Zeitschiffe
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Buch / Science-Fiction
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Fortsetzungen erfolgreicher Romane stranden oft auch dann, wenn der Verfasser des Erstlings selbst sie schreibt. Greift aber ein anderer Autor die Idee auf, fehlen dem Zweitaufguss Saft & Kraft des Originals noch öfter. Hilft es da, ein Buch als autorisierte Fortsetzung anlässlich der spektakulären Neuverfilmung (des Originals) noch einmal neu aufzulegen? Viele Kinogänger tun sich keine 730 Seiten an; und der Fan äugt aus o. g. Gründen sicher äußerst misstrauisch.
Doch Stephen Baxters Buch verdient das Misstrauen höchstens teilweise. Ja, nicht alles darin ist originell erzählt. Ja, es gibt Episoden, deren Themen anderswer besser zu Literatur gemacht hat. Aber vor allem der fünfte und sechste Teil des Buches, wo Baxter nicht Wells oder Orwell, sondern Baxter sein will, machen das Werk lesenswert. Ende der Vorrede.
Fakten:
Der Zeitreisende (und Ich-Erzähler) hat bei seinem ersten Besuch in der Zukunft versagt, als er die Eloi Weena im Stich ließ - obwohl sie den Morlocks zum Opfer fallen würde. Also kehrt er zurück, um den Fehler auszubügeln - aber er findet alles verändert: Deklination, Rotation und Revolution der Erde sind aufgehoben, die Sonne verschwindet ... Die erste Zeitreise hat die Zukunft verändert! Statt degenerierter lichter Eloi und degenerierter düsterer Morlocks gibt es nur noch Morlocks - gebildete Angehörige einer Superzivilisation, welche per Dyson-Sphäre die Energie der Sonne maximal nutzt. Einer von ihnen, der Wissenschaftler Nebogipfel, wird des Erzählers Begleiter auf einer Reise, die in Alternativwelten, in die Urzeit, zum Beginn der Zeit, zum Tod der Erde und ins Universum der Optimalen Historie führt. Baxter, der sich im Verlauf des Romans immer mehr als der profilierte Hardcore-Autor zeigt, der er eigentlich ist, entwickelt aus fundierten mathematisch-physikalischen und philosophischen Überlegungen sein Konzept der Multiplizität der Historien und zeichnet in einer oft spannenden Handlung das Bild einer Menschheit, die mehr kann als sich selbst zerstören. Zugleich erleben wir die Entwicklung des Reisenden vom relativ beschränkten Homo sapiens victoriensis zum selbstkritischen, die eigenen Grenzen überwindenden Wesen - ein Prozess, den Nebogipfel begleitet, fördert und distanziert-ironisch kommentiert; so wird menschliche Denk-Enge immer wieder aufgebrochen. Natürlich bleiben Erzähler und Morlock die einzigen tiefer angelegten Figuren, alle übrigen sind nur Staffage der Handlung; aber das ist bei Baxters gigantischer Konzeption zu erwarten und in diesem Kontext kein Nachteil. Fazit: Es ist bemerkenswert, wie ein Autor unserer Zeit mit kritischem Optimismus die Frage nach den Perspektiven der Menschheit stellt - und wie er die Antwort in einem nicht immer überzeugenden, aber gut lesbaren, kaum langweiligen Roman umsetzt.
The Timeships, 1995; München 2002, Heyne 01/13533, 730 S., i 8,95, ISBN 3-453-21091-3
28. Okt. 2006 - Peter Schünemann
http://www.solar-x.de
Der Rezensent
Peter Schünemann
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