrem Herren den Eintritt. Langsamen Schrittes ging er auf sie zu, schien die bevorstehenden Rache auszukosten. Aus seinen Mundwinkeln triefte noch immer Blut und in seinen Augen brodelte vor Hass. Serafina atmete tief ein und versuchte dem furchterregenden Blick standzuhalten. Unmittelbar vor ihr blieb er stehen und richtete sich zu seiner übermenschlichen Größe auf. »Das war dumm von dir!«, drohte er.
»Nein, das war dumm von dir!«, erwiderte ihm Serafina herablassend. Der Hühne war außer sich, wusste nicht, ob er sich auf sie stürzen oder lachen sollte.
»Du hast einen Fehler gemacht, als du mich in dein Haus gebeten hast!«, fuhr sie standhaft fort. In den Gesichtern der Männer spiegelten sich Überraschung und Zorn zugleich.
»Du hast den Tod in dein Haus geholt! Und du Idiot hast ihn auch noch erzürnt! Wie konntest du nur!« Serafina erhob ihre Stimme, ging auf den Burgherrn zu und blieb erst stehen, als sie die ausstrahlende Wärme seines erhitzten Körpers spürte.
»Den Tod?«, fragte er und versuchte seine Unsicherheit zu überspielen. »Was meinst du damit?« Er wagte es nicht, sie zu berühren.
»Ich bin keine hungrige Dirne auf der Suche nach einer Schlafstatt. Ich bin die neue Herrin dieses Hauses!«
Die Wachen begannen zu lachen, doch ihr Herr gebot ihnen mit einer Handbewegung Einhalt.
»Du bist verrückt!«, raunte er und schüttelte den Kopf.
»Nein, ich sage dir: Das ist mein Haus!« Serafina breitete die Arme aus und wies auf die Gemäuer um sich. »Alles gehört mir, sobald ihr tot seid!«
»Pha!«, trotzte er, ging aber einen Schritt zurück.
Serafina warf mit einer gekonnten Bewegung ihren zerschlissenen Umhang von sich. Unter dem abgetragenen Gewand kam ein eng geschnürtes Mieder aus schwarzem Leder zum Vorschein, das sie in einem neuen, kämpferischen Licht erscheinen ließ. Keiner der Männer lachte mehr über die bedrohlich wirkende Frau. Forschen Schrittes ging sie auf die Wachen zu, strich sich eine Strähne ihres Haares aus der Stirn und bleckte fauchend ihre spitzen Zähne. Allesamt schrien sie auf, wichen zurück und drängten einander die Treppe hinab. Nur der Burgherr stand im Türrahmen, wollte nicht ohne Kampf aufgeben, wenngleich ihm die Angst ins Gesicht geschrieben stand. Die Augen weit aufgerissen, legte sie ihre langen Eckzähne frei und stürzte sich mit einem lauten Schrei auf ihn. Noch während er unter der zierlichen Frau zu Boden fiel, gingen ihm ihre Worte durch den Kopf: Du hast den Tod in dein Haus geholt! Dann prallte er hart auf den Steinboden und wurde von Schmerz durchflutet. Serafina hielt ihn umklammert, bohrte ihre Zähne in das weiche Fleisch seines Halses und trank. Ja, sie hatte sich den Abend anders vorgestellt, wollte diesen Kampf und die Verfolgung nicht. Aber letzten Endes hatte sie Recht behalten: Sie war nun die Herrin des Hauses.
Sie hat Recht behalten, ging es auch dem Burgherrn durch den Kopf. Dann schloss er die Augen und nahm den Tod, den er selbst in sein Haus gebeten hatte, in Empfang.
Des Nachts blickte Serafina aus dem schwach beleuchteten Raum durch das mit Messing verzierte Fenster aus dem Turm, von dem sie sich wenige Stunden vorher beobachtet gefühlt hatte. Der Mond schien trüb vom Himmel und ließ das saftig grüne Gras auf den sanften Hügeln silbern glitzern. Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr der neuen Herrin von Donnotor Castle. Sie verspürte keine Gewissensbisse wegen des Burgherren das tat sie nie. Im Gegenteil, ein angenehmes Gefühl der Sättigung machte sich in ihr breit und sie fühlte sich zu Hause angekommen. Hier würde sie bleiben, bis der Hunger sie erneut durchs Land trieb.
18. Sep. 2017 - Susann Anders
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