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Eroberer

EROBERER

Buch / SF

Stephen Baxter: "Eroberer"
Roman, Hardcover, 500 Seiten
Heyne- Verlag 2007
ISBN 3-4535-2300-8

Mit „Eroberer“ legt der Brite Stephen Baxter den zweiten Band seiner insgesamt vierteiligen „Time Tapestry“ Serie auch auf Deutsch vor. Im Mittelpunkt des Auftaktromans stand eine Prophezeiung, welche die von den Römern unterdrückten Briten auf eine bessere Zukunft hoffen ließ. Leider konzentrierte sich der Autor mehr auf römische Bau- und Ingenieurskunst und vernachlässigte eine stringente Handlung. Stellenweise wirkte das Buch wie eine sekundärliterarische Reise durch die Vergangenheit. Keine langweilige Reise, aber an deren Ende hat bis auf den obligatorischen und verführerischen Cliffhanger zu wenig gestanden. Mit dem vorliegenden zweiten Buch hat sich Baxter zumindest teilweise von seiner Geschichtsunterwürfigkeit gelöst und eine Balance zwischen notwendigen Hintergrundinformationen und plottechnischer Entwicklung gefunden. Das liegt wahrscheinlich auch an den insgesamt vier Jahrhunderten, welche „Eroberer“ mit natürlich unterschiedlichen Charakteren in Vignettenform abarbeitet. Unabhängig von der Vielzahl der Schlachtszenen und dem barbarischen Treiben der Nordmänner – es lohnt sich nicht, die Vergewaltigungen von Männern und Frauen, die Leiden der Sexsklavinnen zu zählen, hier übertreibt Baxter anscheinend mit unergründlich sadistischen Vergnügen – bearbeitet der Autor die gesellschaftlichen und sozialen – im Grunde ein Widerspruch zur der wilden Zeit – Klischees dieser historischen Epoche mit teilweise doch sehr stereotypen Charakteren. Die Handlung beginnt im Jahre 607, als die Angelsachsen Großbritannien überfallen haben. Vorher wird der Leser allerdings auf eine Art kosmisches Schachspiel hingewiesen, der Zeitablauf entspricht nicht der vertrauten irdischen Geschichte. Die Abweichungen sind nicht klar zu erkennen, aber dank des literarischen Tricks wird die Aufmerksamkeit der Leser deutlich geschärft. Weiterhin deutet der Autor an, dass auch diese Propheten die Entwicklung nicht akkurat vorhersagen können. Der zweite Einschnitt ist der Wikingerüberfall in Lindisfarne im Jahre 793, dann die Rückeroberung Britanniens durch Albert, den Großen im Jahre 872 von den Dänen und schließlich der Einfall der Normannen im Jahre 1066.

Wie schon angedeutet leidet „Eroberer“ weiterhin unter den oft flachen Charakteren, die Baxter für seine epochalen Bücher entwickelt. Im Vergleich zu den Zukunftsepen ist es noch wichtiger, identifizierbare Protagonisten zu erschaffen. Der historische Hintergrund ist sicherlich leerreich und wird zum Teil von Stephen Baxter bis zur Grenze des Erträglichen ausgemalt. Neben Connie Willis herausragendem „Doomsdaybook“ sicherlich die schmutzigste, brutalste Zusammenfassung der britischen Geschichte im Rahmen eines phantastischen Romans. Bei seinen Zukunftsszenarien ist der Leser durch die Unzahl von außergewöhnlichen Ideen abgelenkt worden. In diesem Fall teilt der britische Autor die Handlung auf mehrere Schultern auf. Auch wenn der schwule Bischof, die entschlossene britische Kriegerfrau und schließlich der wissenschaftlich gebildete Sklave drei extrem unterschiedliche Charaktere sind, kommen sie vertraut vor. Jeder dieser Figuren ist deutlich besser als alle Protagonisten des ersten Bandes, aber dreidimensional und kreativ entwickelt sind sie deswegen noch lange nicht. Diese Schwäche kann Baxter teilweise durch seine packenden Schlachtbeschreibungen ausgleichen. Im ersten Buch hat er sich in die Beschreibungen des Baus des Hadrianwalls im wahrsten Sinne des Wortes verliebt und in einigen Kapiteln teilweise den roten Faden achtlos über die Mauer geworfen. Durch die Fokussierung auf vier Abschnitte im Vergleich zu einem im ersten Band muss er sich handlungstechnisch disziplinieren. Das beginnt sich mit dem stimmungsvollen Auftakt, in dem Baxter fast poetisch das raue archaische Land und seine von der Natur nicht verwöhnten Bewohner beschreibt. Leider kann der Brite dieses Potential nicht aufrechterhalten. Er zeigt, wie das ursprüngliche britische Volk untergeht und die Angelsachsen sich zu assimilieren beginnen. Im Verlaufe der nächsten Kapitel unterwirft er jedes Volk einem spürbaren Veränderungsprozess und der Leser wird an seinen Roman „Evolution“ erinnert. Nur findet dieses Experiment im Kleinen und auf eine Insel beschränkt statt. Während sich also der ersten Band mit dem technischen Fortschritt – ebenfalls von den Eindringlingen, den Römern importiert – beschäftigt hat, geht es im zweiten Band um die ethische Entwicklung der Menschen. Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich zumindest in Baxters Roman die jeweiligen Eindringlinge unter das Volk mischen – mittels Massenvergewaltigungen – und spätestens bei der nächsten Invasion als Einheimische behandelt werden. Damit steht der Autor in einem krassen Widerspruch vor allem zu den historischen Sagen. In den Erzählungen um Robin Hood als auch der Arthur Legende wird noch deutlich zwischen dem urbritischen Volk und den Eindringlingen, den Unterdrückern unterschieden. Es ließe sich argumentieren, dass in den beiden Volkssagen die Invasion gerade stattgefunden hat, aber damit macht man es sich zu leicht. Immer liegen in Baxters Buch zwischen den Vignetten jeweils auch nur knappe vier bis fünf Generation und die Knechtschaft scheint impliziert schon lange anzudauern. Unabhängig von dieser Kritik bemüht sich Baxter, die verschiedenen Kulturen unabhängiger von einander zu beleuchten. Dabei liegt seine Sympathie immer bei dem überfallenen Volksstamm. Mit Albert dem Großen betritt zum ersten Mal ein charismatischer Führer die historische Bühne, der Schwert und Verstand zusammenführt. Eine gute Mischung aus intellektuellem Römernachkommen und brutal- archaischen Nordmannkrieger.

Das utopische Element des Romans Baxters Versuch, ein fiktives Reich aus den historischen Wurzeln zu entwickeln. Dabei wird es dem normalen Leser schwer fallen, zwischen den historischen Fakten und Baxters Parallelweltutopie zu unterscheiden. Zu eng verknüpft der Autor Realität und Fiktion. Zumindest bleibt er allerdings im zweiten Band der vierteiligen Serie sehr nah am Leser. Im Gegensatz zu den zum Teil esoterischen Gedankenmodellen, seiner Extrapolation einer Zukunft der Menschen bis in Zeitalter, die über das Verständnis des normalen Menschen hinausgehen erzählt der Autor hier eine fast klassische Geschichte – im Grunde vier klassische Geschichten – von Blut, Schweiß und Tränen. Ganz bewusst versucht Baxter sich aus der Ecke seiner philosophischen Science Fiction Bücher zu lösen und wie bei seiner „Mammoth“ Trilogie ein breiteres Publikum anzusprechen. Insbesondere Fans seiner Fiktionen werden mit dem vorliegenden Band noch weniger zufrieden gestellt als es schon beim ersten Buch der Fall gewesen ist. Er macht nicht mehr den Fehler, Geschichte nur aus dem Blickwinkel eines Ingenieurs zu betrachten, ist aber weit davon entfernt, sich zu einem interessanten Erzähler historischer Roman zu entwickeln. Nicht selten hat man bei der teilweise noch sehr spröden Lektüre das Gefühl, als wolle der Intellektuelle Baxter viel mehr in die Handlung integrieren als ihm der Schriftsteller Baxter zugesteht. Und dieser Zwischenschritt macht das Buch zu einer interessanteren Lektüre als der Auftaktband, aber doch zu einem eher durchschnittlichen Roman. Das liegt sicherlich auch an der übergeordneten Handlung, in welcher immer wieder über die Zeitweber und mögliche „Was wäre wenn“ Alternativen diskutiert wird. Auch wenn diese Szenen im Verhältnis zu der historischen Handlung umfangtechnisch vernachlässigbar sind, reißen sie den Leser immer wieder aus der Fiktion heraus.

„Eroberer“ ist bislang ein weiterer nicht gänzlich befriedigender Versuch, eine andere Art von Parallelweltgeschichte zu erzählen. Historisch sehr gut recherchiert leidet das Buch unter – für Baxters Verhältnisse – einem sehr durchwachsenen Stil und vor allem einer nicht zu leugnenden Einfallslosigkeit bei den Schlachtszenen. Dazu kommt ein fehlender heroisch- charismatischer Führer. Oder im Gegensatz zum ersten Band zumindest zwei oder drei aufgrund der vier Jahrhunderte zwischen den einzelnen Vignetten. Lesbarer als „Imperator“, aber weit davon entfernt, an Baxters erste von Ideen übersprühende Romane wie „Anti- Eis“ oder „Die Zeitschiffe“ heranzureichen. Von seinen Stapledon artigen Romanen ganz zu schweigen.

16. Okt. 2007 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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