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Backup

BACKUP

Buch / Science Fiction

Cory Doctorow: "Backup"
Roman, Softcover, 300 Seiten
Heyne- Verlag 2007
ISBN 3-4535-2297-74

Unter dem profanen Titel „Backup“ erscheint Cory Doctorows erster Roman „Down and Out in the Magic Kingdom“ auch auf Deutsch. Bekannt geworden ist der im Verhältnis zu anderen Science Fiction Büchern mit im Original weniger als zweihundert großzügig bedruckten Seiten zuerst durch die Möglichkeit, dass man es noch vor einer Verlagsveröffentlichung komplett und kostenlos herunterladen konnte. Doctorow selbst ist ein Kandier, der im sonnigen Kalifornien lebt. Er hat sich anscheinend – geht es nach dem vorliegenden Roman – noch nicht komplett dem amerikanischen Way of Live hingegeben und ist noch nicht gänzlich assimiliert worden. In der Science Fiction ist er bislang durch einige originelle Kurzgeschichten aufgefallen. Zusammen mit seinem zeitweiligen Schreibpartner Charles Stross gehört er zu einer Generation von Autoren, welche die zunehmende Technisierung der Gesellschaft nicht mehr hinnehmen, sondern sie in mehr oder minder komischen Romanen zum Teil originell, dann wieder bissig, aber immer überzeichnet karikieren. Vernor Vinge hat in einer seiner ausgezeichneten sekundärliterarischen Arbeiten darauf hingewiesen, dass der Begriff der Singularität im Grunde den Zustand der Menschheit beschreibt, der aus heutiger Sicht komplett veränderte soziale und soziologische Strukturen umfasst. Aus seiner Sicht haben die Erfolge in den Bereichen der Nanotechnologie, der Lebensverlängerung, der Biotechnologie und schließlich der künstlichen Intelligenz das Lebensniveau der Menschheit so verändert, dass sie im Kern nichts mehr mit ihren Lesern gemeinsam haben. Damit stellt sich allerdings für Autoren wie Stross oder Doctorow ein anderes Problem. Welche Plots erzählt ein Schriftsteller in einer so futuristischen Zukunft? Im Grunde die alten Geschichten. Nicht zuletzt aufgrund dieser Prämisse wirken die in fernen Zukünften spielenden Storys oft retrotechnisch antiquiert. In Doctorows Zukunft ist die Menschheit globalisiert und gleichzeitig sozialisiert worden. Es gibt keine Nationalstaaten mehr, die Grundbedürfnisse der Menschen werden kostenlos befriedigt, dafür müssen sich die Menschen immer wieder zu einer Art Superintelligenz zusammenschließen und in diesem gemeinsamen Kharma für die Erfüllung der eigenen Wünsche beten? Insbesondere bei den Details seiner Zukunft bleibt Doctorow seltsam wage und bemüht sich, die erzkonservativen amerikanischen Leser nicht zu sehr zu schockieren. Je nach der Art der geistigen Impulse kann sich Mensch auf einer imaginären Karriereleiter von den intellektuellen Abgründen bis in den Zenit der Geisteskraft hinaufarbeiten und natürlich diese Treppe auch wieder herunterfallen. Der Autor macht allerdings nicht den Fehler, ein langweiliges nur positives Utopia zu beschreiben. Doctorow weiß, dass zu einem zu positiven Hintergrund eine actionreiche und vor allem bizarre Handlung entwickelt werden sollte. Und genau das macht er in seinem ersten Roman.

Der Protagonist Julius ist zu Beginn der Geschichte immerhin schon einhundertzwanzig Jahre alt. Das merkt der Leser weder dem Charakter noch seinen Handlungen expliziert an. Der Autor muss schon auf solche Fakten hinweisen. Einhundertzwanzig Jahre sind allerdings kein Alter. Julius hat sich seinen Traum erfüllt und lebt sein Leben in Disneyworld. Mit seiner zwanzigjährigen Freundin Lil lebt in der „Haunted Mansion“ und betreut die Halle der Präsidenten. Nach dank seiner Initiative können die Vertreter der damals größten Macht der Erde noch die potentiellen Zuschauer begeistern. Zwar stören Julius die Altersunterschiede zwischen seiner Freundin und ihm zu Beginn des Romans, aber als er erstens ermordet wird und zweitens als sein eigener Klon zwangsweise wieder belebt wird, hat er andere Sorgen. Das jetzt auch noch Rivalen seine Halle der Präsidenten übernommen haben, um aus dem amerikanischen Traum eine kommerzielle und vor allem dem Retrozeitgeist widersprechende Touristenattraktion zu machen, ist für ihn der Nagel in den Sarg seiner friedlebenden Existenz.

Obwohl die Handlung auf den ersten Blick verschroben aussieht, ist es Doctorow in seinem originell, teilweise allerdings gewöhnungsbedürftigen Roman gelungen, den Leser in sein Szenario zu integrieren. Das liegt sicherlich an den gut gezeichneten Charakteren. Auch wenn sie in einer fernen Zukunft leben, gibt der Autor ihnen ausreichend Hintergrundmaterial mit auf den Weg. Insbesondere Julius Lebens- und Leidensgeschichte bis zum Zeitpunkt seiner Ermordung wird immer wieder gerne herangezogen, um dem Leser zu demonstrieren, dass auch in dieser fernen Zukunft Menschen im Mittelpunkt stehen sollten.

Der Kern seiner Handlung ist wunderbar altmodisch. Der Kampf der Verfechter des Status Quo gegen den kontinuierlichen Fortschritt. So soll das unschuldige Disney World, der Nabel der harmlosen Unterhaltung, in einen Interfacepark verwandelt werden. Die animierten Figuren sollen abgebaut werden. Eine neue Traumtechnologie soll installiert werden. Die Besucher können in die Rolle eines George Washington oder Abraham Lincolns schlüpfen. Für Julius eine grauenhafte Vorstellung. Im Vergleich zu seinen Kollegen wie Charles Stross oder M. John Harrison tritt Doctorow mit seinem Roman einen Schritt zurück. Immer wieder schlägt der Autor den Bogen zwischen seinen Charakteren und einem futuristischen, aber im Zusammenhang mit der von Doctorow entworfenen Gesellschaft folgerichtigen Szenario. Darum wirken seine Versuche, in Person von Julius, einen leibhaftigen Anarchisten zu etablieren, teilweise auch konstruiert und darüber hinaus unglaubwürdig. Für Julius steht Disneyland für eine Zeit, in welcher Menschen zum Träumen und als Flucht aus ihrer sozialen Not hingegangen sind, für seine Freundin Lil – eine der in Disney World geborenen – ist die Veränderung ein Bestandteil ihres Lebens. So interessant auch die Probleme ihrer Beziehung nicht zuletzt aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkünfte sind, so einfach macht es sich der Autor teilweise mit ihrer Entstehung. Der Leser darf nicht vergessen, dass Julius im Gegensatz zu der Lebensunerfahrenen Lil am meisten vom Fortschritt profitiert hat. So lebt sein alter Geist in einem jungen, fremden Körper. So ist sein Job im Disneyland inzwischen seine dritte Karriere. Er ist ins All gereist und hat dort mit einer faszinierenden Frau namens Zoya zusammengelebt. Warum Julius im Vergleich zu der im Disneyzirkus aufgewachsenen Lil gegen den Fortschritt ist, bleibt offen gesprochen ein Motivationsrätsel. Der Roman hätte sicherlich viel besser funktioniert, wenn die junge Lil keine Veränderung an ihrer Geburtsstelle gewünscht hätte. Dagegen der alte Julius, der dank der modernen Medizin ein Lebensalter erreicht hat, von dem er bei seiner Geburt nicht hätte träumen können. Der immer nach neuen Ideen sucht, um älter zu werden und neue Erfahrungen zu sammeln. Mit dieser umgekehrten Prämisse wäre aus einem unterhaltsamen, gut geschriebenen Roman eine sehr gute Geschichte werden können. Nicht selten hat der Leser zwischen diesen vielen, teilweise bizarren, aber immer innovativen Ideen das Gefühl, als hätte der Kurzgeschichtenautor Doronow einige seiner besten Texte zu einem sehr kurzen Roman zusammengefasst. Da er seinen Figuren einen ausführlichen Hintergrund gibt und nicht davon zurückschreckt, mittels ausführlicher Rückblenden die laufende Handlung fast gänzlich auf die zweite und uninteressantere Ebene zu drücken, bleibt „Down and out in the Magic Kingdom“ lesenswert. Zwischen den dunklen Aspekten seiner Geschichte wie Verrat und geistiger Zusammenbruch finden sich immer wieder auch in der deutschen Übersetzung witzige Passagen, deren zynischer Humor aber immer wieder auf das Ausgangsthema zurückgeführt wird. Wie lange ist der Mensch noch ein Mensch, wenn die Technik seine Welt erobert hat und er im Grunde nur noch von dem Wohl und Wehe der künstlichen Intelligenzen einer vergnügungssüchtigen, lebensuntüchtigen Gesellschaft abhängig ist? Doctorow hat unsere heutige Mediengesellschaft in seiner teilweise bissigen Satire gut extrapoliert, ihm fehlt aber (noch) die Fähigkeit, diese Schreckensvision in einen komplexen Roman zu integrieren. So wirkt einiges an „Down and out in the Magic Kingdom“ fragmentarisch und nicht immer bis zum Ende durchdacht. Auf der anderen Seite überschüttet der Autor seine Leser mit so vielen wirklich guten und neuartigen Einfällen und spontanen Geistesblitzen, das es einem schwer fällt, diese überdrehte Geschichte um einen alten Anarchisten, seine junge Freundin, eine Karrierefrau und schließlich den ewigen Mythos Disney Worlds nicht zu mögen.

13. Okt. 2007 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/science_fiction/i...

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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