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Nachts im Schein des Vollmonds von Markus K. Korb
Mark Freier © http://www.freierstein.de Wenn sich des Nachts das Licht des Mondes mit der Dunkelheit einer Gruft vereint, geht ein Rauschen durch die spinnwebverhangene Luft des Treppenschachts, der in die Grabstätte hinabführt.
Am Ende des Schachts, nach einem kurzen, weiter abwärts führenden Gang, fletschen Gitterstäbe den Besucher an wie eine Reihe bleckender Stiftzähne aus Metall. Man ist gekommen, in der Hoffnung Zeuge eines außergewöhnlichen Schauspiels zu werden.
Es geschieht nur in dieser speziellen Gruft. Niemand weiß zu sagen, warum das so ist. Die Gerüchte darüber werden von Mund zu Mund weiter getragen. Es existieren keine offiziellen Stellungnahmen oder gar Untersuchungsergebnisse einer Forschergruppe. Offensichtlich möchte kein Eingeweihter das Geheimnis entmystifizieren, das diese Krypta umgibt, nachdem er einmal Zeuge des Schauspiels geworden war.
Denn zuweilen erscheint hinter den Gitterstäben, welche die Toten von den Lebenden fernhalten sollen, ein bleiches Gesicht.
Man kann das weißliche Oval nur schwer in der Finsternis des Grabes ausmachen. Wenn man nahe an die Stäbe herangeht, kann man es in der Tiefe des Grabes erkennen, wo es gespensterhaft in der Luft hängt. Ein bleiches Gesicht, nichts weiter. Kein Körper, keine Gliedmaßen, kein Gewand.
Berührt man die nachtkalten Mauersteine des gewölbten Bogens und reckt sein Gesicht nahe an die Gitterstäbe heran, mag es sein, dass das Antlitz in der Gruft erzittert und näher herankommt, bis man die verdrehten Augen sehen kann, die weiß und starr nach innen gerichtet sind. Man möchte meinen, dass solcherart eingedrehte Augen nichts wahrnehmen können, doch ist man dennoch vorsichtig und weicht unwillkürlich zurück in die scheinbare Sicherheit des Abgangs, wo die gesprungenen Steinstufen moosbewachsen nach oben führen.
Dann zeichnen sich die Schlagschatten der Gitterstäbe auf den wässrig aufgequollenen Gesichtszügen ab und der Mund des Gesichts öffnet sich gleichzeitig mit dem eigenen. Ein Schrei will einem hinausdringen, das Entsetzen versucht, sich Luft zu schaffen, und doch bleibt man stumm, genau so wie das eingesperrte Gesicht mit dem schwarz gähnenden Schlund, dort hinter den Stäben.
Obwohl man erschrocken ist, muss man dennoch wieder voranschreiten. Zögerlich nur, gewiss, aber dennoch mit einer unbarmherzigen Zielgerichtetheit. Man will das tote Gesicht genauer in Augenschein nehmen, will wissen, womit man es hier zu tun hat, und sei es nur, um sich zu versichern, dass es sich bei der Erscheinung um eine Täuschung handelt, ausgelöst durch sein eigenes, umnebeltes Hirn, das schon am Tage zu Halluzinationen neigt. Wie empfänglich ist man erst, wenn die Nacht einen wie mit einem erstickenden Mantel umfängt und dazu zwingt, alptraumhafte Dinge zu sehen, die sich bei näherer Betrachtung als verzerrte Gegenstände der realen Welt entpuppen.
Gar manches Mal erscheint ein zuckender Schatten im Licht der Lampe als ein vom Wind bewegtes Gebüsch. Oder eine Leiche im Gras ist lediglich ein herab gefallener Ast, der auf Grund der veränderten Perspektive überlang gestreckt wirkt.
Und so hofft man auch dieses Mal, dass sich die nächtliche Erscheinung rational erklären lassen wird, während man den Kopf nach vorne ins Dunkel reckt. Zunächst weicht das Gesicht in der Gruft zurück, so als fürchte es den Lebenden. Aber dann ruckt es mit gefletschten Zähnen schnell nach vorn, als habe es Angst, die günstige Gelegenheit zu verpassen.
Gierig greifen mit Erde beschmierte Fingernägel durch die Gitterstäbe, bekommen den Lebenden am Kragen zu fassen, bohren die Klauen in das noch junge, frische Fleisch und ziehen den Erstaunten und vor Entsetzen Gelähmten ganz nah heran, so dass dieser gezwungen ist, das bleiche Antlitz zu schauen und man erkennt, dass es nichts anderes ist, als sein eigenes Gesicht, das in der kühlen Finsternis des Grabes schwebt. Wie ein Spiegelbild der Vergänglichkeit. Überzogen mit dunkelnden Fäulnisflecken, nur mühsam von morschen Wangenknochen getragen.
Und der modernde Mund ist ganz nahe am Ohr des Lebenden, haucht miasmatische Verwesung aus, flüstert einem die entsetzlichen Worte ein:
Noch nicht, aber bald...
Quelle:
NACHTS ...
Unheimliche Erzählungen
Markus K. Korb
200 Seiten, Paperback, 7.95
ISBN 3-937419-14-4
Eldur-Verlag
www.eldur-verlag.de
Markus K. Korb entführt den Leser in seinen Erzählungen an Orte des Verfalls und des Todes, wo abscheuliche Kreaturen und Phantome hausen und schuldbeladene Menschen vergeblich versuchen, ihrer dunklen Vergangenheit zu entkommen.
Ob in einem Schiffswrack die Toten erwachen, eine Frau auf rätselhafte Weise ihre Hände verliert oder ein Selbstmörder durch einen Zombie erst den Wert des Lebens erkennt - in jedem Fall ist Gänsehaut und Grusel garantiert.
Nicht vor dem Einschlafen lesen - oder vielleicht gerade dann?
18. Jul. 2007 - Markus K. Korb
Bereits veröffentlicht in:
Im Buch: NACHTS ...unheimliche Erzählungen, Eldur-Verlag
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