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Morbus Sembten

MORBUS SEMBTEN

Malte S. Sembten
Roman / Kurzgeschichten

Verlag Robert Richter

Taschenbuch, 190 Seiten
ISBN: 978-393244207-0

Apr. 2007, 1. Auflage, 16.80 EUR
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Er gehört inzwischen zu den vielseitigsten deutschen Phantastik- Autoren. In vielen Anthologien sind seine ausgefeilten Kurzgeschichten vertreten. Insbesondere die düsteren Texte sind seine Heimat. In der vorliegenden Anthologie präsentiert Malte S. Sembten unter dem wohlklingenden Titel „Morbus Sembten“ insgesamt zehn Kurzgeschichten, von denen neun bislang in verschiedenen Sammlungen und Magazinen schon erschienen sind. Nur „Der Spukpalast“ – einer der längsten Texte – ist eine Erstveröffentlichung. Der Autor hat alle Storys für die Neuauflage sorgfältig überarbeitet.


„Die Krakelkult- Kampagne“ eröffnet die Sammlung. Mit viel bissiger Ironie setzt sich der Autor mit der gewissenlosen Werbeindustrie auseinander. In diesem Fall soll Pit eine Kampagne zur Produkteinführung – niemand weiß außer dem Leser, was das Produkt sein könnte – für den Slogan „Cthulhu R´lyeh“ – gestalten. Dazu nutzt er die Guerilla- Pipeline. Die erste Hälfte der Geschichte ist überzeugend dank Sembtens ironischem Stil. Die Prämisse, in der weder die Werbeleute noch die Öffentlichkeit zumindest von Lovecrafts „Cthulhu“ gehört haben, erfordert eine gewisse Ignoranz vom Leser. Auch zum Ende hin strapaziert der Autor die Konstruktion seiner Geschichte, in typischer – von klassischer Manier lässt sich nicht mehr sprechen – Weise beendet er den Handlungsbogen auf einer dunklen Vorausschau. Als Satire auf die Werbeindustrie und deren fehlendem Gewissen, den Ellenbogenstrukturen dieser Branche und deren vordergründig mondänen Erscheinung ist die kurzweilig zu lesende Geschichte gut, in Zusammenhang mit dem eher durchschnittlichen Plot fällt die Gesamtnote auf ein guter Durchschnitt ab. Auch „Blutgeld“ erscheint dem Leser trotz seiner Kürze – vier Seiten – zu schnell vertraut und der Handel, den der sterbenskranke Kapitalist abschließt, ist auch vertraut. Wenn Malte Sembtens Geschichten zu kurz werden, gelingt es ihm nicht, mit seinem überdurchschnittlichen Stil eine notwendige Atmosphäre zu erschaffen, der bekannte Plot wirkt dadurch noch nackter.
In seinen kurzen Kommentaren zu den einzelnen Geschichten verweist Malte Sembten auf die Tatsache, dass er „Rock the Road“ wie keine andere Story dieser Sammlung nach der Erstveröffentlichung für diese Anthologie überarbeitet hat. Dabei hat sich ihr Umfang verdoppelt. Eine Alptraumfahrt durch die Nacht, eine Alkoholvision nach einem sehr guten Rammstein- Konzert oder etwas für die Verschwörungsfanatiker. Stilistisch sehr ausgefeilt mit der richtigen Mischung aus aufgesetzter Lockerheit und packenden, eindringlichen Passagen wird der Plot in erster Linie von der Stimmung getragen, welche der Autor zumindest in diesem Text aus dem Ärmel zu schütteln scheint. Vielleicht charakterisiert er seinen Protagonisten zu Beginn der Geschichte ein wenig zu exzentrisch – insbesondere seine Spiele mit der Bierdose scheinen übertrieben -, hier wäre es sinnvoller gewesen, die Persönlichkeit ein wenig gängiger zu beschreiben, damit die dunklen Ereignisse eher ihre volle Wirkung entfalten könnten.

Eine Weltuntergangsgeschichte ist „Horm der Ketzer“. Diese Subgenre liegt Malte S. Sembten deutlicher weniger als die gotischen düsteren Geschichten. Der Leser ahnt schon vor den Protagonisten den möglichen Ausgang. Der Glaubenskonflikt zwischen Wissenschaft und Religion ist auch kein neues Thema, nur die außerirdische Perspektive gibt der Story eine gewisse Originalität. Aufgrund des geringen Umfanges kurzweilig zu lesen, aber plottechnisch nicht befriedigend.

„Der Spukpalast“ ist – da die Jubiläumsschrift der Band „House of Usher“ noch nicht erschienen ist – der einzige originale Beitrag zu dieser Anthologie. Wie Malte Sembten in seinen Anmerkungen ausführt, ist er ein wahrer Edgar Allan Poe Junkie (gewesen?). Die Novelle spiegelt diese Bewunderung und Liebe dem Meister des Makaberen gegenüber in jeder Zeile wider. Mit einer Unzahl von bekannten und eher unbekannten Details – auch wenn die Pointe erahnbar gewesen ist, musste zumindest der Rezensent die Verbindung nachschlagen – bestückt erzählt Malte Sembten die Geschichte einer Besessenheit über den gesunden Menschenverstand hinaus. Sehr geschickt kombiniert er Fakten – unter anderem die verschiedenen Sammlerstücke, die mehr oder minder direkt mit Poe in Verbindung gebracht werden – mit einem möglichen übernatürlichen Element. Bei der Auflösung des Plots bleibt der Autor wage, er überlässt es seinen Lesern, sich ein abschließendes Bild von der Authentizität der Ereignisse zu machen. Es hilft bei dieser Geschichte, Poe zumindest gelesen zu haben. So heben die vielen kleinen Nuancen das Lesevergnügen deutlich an. Wie Uwe Voehl - eine Kooperation der beiden Autoren ist ebenfalls in dieser Sammlung vertreten – fühlt sich Malte Sembten im gotischen Gruselgenre augenscheinlich deutlich wohler. Mit präzisen Beschreibungen entwickelt er eine stimmige, erdrückende Atmosphäre. Besonders deutlich wird das in der vorliegenden Story beim Übergang aus der Vergangenheit – der kleine Laden mit der ungewöhnlichen lebenden Türglocke – in die Gegewart – Taxis. Der Kontrast ist scharf, rüttelt den Leser aus seiner Stimmung und verlagert die Geschichte zumindest teilweise auf eine gänzliche neue Ebene. Die einzelnen Fäden laufen schließlich in einem befriedigenden, stimmigen Ende mit einer düster- ironischen Pointe zusammen. Eine gute Geschichte, eine der besten dieser Sammlung.

„Kino der Gefühle“ dagegen ist ein ironischer Titel für die Geschichte, die kommt. Eine dunkle Kriegsanekdote mit einem makaberen Ende. Zu kurz, um die Protagonisten wirklich kennen zulernen und damit etwas für sie zu empfinden. Als Bestandteil einer längeren Geschichte – eine Schlüsselszene – durchaus interessant und sich auch gut erweiterbar, in dieser Form aber leider nur ein Fragment.

Ursprünglich für das Hamburger S/M Magazin „Schlagzeilen“ geschrieben ist „Der Hautobiograph von Grosvenor Square“. Unabhängig vom absichtlich schwülstigen Stil versucht Malte Sembten erfolgreich gotische Elemente in seine Geschichte einzubauen, die erotische Atmosphäre und das Spiel von Herrschen und Beherrschen sorgfältig aufeinander abzustimmen und schließlich ein dunkles, horrorartiges Ende zu präsentieren, das in einem engeren Zusammenhang mit Clive Barkers ersten Büchern des Bluts steht. Auch wenn die Gewalt relativ graphisch ist und die Folterszene zumindest mit eine Mainstreamgeschichte – was sie ja ursprünglich nicht sein sollte – die Grenzen überschreitet, fasziniert sie wahrscheinlich auch nicht Masochisten. Es geht weniger um eine sensationelle Darstellung von gewalttätigen Sexpraktiken, sondern um eine Mischung von Horror und blumig- kitschigen, aber zur – hoffentlich – Übertreibung extrapolierten Ritualen. Zumindest das potentielle Opfer behält schließlich, wie das dunkle Ende zeigt, bis zum Schluss die Kontrolle über ihre Peiniger, die ihr so viel Lust und Schmerz bereiten. Die von Malte Sembten entworfenen Bilder bleiben im Kopf des Lesers, ob sie erotisch stimulierend oder für manchen einfach nur pervers sind, steht auf einem anderen Blatt. Auf jeden Fall provoziert der Autor positiv seine Leser mit dieser Geschichte.

Aus dem Magazin phantastisch nachgedruckt ist „Für eine Faust voll Euros“. Die Geschichte sollte – zumindest aus der Sicht des Autors – in Andreas Eschbachs Euro- Anthologie im Bastei Verlag erscheinen. Dazu ist es nicht gekommen, da zumindest die deutschen Beiträge reichlich und teilweise besser als diese Geschichte vorhanden gewesen sind. Die Idee eines Zeitreise- Killers, der nur mit den Instrumenten der Epoche oder früher morden kann, ist nicht unbedingt neu, das er die Geschichte durch seine Taten verändert, stehen sich selbst die Charaktere zu. Das diese Veränderungen schlagartig geschehen, ist auch keine Überraschung. Je nach dem, welche Persönlichkeit ermordet wird, könnten sich positive oder negative Auswirkungen ergeben. Alle diese Versatzteile werden in der kurzen Geschichte eher distanziert und mit einem übertrieben flapsigen Stil abgehandelt, der Funke zum Leser springt aber nicht über. Science Fiction ist und bleibt ein Genre, in dem Malte Sembten eher durchschnittliche Arbeiten abliefert und „Für eine Haust voll Euros“ ist eine durchschnittliche, nicht überzeugende und vor allem von seiner Prämisse her altbackene Story.

Eine Geschichte aus Dan Simmons „LoveDeath“ Anthologie ist die Inspiration für „Das Wiegenlied“ gewesen. Von der klassischen Entwurzelung des Protagonisten – Umzug wegen eines beginnenden Studiums – in einer eher fragwürdige Umgebung – das beginnt bei dem einsamen Hotel mit den seltsamen Postkarten über die freakige Disco bis zur kleinen Wohnung – zum offenen Ende ist allerdings eher routiniert geschrieben worden. Hans Dormann als Handlungsträger wächst dem Leser nicht sonderlich ans Herz, darum verfolgt man die surrealistisch nicht uninteressanten Ereignisse eher aus der Distanz. Wie bei einigen anderen Geschichten dieser Sammlung springt der Funke aus eher unerklärlichen Gründen nicht über. Gut bis routiniert sind alle Texte geschrieben worden und vielleicht wäre eine Sammlung aus Schmuckstücken wie „Der Spukpalast“ und die „Hautobiographie“ wieder ein Overkill, in dem sich die einzelnen Geschichten negieren.

Die abschließende Story „Geben ist seliger als Nehmen“ zusammen mit Uwe Voehl geschrieben gehört in die Kategorie der makaberen Weihnachtsgeschichte in der Tradition der EC Comics. Die Geldautomaten beginnen am Heiligen Abend die Hände der Abhebenden abzutrennen. Das Chaos bricht aus. Die Weihnachtsstimmung ist dahin. Ein Jahr später könnte sich der makabere Kreis schließen. Kurzweilig zu lesen mit der richtigen Balance aus Ironie und Horror. Die Autoren gehen nicht zu sehr in die Details, sondern überlassen ihre Leser mit dem Schrecken einer alltäglichen Situation. Dieser werden sich vielleicht beim nächsten Besuch am Geldautomaten den mechanischen Helfer ganz genau ansehen.

„Morbus Sembten“ ist als Ganzes betrachtet eine empfehlenswerte Geschichtensammlung. Malte Sembten hat sich seit einiger Zeit als zumindest routinierter, unterhaltsamer Kurzgeschichtenautor etabliert, dem immer wieder morbide Meisterwerke gelingen. Unter den zehn hier versammelten Geschichten sind alleine drei herausragende Texte, die anderen Storys unterhalten solide, wenn auch bei zwei oder dreien der Funke nicht überspringt. Die stilistische Vielfalt des Autoren in Kombination mit seiner Zeichnung extremer Charaktere – oder reiner Durchschnittstypen, aber keine Langweiler – macht die Sammlung lesenswert. Manchmal provozierend, dann klassisch unterhaltend, aber abwechselungsreich.

09. Sep. 2007 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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