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Merlins Tochter

MERLINS TOCHTER

Buch / Fantasy

Der wievielte Artus/Merlin/Morgaine/...-Roman ist das eigentlich? An die zehn habe ich rezensiert, gelesen weit mehr. Die Highlights waren Mary Stewarts Merlin-Zyklus (=> SX 104) und natürlich MZBs "Die Nebel von Avalon”; den Tiefpunkt markierte Susan Shwartz’ "Der Wald von Broliande” (=> SX 67). Und alle mischten die Karten neu, besetzen Rollen um, rückten Verhältnisse in ein anderes Licht ... Ein Beispiel: Wer ist Mordreds Mutter? Mary Stewart: Artus’ Halbschwester Morgause, die Frau des Königs Lot von Orkney. MZB: Artus’ Halbschwester Morgaine, die Priesterin von Avalon. Anne E. Crompton: Weder Morgause noch Morgaine, sondern Niviene, die Tochter Merlins (?) und der Herrin von See, Nimway (= Nimue). Niviene wird an Artus’ Hof irrtümlich Viviane genannt. In anderen Quellen sind Nimue, Niniane (= Niviene) und Viviane ein und dieselbe Person. Hingegen gibt es bei MZB eine Nimue als spätere Herrin vom See und Viviane als ihre Vorgängerin; diese ist die Schwester Igraines, also die Tante von Artus und Morgaine, und zugleich die Mutter Lancelots, welcher damit zum Cousin der beiden wird ... während Cromptons Lancelot Nivienes Pflegebruder ist und ihre Morgan zwar Artus’ Halbschwester, aber nicht Mordreds Mutter, sondern seine Pflegemutter ... Das klingt vielleicht auf den ersten Schreck verwirrend, macht aber einen Teil der Faszination des Artus-Stoffes aus.

Die Geschichte dieses Stoffes beginnt in der walisischen und bretonischen Literatur des 6. bis 11. Jahrhunderts, welche noch ältere Namen und Motive aus der vorchristlichen keltischen Mythologie aufgreift. Weitere Meilensteine sind die "Historia Regum Britanniae” des Geoffrey von Monmouth (12. Jh.) und die Werke des französischen Dichters Chretien de Troyes sowie seiner Nachfolger, u. a. des Deutschen Wolfram von Eschenbach (12./13. Jh.). Den letzten mittelalterlichen Höhepunkt bildet Thomas Malorys "Le Morte Darthur” (um 1480). Später nehmen sich die deutschen, französischen und englischen Romantiker des Stoffes an. Für das 20. Jahrhundert wäre z. B. Tankred Dorsts Drama "Merlin oder Das wüste Land” (1981) zu nennen; auch der DDR-Schriftsteller Christoph Hein kleidete seine Systemkritik 1988 in das Stück "Die Ritter der Tafelrunde” ... Und die Straße reicht bis zu den x Bearbeitungen der ab den 60ern boomenden Fantasy. Die Zahl der Werke ist Legion (nicht gerechnet die Verfilmungen!). Es dürfte nicht viele andere Stoffe der Weltliteratur geben, die derart lange lebendig geblieben und derart oft variiert worden sind - was also macht die Faszination dieser Geschichte aus?

Ich möchte vier Gesichtspunkte nennen (es gibt sicher mehr). Zum einen erzählt sie vom kämpfenden Guten und von der nie versiegenden Hoffnung auf eine bessere Welt; Camelot und die Tafelrunde stehen als Symbole für eine gerechte Ordnung. Zum zweiten bewegt das Scheitern der Helden mehr als ein Happy-end, das man wünscht, aber nie ganz glaubt; außerdem ist es ein großes Scheitern, das späteres Gelingen verheißt. Zum dritten leben ganz verschiedene Menschen in Artus’ Welt - wirkliche Menschen, die sich freuen und leiden, oft das Gute und oft das Böse wollen und mitunter, ohne es zu wollen, beides bewirken; Menschen, die Lust und Schmerz empfinden und in deren Geschichten sich alle Motive und Gefühle finden, die auch uns bewegen. Und zum letzten reizt wohl gerade die Fülle der Literatur zu eigener Gestaltung: jedes Werk ein neues Experiment, ein besonderer Akzent; Figuren werden anders in Beziehung gesetzt und anders gedeutet, manche steigen zu Bedeutung empor, andere verschwinden fast ganz, doch der nächste Dichter korrigiert das wieder. Gestalten lassen sich hinzuerfinden, wie Prinz Eisenherz, kaum weniger berühmt als Lancelot - aber selbst Lancelot ist eine Erfindung, die im erst in den französischen und deutschen Romanen und Epen des 12. Jahrhunderts auftaucht, also nach bereits 6 Jahrhunderten geschriebener Artusliteratur. - So bietet sich dieser Stoff förmlich als Ausgangspunkt des Schreibens an. Er offeriert einerseits ein tradiertes Figurentableau, und Leser lieben Wiedererkennenseffekte. Diese erleichtern auch die Verständigung mit dem Autor, die bekannten Namen sind Metaphern, in deren Gebrauch ein leidlich belesener Mensch relativ sicher ist. Andererseits sind die Grenzen der Geschichte so weit gesteckt, dass jede Dichterin, jeder Dichter eigene Wege gehen und unter dem Deckmantel des Bekannten das darstellen kann, was sie / ihn besonders bewegt. Man kann den Stoff gerade wegen der Bekanntheit des Stoffes vergessen und sich auf das neu zu Sagende / neu Gesagte konzentrieren. Oder aber: Die Bekanntheit des Stoffes reizt zum Bruch, der Nachfragen, Nachdenken herausfordert.

Wie reiht sich nun Anne E. Cromptons Buch in diese Tradition ein? Vorweg genommen habe ich schon einige personelle Änderungen, auf die ich nicht weiter eingehen möchte; vorweg genommen sei gleichfalls, dass der Text gut lesbar ist. Psychologische oder soziale Tiefe weist er freilich wenig auf; gut 300 Seiten gestatten dies auch wohl kaum, Tiefe fängt bei diesem Stoff in MZB- oder Stewart-Dimensionen an, es sei denn, man verzichtete auf epische Breite und konzentrierte sich nur auf einen kleinen Ausschnitt der Saga. Wer aber, wie Crompton, einen Großteil der vollen Distanz absolvieren will - von Nivienes Geburt bis zu Artus’ Tod -, der kann sich an den Giganten des Subgenres nicht messen. Trotzdem ist ein gutes Buch entstanden.

Der erste Grund dafür ist ein inhaltlicher: Crompton rückt die weibliche Protagonistin ins Zentrum; alle anderen Figuren verblassen gegen diese eine, die als Ich-Erzählerin natürlich die Deutungshoheit (des - notwendig - eingeschränkten Blickwinkels) hat. Zugleich wendet sie den Kunstgriff an, ihre Heldin gelegentlich mittels Magie Schlüsselereignisse aus anderer Perspektive sehen zu lassen - Niviene versetzt sich in den Geist etwa von Mordred oder von Lancelot und gibt dann (ebenfalls in der Ich-Form) wieder, was diese erleben. Somit begreift sie einiges besser. Außerdem erschafft die Autorin ihre Hauptfigur als Elfe und betont immer wieder deren enge Beziehung zum Elfenleben, das sie durchaus originell schildert. Hier liegt der Akzent, der dieses Roman nicht verwechselbar macht. - Inhaltlich gelungen finde ich auch die (seltenen) Schilderungen der Welt der Menschen des frühen Mittelalters; Crompton bemüht sich sichtlich um Nähe zu den Wurzeln des Stoffes (Camelot als größeres Dorf mit einem Erdwall, die Ritter als an Knochen nagende, Schweiß und Sperma ausdünstende Männer). Sie will auch dem einfachen Volk ("Träger der Menschengesellschaft”) gerecht werden, das episodisch auftaucht. - Gleichfalls hervorzuheben ist die Geschichte von Merlins Ende; das tradierte Motiv der Einschließung in den Baum deutet Crompton gelungen um, und auch das Resümee des Zauberers über die eigenen Fehler bringt Neues, vor allem in Bezug auf die Gralsgeschichte: Der Gral ist nur eine Erfindung Merlins, um die Leute vom Christentum anzubringen - was sich ins Gegenteil verkehrt.

Der zweite Grund des Gelingens liegt in der Form des Erzählens. Die einzelnen Kapitel (das beste und intensivste, das erste, ist auch das längste) bilden oft nahezu abgeschlossene Erzählungen, einige Sätze stellen zeitliche Distanzen und Verbindungen zum Vorhergehenden oder Folgenden klar. Diese Technik des Auslassens erlaubt es, sich auf die einzelne Szene stärker zu konzentrieren; allerdings muss der Leser vieles aus seiner Kenntnis des Mythos hinzutun, und manches kürzere Kapitel, wie das von Gweneveres und Lancelots Sünde und von der Rettung der Königin, folgt sehr dem Gewohnten. Unterscheidet man den Elfen- und den Menschen-Strang des Textes, so liegen die Stärken bei ersterem, die Schwächen bei letzterem (ausgenommen die Gildas-Kapitel, wo eine historische Figur des 6. Jahrhunderts, ein geschichtsschreibender Abt, als neuer Protagonisten auftaucht und gut integriert wird).

Insgesamt: Große Literatur liegt hier nicht vor; auch die Sprache schmeckt bisweilen nach Klischee, und die Gedichte fügen sich selten organisch ein, überzeugen als Lyrik wenig (zumindest in der Übersetzung). Aber dennoch gehört dieses Buch zu den besseren Artus-Romanen und hat einiges Neue zu bieten; ich kann es also guten Gewissens empfehlen und werde auch in die beiden folgenden einen Blick werfen (schon aus Neugierde, was es nach Artus’ Tod noch zu sagen gibt).

Merlin’s Harp (der deutsche Titel wurde wieder einmal "kühn” gesetzt), © 1995 by Anne Eliot Crompton,, aus dem Amerikanischen übertragen von Joachim Pente und Birgit Reß-Bohusch (die Gedichte), München 1997, 311 S., _ 8,90, ISBN 3-492-26510-3











































Kurzversion:
Und wieder einmal: Artus!
Anne Eliot Crompton: Merlins Tochter (Piper Fantasy 6510)
gelesen von Peter Schünemann

Der wievielte Artus/Merlin/Morgaine/...-Roman ist das eigentlich? An die zehn habe ich rezensiert, gelesen weit mehr. Die Highlights waren Mary Stewarts Merlin-Zyklus (=> SX 104) und natürlich MZBs "Die Nebel von Avalon”; den Tiefpunkt markierte Susan Shwartz’ "Der Wald von Broliande” (=> SX 67). Und alle mischten die Karten neu, besetzen Rollen um, rückten Verhältnisse in ein anderes Licht ... Ein Beispiel: Wer ist Mordreds Mutter? Mary Stewart: Artus’ Halbschwester Morgause, die Frau des Königs Lot von Orkney. MZB: Artus’ Halbschwester Morgaine, die Priesterin von Avalon. Anne E. Crompton: Weder Morgause noch Morgaine, sondern Niviene, die Tochter Merlins (?) und der Herrin von See, Nimway (= Nimue). Niviene wird an Artus’ Hof irrtümlich Viviane genannt. In anderen Quellen sind Nimue, Niniane (= Niviene) und Viviane ein und dieselbe Person. Hingegen gibt es bei MZB eine Nimue als spätere Herrin vom See und Viviane als ihre Vorgängerin; diese ist die Schwester Igraines, also die Tante von Artus und Morgaine, und zugleich die Mutter Lancelots, welcher damit zum Cousin der beiden wird ... während Cromptons Lancelot Nivienes Pflegebruder ist und ihre Morgan zwar Artus’ Halbschwester, aber nicht Mordreds Mutter, sondern seine Pflegemutter ... Das klingt vielleicht auf den ersten Schreck verwirrend, macht aber einen Teil der Faszination des Artus-Stoffes aus, dessen Geschichte in der walisischen und bretonischen Literatur des 6. Jahrhunderts beginnt, welche noch ältere Namen und Motive aus der keltischen Mythologie aufgreift. Weitere Meilensteine: die "Historia Regum Britanniae” des Geoffrey von Monmouth (12. Jh.); die Werke des französischen Dichters Chretien de Troyes sowie seiner Nachfolger, u. a. des Deutschen Wolfram von Eschenbach (12./13. Jh.); Thomas Malorys "Le Morte Darthur” (um 1480). Später nehmen sich u. a. deutsche, französische und englische Romantiker des Stoffes an, und im 20. Jahrhundert kleidete z. B. der DDR-Schriftsteller Christoph Hein seine Systemkritik 1988 in das Stück "Die Ritter der Tafelrunde” ... ganz zu schweigen von den x Bearbeitungen der seit den 60ern boomenden Fantasy. Es dürfte nicht viele andere Stoffe der Weltliteratur geben, die derart lange lebendig geblieben und derart oft variiert worden sind.
Wie reiht sich nun Anne E. Cromptons Buch in diese Tradition ein? Vorweg genommen habe ich schon einige personelle Änderungen, auf die ich nicht weiter eingehen möchte; vorweg genommen sei gleichfalls, dass der Text gut lesbar ist. Psychologische oder soziale Tiefe weist er freilich wenig auf; gut 300 Seiten gestatten dies auch wohl kaum, Tiefe fängt bei diesem Stoff in MZB- oder Stewart-Dimensionen an, es sei denn, man verzichtete auf epische Breite und konzentrierte sich nur auf einen kleinen Ausschnitt der Saga. Wer aber, wie Crompton, einen Großteil der vollen Distanz absolvieren will - von Nivienes Geburt bis zu Artus’ Tod -, der kann sich an den Giganten des Subgenres nicht messen. Trotzdem ist ein gutes Buch entstanden.
Der erste Grund dafür ist ein inhaltlicher: Crompton rückt die weibliche Protagonistin ins Zentrum; alle anderen Figuren verblassen gegen diese eine, die als Ich-Erzählerin natürlich die Deutungshoheit (des - notwendig - eingeschränkten Blickwinkels) hat. Zugleich wendet sie den Kunstgriff an, ihre Heldin gelegentlich mittels Magie Schlüsselereignisse aus anderer Perspektive sehen zu lassen - Niviene versetzt sich in den Geist etwa von Mordred oder von Lancelot und gibt dann (ebenfalls in der Ich-Form) wieder, was diese erleben. Somit begreift sie einiges besser. Außerdem erschafft die Autorin ihre Hauptfigur als Elfe und betont immer wieder deren enge Beziehung zum Elfenleben, das sie durchaus originell schildert. von dem sie ein - jedenfalls mir - neues Bild zu zeichnen versteht. Hier liegt der Akzent, der dieses Roman nicht verwechselbar macht. - Inhaltlich gelungen finde ich auch die (seltenen) Schilderungen der Welt der Menschen des frühen Mittelalters; Crompton bemüht sich sichtlich um Nähe zu den Wurzeln des Stoffes (Camelot als größeres Dorf mit einem Erdwall, die Ritter als an Knochen nagende, Schweiß und Sperma ausdünstende Männer). Sie will auch dem einfachen Volk ("Träger der Menschengesellschaft”) gerecht werden, das episodisch auftaucht. - Gleichfalls hervorzuheben ist die Geschichte von Merlins Ende; das tradierte Motiv der Einschließung in den Baum deutet Crompton gelungen um, und auch das Resümee des Zauberers über die eigenen Fehler bringt Neues, vor allem in Bezug auf die Gralsgeschichte: Der Gral ist nur eine Erfindung Merlins, um die Leute vom Christentum anzubringen - was sich ins Gegenteil verkehrt.
Der zweite Grund des Gelingens liegt in der Form des Erzählens. Die einzelnen Kapitel (das beste und intensivste, das erste, ist auch das längste) bilden oft nahezu abgeschlossene Erzählungen, einige Sätze stellen zeitliche Distanzen und Verbindungen zum Vorhergehenden oder Folgenden klar. Diese Technik des Auslassens erlaubt es, sich auf die einzelne Szene stärker zu konzentrieren; allerdings muss der Leser vieles aus seiner Kenntnis des Mythos hinzutun, und manches kürzere Kapitel, wie das von Gweneveres und Lancelots Sünde und von der Rettung der Königin, folgt sehr dem Gewohnten. Unterscheidet man den Elfen- und den Menschen-Strang des Textes, so liegen die Stärken bei ersterem, die Schwächen bei letzterem (ausgenommen die Gildas-Kapitel, wo eine historische Figur des 6. Jahrhunderts, ein geschichtsschreibender Abt, als neuer Protagonisten auftaucht und gut integriert wird).
Insgesamt: Große Literatur liegt hier nicht vor; auch die Sprache schmeckt bisweilen nach Klischee, und die Gedichte fügen sich selten organisch ein, überzeugen als Lyrik wenig (zumindest in der Übersetzung). Aber dennoch gehört dieses Buch zu den besseren Artus-Romanen und hat einiges Neue zu bieten; ich kann es also guten Gewissens empfehlen und werde auch in die beiden folgenden einen Blick werfen (schon aus Neugierde, was es nach Artus’ Tod noch zu sagen gibt).

Merlin’s Harp, © 1995 by Anne Eliot Crompton,, aus dem Amerikanischen übertragen von Joachim Pente und Birgit Reß-Bohusch (die Gedichte), München 1997, 311 S., _ 8,90, ISBN 3-492-26510-3

Anne E. Crompton: Gawain und die Grüne Dame
(Piper Fantasy 6514)
gelesen von Peter Schünemann

Wieder einmal entführt Anne E. Crompton den Leser in die Welt der Artuslegenden (siehe auch "Merlins Tochter”, SX 154). Diesmal widmet sie sich dem lt. Wilperts Lexikon der Weltliteratur "beste Werk der mittelenglischen Artusdichtung”. Dieses "verbindet heimisch-germanische und französische Stiltraditionen und zeigt Bilder höfischer Kultur kontrapunktisch verbunden mit Schilderungen der wilden Natur und detailreicher Jagden. <...> Das Werk zeigt den idealen Ritter in der höfischen Gesellschaft und auf einsamer Abenteuerfahrt.”
Da Crompton in ihrem Buch eine eigene Lesart des tradierten Stoffes anbietet, sei Wilpert auch noch zum Inhalt zitiert: "Der grüne Ritter soll in Auftrag der Fee Morgne den Artushof demütigen. Gawain sucht auf mühsamen Wegen den Ritter, der zu einer Mutprobe (Kopfabschlagen) aufgefordert hatte. Im Schloß Bercilacs de Hautdesert kann er drei Tage den Verführungen der Schloßherrin widerstehen; am vierten trifft er den grünen Ritter, der ihm mit der Axt den Hals ritzt, da er einen lebenssichernden Gürtel, ein Geschenk der Dame, verheimlicht hatte. Der Ritter gibt sich als Bercilac zu erkennen und erklärt Gawain, dessen Tapferkeit und Tugend den Plan Morgnes zunichte gemacht haben, das Geschehen. Gawain schämt sich wegen seiner Feigheit; am Artushof wird er freudig empfangen und getröstet.”
Die Autorin behält dieses Schema im Wesentlichen bei, setzt aber die Akzente anders und erzählt eine (wesentliche und ausgedehnte) Vorgeschichte: Gawain, auf Erkundungsfahrt im Norden, erreicht ziemlich mitgenommen ein kleines Dorf. Dort wird ein Fest gefeiert - und kaum werden die Dorfbewohner seiner ansichtig, krönen sie ihn anstelle eines jungen Burschen zum Maikönig und machen ihn zum Mann der Maikönigin. Das ist Gwyneth, die (grün gekleidete) "Grüne Dame”, Angehörige einer Familie von Weisen Frauen (oder Hexen, wenn’s beliebt) - und eine äußerst sympathische, lebenslustige junge Frau, kräftig, lebendig, reizvoll, kein Burgfräulein oder dergleichen Ziergewächs mit Hoher Minne und all dem idealen Kram ... Gawain muss bei ihr liegen und sie lieben, und zwar täglich, damit die Saaten gut gedeihen. Er hat denn auch Spaß daran, genau wie am guten Essen und am "Rittertraining” mit den männlichen Dorfbewohnern; er weiß nicht, dass der Maikönig am Ende des Sommers den unsichtbaren Mächten, der Göttin geopfert wird. Als er es durch Zufall erfährt, erpresst er Gwyneth durch Liebesentzug - und da sie ihn wirklich liebt, willigt sie ein, gemeinsam mit ihm zu fliehen. Sie lässt sogar ihre Tochter zurück ...
Natürlich endet die Geschichte nicht mit dieser Flucht (der Grüne Ritter tritt auch noch auf, keine Sorge), aber man erkennt schnell, dass Crompton zum einen die Traditionen feministisch geprägter Fantasy aufgreift (ohne sich freilich mit Werken wie "Die Nebel von Avalon” messen zu können), zum anderen (gleichfalls tradiert) die alte Religion der Göttin, der Hexen und Druiden mit der neuen des Christengottes konfrontiert. Ihre Sympathien sind dabei eindeutig auf Seiten der Frau gegen den Ritter, auf Seiten der Göttin gegen Christus und Maria, auf Seiten des Alten gegen das Neue. Dennoch, und das ist angenehm zu lesen, verfällt sie nicht in Schwarzweißmalerei: Auch die Grüne Dame hat ihre dunklen Seiten, ist nicht nur Opfer, und Gawain wird nicht verteufelt - er macht Fehler, begeht Verrat (auch an seiner Ritterehre), aber er ist tapfer genug, sich der eigenen Schuld zu stellen. Und es ist schließlich ein Mann, der Druide Merry, Vater von Gwyneths Tochter, der entscheidend dazu beiträgt, dass der Hass erlischt, dass beide gelernt haben, was sie lernen müssen. Für Gawain freilich endet das Abenteuer nicht nur durch den Streich mit der Axt schmerzlich: Er erlebt die Schmerzen einer neuen Selbsterkenntnis und eines neuen Anfangs.
"Gawain und die Grüne Dame” wird schnörkellos erzählt; auffällig ist die Eigenart der Autorin, ihre Protagonisten (vor allem die Titelfiguren) mit sich selbst reden zu lassen. Gwyneth tritt in ihren Kapiteln als Ich-Erzählerin auf, die das eigene Handeln reflektiert, aber auch Zwiesprache mit den Mächten (und Dämonen) der Natur hält, während Gawain quasi über zwei innere Stimmen verfügt, eine ermahnt ihn immer wieder, moralisch zu handeln. Das Werk wirkt homogen, denn es erzählt nur einen Zeitraum von gut eineinhalb Jahren, und Crompton konzentriert sich ganz auf die Vorgänge im bzw. beim Dorf und das Innenleben der beiden Hauptfiguren, einen kurzen, nötigen Ausflug an den Artushof ausgenommen. Auch Merlin oder Artus selbst treten nur in Nebenrollen auf, nichts wird hinzugefügt, was nicht nötig wäre. Es gelingt der Autorin, ihre eigene märchenhaftes Geschichte zu schaffen und Probleme wie Mysterien zufriedenstellend aufzulösen (wobei, was auch gut ist, ein Rest Geheimnis bleibt). All dies macht das Buch zu einem durchaus empfehlenswerten Stück Lesestoff.

Gawain and Lady Green, © 1997 by Anne Eliot Crompton, übersetzt von Birgit Oberg und Birgit Reß-Bohusch 2003, 243 Seiten, _ 8,90
ISBN 3492265146







Anne E. Crompton: Percival und die schöne Elfe
(Piper Fantasy 6515)
gelesen von Peter Schünemann

Nichts wirklich Neues - aber auch nichts Schlechtes - bei Anne Eliot Crompton: immer noch die Artus-Sage, immer noch die Taktik, sie zum Teil aus der Sicht nicht-menschlicher Wesen zu erzählen. Diesmal spricht die Elfe Lili, die Kinderfreundin Percivals (hierzulande wohl besser bekannt als "Parzival”). Wir erleben recht komprimiert und zum Teil streiflichtartig mit, wie Young Percy zum ersten Mal auf Ritter trifft, von ihnen etwas über Artus und Rittertum hört und beschließt, in die Welt zu ziehen, um der beste Ritter der Tafelrunde zu werden. Lili, die ein Menschenherz erwerben möchte (ohne zu wissen, worauf sie sich da einlässt), begleitet ihn; sie liebt ihn, versorgt ihn, beschützt ihn vor Gefahren. Rückblenden geben Ereignisse der Vergangenheit preis, zum Beispiel die Flucht von Percys Mutter Alanna in den Elfenwald, wo ihr Sohn dem Ritter-Schicksal und dem Tod seiner Brüder entgehen soll. Und natürlich geht es auch auf die Suche nach dem Gral. Percival macht dabei Station in der Burg seines Ziehvaters Gahart, schläft unerlaubt mit dessen Tochter, wird von Gahart verwundet und verjagt, trifft auf den Heiligen See und Vater Fischer, einen Nachkommen Joseph von Arimathias, wird gesund gepflegt und findet endlich den Gral - aber nicht im sichtbaren, irdischen Bereich, sondern in sich selbst. Somit wird er endlich eins mit sich, besteht nicht mehr "aus Eis”, sondern ist ein wahrer Mensch geworden (was besser ist als ein wahrer Ritter). So deute zumindest ich den etwas abrupten und nicht völlig schlüssigen Schluss.
Das Buch ist wie immer locker geschrieben, stellenweise auch recht vergnüglich. Neue Variationen über ein altes Thema bringt die Sicht der Elfe, der es mitunter recht schwer fällt, die Welt der Menschen zu verstehen (was nicht Lilis Schuld ist). Crompton nutzt wieder den Wechsel vom Er-Erzähler (Menschen-Handlung) zum Ich-Erzähler (Lili-Sicht); die fremden Wesen sind bei ihr immer etwas wirklicher und verständlicher, sind quasi alter ego zur Menschenwelt - sie leben auf eine Art, die die menschliche Lebensweise in Frage stellt, aber auch von ihr in Frage gestellt wird. Dabei versucht Crompton Gegensätze nicht aufzuwerfen und zu vertiefen, sondern zu glätten; ihre Geschichten haben ein Happy-end (was hier nicht kritisch gemeint ist). Sie vermeidet Herz-Schmerz-Tiraden und legt ihren Figuren eine Sprache in den Mund, die auch auf Kraftausdrücke wie "ficken” oder "scheißen” nicht verzichtet, wohldosiert wohlgemerkt, was das Buch realistischer und sympathischer macht. Schwer verdaulich hingegen sind die "Gedichte”, die jedem Kapitel vorangehen und auf Deutsch ziemlich verkrampft klingen. Es wäre sicherlich besser, sie im Original stehen zu lassen und für Bedürftige die Rohübersetzungen als Anhang zu liefern. Doch das kostet ja zusätzliche Seiten und wird also nicht zu erhoffen sein ...
"Percival und die schöne Elfe” ist alles in allem ein durchschnittlich gutes, unterhaltsames Buch, das man lesen kann, nicht muss. Aber dergleichen muss man auch erst einmal schreiben können.

Percival’s Angel © 1999 by Anne Eliot Crompton, übersetzt von Michael Koseler 2004, 281 Seiten, _ 8,90, ISBN 3492265154

29. Okt. 2006 - Peter Schünemann
http://www.solar-x.de

Der Rezensent

Peter Schünemann

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