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Bourbon Street, 23.00 Uhr von Andreas Gruber
Pat Hachfeld © http://www.dunkelkunst.de Sie wollen morgen Abend tatsächlich sterben? Der Nigger keuchte schwer und starrte mich an. Er roch wie ein Tier, nach Urin und Schweiß. Er war genauso fett wie alle anderen Nigger, die ich kannte. Seine Ausdünstung hing wie ein angepisstes Tuch in dem Büro. Auf seiner Stirn glänzten Schweißtropfen, wie Glasmurmeln auf ebenholzschwarzer Haut, in denen sich das Licht der Gaslampe spiegelte.
Ich nickte und schob einen braunen Umschlag über den Tisch. Sein Blick fiel kurz darauf. Er stützte sich auf die Ellenbogen, presste die Handflächen aneinander, wie zum Gebet gefaltet, und strich sich mit den Fingerkuppen über den breiten Nasenrücken. Dann griff er nach dem brüchigen Papier, löste den Bindfaden vom Umschlag und öffnete das Kuvert. Zuerst betrachtete er den Druck des Ölgemäldes, der noch aus der französischen Kolonialzeit der Stadt stammte. Das Bild war vergilbt, an den Rändern eingerissen und von der Luftfeuchtigkeit aufgewellt. Für mein Vorhaben musste es genügen. Er sah auf und betrachtete mich.
Erstaunlich. Das Bild sieht Ihnen ähnlich, Baron von Wörderhoff, murmelte er, einem Gurgeln gleich. Mit einer Aussprache, als wären seine Backen mit Kautabak gefüllt, der ihm jeden Augenblick zwischen den dicken Lippen hervorsprudeln könnte, verunstaltete er meinen Namen.
Zögernd entnahm er dem Kuvert das Schriftstück mit den Details. Das Pergament knackte, als er es auseinander faltete. Er las das Dokument und verharrte in der Bewegung. Seine Hände verschmolzen mit dem Mahagoniholz der Tischplatte, nur seine weißen Fingernägel leuchteten wie auf dem Pult verstreute Münzen. Am Ende des Schreibtisches glänzte eine Messingtafel mit eingraviertem Schriftzug: Wahoo Samuel Jakob Solicitor. Das Licht der Lampe spiegelte sich darin. Ein ähnliches Schild prangte am Eingang des Büros über der Türglocke an der vom Meeressalz zerfressenen Holzfassade. Das Fehlen der Louisiana Registrationsnummer und des Notariatsemblems von 1908 verriet die Zweitklassigkeit seiner Kanzlei.
Um 23.00 Uhr, im Chattanooga, in der Bourbon Street. Er nickte, flog mit den Augen über die geschwungene Handschrift, und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn, doch schoss ihm sogleich wieder der Schweiß aus den Poren. Am Rand des schmierigen Stoffs waren die Initialen WSJ mit rotem Faden eingestickt. Wahoo Samuel Jakob, der sein Büro schon allein wegen seines Namens nur in dieser Stadt führen konnte, knüllte das Taschentuch zusammen, um es anschließend in der Seitentasche des Anzugs verschwinden zu lassen.
Ist Ihnen nicht heiß?, keuchte er und blickte kurz auf.
Ich schüttelte den Kopf. Für ein fettes Schwein wie ihn mussten die Nächte in New Orleans unerträglich sein: gewiss presste die Hitze seinen Brustkorb zusammen, die Luftfeuchtigkeit durchtränkte seine Kleider, und tagsüber sprengte ihm der Druck die Schädeldecke. Ich wusste, wie er sich fühlte. Das Büro verfügte über keine Belüftung. Das Fenster war zwar geöffnet, die Jalousie klapperte aber nur müde im Luftzug, und gemächlich zogen die Rotorblätter des Ventilators ihre Kreise unter der Holzdecke. Draußen tuckerte der Viertaktmotor eines Automobils, das Signalhorn des Wagens röhrte, und mit dem Knallen der elektrischen Zündung erstarb das Tuckern in einer Seitengasse.
Der Nigger legte die Stirn in Falten. Sind Sie sicher, dass ...? Er rang nach Atem.
Zweifel sind nicht angebracht! Ich umklammerte den Knauf des Gehstocks. Sie veranlassen alles, wie ich es niedergeschrieben habe, dann gibt es keine Zwischenfälle.
Er murrte und hob die fleischigen Hände. Einen Holzpfahl durch das Herz, sieben Silbernägel durch Schulter, Hand und Knie und einen durch den Hals ... ein wenig, mhm ... makaber! Er verzog das Gesicht und lockerte den Krawattenknoten, doch immer noch wölbten sich Hautfalten über den steifen Hemdkragen.
Es ist notwendig, antwortete ich. Und vergessen Sie nicht, den Körper anschließend zu verbrennen. Der Hinterausgang des Lokals führt in einen ...
Kein Problem ...
Führt in einen Hof! Ich pochte mit dem Stock auf die Holzdielen. Es war eine Plage. Seit dem Bürgerkrieg hatten die Nigger keinen Respekt vor den Weißen. Dahinter liegt ein Park mit Bäumen und Sträuchern. Dort Vergraben Sie die Überreste!
Der Nigger betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen. Ich habe fünf gute Männer für diesen Job. Wie wäre es mit Weihwasser oder einem Kruzifix? Er zuckte mit den Achseln. Nur um sicherzugehen!
Schweigen Sie!
Er zuckte zusammen.
Sie machen alles so, wie es hier steht! Ich pochte mit dem Finger auf das Papier. Die Silbernägel reichen vollkommen aus, der Rest ist Unsinn. Doch muss es echtes Silber sein, keine Legierung! Ich fixierte seine Pupillen. Haben Sie das verstanden?
Ein Rinnsal aus Schweiß lief ihm über die Wange. Hey, ich wollte doch nur einen Scherz ma...
Ich möchte Sie nicht beleidigen, Mister Samuel Jakob, doch sparen Sie sich die Scherze für Ihre Nigger!
Hinter seiner Schläfe pochte das Blut sichtbar gegen die Schädeldecke, die Unterlippe zuckte, doch sagte er nichts.
Sie finden in dem Umschlag eine Adressenliste, ein Testament, eine Vollmachtserklärung, eine Vermögensaufstellung und einige Briefe, die Sie morgen abschicken.
Ich griff in die Manteltasche und zog einen verschnürten Lederbeutel hervor, den ich auf den Tisch knallte. Sie besorgen sich ein Alibi für morgen Abend. Hier ist Ihr Honorar, dreitausend Dollar in Goldmünzen, und sehen Sie zu, dass Sie gute Männer dafür bekommen ... keine Nigger!
Seine Augen funkelten böse.
Im Augenblick meines Todes möchte ich kein schwarzes Affengesicht vor mir sehen. Ich überschlug die Beine.
Seine Hände verkrampften sich zu Fäusten. Er wollte mir nicht zeigen, dass sie vibrierten, doch zitterten sie wie Kinderhände, die vor Zorn die Beherrschung verloren.
Wenn etwas schief geht, sehen wir uns wieder, erklärte ich ihm. Morgen Abend!
Für einen Moment wurden seine Augäpfel weiß, als die Pupillen zu dem Brieföffner schielten, der am Schreibtischende im Schein der Gaslampe glänzte.
Dann benötigen Sie mehr, als diese lächerliche Klinge!
Er zuckte zusammen.
Es wird nichts schief gehen, dafür sorge ich, presste er hervor und griff nach dem Beutel. Am Ausdruck seiner Augen bemerkte ich, dass ihm einiges auf der Zunge lag, das er Gott war ihm gnädig für sich behielt. Zweifelsohne war es der Geldbetrag, der ihn schweigen ließ. Es war mir zuwider, mit einem Nigger Geschäfte zu machen, doch diese Stadt ließ mir keine andere Wahl.
Ich erhob mich, schlug den Mantel zu und nahm Stock und Zylinder.
Leben Sie wohl. Ich wartete keine Antwort ab und verließ das Büro durch den knarrenden Holzkorridor.
Auf der Straße inhalierte ich die schwüle Luft, schmeckte die Melange aus dem Salzwasser des Mississippi-Deltas, dem Urin aus den Latrinen, dem zwischen den Rillen des Kopfsteinpflasters gepressten Hundekot, dem Bratfett der Küchen und dem in der Hitze faulenden Obst und Gemüse aus den Läden. Im Schein der Gaslaternen schimmerten die Metallstreben und schmiedeeisernen Gitter der Dächer und Balkone wie nasse Gerippe, behangen mit Efeu- und Farngewächsen. An der Straßenecke steppte ein Junge mit Metallsohlen, irgendwo erklang ein Saxophon. Wie ich diese Stadt hasste! Wie ich es hasste, seit Jahrhunderten durch die Nacht zu wandeln, auf der Suche nach Tierkadavern und menschlichen Überresten.
In der darauffolgenden Nacht lehnte ich mit dem Ellenbogen am speckigen Holztresen des Chattanooga, vor mir stand ein Glas mit einer farblosen Flüssigkeit, das ich nicht anrührte. Das gestampfte Eis war zerflossen und hatte sich mit dem Bourbon zu einem ekelhaften Gebräu vermischt. Mein Stock lehnte am Barhocker, der Zylinder lag am Tresen und den Mantel trug ich über den Arm geschlagen. Zuvor hatte ich durch die Hintertür den Hof des Lokals betreten. Im Schatten des Dachgiebels lehnte ein Spaten an der Holzfassade, daneben standen zwei Ölfässer, darauf lag ein Stapel Decken.
Ich ließ den Deckel der Taschenuhr aufschnappen. 22.45 Uhr. Noch eine Viertelstunde. Der Saxophonspieler nahm das Mundstück vom Instrument, der Pianist klimperte die letzten Takte eines Niggerblues, und die schwarze Sängerin verstummte soeben. Sie saß am Piano, hatte die Beine übereinander geschlagen, die Arme am Flügel abgestützt und den Kopf in den Nacken geworfen. Zwischen der Wölbung des vollen Busens verlief ein glänzender Schweißbach, der in der Bauchhöhle verschwand und als nasser Fleck durch das Kleid schimmerte. Sie ließ ihr Haar in die Stirn fallen und blickte sich im Lokal um. Niemand klatschte. Bis auf einige alte, Zigarre rauchende Nigger, die rund um einen Tisch hockten und mit abgegriffenen Karten Draw Poker spielten, gab es keine weiteren Gäste. Das Chattanooga würde in einer Viertelstunde schließen. Auf der Straße war nicht viel los, hinter dem schmierigen Glas der Fenster liefen nur noch wenige Menschen an dem Lokal vorbei, meist schwarze Nutten auf dem Weg in ihre Absteige. Aus den anderen Lokalen drangen die Töne ersterbender Musik, ein dumpfes Gemisch aus Ragtime, Blues und Jazz, die ewig gleiche Leier von Bass, Piano, Kornett und Posaune; selten, dass sich ein Banjo dazwischen drängte und die Monotonie um einige Bajou-Klänge bereicherte.
Die schwarze Hure glitt von der Kante des Pianos, zog das hautenge Kleid über den Ansatz der Oberschenkel und klapperte in ihren hochhackigen Schuhen über den Parkettboden zur Bar. Mit den Unterarmen stützte sie sich am Tresen ab, bog den Rücken durch und reckte den Hintern wie eine Schlampe hoch.
Einen Bourbon!, befahl sie dem Barmann, einem Nigger. Ihre Stimme klang rau, ausgetrocknet vom Singen.
Sie stand eine Armeslänge von mir entfernt. Ihr Alter war schwer zu schätzen, wie das, fast aller Schwarzen, doch hatte sie den perfekten Körper. Ich blickte auf das Zifferblatt der Taschenuhr während Gedankenbilder in meinem Kopf entstanden: hätte ich mehr Zeit, ich würde die Gäste der Bar töten, der Kleinen den Stoff vom Leib fetzen, sie an der Haarmähne in den Hinterhof zerren, ihr dort die Kehle aus dem Hals reißen, ihren Körper über den Mauersockel werfen und sie in den schwarzen Arsch ficken, während ihre Titten zwischen meinen Fingern erschlafften ... etwas, das ich seit Jahrzehnten nicht mehr getan hatte, seitdem ich zum letzten Mal die richtige Frau dafür gefunden hatte, doch die gemeinsamen Nächte mit Jannoine waren mir nicht lange vergönnt gewesen. Ich blickte auf. Sie wäre ideal, doch hatte sie einen Fehler: sie war genauso schwarz wie der Abschaum der Stadt, schwarz wie der Kot in den Straßen und schwarz wie der Schlamm auf den Plantagen.
Woran denken Sie?, fragte sie plötzlich und lächelte.
Ich zuckte mit den Achseln. Der Abend ist leider so schnell vergangen. Ich lächelte ebenfalls. Sie haben eine angenehme Stimme, verführerisch, erotisch.
Vielen Dank.
Sie erinnern mich an jemanden, den ich vor langer Zeit kannte.
Sie lächelte wieder, wandte mir ihren Körper zu. Ein Träger war ihr über die Schulter gerutscht, auf dem Busen glänzte noch immer der Schweißbach. Die Nippel der Brüste waren hart und drückten sich wie Korken durch den Stoff des Kleides.
Trinken Sie Ihren Bourbon nicht? Sie deutete auf mein Glas.
Ich schüttelte den Kopf, während ich den Glanz ihrer dunklen Pupillen betrachtete, die aufgebogenen Wimpern, den schlanken Nasenrücken, die vollen Lippen und das lange Haar, das ihr über die Schulter fiel. In der Beleuchtung der Bar glänzte es in einem dunklen Violett, tatsächlich musste es jedoch so schwarz wie die Nacht sein.
Der Barmann stellte ein Glas Bourbon auf den Tresen, die obere Hälfte mit gestampftem Eis gefüllt.
Einen Bourbon in der Bourbon Street. Sie lachte, doch klang ihre Stimme sarkastisch. Sie hob ihr Getränk und nahm einen Schluck, der nur noch Eissplitter im Glas zurückließ.
Ich habe Sie während meines Auftritts beobachtet. Sie lächelte wieder. Sie erinnern mich an meinen Vater.
Oh, vielen Dank, murrte ich.
Sie lachte auf, es klang erfrischend, herzlich. Nein! Sie hielt sich die Hand vor den Mund, als wollte sie die soeben gesprochenen Worte ungeschehen machen. Er war ebenso groß und schlank wie Sie, wollte ich sagen. Als zeichnete sie ein imaginäres Profil, fuhr sie mit den Fingern durch die Luft. Dabei klimperten die goldenen Armreifen an ihren Unterarmen. Die feinen Gesichtszüge, das dichte, gewellte Haar, die langen Koteletten, die schlanken Finger, die gepflegten Nägel.
Nur, dass er ein Nigger war, und ich nicht, fügte ich in Gedanken hinzu.
Sie wirken interessant. Sie machte einen Schritt auf mich zu. Ich könnte vieles von Ihnen lernen, ich sehe es an Ihren Augen.
Ihre Bauchmuskeln vibrierten, zeichneten sich unter dem enganliegenden Stoff des Kleides ab, hüpften und zuckten bei jedem Luftzug, den sie einsog. Ich roch den Schweiß ihrer Haut, ihr Haar und ihren Atem. Das Kleid knisterte, als sie sich einen weiteren Schritt näherte. Mein Glied schwoll an.
Ich hätte Sie liebend gern näher kennen gelernt, doch bin ich nur mehr heute Abend in der Stadt. Ich blickte auf das Zifferblatt der Uhr. 22.55 Uhr. Es wurde Zeit, dass die Schlampe das Lokal verließ.
Sie reisen ab? Ihre linke Augenbraue zuckte hoch, ein enttäuschter Tonfall erklang in ihrer Stimme. Allein?, fügte sie gedehnt hinzu.
Ich nickte.
Wohin geht die Reise?
Mit einem Kopfnicken deutete ich zum Hinterausgang, in den Hof. Nach Norden.
Sie schmunzelte, einen lasziven Ausdruck auf den Lippen. Heute war mein letzter Auftritt mit der Band, flüsterte sie. Die harten Nippel berührten den Stoff meines Anzugs. Ich roch den Speichel auf ihren Lippen. Sie neigte den Kopf, formte einen Schmollmund und blickte mich von unten herauf an.
Diese Hexe! Die Kleine hatte keine Ahnung, auf welches Spiel sie sich einließ. Mit einem Biss ihre Halsschlagader zu zerfetzen hätte genügt, sie sterben zu lassen ... und ein weiterer Biss, um sie zu verwandeln, doch waren nicht alle Menschen stark genug, die Verformung bis zum Ende durchzustehen. Manche verfaulten, zerfielen zu dampfenden Kadavern, ohne sich jemals wieder zu erheben.
Woran denken Sie?, fragte sie. Was verbirgt sich dahinter? Ihr Zeigefinger fuhr über meine Schläfe, ihr Fingernagel über meine Haut.
Ich zuckte mit dem Kopf zur Seite, als wollte ich die Gedanken abschütteln. Seit Jahrzehnten rang ich um eine Entscheidung, gestern Abend im Büro des Niggers hatte ich sie endgültig getroffen. Ich hatte abgeschlossen mit diesem Leben, und so kurz bevor meine Seele Erlösung finden sollte, lief mir diese Hexe über den Weg. Welches Spiel trieb sie? Wäre die Kleine bereits untot, ich hätte mich vielleicht anders entschieden. Noch hätte die Zeit gereicht, mit ihr aus dem Lokal zu fliehen. Und danach? Der Nigger hatte bereits die Briefe verschickt und als Bevollmächtigter mein Vermögen zu verwalten begonnen, doch wäre es nicht unmöglich, es wieder in meinen Besitz zu bringen und gemeinsam mit der Kleinen nach Mexico zu flüchten. Nach Río Lagartos oder El Cuyo ... aber mit einer schwarzen Nutte an meiner Seite? Kurzweilig hätte sie meine Gedanken zerstreut, meinen Kummer zerschlagen, vielleicht rasch gelernt und sich sogar zu einer angenehmen Schattenbegleiterin entwickelt ... vielleicht!
Woran denken Sie?
Ich schüttelte den Kopf.
Nehmen Sie mich mit!, drängte sie.
Nein.
Aber ich ...
Sie kommen einen Tag zu spät. Ich bemerkte einen enttäuschten Blick über ihr Gesicht huschen. Sie war ohnehin nur ein Mensch; ich würde diesen Zustand nicht ändern. Das Risiko war zu hoch, sie zu verlieren.
Hören Sie auf, an den Nägeln zu kauen! Ihre Hände sind viel zu hübsch. Sie nahm meine Hände in die ihren, und führte sie von meinem Mund an ihre Lippen. Sie waren voll, schimmerten feucht, und ich spürte ihre Zunge wie die eines Reptils über die Fingerkuppen tasten. Sie schloss die Augen, ihr Busen hob und senkte sich, ein Anblick, der einem Mann den Verstand rauben konnte, und genau das schien die Kleine zu wissen.
Wie alt sind Sie? Ich entzog mich ihrer Berührung und blinzelte auf das Zifferblatt der Uhr. 23.01 Uhr.
Siebzehn! Sie blickte auf.
Siebzehn? Ich zog die Augenbrauen hoch.
Sie lachte laut auf und hielt sich wieder die Hand vor den Mund. Entschuldigen Sie! Nein, ich wollte Sie nicht ärgern. Sie lachte wieder. Ich bin neunundzwanzig.
Diese Hexe! Sie wäre die perfekte Schattenbegleiterin gewesen, sie hätte meinen einsamen Nächten wieder einen Sinn gegeben. Wie damals, als ich gemeinsam mit Jannoine über die Felder der Plantagen hetzte, wir uns in der nassen Erde liebten, in die Herrenhäuser einstiegen, im Blutrausch die Angestellten rissen, die Schafe in den Ställen schlugen, unseren Hunger stillten und anschließend aus den lodernden Flammen der Schuppen in die Nacht flohen. Jannoine war frech, verführerisch und wissbegierig. Sie liebte das Spiel und trieb uns in die irrwitzigsten Situationen, bis es eines Nachts vorüber war und sie mit dem Fuß in eines der Fangeisen stolperte, welches die Nigger vor einer Plantage aufgestellt hatten. Beim Klang ihres Schreies erstarrte ich, jagte zurück und sah sie im Schein der Fackeln, über ihr Bein gebeugt, die Sehnen des Gelenks durchbeißen, und dann waren sie am Rande der Felder, die Nigger, heulend und jubelnd, mit Pfählen, Harken, Mistgabeln, Reisig und Petroleumbehältern. Umringt von einer Horde Sklaven, mit Forken niedergehalten, von Petroleum übergossen, riss sie sogar noch zwei der schwarzen Niggerbrut, die ihr zu nahe kamen, und dann qualmte die Rauchwolke und verdunkelte den Mond. In dieser Nacht roch es nach verbranntem Fleisch. Sie nahmen Rache, Vergeltung für alles was ihnen die Weißen in den vergangenen Jahrzehnten angetan hatten. 1812 war ich noch jung, kräftig, roh und voll des Hasses, doch ein Jahrhundert später blieb davon nur Ermüdung, Einsamkeit und Schwäche übrig. Manchmal hörte ich Jannoines Heulen in der Nacht ...
Tack. Mein Blick fiel auf die Uhr, der Zeiger war auf die nächste Minute gesprungen. Sie sollten jetzt gehen!
Ein überraschter Blick. Und Sie?
Leben Sie wohl!
Im selben Augenblick wurde die Tür von der Straße aufgestoßen. Fünf Männer betraten das Lokal. Es waren Weiße, sie trugen Stiefel und Ledermäntel, die bis zum Boden reichten.
Gehen Sie!, befahl ich. Sofort!
Die Männer verteilten sich im Lokal. Ich löste mich von der Bar und ging einige Schritte auf sie zu, bis ich in ihrer Mitte stand.
Raus aus der Bar!, brüllte einer von ihnen.
Auf den ersten Blick wirkten sie unerschrocken, doch in ihren Augen erkannte ich Furcht. Sie waren jung, und ich bemerkte ihr Zögern in der Stimme, roch ihre Angst und fühlte das Zucken ihrer Nervenenden.
Ich bin bereit. Ich schloss die Augen und breitete die Arme aus. Neben mir hörte ich Stühle rücken, Gemurmel und schnelle Schritte. Der Barmann, die Kartenspieler und die Musiker stürzten aus der Bar. Sekunden später schlug die Tür wieder zu. Es war still, nur der Atem der Männer war zu hören, das aufgeregte Pochen ihrer Herzen und der Schweiß, der ihnen in dicken Tropfen aus den Poren kroch.
Ich bin bereit, wiederholte ich. Nur noch wenige Sekunden. Wenn sie ihre Arbeit verstanden, würde der Schmerz schnell vorüber sein.
Diese Männer ..., flüsterte eine Stimme an meiner Seite. Mein Kopf zuckte herum, neben mir sah ich das schwarze Gesicht der Sängerin. Ihr Lächeln war einem angstvollen Ausdruck gewichen.
Was tun Sie?, brüllte ich. Raus hier!
Sie starrte mich an.
... es sind Vampirjäger!, hauchte sie.
Erst jetzt klafften die Mäntel der Männer auf, an deren Innenseiten schwere Hämmer und Holzpfähle an Lederschlaufen baumelten.
Woher wussten Sie das?, fuhr ich sie an.
Sie antwortete nicht, sondern schmunzelte wieder, mit den gleichen lasziven Zügen wie zuvor. Diese Hexe! Die langen, weißen Eckzähne hoben sich blitzend von der dunklen Haut ab.
Neiiiin!, rief ich. Gleichzeitig kam der erste Todesbote mit erhobenem Pfahl und wollte ihn mir durchs Herz stoßen. Ich tanzte zur Seite, brach ihm den Arm mit einem Handgriff, schlug ihm das Nasenbein in die Stirn. Noch bevor sein Holzpfahl zu Boden polterte, waren die anderen herbei. Blut spritzte, als ich einem die Gurgel aus dem Hals riss, unter einem Stoß hinwegtauchte, den Schwung umleitete, dem Nächsten den Pfahl in den Leib rammte, den Kopf des Vierten wie ein Streichholz in den Nacken knickte und den letzten Kerl mit beiden Armen hochschwang, um ihm die Wirbelsäule über der Kante des Bartresens zu brechen. Sein Mantel flatterte hoch, und zwölf Zoll lange Silbernägel fielen klimpernd aus der Manteltasche.
Die Schwarze stand während des Kampfes, der kaum einen Atemzug gedauert hatte, stumm neben mir. Ich richtete mich auf, wischte mir das Blut aus dem Gesicht und starrte sie an. Weshalb hast du mir das nicht eher gesagt?
Du bist schnell. Sie blickte sich mit geweiteten Augen um. Viel schneller als alle anderen, die ich bisher gesehen habe.
Ich ging zum Tresen, nahm meinen Mantel, griff nach dem Stock und dem Zylinder. In wenigen Minuten würden Dutzende Constables und Wachtmeister hier sein. Wir durften nicht viel Zeit damit vergeuden, den fetten Nigger zu besuchen, uns mein Vermögen anzueignen und aus der Stadt zu fliehen.
Komm mit mir! Ich drehte mich um. Wir können ...
Wie durch Butter drang mir der Holzpfahl in den Körper, ich hörte die Rippen des Brustkorbs brechen und das Fleisch am Rücken reißen. Die Beine sackten unter mir weg. Ich spürte, wie sich der Pfahl durch die Tresenwand bohrte.
Was ...?, brachte ich noch heraus. Ich schwebte zur Zimmerdecke, überblickte die gesamte Bar, fünf leblose Körper im Raum verstreut, sah mich anschließend selbst, kreischend, meinen Körper an den Tresen gepfählt, die Beine zuckend, mit den Händen um mich schlagend.
Sekunden später fuhr meine Seele wieder in den Körper, ich spürte den Schmerz, bemerkte die Nässe im Hosenbein, roch den Urin.
Du stinkst wie ein Tier! Das Gesicht der Sängerin war vor mir, ihre Augen funkelten böse.
Die Silbernägel ..., keuchte ich. Sie lagen am Boden verstreut, ich tastete über die Holzdielen, konnte sie aber nicht erwischen.
Schnell!, presste ich hervor. Meine Seele zerriss, ich brauchte sie, alle sieben, die Erlösung!
Scheiß auf die Silbernägel! Sie wischte mit der Handfläche über den Boden. Weit entfernt klimperten die Nägel gegen die Wand, unerreichbar für mich.
Du wolltest doch nur gute Männer, keine Nigger!, fauchte sie. Ihr schwarzes Gesicht war zu einer Fratze verzerrt, mit gewaltigen, spitzen Eckzähnen. Sie drehte den Pfahl in meinem Herzen, sodass meine Seele endgültig aus dem Körper fuhr.
Ihre Stimme kreischte mir nach.
Fahr zur Hölle, weißer Bastard!
© September 1999 by Andreas Gruber
18. Jul. 2007 - Andreas Gruber
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